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RCEP - das Abkommen für eine multipolare Wirtschaftspartnerschaft tritt in Kraft

ISW München - Sa, 03/06/2023 - 20:31

Auf den Philippinen ist in den vergangenen Maitagen das von 15 Mitgliedern ratifizierte Abkommen einer regionalen umfassenden Wirtschaftspartnerschaft (Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP) in Kraft getreten.[1]

Für die beteiligten Staaten bedeutet dies eine neue Stufe der vollständigen Umsetzung der Freihandelszone, die 30 Prozent der Weltbevölkerung, mit anderen Worten 2, 2 Mrd. Menschen abdeckt und 30 Prozent des Wirtschafts- und Handelsvolumens der Welt ausmacht. Die Freihandelszone gilt als die Freihandelszone mit dem stärksten Entwicklungspotential, von der ein neuer Schwung für die Weltwirtschaft erwartet werden kann.
Es handelt sich bei der nach den Grundsätzen einer multipolar konzipierten Wirtschafts-partnerschaft um eine Freihandelszone, die mit allen 15 Mitgliedsländern, unabhängig ihrer aktuellen politischen Disposition, auf Augenhöhe besteht. Die jeweiligen nationalen Zolltarife der Teilnehmerstaaten haben zwar für eine Übergangsphase noch Bestand, aber die bestehenden Zölle zwischen den RCEP-Ländern werden für Ursprungserzeugnisse der beteiligten Länder abgebaut.
Zwischen den ASEAN-Staaten gibt es bislang bereits so gut wie keine Zölle. Auch die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen zu Drittstaaten beruhen im Rahmen der RCEP-Vereinbarung auf niedrigen Zolltarifen.

Der größte ökonomische Gewinn für die Mitglieder des RCEP ist offenbar die Senkung der Zölle auf Produkte, die innerhalb des Handelsblocks bezogen werden. Das Abkommen enthält Regelwerke für zwanzig Bereiche. Ursprungsländer werden klar definiert, was den Warenfluss unter den beteiligten Ländern vereinfacht. Damit wird ein Anreiz für die RCEP-Mitglieder geschaffen, innerhalb des definierten Wirtschaftsraumes Waren freier zu beschaffen und generell freien Handel untereinander zu betreiben.[2]

Analysten verschiedener Wirtschaftsinstitutionen zufolge wird der offene und integrative Pakt zur langfristigen regionalen und globalen wirtschaftlichen Stabilität und Entwicklung beitragen und insbesondere der regionalen Wirtschaftsintegration neuen Schwung verleihen. Die 15 Mitgliedsländer (VR China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland und den zehn Staaten des ASEAN-Bündnisses)[3] haben bereits vor dem jetzt vollständigen Inkrafttreten des Abkommens, einschließlich des zunächst letzten Beitrittskandidaten Philippinen, Maßnahmen umgesetzt, um ein offenes, freies, faires, inklusives und regelbasiertes multilaterales Handelssystem zu unterstützen. Dabei haben sich die Wirtschaftspartner - auch über weiterhin  fortbestehende  politisch-ideologische Grenzen hinweg - auf eine hochrangige Wirtschaftspartnerschaft und Zusammenarbeit gemeinsam verpflichtet.[4]
Das betrifft insbesondere die  Öffnung der Waren-, Dienstleistungs- und Investitionsmärkte sowie die vereinbarten  Regeln in verschiedenen Sektoren, die den freien Fluss von Produktionselementen in der Region, einschließlich Rohstoffen, Produkten, Technologie, Talenten, Kapital, Informationen und Daten, umsetzen und fortschreiben sollen.

Geistiges Eigentum garantiert - Kooperieren und nicht Bevormunden

Nach den Angaben des IHK, Stuttgart sind die RCEP-Länder eine wichtige Quelle für geistiges Eigentum. Im Jahr 2019 kamen nach Informationen der WIPO (Weltorganisation für geistiges Eigentum) von den über drei Millionen weltweiten Patentanmeldungen mehr als zwei Drittel aus RCEP-Ländern. Dieser Logik folgend sind auch Schutzrechte zum geistigen Eigentum in dem Abkommen verankert, mit dem Ziel, eine wirksame regionale Zusammenarbeit unter der Einhaltung eines gemeinsames Schutzniveaus und deren Einhaltung zu schaffen.
Das Abkommen enthält ein umfangreiches Kapitel mit Regelungen insbesondere zu Urheberrechten, Marken, geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen, Gebrauchsmustern und Designs, Patenten und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
Als Minimalstandard wird dabei auf das TRIPS-Abkommen der WTO (Trade Related Aspects of Intellectual Property) Bezug genommen.  an einigen Stellen geht das RCEP jedoch über das Schutzniveau von TRIPS hinaus, beispielsweise im Bereich des digitalen Urheberrechts.[5]

Pragmatismus gegenüber hegemonialen Ansprüchen - der Warenaustausch zwischen RCEP und deutschen/europäischen Unternehmen

Die RCEP-Staaten sind nach Einschätzung von IHK als wirtschaftlicher Interessensverband. wichtige Handelspartner der EU. Bereits im Jahr 2019 seien 20 Prozent der EU-Exporte in RCEP-Länder gegangen.[6]  Auf die RCEP-Staaten wird bis im Jahr 2030 ein Anteil des weltweiten BIP von 50 % entfallen.[7]  Der asiatisch-pazifische Raum gilt vor allem als ein wichtiger Absatzmarkt für technisch anspruchsvolle Güter. Für die EU könnte das Abkommen eine Herausforderung in ihrer bisher wettbewerbsstarken Position technischer Güter bedeuten, da mit reduzierten Handelsbarrieren zwischen den RCEP-Mitgliedsländern Handelsströme umgelenkt werden können.[8]
Die Produktion und der Handel innerhalb der RCEP-Region würde im Gegensatz zum Import in die RCEP-Länder günstiger werden: mithilfe des Abkommens können deutsche Unternehmen zollfrei in die Region exportieren. Voraussetzung ist, dass Unternehmen im Hoheitsgebiet der Vertragspartner produzieren und die Ursprungsvorschriften einhalten. RCEP dient als zusätzliches Instrument im internationalen Handel. Auch auf Bundesebene wird laut der IHK das Abkommen grundsätzlich als positive Entwicklung angesehen. Demgegenüber sei die Stärkung der regionalen Integration durch RCEP durchaus als ein Beitrag zur international regelbasierten Wirtschaftsordnung zu verstehen.

Gerade in der jetzigen Zeit, die von Handelskonflikten und protektionistischen Tendenzen geprägt ist, sei der Austausch nach den IHK-Meinungen besonders wichtig. An und für sich können auch europäische Unternehmen, die im Indo-Pazifischen-Raum tätig sind, von RCEP profitieren. Zollabbau und der Abbau von regulatorischen Handelshemmnissen könne ihnen erlauben, Produktion und Lieferketten zu diversifizieren, was den Konsumenten in Europa zugutekäme. 
Die pragmatische Erkenntnis von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen steht dabei der politisch gewollten und protektionistisch verfolgten US-Wirtschaftspolitik und ihrer hegemonialen Intention in Asien diametral entgegen. Wenn man das außenpolitische Agieren der deutschen Bundesregierung verfolgt, so stehen die  neo-konservativen interventionistischen Belehrungen, wie sich die asiatischen Länder zu verhalten hätten ganz im Einklang der von den USA verfolgten Asien-Politik.

Aber mit Verweis auf die grundsätzlich multilaterale Ausrichtung des RCEP zeigt sich beispielhaft an den zuletzt beigetretenen Philippinen, die sich auch auf die guten Beziehungen zu den USA berufen, dass „… die fruchtbaren Ergebnisse im Zusammenhang mit der regionalen Wirtschaftsintegration im Rahmen des RCEP im vergangenen Jahr von dem südostasiatischen Land (Philippinen) anerkannt wurden".[9]
Die Senkung der Handelskosten, die Erleichterung der Integration von Lieferketten und den Nutzen für die Volkswirtschaften  sowie erzielte Dividenden werden von den Partnerländern der  Region als die herausragenden Vorteile durch das RCEP-Abkommen betont.
Die Vereinbarungen und Umsetzungen des RCEP-Pakts haben elementar zur Erholung der asiatisch-pazifischen Wirtschaft beigetragen und den starken Gegenwind durch die schleppende globale Nachfrage, den Russland-Ukraine-Konflikt und die aggressiven US-Zinserhöhungen ausgeglichen.

RCEP als offenes System

Nach den Angaben des MOFCOM, Ministry of Commerce People´s Republic of China hat das Außenhandelsvolumen zwischen China und anderen RCEP-Mitgliedern im Jahr 2022 mit einem Anstieg von 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein Volumen von 1,83 Billionen US-Dollar erreicht; das entspricht etwa einem Drittel des gesamten chinesischen Außenhandels. [10]
Als ein offenes System bietet das RCEP auch weiteren Volkswirtschaften die Partnerschaft bzw. die Integration an, um gerade für die Zukunftsbereiche der digitalen Wirtschaft, des grenzüberschreitenden Handels und der grünen Wirtschaft" im internationalen Maßstab zur Stabilität der Weltwirtschaft beizutragen. 
Auch Indien stünde eine Rückkehr in die Wirtschaftspartnerschaft offenstehen.[11
Indien kehrte Ende 2019 dem weltgrößten Handelspakt den Rücken.

Die USA und das IPEF als Gegen-Aktion

Während das weltweit größte Freihandelsabkommen in Kraft tritt, verstärken die USA die Eindämmung Chinas, um ihre Präsenz in der asiatisch-pazifischen Region durch das Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity (IPEF) auszuweiten.

Es handelt sich dabei um ein unilaterales, auf die hegemoniale und wirtschaftliche Vormachtstellung der USA pochende Gegengebilde. Unschwer ist im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen den USA und China auch das IPEF als eine der vielen Maßnahmen zu interpretieren, die wirtschaftliche Schaffenskraft und multilaterale chinesische Politik einzudämmen. [12] 

Das Ende Mai erfolgte Ministertreffen der beteiligten IPEF in Detroit, USA diente insbesondere dem Zweck, eine Vereinbarung zur Stärkung der Zusammenarbeit in der Lieferkette für wichtige Materialien und Produkte zu treffen, um die Abhängigkeit von China zu verringern.

Das im Mai 2022 ins Leben gerufene, von den USA dominierte IPEF umfasst vor allem Nachbarländer Chinas, wie einige Mitglieder der ASEAN, Chinas größtem Handelspartner, und plant Vereinbarungen in vier Bereichen, darunter Handel, Lieferketten, grüne Wirtschaft und die so genannte "faire" Wirtschaft.
Im Gegensatz zu einer Win-Win-Kooperation und dem auf Marktregeln basierenden RCEP sei das IPEF eine einseitige Vereinbarung, die von den USA dominiert werde, um China einzudämmen, und die USA andere Volkswirtschaften mit finanzieller Hegemonie, Monopolen und anderen Drohungen unter Druck setzten, ihre Bedingungen zu akzeptieren. [13]

Das nächste Ziel der RCEP-Mitglieder sei, so die Aussage der Teilnehmer bei der Unterzeichnung des RCEP-Abkommens, unbeirrt durch die politisch-ökonomischen Gegenströme, die Umsetzung der RCEP-Freihandelsregeln zu beschleunigen und den intraregionalen Handelsaustausch zu forcieren.

 

[1] https://www.globaltimes.cn/page/202306/1291861.shtml

[2] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5020-rcep

[3] ASEAN-Staaten: Es handelt sich um einen Staatenverbund Südostasiatischer Nationen, der aus Indonesien, Malaysia, Singapur, Philippinen, Thailand, Brunei, Vietnam, Laos, Myanmar und Kambodscha besteht.
https://www.bmz.de/de/service/lexikon/vereinigung-suedostasiatischer-laender-asean-14926

[4] ebd.; MOFCOM, Ministry of Commerce People´s Republic of China

[5] https://www.ihk.de/stuttgart/fuer-unternehmen/international/import-export/warenursprung/zollvorteile-praeferenzen/handelsabkommen/rcep-handelsabkommen-5570158

[6] ebd.

[7] https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2021/heft/6/beitrag/das-rcep-abkommen-und-dessen-bedeutung-fuer-die-eu.html

[8] http://www.glo.com.cn/en/Professionals/DemingZhao.html

[9]  Da Zhigang, Direktor des Instituts für nordostasiatische Studien an der Akademie für Sozialwissenschaften der Provinz Heilongjiang, zitiert nach https://www.globaltimes.cn/page/202306/1291861.shtml

[10] ebd.

[11] https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-indiens-absage-an-den-freihandelspakt-rcep-spielt-china-in-die-haende/25191822.html

[12] Wolfgang Müller: China: neuer Hauptfeind des Westens? ,  VSA-Verlag, Hamburg 2023, insbes, Kap. 4 und 5
[13] https://www.globaltimes.cn/page/202305/1290738.shtml?id=11

 

Leo Tolstoi: Das Gesetz der Gewalt und die Vernunft der Liebe

Lebenshaus-Newsletter - Fr, 02/06/2023 - 07:02
Der in der Tolstoi-Friedensbibliothek erschienene Sammelband "Das Gesetz der Gewalt und die Vernunft der Liebe" erschließt Texte Leo Tolstois (1828-1910)... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Großmanöver Air Defender 2023

IMI Tübingen - Do, 01/06/2023 - 21:32
Vom 12. bis 23. Juni wird das Großmanöver Air Defender 2023 stattfinden. Auf dieser Sonderseite versammeln wir Informationen zum Manöver, Protesttermine, Cartoons und sonstige Meldungen rund um das Manöver. ANALYSE: Analyse: Air Defender 2023Luftwaffenmanöver der Superlative im Juni über Deutschland hier (…)

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Einkommen, Vermögen, Reichtum, Armut – Themen, über die wir uns dringend offen austauschen müssen.

ISW München - Do, 01/06/2023 - 11:13

Geld – wir alle brauchen es, aber kaum jemand redet drüber. Auf Arbeit, im Freundeskreis oder in den Medien. Wie viel wir verdienen und was wir besitzen, sind Tabuthemen. Zu Unrecht, meint Marius Busemeyer. Der Politikwissenschaftler findet, wir sollten reden – übers Geld, Reichtum und soziale Ungleichheit; in den Schulen, an den Universitäten, auch in der Politik.

Busemeyer ist Professor an der Universität Konstanz. Er und sein Team veröffentlichten vor kurzem das sogenannte Konstanzer Ungleichheitsbarometer. Das zeigt, wie wir Deutschen Ungleichheit empfinden. Also, wo stehen wir gefühlt wirtschaftlich im Vergleich zu anderen? 

Die Studie belegt, wir nehmen Einkommens- und Vermögensungleichheit verzerrt wahr: Sehr reiche Menschen machen sich oft ärmer, als sie sind. Das heißt, auf der ökonomischen Leiter stehen sie gefühlt niedriger, als sie es wirklich tun. Sie zählen sich zur Mittelschicht, sind aber Teil der oberen Zehntausend.
Ähnliches gilt für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie überschätzen oft ihre relative Position.
„Insgesamt ordnen sich also wesentlich mehr Befragte der Mittelschicht zu als objektiv gerechtfertigt“, schlussfolgert die Studie. Ob arm oder reich, in Deutschland fühlen wir Mitte. Gründe gibt es viele: Sozialblasen, Informationslücken und unsichtbares Vermögen. Sie alle führen zu subjektiven Fehleinschätzungen zum Ausmaß von Ungleichheit. Das hat Folgen für die Politik. 

Es sei bezeichnend, meint Busemeyer in einem Interview mit der Zeit, dass „zwei der aktuell drei Regierungsparteien in ihren Wahlprogrammen die Einführung einer Vermögenssteuer und die Reform der Erbschaftssteuer fordern, aber das im Regierungsalltag keine Rolle spielt“. Dabei gehe es doch um Fragen sozialer Gerechtigkeit, meint er, und die geht uns alle an.

Wir brauchen mehr öffentliche Debatte übers Geld 

Erst der Verteilungsbericht 2022 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigte, dass die ökonomische Ungleichheit in Deutschland weiter zunimmt. Trotzdem wissen wir von Einkommensungleichheit wenig, von ungleicher Vermögensverteilung fast nichts. 41,6 Prozent des gesamten Vermögens hierzulande gehören den „oberen 5 Prozent“ – die haben mit der Mittelschicht also nichts zu tun. Gleichzeitig, so Busemeyer, wählen Geringverdiener:innen gegen ihre Interessen, wenn sie ihre wirtschaftliche Position überschätzen. Beispielsweise, wenn sie befürchten, bei der Reichensteuer selbst zahlen zu müssen. Dann sitzt die Angst finanzieller Verluste tief, die Tabuthemen Geld und Vermögen aber sitzen tiefer.

Deshalb brauchen wir mehr öffentliche Debatte – übers liebe Geld und ungleiches Vermögen. Denn vom ungleichen Leben unserer Mitmenschen bekommen wir kaum etwas mit, auch nicht in den Medien. Dort bleibt Reichtum sexy, und Armut scheint ein Problem obdachloser Menschen – die Grautöne dazwischen gehen im konsumgeilen Medien- und Wirtschaftswahn oft unter. Wie aber sieht der Alltag eines Firmenchefs aus, wie der einer alleinerziehenden Mutter in Berlin? Wie bezahlen beide ihren Wohnraum? Was nehmen beide als selbstverständlich hin? Fragen wie diese sind wichtig. Sie zeigen: Weder Armut noch Reichtum sind abstrakte Tabuthemen. Sie sind greifbare Lebenswelten in Grau. Durch ihre Alltäglichkeiten können Medien zeigen, wie bunt unsere Gesellschaft wirklich ist.

 

Erstveröffentlichung in Berliner Zeitung, 23.05.2023

Mehr zum Thema

https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/4642-41geldmenge-preise-und-zinsen-wie-sind-die-zusammenhaenge

https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/4606-5kann-umverteilung-das-problem-armut-reichtum-loesen

https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/2454-53reichtumspyramide-mehr-millionaere-mit-immer-groesseren-geldvermoegen

 

 

Einkommen, Vermögen, Reichtum, Armut – Themen, über die wir uns dringend offen austauschen müssen.

ISW München - Do, 01/06/2023 - 11:13

Geld – wir alle brauchen es, aber kaum jemand redet drüber. Auf Arbeit, im Freundeskreis oder in den Medien. Wie viel wir verdienen und was wir besitzen, sind Tabuthemen. Zu Unrecht, meint Marius Busemeyer. Der Politikwissenschaftler findet, wir sollten reden – übers Geld, Reichtum und soziale Ungleichheit; in den Schulen, an den Universitäten, auch in der Politik.

Busemeyer ist Professor an der Universität Konstanz. Er und sein Team veröffentlichten vor kurzem das sogenannte Konstanzer Ungleichheitsbarometer. Das zeigt, wie wir Deutschen Ungleichheit empfinden. Also, wo stehen wir gefühlt wirtschaftlich im Vergleich zu anderen? 

Die Studie belegt, wir nehmen Einkommens- und Vermögensungleichheit verzerrt wahr: Sehr reiche Menschen machen sich oft ärmer, als sie sind. Das heißt, auf der ökonomischen Leiter stehen sie gefühlt niedriger, als sie es wirklich tun. Sie zählen sich zur Mittelschicht, sind aber Teil der oberen Zehntausend.
Ähnliches gilt für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie überschätzen oft ihre relative Position.
„Insgesamt ordnen sich also wesentlich mehr Befragte der Mittelschicht zu als objektiv gerechtfertigt“, schlussfolgert die Studie. Ob arm oder reich, in Deutschland fühlen wir Mitte. Gründe gibt es viele: Sozialblasen, Informationslücken und unsichtbares Vermögen. Sie alle führen zu subjektiven Fehleinschätzungen zum Ausmaß von Ungleichheit. Das hat Folgen für die Politik. 

Es sei bezeichnend, meint Busemeyer in einem Interview mit der Zeit, dass „zwei der aktuell drei Regierungsparteien in ihren Wahlprogrammen die Einführung einer Vermögenssteuer und die Reform der Erbschaftssteuer fordern, aber das im Regierungsalltag keine Rolle spielt“. Dabei gehe es doch um Fragen sozialer Gerechtigkeit, meint er, und die geht uns alle an.

Wir brauchen mehr öffentliche Debatte übers Geld 

Erst der Verteilungsbericht 2022 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigte, dass die ökonomische Ungleichheit in Deutschland weiter zunimmt. Trotzdem wissen wir von Einkommensungleichheit wenig, von ungleicher Vermögensverteilung fast nichts. 41,6 Prozent des gesamten Vermögens hierzulande gehören den „oberen 5 Prozent“ – die haben mit der Mittelschicht also nichts zu tun. Gleichzeitig, so Busemeyer, wählen Geringverdiener:innen gegen ihre Interessen, wenn sie ihre wirtschaftliche Position überschätzen. Beispielsweise, wenn sie befürchten, bei der Reichensteuer selbst zahlen zu müssen. Dann sitzt die Angst finanzieller Verluste tief, die Tabuthemen Geld und Vermögen aber sitzen tiefer.

Deshalb brauchen wir mehr öffentliche Debatte – übers liebe Geld und ungleiches Vermögen. Denn vom ungleichen Leben unserer Mitmenschen bekommen wir kaum etwas mit, auch nicht in den Medien. Dort bleibt Reichtum sexy, und Armut scheint ein Problem obdachloser Menschen – die Grautöne dazwischen gehen im konsumgeilen Medien- und Wirtschaftswahn oft unter. Wie aber sieht der Alltag eines Firmenchefs aus, wie der einer alleinerziehenden Mutter in Berlin? Wie bezahlen beide ihren Wohnraum? Was nehmen beide als selbstverständlich hin? Fragen wie diese sind wichtig. Sie zeigen: Weder Armut noch Reichtum sind abstrakte Tabuthemen. Sie sind greifbare Lebenswelten in Grau. Durch ihre Alltäglichkeiten können Medien zeigen, wie bunt unsere Gesellschaft wirklich ist.

 

Erstveröffentlichung in Berliner Zeitung, 23.05.2023

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Könnte es sein, dass nicht die Klima-Aktivisten "bekloppt" sind, sondern der Bundeskanzler?

Lebenshaus-Newsletter - Mi, 31/05/2023 - 20:24
Bundeskanzler Scholz bezeichnete die Klebeaktionen der "Letzten Generation" als "völlig bekloppt". Hat er recht? Man kann natürlich darüber streiten, ob... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Ukraine: Oberster Gerichtshof ordnet Freilassung des Kriegsdienstverweigerers Vitaly Alekseenko an

Lebenshaus-Newsletter - Di, 30/05/2023 - 17:06
Am 25. Mai 2023 hob der Oberste Gerichtshof der Ukraine die Verurteilung des Kriegsdienstverweigerers und Gewissensgefangenen Vitaly Alekseenko auf und... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Onlineveranstaltung: Air Defender 2023

IMI Tübingen - Di, 30/05/2023 - 15:13
Datum: Donnerstag 1. Juni 2023, 19h Über Big Blue Button: https://ultramarin.collocall.de/inf-q6o-sga-wbv Die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren. Für das größte Luftwaffenmanöver seit Gründung der NATO werden bis zum 12. Juni rund 100 Militärflugzeuge der US-Luftwaffenreserve (Air National Guard) nach Europa (…)

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BE Strong?

IMI Tübingen - Di, 30/05/2023 - 14:12
Die Bundeswehr plant, ihre Wehrfähigkeit zu erhöhen. Dazu gehört vor allem auch das Anwerben von neuen Rekrut*innen, das in letzter Zeit bei vielen durch Werbetafeln und ähnliches wieder präsent geworden sein dürfte. Dies ist Teil eines Versuches, die Zahl der (…)

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Wo werden eigentlich – und zu wessen Gunsten – Tarifverträge gemacht?

ISW München - Di, 30/05/2023 - 11:34

Den Beschäftigten insgesamt droht als Folge der niedrigen Tarifabschlüsse der führenden Gewerkschaften 2024 gegenüber 2023 ein spürbarer Reallohnverlust. Mit Sonderzahlungen wurden niedrigere sozialversicherungspflichtige Lohnerhöhungen ermöglicht. Es ist außerdem untragbar, Einkommenserhöhungen von erwerbstätigen Lohnabhängigen mit Verschlechterungen bei nicht erwerbstätigen Lohnabhängigen zu finanzieren. Gewerkschaften, die das tun, spalten die Lohnabhängigen und handeln unsolidarisch. 

Die diesjährige Tarifrunde begann im Kanzleramt. Im Juni 2022 schlug Olaf Scholz aufgrund der krisenhaften Wirtschaftssituation steuerfreie Einmalzahlungen durch die Arbeitgeber vor – als Ausgleich für die überall steigenden Kosten. Im Gegenzug sollten die Gewerkschaften auf einen Teil der Lohnsteigerungen verzichten. Die Wirtschaft begrüßte dies, aber selbst Ökonomen widersprachen. So sagte der Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratscher: „Höhere Löhne sind der einzige nachhaltige Weg, wie Menschen mit geringem Einkommen dauerhaft höhere Preise für Energie und Lebensmittel verkraften können.“ 
Auch die Gewerkschaften haben die Scholz’sche Idee anfangs zurückgewiesen. Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, sagte: „Tarifverhandlungen werden nicht im Kanzleramt geführt. Über Ziele unserer Tarifpolitik entscheidet nicht die Politik, sondern die Tarifkommissionen und Gremien der IG Metall.“ (Die Zeit vom 2. Juni 2022) Frank Werneke erklärte für Ver.di: „Einmalzahlungen bringen nicht weiter.“ (Süddeutsche Zeitung vom 27. Juni 2022) 

Kurz danach lud Olaf Scholz Unternehmerverbände und Gewerkschaften zur konzertierten Aktion. Dort wurde sein Plan weiterverfolgt und um Freistellung von Sozialversicherungsbeiträgen ergänzt, mit dem Ergebnis, dass der Bundestag Anfang November im Rahmen eines Entlastungspakets die Möglichkeit zu Sonderzahlungen beschloss. „Der Bund ist bereit, bei zusätzlichen Zahlungen der Unternehmen an ihre Beschäftigten einen Betrag bis zu 3.000 Euro von der Steuer und den Sozialversicherungsabgaben zu befreien.“ Diese Möglichkeit gilt bis Ende 2024.

Die Inflationsrate in Deutschland lag 2022 gegenüber dem Vorjahr bei 7,9 Prozent (Destatis, Pressemitteilung Nr. 022 vom 17. Januar 2023). Extrem gestiegen waren die Preise für Energie (34,7 Prozent) und Nahrungsmittel (13,4 Prozent). Da diese beiden Ausgaben Arbeitnehmerhaushalte mit unterdurchschnittlichem Einkommen stärker belasten, beträgt die Inflationsrate für diese Gruppe vermutlich mindestens 9 Prozent.
Auch 2023 bleibt die Inflationsrate hoch. Im April lag sie gegenüber dem Vorjahresmonat bei 7,2 Prozent. Experten erwarten im Jahr 2023 keinen grundlegenden Rückgang. Deswegen kann auch 2023 für unterdurchschnittlich verdienende Haushalte von Preissteigerungen in Höhe von 8 Prozent ausgegangen werden. 

Gleichen die Tarifabschlüsse die Inflationsverluste aus?

Die großen Gewerkschaften haben in vollem Umfang die Sonderzahlungen in Anspruch genommen und sich mit relativ geringen tariflichen Lohnerhöhungen zufriedengegeben. Das sind die Ergebnisse: 

In der Chemieindustrie steigen die Löhne zum 1. Januar 2023 um 3,5 Prozent und ab 1. Januar 2024 nochmals um 3,5 Prozent.
In der Metallindustrie steigen die Löhne ab Juni 2023 um 5,2 Prozent und ab Mai 2024 um 3,3 Prozent bei einer Laufzeit von 24 Monaten.
Ver.di vereinbarte für 2023 eine Nullrunde. Ab 1. März 2024 steigen die Tabellenlöhne um einen Sockelbetrag von 200 Euro und darauf um 5,5 Prozent. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt ebenfalls 24 Monate.
Alle Vollzeitbeschäftigten, für die diese Tarifverträge gelten, erhalten 3.000 Euro als Sonderzahlungen.
Besonders negativ wirken sich die langen Laufzeiten aus. Berechnet man die tariflichen Lohnsteigerungen auf 24 Monate, ergeben sich bei der IG Chemie 3,5 Prozent, bei der IG Metall 3,6 Prozent und bei Ver.di 4,6 Prozent. Sollte die Inflationsrate 2023 nicht zurückgehen, sind auch für die tarifgebundenen Erwerbstätigen dieser Branchen Reallohnverluste um 4 Prozent zu erwarten.

Gesellschaftliche Folgen der Tarifabschlüsse 

Die Gewerkschaften haben es nur mit Hilfe von Sonderzahlungen geschafft, die Inflation für ihre Mitglieder für das Jahr 2022 annähernd auszugleichen. Doch diese Methode bringt längerfristig Reallohnverluste für ihre Mitglieder und andere Arbeitnehmergruppen und schadet vor allem den Rentnerinnen und Rentnern stark. 

„Nachhaltig“ ist eines der Lieblingsworte bei der Bewertung der Tarifabschlüsse durch die Beteiligten. Davon kann jedoch keine Rede sein.

Der Preis für die sozialversicherungsfreien Sonderzahlungen von 3.000 Euro sind Beitragsausfälle der Sozialversicherungen von 1.200 Euro pro Person, da Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge entfallen. Für den Einzelnen wirkt die Sonderzahlung als Lohnerhöhung. Für Industriekonzerne führt der Wegfall von Arbeitgeberbeiträgen zu höheren Profiten. Den Sozialversicherungen aber fehlen im Jahr 2023 bei 7,2 Millionen Beschäftigten der genannten drei Branchen dadurch 6,64 Milliarden Euro. Für die Rentenversicherung ergibt sich ein Ausfall von ca. 3,05 Milliarden Euro, den Krankenversicherungen fehlen 2,39 Milliarden Euro, der Pflegeversicherung 500 Millionen Euro und der Arbeitslosenversicherung 427 Millionen Euro. Der Staat verzichtet darüber hinaus auf Steuereinnahmen von ca. 3,6 Milliarden Euro.

Die Sonderzahlungen sollten hohe Lohnabschlüsse vermeiden. Sie sind eine Lohnsubvention des Staates und der Sozialversicherungen für die Unternehmer.

Folgen für andere Arbeitnehmer

Die Tarifabschlüsse der großen Gewerkschaften sind die höchsten aller Branchen und haben Richtungsfunktion. Die Abschlüsse aller anderen Branchen, seien sie tarifgebunden oder nicht, liegen darunter. Die Unternehmer in diesen Bereichen werden die niedrigen tariflichen Abschlüsse der großen Gewerkschaften dazu nutzen, um die Löhne zu drücken. Auch sie werden die Möglichkeit von Sonderzahlungen nutzen, um lineare Lohnerhöhungen zu vermeiden, aber keineswegs im vollen Umfang von 3.000 Euro. Dadurch gibt es weitere erhebliche Ausfälle bei den Sozialversicherungen und den Finanzämtern. Es ist skandalös, dass Tarifverträge abgeschlossen werden, die große Löcher in die Einnahmen der Sozialversicherungen reißen, obwohl deren Krise bekannt ist. Stellt man alle Sonderzahlungen und die dadurch ermöglichten niedrigeren sozialversicherungspflichtigen Lohnerhöhungen in Rechnung, handelt es sich um Ausfälle im zweistelligen Milliardenbereich. 

Den Beschäftigten insgesamt droht als Folge der niedrigen Tarifabschlüsse der führenden Gewerkschaften 2024 gegenüber 2023 ein spürbarer Reallohnverlust. „Nach einer Inflationsrate von acht Prozent 2022, sechs Prozent 2023 und drei Prozent 2024 werden die Löhne im Öffentlichen Dienst am Ende zirka sechs Prozent weniger Kaufkraft haben, sagte der DIW-Präsident Marcel Fratscher der Augsburger Zeitung“, wie Medien berichten. Der Reallohnverlust 2022 betrug laut „Destatis“ schon 4,1 Prozent gegenüber 2021. Im Zeitraum von 2022 bis 2024 beträgt der Reallohnverlust dann schon vorsichtig geschätzt 10 Prozent. Nach unserer Rechnung ist der Verlust deutlich höher, denn die Prognose von Fratscher berücksichtigt weder die höhere Inflationsrate von Arbeitnehmerhaushalten mittlerer und unterer Einkommen noch die Folgen für die Sozialversicherungen. Wenn nämlich die Löcher der Sozialversicherungen mit höheren Beiträgen bzw. der Kürzung von Leistungen gestopft werden, kommen weitere Reallohnsenkungen dazu. 

Auch für den Mindestlohn haben die niedrigen tariflichen Abschlüsse unmittelbare Folgen, denn die Mindestlohnkommission orientiert sich an der Entwicklung der Tariflöhne. 

Die schlimmsten Folgen ergeben sich für die Renten

Die wichtigste Größe für die Erhöhung der Renten sind die Durchschnittslöhne aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Vorjahres. Sonderzahlungen spielen bei Durchschnittslöhnen keine Rolle, nur die durch sie ermöglichten niedrigen Lohnabschlüsse. Das hat erhebliche Auswirkungen. Die durchschnittliche Rentenanpassung (Gesamtdeutschland) von 5,5 Prozent ab Juli 2022 betrug auf das Jahr gerechnet 2,75 Prozent. Bei einer Jahresinflation von 9 Prozent beträgt 2022 der Kaufkraftverlust 6,25 Prozent.

Im Juli 2023 werden die Renten vermutlich um 4,6 Prozent (Gesamtdeutschland) erhöht. Auf das ganze Jahr verteilt sind das 2,3 Prozent monatlich mehr Geld. Bei einer Teuerung von 8 Prozent bedeutet das erneut einen Kaufkraftverlust um diesmal 5,7 Prozent. Dank der minimalen Tariflohnerhöhungen könnte die Rentenanpassung 2024 weit unter 3 Prozent liegen. Dadurch sind weitere Verluste der Kaufkraft zu erwarten. Da die Durchschnittsrente der Rentenbezieher wegen Alters gegenwärtig 1.050 Euro monatlich ist, könnten die zu erwartenden Verluste Ende 2024 im Durchschnitt 130 Euro monatlich betragen. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die in Armut leben, wird weiter deutlich zunehmen. 

Die milliardenschweren Ausfälle von Sozialversicherungs- und Steuereinnahmen vergrößern ferner den Druck auf Krankenhausschließungen, verschlechtern die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen und die Leistungen der Arbeitslosenversicherung. 

Fazit

Es ist untragbar, Einkommenserhöhungen von erwerbstätigen Lohnabhängigen mit Verschlechterungen bei nicht oder nicht mehr erwerbstätigen Lohnabhängigen zu finanzieren. Gewerkschaften, die das tun, spalten die Lohnabhängigen und handeln unsolidarisch.
Die großen Gewerkschaften haben sich dadurch als Interessenvertreter aller Lohnabhängigen disqualifiziert, aber auch dadurch, dass die Sonderzahlungen in voller Höhe von 3.000 Euro nur für ihre tarifgebundenen Branchen und Unternehmen gelten, während andere Arbeitnehmergruppen mit geringerer Durchsetzungsfähigkeit mit weit weniger abgespeist werden.
Indem sie den freiwilligen Bonuszahlungen außerhalb von Tarifen zustimmten, haben sie der Aushöhlung des Tarifsystems Vorschub geleistet. Die Arbeitgeber höhlen das Tarifsystem seit Langem aus. Ihr Grundinteresse ist, das System der Branchentarifverträge durch betriebliche Abmachungen und Einzelverträge zu ersetzen. Auf diesem Weg haben sie schon große Erfolge errungen. In den alten Bundesländern ging die Tarifbindung seit 1998 um 22 Prozent zurück und in den neuen um 18 Prozent. In den alten Bundesländern fallen noch 45 Prozent der Beschäftigten unter einen Branchentarifvertrag und 9 Prozent haben Firmentarifverträge. In den neuen Bundesländern unterliegen nur noch 34 Prozent der Beschäftigten einem Branchentarifvertrag, während 11 Prozent einem Firmentarifvertrag angehören, so Destatis. 

Die diesjährige Tarifrunde, die unter der Bedingung der schweren Inflation ganz besondere Bedeutung hätte haben müssen, hat das tarifliche Lohnsystem weiter geschwächt, denn die Gewerkschaften haben es versäumt, entschlossen dafür zu kämpfen, die Tariflöhne auf das erforderliche Niveau anzuheben, und sie haben für außertarifliche Sonderzahlungen auf höhere, länger wirkende Tariflöhne verzichtet. Sie haben damit hohe Reallohnverluste akzeptiert. 

Sie haben in der konzertierten Aktion mit Regierung und Unternehmerschaft geklüngelt und sich deren „Staatsraison“ unterworfen. Dabei haben sie auch das Recht auf selbstständige Tarifpolitik mit den Mitteln des Arbeitskampfes verkauft. 

Sie haben die Unternehmer in unzulässiger Weise geschont, denn die Europäische Zentralbank berichtet, dass die hohen Unternehmensgewinne die Inflation stärker getrieben haben als gedacht, wie Medien berichten: „Die Auswirkungen der Unternehmensgewinne auf den Preisdruck sind aus historischer Sicht außergewöhnlich.“ 

Die FAZ schreibt am 26.12.2022: „Die 99 umsatzstärksten Unternehmen ohne Uniper konnten ihre Ebit-Margen auf gut 9 Prozent halten und erzielten mit 145 Milliarden Euro Rekordgewinne, ein Plus von 22 Prozent zum Vorjahr.“ 

Seit wann ist es eine Aufgabe von Gewerkschaften, auf riesige Profitsteigerungen Rücksicht zu nehmen?

 

Mehr zum Thema

https://www.isw-muenchen.de/broschueren/wirtschaftsinfos/181-wirtschaftsinfo-62

ttps://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5082-megastreik-in-deutschland

https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5072-armut-spielt-sie-in-bayern-keine-rolle-teil-1

https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5088-armut-im-alter-armut-in-bayern-teil-ii

https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5095-armut-was-ist-armut-armut-im-alter-in-bayern-teil-iii

 

 

Dieser Realpolitiker ist ein unbehelligter Kriegsverbrecher

Lebenshaus-Newsletter - Mo, 29/05/2023 - 18:32
Am 27. Mai 2023 wurde Henry Kissinger hundert Jahre alt. Der als Realpolitiker Gefeierte war ein rücksichtsloser und kaltblütiger Machtpolitiker.... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Kriegsvorbereitungen auch hier

Lebenshaus-Newsletter - So, 28/05/2023 - 22:13
Am Himmel über Berlin wird vom 12. bis 23. Juni für den Krieg geübt. "Air Defender 23" ist die größte... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Trauer um Winfried Wolf

Amazonas-Box/Frieden-etc. - Sa, 27/05/2023 - 14:23

auch ich bin betroffen ..

bei Lunapark21 der Nachruf auf Winfried Wolf,

und dort auch viele Weitere!


Sein breites Themenspektrum war faszinierend und immer erstaunlich gut passend!

Anerkennung der Multipolarität

IMI Tübingen - Do, 25/05/2023 - 15:12
Zuletzt im Frühjahr 2021 hatte die Bundesregierung die „Strategische Ausrichtung ihres Sahel-Engagements“ ausformuliert und im April den Obleuten der Bundestagsausschüsse für Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklung zugeschickt. Die IMI urteilte seinerzeit, das Dokument sei „geprägt von einem humanitär verklausulierten Paternalismus und (…)

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Stimmungskiller Klima? Das Wetter ist jetzt politisch

ISW München - Do, 25/05/2023 - 12:21

Früher konnte man sich in der Vorhersage über einen schönen Sommertag freuen. Darf man das heute nicht mehr?

Der Frühling kommt! Endlich. Ein Moderator im Radio freut sich über schönes Wetter, und die Menschen auf den Straßen genießen die Sonne. Aber gibt es das noch – „schönes Wetter“? Wie sprechen wir in Zeiten des Klimawandels über Frühlingssonne und Sommer-Badespaß? Das Onlinemagazin Übermedien stellte diese Frage schon vor Jahren. Das Fazit: Das Gute-Laune-Wetter hat ein Schlechte-Laune-Problem.

„Früher war das Wetter ein einfacheres Thema“, meint Silke Hansen, Leiterin des Wetterkompetenzzentrums der ARD. Jetzt sei das anders. „Heute muss man immer mitdenken, wenn man über einen schönen Sommertag spricht.“
Denn der Klimawandel hat das Wetter politischer gemacht, den Wetterbericht auch.
ZDF-Wettermoderator Özden Terli spricht jedenfalls nicht mehr von „schönem Wetter“.
40 Grad Hitze und trockene Sommer seien Folgen des Klimawandels und sollten auch als solche gezeigt werden. Das sei Teil des Wetterberichts, meint der Diplom-Meteorologe in einem Turi2-Podcast.

Für den Klima-Kontext seiner Vorhersagen erntet Terli regelmäßig Shitstorms. Der Moderator betreibe Klima­aktivismus, lautet ein Vorwurf. Terli sieht solche Kritik distanziert. „Das Darstellen von Klimafakten ist etwas Neutrales“, meint er, denn „die Physik gilt für alle.“ Außerdem könne man das Wetter nicht als schön bezeichnen, wenn der Bericht neutral sein soll. Denn „schön“, „schlecht“ oder „schmuddlig“ sind Werturteile. Das Wetter ist nichts davon.

Das Klima jedenfalls scheint vor allem ein Stimmungskiller. Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe – schon die Wahl der Begriffe macht depressiv. „Es ist eine Krise, die Klimakrise“, beharrt Terli.
Auch Klimajournalist:innen fordern, das Kind beim Namen zu nennen.
Immerhin geht es um die Zerstörung unseres Planeten. Egal wie man die verpackt, „schön“ ist sie nicht.
Trotzdem werde über Wetterextreme immer wieder unpassend berichtet, kritisiert Klimajournalistin Leonie Sontheimer. Zum Beispiel Badespaß-Fotos zu Hitze-Meldungen. Passendere Bilder seien Menschen im Alltag, also Familien vor Ventilatoren oder schwitzende Pendler:innen in der U-Bahn, meint sie. So werden Hitzewellen auch bildlich so ätzend wie in der Realität.

Was gibt es denn Wichtigeres als das Klima?

Doch trotz Hitze, Starkregen und Wasserfluten hat es das Klima in den deutschen Medien schwer. Wirtschaft, Sport, die Krönung Charles des Dritten – sie bekommen lange Sendeblöcke, das Klima nicht mal fünf Minuten. Die Initiative Klima vor acht will das ändern. Die Klimakrise werde medial nicht als Krise behandelt, kritisiert die Initiative. Es fehlten Hintergründe und Perspektiven, die Lust auf eine lebenswerte Zukunft machen. Seit Jahren fordert sie deshalb Primetime fürs Klima – kurz, prägnant und qualitativ hochwertig.
Frei nach dem Motto: Was interessiert die „Börse vor acht“, wenn das Klima den Bach runtergeht?

Laut Silke Hansen liege der Trick in der Klimaberichterstattung wohl in der richtigen Dosierung: Zu wenig führe zu Unwissen, zu viel zu Abstumpfung. Trotzdem dürften Meteorologen nicht „als Klima-Alarmisten rüberkommen“, unterstreicht Katja Horneffer, Leiterin des ZDF-Wetterteams. Aber warum eigentlich nicht? Was gibt es denn Wichtigeres als das Klima und wen Besseres als Alarmisten mit Faktenwissen und Publikum? Keine Stellung zu beziehen, ist auch keine Lösung. Und die Schönwetterzeiten sind eh vorbei.

Kein Asylkompromiss 2.0! Demo gegen die Abschaffung des Asylrechts in der EU

Lebenshaus-Newsletter - Do, 25/05/2023 - 10:29
Am 26. Mai protestieren PRO ASYL und ein Bündnis von 25 Organisationen mit einer Demo in Berlin gegen die geplanten... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Jahrestagung des Versöhnungsbundes mit konkreten Initiativen abgeschlossen: Es braucht eine sozial und ökologisch gerechte Gesellschaft!

Lebenshaus-Newsletter - Mi, 24/05/2023 - 20:14
Der Deutsche Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes hat sich dieses Jahr mit ca. 190 Teilnehmenden, Gästen und Referent*innen in Duderstadt getroffen.... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

CIA-Geschichten: Die Jakarta-Methode

acTVism - Mi, 24/05/2023 - 16:02

CIA-Geschichten: Die Jakarta-Methode.

Der Beitrag CIA-Geschichten: Die Jakarta-Methode erschien zuerst auf acTVism.

Heute: 18:30 am Friedensengel: Solidarität mit Letzte Generation

Amazonas-Box/Frieden-etc. - Mi, 24/05/2023 - 16:00

heute früh hat die Polizei bundesweit 15 mal bei Hausdurchsuchungen gegen
Mitglieder der Letzten Generation
die Türen eingetreten. Außerdem haben sie
Konten beschlagnahmt und die Homepage der LG abgeschaltet. Der Vorwurf: Bilden
einer "kriminellen Vereinigung".

Diese krasse Verschärfung der Repression gegen die Klimabewegung geht uns alle
an! Und es zeigt mal wieder: zur Rechenschaft gezogen werden in diesem System
nicht diejenigen, die unsere Lebensgrundlagen zerstören. Stattdessen werden alle
kriminalisiert, die sich auch nur ansatzweise widerständig zeigen gegen die
Ausbeutung von Mensch und Natur.

Es ist mehr denn je notwendig, dass wir
zusammenstehen und der Repression geschlossen entgegentreten!
Deshalb treffen wir uns spontan zu einem Soli-Foto.
+++ HEUTE 18:30 Uhr am Friedensengel +++

Kommt alle! (Gerne Leute mitbringen und Nachricht weiterleiten)

Zur sozialen Situation im Alter - Armut im Alter in Bayern (Teil III)           

ISW München - Mi, 24/05/2023 - 08:31

In Ergänzung zu den bisherigen Ausführungen zu der existierenden Altersarmut in Deutschland und insbesondere in Bayern soll im vorliegenden Teil auf der Grundlage von Daten und Fakten eine weitere Vertiefung erfolgen.
Als Anknüpfungspunkt  bietet sich die im vorausgegangenen Teil II https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5088-armut-im-alter-armut-in-bayern-teil-ii beschriebene Eigenbeteiligung bei einem Aufenthalt im Altenheim an:   

Der Einrichtungsbetreiber erhöht zum 1.6.2023 die Pflegesätze und die zu zahlenden Kosten für Unterkunft und Verpflegung bei Pflegegrad 2 um 450,22 € monatlich. Damit steigt unmittelbar der selbst zu tragende Anteil um 16,4% auf 1450 €.  Es stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung handelt:  Ab dem 1.1.24 ist eine Erhöhung des Pflegegeldes im Bereich der Pflege um  gerade mal + 5% vorgesehen (PUEG-Entwurf).

Ca. 21 Millionen RentnerInnen erhalten ab dem 1.7.23 eine Bruttorentenerhöhung von 4,39% im Westen und 5,86% im Osten; eine wohlklingende Ankündigung, faktisch bleibt die Erhöhung aber weit hinter der aktuellen Inflationsrate von 7,4% im März 2023 zurück, d. h. es gibt neben dem Reallohnverlust also auch einen gleichlautenden Renten-Realverlust.

Ende 2022 bezogen dem Statistischen Bundesamt zufolge 660.000 RentnerInnen die Grundsicherung, das entspricht einem Anstieg um + 12% im Jahresvergleich, 2017 waren es noch 544.000.

Zur aktuellen Situation


Grundrente

Es gibt in Deutschland keine Mindestrente.
Die sogenannte Grundrente – es handelt sich um einen Zuschlag zur gesetzlichen Rente - erhält nur, wer

-mindestens 33 Jahre Grundrentenwartezeiten zusammenbringt, nicht dazu zählen z.B. Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II, Arbeitslosenhilfe und

- genügend Entgeltpunkte aus dem eigenen Erwerbsleben zusammenbringt.

Darauf basierend werden die durchschnittlichen Entgeltpunkte ermittelt und mit dem Höchstwert verglichen, und somit der Grundwert ermittelt und um 12,5% gekürzt.

Im nächsten Prüfschritt werden die Zuschlagsentgeltpunkte ermittelt und danach der Zuschlagsbetrag in € berechnet.

Und zum Schluss kommt es zur Einkommensanrechnung und das des Partners/der Partnerin, soweit Freibeträge überschritten werden. Diese Überprüfung erfolgt jährlich zum 1.1. und bezieht sich jeweils auf das Vorvorjahr.

Schon dieser hier vereinfacht dargestellte Verfahrensablauf verdeutlicht die verbürokratisierte Komplexität – wer blickt da durch und kann es nachvollziehen – und verweist auf die weitgehende Verfehlung der Bekämpfung von Altersarmut in Deutschland.

Dazu erneut ein Beispiel aus der Praxis:

  • Betroffene, die die 396 Monate (= 33 Jahre) „Wartezeiten“ nicht zusammenbringen, erhalten nichts
  • Betroffene, bei denen der Mindestwert unterschritten wird, erhalten nichts.
    Wer z.B. Jahrein-, Jahraus einen Minijob hat (einschließlich derer, die unter die seit dem 1.10.22 gültigen 520 €- Regelung fallen), geht leer aus.
  • Betroffene, bei denen der Höchstwert überschritten wird, erhalten ebenfalls nichts
  • Betroffene, deren zusammengerechnetes Einkommen zu hoch ist bekommen nichts.

Statt wie ursprünglich für ca. 3,5 Millionen Menschen geplant, von der CDU/CSU aber verhindert, erhalten aktuell nur ca. 1,1 Millionen Menschen Grundrentenzuschläge in Höhe von durchschnittlich 86 Euro ausbezahlt.

Grundsicherung im Alter

Die Grundsicherung im Alter ist keine Rente, sondern Sozialhilfe.  Sie ist einkommens- und vermögensabhängig. Der Regelsatz für Nahrung, Kleidung, Hausrat, Körperpflege und Strom beträgt im laufenden Jahr 2023 für eine alleinstehende Person pauschal 502 Euro pro Monat. Zusätzlich werden die Kosten für Unterkunft und Heizung, sofern diese angemessen sind, übernommen. Hinzu kommen Kranken- und Pflegeversicherung sowie gegebenenfalls ein Mehrbedarf für Menschen mit Schwerbehinderung. Die Zusammensetzung, Berechnung und Höhe des Regelsatzes wird seit seinem Bestehen letztendlich immer politisch entschieden und umstritten - faktisch mit aktuell 502 € pro Monat viel zu niedrig angesetzt. Zunehmend verschärft sich die soziale Situation durch die Probleme bei der Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft (Miete) einschließlich der darin festgelegten Stromkostenanteile (aktuell 40,74 € in der Regelleistung enthalten) und den notwendigen Gesundheitsausgaben im Alter (aktuell 19,16 € in der Regelleistung enthalten).

Die Statistik liefert dazu ein trügerisches Bild: Im Dezember 2017 erhielten 544.000 Menschen Grundsicherung im Alter, sozusagen Hartz IV für Rentner. … 544.000 arme, alte Menschen, das sind 90 Prozent mehr als noch 2003 – aber nur gut 3% der heute 65-Jährigen und Älteren.
Tatsächlich hätten allerdings mehr als 1 Million Menschen im Rentenalter Anspruch auf die staatliche Leistung, schätzt Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). …“ Mehr als 70% würden aus verschiedenen Gründen die staatlichen Hilfen nicht beantragen. Und weiter, „In 15 Jahren, also ca. 2030 und folgende dürften bereits 7% der Neurentner auf die Grundsicherung angewiesen sein[1]

Bundesweit haben knapp 1,2 Millionen Personen im Dezember 2022 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bezogen.

Für Bayern ergibt sich für die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Zeitverlauf folgendes Bild:

Quelle: Statistischen Bundesamt, Abruf am 5.4.23: https://www.destatis.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Servicesuche_Formular.html?nn=2110&resourceId=2414&input_=2110&pageLocale=de&templateQueryString=Grundsicherung+im+Alter&submit.x=0&submit.y=0

Innerhalb von sechs Monaten ein Anstieg der insgesamt Betroffenen um + 2,7%;
nimmt man als Vergleichsmonat März 2022 mit 131 495 Menschen, ergibt sich eine Zunahme innerhalb von 9 Monaten um +  7,2%.
Altern macht immer mehr Menschen arm.

Minijob im Alter

Die Anzahl der Minijobber ab dem 65sten Lebensjahr im gewerblichen Bereich lag in Deutschland im Dezember 2021 bei 1.014.090, im Vergleichsmonat im Jahr 2022 bei 1.082.593; das entspricht einer Zunahme von 68.503 oder +6,8%.

Im gewerblichen Bereich sind die über 65jährigen die alterskohortenmäßig stärkste Altersgruppe, 506.127 Männer und 576.466 Frauen.

In Bayern waren Ende 2022 1.185.524 Menschen auf Minjob-Basis tätig.

Die Anzahl der MinijobberInnen ab dem 65sten Lebensjahr in Privathaushalten betrug in Deutschland im Dezember 2021 49.350, Im Vergleichsmonat in we022 52.140, eine Zunahme von 2790 oder +5,6%.  Auch in den Privathaushalten sind die über 65jährigen die alterskohortenmäßig stärkste Altersgruppe, 43.323 Frauen und 8817 Männer.

In Bayern waren Ende 2022 51.851 Menschen auf Minjob-Basis tätig. [2]

Die Antwort auf die Frage, weshalb es zu diesen Zuwächsen kommt im Verlauf der Corona-Pandemie, des wirtschaftlichen Abwärtstrend, der Kostensteigerungen und der Mindestlohn-Situation (2021 – 2022) ist zweifelsfrei auf die Notwendigkeit von Menschen zurückzuführen, die in Altersrente gehen, und deren Rentenhöhe nicht ausreichend ist, um ihren bisherigen Lebensstandard einigermaßen aufrecht erhalten zu können.

Hierzu ein praktischer Beleg:

Eine alleinstehende Person geht in Altersrente, der tatsächliche monatliche Netto-Auszahlungsbetrag liegt bei 1290 €.  Zusätzliche Einnahmen sind nicht vorhanden, auf dem Sparbuch liegen 4500 € als Notreserve. Die Warmmiete beträgt für eine Zweizimmer- Wohnung 830 €. Ein Anspruch auf den Grundrentenzuschlag besteht nicht.

Es verbleiben 460 € zum Leben. Und schon naht – wenn es gesundheitlich noch irgendwie geht - der Minijob, zunehmend auch in der bisherigen Firma – hinzukommende 520 € monatlich und die Lebensperspektive sieht schon wieder anders aus.
Diese „Lösung“ (müssen) immer mehr RentnerInnen wählen.

Die Einführung einer erhöhten Midijob-Grenze, sie liegt seit 1.1.23 bei 2000 € brutto, bringt zwar für Betroffenen aktuell mehr netto vom brutto – bezogen auf die Alterssicherung aber nur minimale zusätzliche Anwartschaften, die selbst bei einem dauerhaften Minijob Altersarmut nicht verhindern.

Ver- und Überschuldung im Alter

Der im Oktober 2022 veröffentlichte Creditreform Schuldner-Atlas weist für die Gruppe der älteren Personen eine unterdurchschnittlich gesunkene Überschuldungsquote - minus 1,8 Prozent auf. Dagegen gibt der langfristige Anstieg in dieser Altersgruppe zu denken: Zwischen 2013 und 2022 nahm die Überschuldung alter Menschen um 270 Prozent zu. Während es Jüngeren relativ leichter gelingt, aus der prekären wirtschaftlichen Situation herauszukommen, wird es für ältere Menschen umso schwieriger. Aktuell stellen die unter 60 Jahre Volljährigen rund 80 Prozent der Überschuldungsfälle, bei den über 60-Jährigen sind es rund 20 Prozent. Über einen längeren Zeitraum wird das Ausmaß der Problematik deutlicher: 2004 betrug der Anteil der „Alten“ nur rund 8 Prozent, bei den unter 60-Jährigen lag er entsprechend bei 92 Prozent. Die besondere Problematik bei den Rentnern liegt darin, dass sie nicht mehr kreditwürdig sind und dass sie dann in der Folge wenig Chancen haben, die einmal aufgetürmten Schulden noch abtragen zu können. Es kommt somit in vielen Fällen zum „Nachlasskonkurs“, den die Erben dann ausschlagen werden. [3]
Quelle: https://www.creditreform.de/neustadt/aktuelles-wissen/pressemeldungen-fachbeitraege/news-details/show/inflation-trifft-alte-menschen

Inflation und Alter

Von den inflationären Preissteigerungen bei Energie und Nahrungsmitteln sind besonders ärmere Haushalte betroffen, nachdem diese einen wesentlich größeren Anteil des verfügbaren Einkommens für diesen Bereich ihres Alltagskonsums aufwenden müssen. [4] Davon waren im Jahr 2022 ärmere Rentnerhaushalte nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (DIW) stärker betroffen: Sie konnten nur wenig auf günstigere Heizsysteme zurückgreifen, hatten dabei aber einen tendenziell höheren Wärmebedarf. Dieses Problem verstärkt sich zusätzlich bei Rentnern im ländlichen Raum, die nicht nur höhere Kosten bei der Energie, sondern auch für den Verkehr hinzunehmen haben. Lag im Durchschnitt der Haushalte mit gesetzlichem Rentenbezug die Inflationsrate bei 8,3 Prozent, so fiel sie bei der anderen Gruppe mit 9,2 Prozent deutlich höher aus. Den größten Zuwachs bei den Tafeln haben neben Kindern ältere Menschen, rund jeder vierte Kunde/in den Tafeln ist heute RentnerIn.

Bezahlbares Wohnen im Alter

„Insgesamt führt Wohnungsmangel zu einer Ausgrenzung von Randgruppen in der Wohnungsnachfrage.“ [5]  Zu diesen Gruppen gehören zunehmend auch ältere Menschen. „Wenn heute rund jeder fünfte im Seniorenalter weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens hat, werden damit auch Grundbedürfnisse wie das Wohnen und der Nahrungskauf für diesen Teil der Senioren tangiert. Die Dringlichkeit der Schaffung von sozialen und bezahlbaren Wohnungen hat angesichts der demografischen Entwicklung und der Einkommensentwicklung nochmals zugenommen. Die Gefahr des sozialen „Abrutschens“ vieler Haushalte ist akut und die Versorgung mit Wohnraum nicht mehr zu gewährleisten, wenn sich der Staat – und damit sind Bund, Länder und Kommunen gemeint – nicht stärker engagieren. Das Dach über dem Kopf ist zentral für gesellschaftliche Teilhabe und diese ist vom Staat für alle hier lebenden Menschen sicherzustellen.“ [6]  In eher städtischen Bereichen nimmt selbst der Bedarf an Formen der Wohngemeinschaften zu, weil sich ältere Menschen nur noch so die Kosten der Unterkunft leisten können.

Der aktuelle Hype um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) verteuert gerade auch für viele RentnerInnen das Leben in den Mietwohnungen zusätzlich. Zum einen ist die Anwendung des Gießkannenprinzips, also die Ausschüttung von Fördermitteln, egal über wieviel Einkommen man tatsächlich verfügt, falsch und macht die soziale Blindheit dieser Regierung deutlich; zum anderen haben MieterInnen keinen Einfluß auf mögliche Modernisierungsmaßnahmen im Bereich Energieeffizienz durch VermieterInnen. Für sie gibt es keine Alternative, die danach präsentierten Rechnungen einfach zu zahlen oder auszuziehen. Eine gerechtere Förderung müsste einkommensabhängig gestaltet sein, den Verbrauch und damit die Heizkosten tatsächlich gesenkt und die dadurch entstehenden Kosten von den Vermieterinnen getragen werden.

Ein weiteres Zwischen-Fazit und Ausblick

Die Verknüpfung der demografischen Entwicklung mit dem Bestand der sozialen Sicherung ist eine Herausforderung, der sich der Bund, die Länder und die Kommunen stellen müssen, um nach der Analyse Handlungsschritte nicht nur zu entwickeln, sondern regionalspezifisch zeitnah auch umzusetzen.

Dabei müssen die Konglomerate[7] der in unterschiedlichen Perspektiven handelnden Leistungsträger, die in einem Finanzierungssystem aus vielen Ebenen unterwegs sind aufgebrochen werden. Ein einheitliches bundesweites Leistungssystem aus einer Hand in öffentlicher Verantwortung mit weitgehender beteiligungsgerechten Beantragung (Auflösung des Bittstellertums) ist sozialpolitisch ein Gebot der Stunde.  

Zu der auch immer wieder aufgeworfenen Grundfrage, ob man sich die gesetzliche Rente überhaupt leisten könne, gibt es eine einfache zutreffende Antwort: Ja, denn entscheidend ist nicht das Verhältnis von Rentenbeziehenden zu Renteneinzahlenden, sondern die erzielte Wirtschaftsleistung, sprich Produktivitätssteigerungen, zu der die RentenbezieherInnen beigetragen haben. Anzumerken bleibt, ohne weitere Ausführungen, dass es sehr viel besser und gerechter wäre, alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen.

Im vierten Teil dieser Reihe wird es um die Frage nach Lösungen gehen. Was sagen Akteure aus dem soziapolitischen Bereich wie z.B. die Paritäter, Diakonie, Gewerkschaften, VdK, DKSB, Attac zum Thema Armut, welche Vorschläge und Forderungen erhoben werden.

 

Anmerkungen

[1] Süddeutsche Zeitung vom 9./10.2.2019, S. 2.

[2] https://www.minijob-zentrale.de/DE/service/minijob-statistik/minijob-statistik_node.html

[3]  https://www.creditreform.de/neustadt/aktuelles-wissen/pressemeldungen-fachbeitraege/news-details/show/inflation-trifft-alte-menschen

[4] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/video-radio/5080-inflation-wer-sind-die-gewinner-und-wer-die-verlierer

[5] Bauen und Wohnen in der Krise - Aktuelle Entwicklungen und Rückwirkungen auf Wohnungsbau und Wohnungsmärkte; Pestel Institut, Januar 2023, S. 16.

[6] Ebd. S. 42

[7] Unter dem Begriff Konglomerate ist das Konstrukt zu verstehen, daß auf der einen Seite alle Gesetz-, Satzungs- und Verordnungsbefugten Stellen wie der Bund, die Länder, die Bezirke in Bayern, die Kommunen und die Kranken- und Pflegekassen sowie auf der Seite der Leistungserbringerlandschaft bestehend aus sogenannte gemeinnützigen Organisationen, Körperschaften und Privaten Anbietern ihre jeweils eigenen Vorstellungen, Ziele und Umsetzungsschritte versuchen durchzusetzen und es dabei zu vielen Disparitäten kommt, wobei die Betroffenen, also diejenigen die Leistungen brauchen in der Praxis oft an letzter Stelle kommen.

Teil I

Teil II

 

 

 

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