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Die Rettung des europäischen Kapitals: eine existenzielle Herausforderung
Diese Woche wurde der Bericht von Draghi veröffentlicht. Aktuell befinden sich die großen europäischen Volkswirtschaften entweder in der Rezession (Deutschland, Schweden, Österreich) oder stagnieren (Frankreich, Italien).
Kaum eine EU-Wirtschaft wächst um mehr als 1 % pro Jahr, und der Durchschnitt der EU/EZ liegt bei gerade einmal +0,2 %.
Vor etwa einem Jahr beauftragte die Kommission der Europäischen Union Mario Draghi mit der Erstellung eines wegweisenden Berichts über die Zukunft der europäischen Wirtschaft. Draghi ist ein ehemaliger Goldman-Sachs-Banker, ehemaliger Chef der italienischen Zentralbank und dann Präsident der Europäischen Zentralbank, bevor er kurzzeitig Ministerpräsident von Italien wurde. In den Augen der Kommission war er also eindeutig geeignet, nach Wegen zu suchen, um das europäische Kapital vor dem Rückstand gegenüber dem Rest der Welt zu bewahren.
Diese Woche wurde der Bericht von Draghi veröffentlicht. Dies geschieht zu einer Zeit, in der sich die großen europäischen Volkswirtschaften entweder in der Rezession befinden (Deutschland, Schweden, Österreich) oder stagnieren (Frankreich, Italien). Kaum eine EU-Wirtschaft wächst um mehr als 1 % pro Jahr, und der Durchschnitt der EU/EZ liegt bei gerade einmal +0,2 %.
Der Bericht mit dem Titel The fuThe future of European Competitiveness (Die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit)( ist 600 Seiten lang.
Er zeichnet ein klägliches, aber zutreffendes Bild des relativen Rückgangs der EU-Volkswirtschaften bei Produktions- und Produktivitätswachstum, Lebensstandard und technischem Fortschritt im Vergleich zu den USA und Asien.
Europa hat 1945 einen schrecklichen Krieg hinter sich, der seine Bevölkerung und seine Wirtschaft dezimiert hat. In den folgenden 50 Jahren des
20. Jahrhunderts erholte es sich jedoch rasch wirtschaftlich (zumindest in den Kernländern Europas) und konnte schließlich mit der Produktion und dem Lebensstandard in Nordamerika und Japan mithalten. Es wurden neue Institutionen geschaffen, die darauf abzielten, die Volkswirtschaften der Region zu integrieren und weitere Kriege innerhalb der Region zu vermeiden.
Im Bericht heißt es : „Das europäische Modell kombiniert eine offene Wirtschaft, ein hohes Maß an Marktwettbewerb und einen starken Rechtsrahmen“. Es hat einen „Binnenmarkt“ mit 440 Millionen Verbrauchern und 23 Millionen Unternehmen geschaffen, auf den etwa 17 % des weltweiten BIP entfallen, und gleichzeitig eine Einkommensungleichheit erreicht, die etwa 10 Prozentpunkte unter der in den USA und China liegt.
Gleichzeitig hat die EU in den Bereichen Regierungsführung, Gesundheit, Bildung und Umweltschutz führende Ergebnisse erzielt. Von den zehn Ländern, die bei der Anwendung der Rechtsstaatlichkeit weltweit am besten abschneiden, sind acht EU-Mitgliedstaaten. Europa liegt in Bezug auf die Lebenserwartung bei der Geburt und die niedrige Kindersterblichkeit vor den USA und China. Die europäischen Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung bieten ein hohes Bildungsniveau: Ein Drittel der Erwachsenen hat eine Hochschulausbildung abgeschlossen.
Die EU ist auch weltweit führend in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltstandards, hat sich die ehrgeizigsten globalen Ziele für die Dekarbonisierung gesetzt und kann von der größten ausschließlichen Wirtschaftszone der Welt profitieren, die mit 17 Millionen Quadratkilometern viermal so groß ist wie die Landfläche der EU.
Doch jetzt befindet sie sich in einer schweren Krise - Draghi nennt die Situation sogar eine „existenzielle Herausforderung“. In seinem Bericht geht Draghi die traurige Geschichte der relativen Wirtschaftsleistung Europas im 21. Jahrhundert durch und zwar seit der Einführung der Euro-Einheitswährung.
Das Wirtschaftswachstum in der EU war in den letzten zwei Jahrzehnten durchgehend langsamer als in den USA, während China schnell aufgeholt hat. Der Abstand zwischen der EU und den USA beim BIP im Jahr 2015 hat sich schrittweise von etwas mehr als 15 % im Jahr 2002 auf 30 % im Jahr 2023 vergrößert.
Auf Pro-Kopf-Basis hat sich der Abstand aufgrund des schnelleren Bevölkerungswachstums in den USA weniger stark vergrößert, ist aber mit 34 % heute immer noch erheblich. Die Hauptursache für diese divergierenden Entwicklungen ist die Produktivität.
Rund 70 % des Rückstands beim Pro-Kopf-BIP gegenüber den USA sind auf die geringere Produktivität in der EU zurückzuführen.
Viele EU-Volkswirtschaften haben sich gut entwickelt und sind vom expandierenden Welthandel abhängig. Die Zeit des raschen Wachstums des Welthandels ist jedoch vorbei: Der IWF geht davon aus, dass der Welthandel mittelfristig nur um 3,2 % pro Jahr wachsen wird, ein Tempo, das deutlich unter dem jährlichen Durchschnitt von 4,9 % im Zeitraum 2000-19 liegt.
Der Anteil der EU am Welthandel ist in der Tat rückläufig, wobei seit dem Ausbruch der Pandemie ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen ist.
In der Vergangenheit konnte Europa seinen Bedarf an Energieimporten decken, indem es reichlich Pipelinegas aus Russland bezog, das 2021 rund 45 % der Erdgasimporte der EU ausmachte. Doch nach dem Ukraine-Konflikt ist diese billige Energie nun zu enormen Kosten für Europa verschwunden. Die EU hat mehr als ein Jahr BIP-Wachstum eingebüßt, während sie gleichzeitig massive Haushaltsmittel für Energiesubventionen und den Bau neuer Infrastrukturen für den Import von Flüssiggas umleiten muss.
Zwar sind die Energiepreise seit ihrem Höchststand erheblich gesunken, doch müssen die Unternehmen in der EU immer noch mit Strompreisen rechnen, die zwei- bis dreimal so hoch sind wie in den USA, und die Erdgaspreise sind vier- bis fünfmal so hoch.
Am wichtigsten ist für Mario Draghi, dass Europas Position bei den Spitzentechnologien, die das künftige Wachstum vorantreiben können, rückläufig ist.
Nur vier der 50 weltweit führenden Technologieunternehmen stammen aus Europa, und die weltweite Position der EU im Technologiebereich verschlechtert sich:
Von 2013 bis 2023 sank ihr Anteil an den weltweiten Umsätzen im Technologiebereich von 22 % auf 18 %, während der Anteil der USA von 30 % auf 38 % stieg.
Der Rückstand beim Produktivitätswachstum ist für die Zukunft des europäischen Kapitals am schädlichsten. Die EU tritt in die erste Phase ihrer Geschichte ein, in der das Wachstum nicht durch eine steigende Bevölkerungszahl unterstützt wird. Bis 2040 wird die Zahl der Erwerbstätigen voraussichtlich um fast 2 Millionen pro Jahr zurückgehen. Der Bericht geht zwar nicht darauf ein, aber eine neue Studie kommt zu dem Schluss, dass die alternde Bevölkerung in Europa „massiven Gegenwind für das Wirtschaftswachstum verursachen wird“. Während der demografische Wandel in der Vergangenheit positiv zum Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum beigetragen hat, wird er in den kommenden Jahrzehnten die Wachstumsrate der G4-Volkswirtschaften in Europa um 0,3 bis 1 Prozentpunkt pro Jahr verringern.
Draghi schließt daraus: "Wir werden uns mehr auf die Produktivität stützen müssen, um das Wachstum anzukurbeln. Aber selbst wenn die EU ihre durchschnittliche Produktivitätswachstumsrate seit 2015 beibehalten würde, würde dies nur ausreichen, um das BIP bis 2050 konstant zu halten - und das zu einer Zeit, in der die EU vor einer Reihe neuer Investitionen steht, die durch höheres Wachstum finanziert werden müssen."
Das Problem ist, dass das niedrige Produktivitätswachstum durch geringe Investitionen in produktive Sektoren, insbesondere in neue Technologien, verursacht wird. Die Lücke zwischen den produktiven Investitionen und dem BIP beträgt in den USA und in Europa jedes Jahr etwa 1,5 % des BIP.
In dem Bericht wird lediglich in einer Anmerkung auf eine Studie der Europäischen Investitionsbank (EIB) verwiesen, https://www.eib.org/attachments/lucalli/20230381_economics_working_paper_2024_01_en.pdf, in der untersucht wird, woher diese Lücke bei den produktiven Investitionen kommt. Aus dieser Studie geht hervor, dass die Gesamtinvestitionsquote im Verhältnis zum BIP in der EU im Durchschnitt sogar höher ist als in den USA. Dies liegt zum Teil daran, dass das BIP in den Jahren der langen Depression (2010-19) in den USA schneller gestiegen ist als in der EU. Obwohl also die Investitionen in den USA schneller stiegen als in der EU, blieb die Investitionsquote im Verhältnis zum BIP in den USA niedriger als in Europa.
Wenn man die Preis-Deflatoren für reale Investitionen in den beiden Regionen vergleicht und die Immobilien- und Bauinvestitionen ausklammert (50 % der Investitionen in der EU gegenüber 40 % in den USA), kehrt sich der Unterschied bei den „produktiven Investitionen“ um. Im Durchschnitt des Zeitraums 2012-2020 betrug die durchschnittliche Lücke real 2,6 Prozentpunkte des BIP. In fünfzehn Ländern war der Investitionsrückstand gegenüber den USA größer als im EU-Durchschnitt, darunter einige der größeren Volkswirtschaften wie die Niederlande (2,7 Prozentpunkte), Deutschland (2,8 Prozentpunkte), Italien (4,0 Prozentpunkte), Frankreich (2,5 Prozentpunkte) und Spanien (4,3 Prozentpunkte) - mit anderen Worten: der Kern Europas.
Die EIB stellte fest, dass der Investitionsrückstand der EU größtenteils auf „immaterielle Vermögenswerte“, d. h. Patente, geistiges Eigentum, Software usw., zurückzuführen ist. In diesen Bereichen waren die USA weit voraus. Die Unternehmen in der EU sind auf „ausgereifte Technologien spezialisiert, bei denen das Potenzial für Durchbrüche begrenzt ist. Sie geben weniger für Forschung und Innovation (FuI) aus - 270 Mrd. EUR weniger als ihre US-amerikanischen Kollegen im Jahr 2021. Die Top-3-Investoren in F&I in Europa wurden in den letzten zwanzig Jahren von Automobilunternehmen dominiert. In den USA war es Anfang der 2000er Jahre genauso, mit der Autoindustrie und der Pharmaindustrie an der Spitze, aber jetzt sind die Top 3 alle in der Technologiebranche.
Was sind Draghis Erklärungen für die geringen produktiven Investitionen in Europa, insbesondere im Technologiebereich?
Als guter Banker schiebt Draghi die Schuld auf den „Mangel an Finanzmitteln“ und auf das Versäumnis, Unternehmen zu großen multinationalen Konzernen zu fusionieren, die mit den USA konkurrieren können.
"Europa steckt in einer statischen Industriestruktur fest, in der nur wenige neue Unternehmen auftauchen, die bestehende Industrien stören oder neue Wachstumsmotoren entwickeln. Tatsächlich gibt es kein EU-Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von über 100 Mrd. EUR, das in den letzten fünfzig Jahren von Grund auf neu gegründet wurde, während alle sechs US-Unternehmen mit einer Bewertung von über 1 Billion EUR in diesem Zeitraum entstanden sind“.
Laut Draghi ist ein Hauptgrund für die weniger effiziente „Finanzintermediation“ in Europa, dass die Kapitalmärkte nach wie vor zersplittert sind und die Ersparnisströme in die Kapitalmärkte geringer sind. Es muss einen EU-weiten Kapitalmarkt und in der EU angesiedeltes Risikokapital geben, das nicht von den USA abhängig ist.
"Viele europäische Unternehmer ziehen es vor, sich von US-Risikokapitalgebern finanzieren zu lassen und auf dem US-Markt zu expandieren. Zwischen 2008 und 2021 haben fast 30 % der in Europa gegründeten „Einhörner“ - Start-ups, die später einen Wert von über 1 Mrd. USD erreichten - ihren Sitz ins Ausland verlegt, die große Mehrheit davon in die USA."
Es gibt einfach zu viele bürokratische Vorschriften und ineffiziente Kreditmärkte, um „privates Kapital freizusetzen“. Draghi zufolge "verfügen die Haushalte in der EU über reichlich Ersparnisse, um höhere Investitionen zu finanzieren, aber derzeit werden diese Ersparnisse nicht effizient in produktive Investitionen gelenkt. Im Jahr 2022 beliefen sich die Ersparnisse der privaten Haushalte in der EU auf 1.390 Milliarden Euro, verglichen mit 840 Milliarden Euro in den USA."
Aber sind die ineffizienten EU-Kapitalmärkte die Ursache für die geringeren produktiven Investitionen in Europa?
Der Bericht deutet die wahre Ursache an, indem er aufzeigt, dass die privaten Finanzierungskosten zu hoch sind im Vergleich zu den Erträgen, die der kapitalistische Sektor der EU benötigt, um produktive Investitionen zu steigern, im Gegensatz zu Investitionen in Immobilien oder Finanzanlagen. Die eigentliche Ursache liegt in der geringeren Rentabilität des europäischen Kapitals im Vergleich zu den USA. Dies ist insbesondere seit 2017 der Fall (in diesem Beispiel unten für die amerikanische und deutsche Rentabilität).
Quelle: AMECO
Im Bericht nicht erwähnt, aber vielleicht relevant, ist, dass es in der EU viel mehr kleinere Unternehmen gibt, deren Rentabilität niedrig ist, während in den USA eine höhere Kapitalkonzentration die Gewinne für die wenigen Megatech-Unternehmen an der Spitze in die Höhe getrieben hat. Seit dem Jahr 2000 sind die Bruttogewinnraten in den Vereinigten Staaten gestiegen und die Konzentration in der Industrie hat zugenommen, aber diese Trends sind in der EU nicht zu erkennen.
Draghi kommt zu dem Schluss, dass "der daraus resultierende Zyklus aus geringer industrieller Dynamik, geringer Innovation, geringen Investitionen und geringem Produktivitätswachstum in Europa als ‚mittlere Technologiefalle‘ bezeichnet werden könnte. Meiner Meinung nach ist dies jedoch ein Produkt der „Rentabilitätslücke“.
Was ist gegen die Produktivitäts- und Investitionslücke zu tun?
Draghi sagt, dass "mindestens zusätzliche jährliche Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro erforderlich sind, was 4,4 bis 4,7 % des BIP der EU im Jahr 2023 entspricht. Zum Vergleich: Die Investitionen im Rahmen des Marshall-Plans zwischen 1948 und 51 entsprachen lediglich 1-2 % des EU-BIP. Um diese Steigerung zu erreichen, müsste der Anteil der Investitionen in der EU von derzeit rund 22 % des BIP auf etwa 27 % steigen, womit ein jahrzehntelanger Rückgang in den meisten großen EU-Volkswirtschaften umgekehrt würde. „Das ist ein Anstieg der Investitionen im Verhältnis zum BIP, wie es ihn seit dem Goldenen Zeitalter der 1950er und 1960er Jahre, als Europa nach dem Krieg rasch expandierte, nicht mehr gegeben hat.
Kann man erwarten, dass das europäische Kapital in der Lage oder willens ist, diese goldenen Investitionsjahrzehnte 50 Jahre später wiederherzustellen?
Wie der Bericht einräumt. „Historisch gesehen wurden in Europa etwa vier Fünftel der produktiven Investitionen vom privaten Sektor getätigt und das verbleibende Fünftel vom öffentlichen Sektor“.
In einem kapitalistischen Europa liegt es also an den Kapitalisten, mehr zu investieren, um die erforderliche höhere Produktivität in den Schlüsselbereichen zu erreichen. Der öffentliche Sektor kann das nicht tun, und die EU-Kommission und Draghi wollen ganz sicher nicht, dass öffentliche Investitionen den kapitalistischen Sektor durch öffentliches Eigentum und Planung der „Kommandohöhen“ der europäischen Volkswirtschaften ersetzen.
Draghis Antwort ist also die übliche wirtschaftsfreundliche Lösung:
Die Regierungen müssen monetäre und steuerliche Anreize schaffen, um die Kapitalisten zu Investitionen zu „ermutigen“. Zunächst müssen die Finanzierungskosten gesenkt werden, aber „um private Investitionen in Höhe von etwa 4 % des BIP allein durch Marktfinanzierung zu erreichen, müssten die privaten Kapitalkosten nach dem Modell der Europäischen Kommission um etwa 250 Basispunkte gesenkt werden.“
Das ist im derzeitigen inflationären Umfeld kaum möglich. Und überhaupt: „Obwohl eine verbesserte Kapitalmarkteffizienz (z.B. durch die Vollendung der Kapitalmarktunion) die privaten Finanzierungskosten senken dürfte, wird die Senkung wahrscheinlich wesentlich geringer ausfallen. Steuerliche Anreize zur Erschließung privater Investitionen scheinen daher notwendig, um den Investitionsplan zusätzlich zu den direkten staatlichen Investitionen zu finanzieren“.
Die Regierungen in der EU müssen also mehr öffentliche Mittel bereitstellen. Dies führt jedoch zu einem weiteren Problem. Die EU-Regierungen, vor allem in Kerneuropa, werden von der Notwendigkeit getrieben, den Haushalt auszugleichen“ und die Staatsverschuldung nicht zu erhöhen oder zu hohe Steuern zu erheben. Es gibt EU-Fiskalregeln, die nicht gebrochen werden dürfen!
Draghi will eine stärkere „gemeinsame Kreditaufnahme“, d. h. die EU begibt mehr EU-gesicherte Schuldtitel zur Finanzierung von Projekten. Aber das ist ein großes Tabu in der EU. Deutschland und die Niederlande haben eine niedrige Staatsverschuldung und sind nicht bereit, ihren stärker verschuldeten Nachbarn unter die Arme zu greifen. Weniger als drei Stunden, nachdem Draghi seinen Vortrag beendet hatte, sagte der deutsche Finanzminister Christian Lindner, dass Deutschland einer „gemeinsamen Kreditaufnahme “ nicht zustimmen werde, da die gemeinsame Kreditaufnahme „kurz zusammengefasst werden kann: Deutschland soll für andere zahlen. Aber das kann kein Masterplan sein.“
Draghi schlägt vor, mehr EU-weite Steuern zu erheben, um die Größe der EU-Kommission zu erhöhen, die zu klein ist und ihre Ausgaben auf den „sozialen Zusammenhalt“, regionale Subventionen und die Landwirtschaft konzentriert, anstatt auf „produktive Investitionen“.
Draghi möchte die öffentlichen Ausgaben der EU in den bestehenden Bereichen kürzen und sie auf Technologie umstellen. „Wenn die investitionsbezogenen Staatsausgaben nicht durch Haushaltseinsparungen an anderer Stelle kompensiert werden, könnten sich die primären Haushaltssalden vorübergehend verschlechtern, bevor der Investitionsplan seine positive Wirkung auf die Produktion voll entfalten kann.“ Eine solche Umstellung würde bei den Landwirten und in Osteuropa nicht gut ankommen.
Zusammenfassend skizziert der Draghi-Bericht den gravierenden Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Kapitals im 21. JAhrhundert im Vergleich zu den USA und Asien. Jahrhundert im Vergleich zu den USA und Asien. Dies ist eine „existenzielle Herausforderung“, die nur durch einen massiven Anstieg der Investitionen, vor allem in neue Technologien, überwunden werden kann. Dies kann nur erreicht werden, wenn der kapitalistische Sektor mehr investiert. Die öffentlichen Investitionen sind zu gering, und die wirtschaftsfreundlichen Regierungen der EU wollen die großen Privatunternehmen ohnehin nicht übernehmen und haben stattdessen öffentliche Investitionen geplant. Das wäre das Ende des kapitalistischen Europas. Draghi sagt also, man müsse Europas Großunternehmen mit billigeren Krediten, deregulierten Märkten und verstärkten staatlichen Steueranreizen dazu ermutigen, mehr zu investieren, um „private Investitionen freizusetzen“. Die Chancen, dass die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten bereit sind, mehr Geld auszugeben, um den Unternehmen in der EU ausreichend zu helfen, sind jedoch gering.
Der erforderliche gewaltige Aufschwung bei den produktiven Investitionen kann nur dann stattfinden, wenn die Rentabilität des europäischen Kapitals sprunghaft ansteigt. Das wird aber nicht durch die Verbilligung von Krediten erreicht, sondern würde nur durch einen starken Anstieg der Ausbeutung der Arbeitskraft in Europa und durch die „schöpferische Zerstörung“ der „mittleren Technologie“ zur Kostensenkung erfolgen.
Vermutlich wird sich der relative Niedergang der EU weltweit fortsetzen und sogar beschleunigen.
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„Ein langsamer, aber qualvoller Niedergang“
Experten urteilen, auch die geplanten Zurückweisungen verstießen gegen Völkerrecht.
Ex-EZB-Präsident warnt vor „qualvollem Abstieg“ der EU.
Die Ankündigung von Personenkontrollen an den deutschen Grenzen ab dem kommenden Montag löst bei der EU-Kommission sowie in mehreren Nachbarstaaten der Bundesrepublik Unmut aus. In Brüssel wird darauf hingewiesen, dass Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen nur als „absolute Ausnahme“ erlaubt sind; ihre umfassende Einführung durch die Bundesregierung und die fehlende zeitliche Begrenzung deuten darauf hin, dass sie keine Ausnahme sind. Zu den angekündigten Zurückweisungen heißt es in Österreich, man sei nicht bereit, Flüchtlinge zurückzunehmen, falls Deutschland ihnen völkerrechtswidrig das Stellen eines Asylantrags verweigere.
Experten urteilen, die neuen Grenzkontrollen verstießen offen gegen EU-Recht; Berlin handle, „als wäre die AfD (schon) an der Macht“.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk kündigt „dringende Konsultationen“ mit anderen Nachbarstaaten der Bundesrepublik an. Während bereits vom Ende des Schengen-Systems die Rede ist, warnt Ex-EZB-Präsident Mario Draghi in einer aktuellen Analyse, wolle die EU ihren „qualvollen Niedergang“ vermeiden, dann müsse sie bis zu 800 Milliarden Euro investieren – ein Mehrfaches des Marshallplans.
Mit EU-Recht nicht vereinbar
Die Anordnung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser vom Montag, an allen deutschen Außengrenzen wieder Personenkontrollen einzuführen – offiziell vorläufig, ein Ende ist aber nicht in Sicht –, löst in Brüssel und in mehreren EU-Mitgliedstaaten deutlichen Unmut aus. Die Maßnahme wird ab dem kommenden Montag (16. September) umgesetzt; die Kontrollen an den Grenzen zu Österreich, die seit 2015 stattfinden, wie auch an den Grenzen zu Polen und zu Tschechien, die im Oktober 2023 eingeführt wurden, werden verlängert. Aus rein praktischer Perspektive heißt es verärgert etwa aus Luxemburg, man hoffe, der Schritt werde die zahlreichen Arbeitspendler und den sonstigen alltäglichen Grenzverkehr nicht übermäßig belasten.[1]
Prinzipielle Kritik äußert etwa Alberto Alemanno, Professor für Europarecht an der École des hautes études commerciales de Paris (HEC Paris), der konstatiert, es handle sich um „einen offensichtlich unverhältnismäßigen Bruch des Grundsatzes der Freizügigkeit im Schengenraum“, der mit EU-Recht nicht vereinbar sei.[2]
Christopher Wratil, Assoziierter Professor für Government am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien, schrieb auf X, Berlin dürfe nun „nicht mehr damit kommen, irgendwer anders halte sich nicht an EU-Recht“. Die Bundesregierung handle zudem, „als wäre die AfD (schon) an der Macht“. Tatsächlich kommentierte der extrem rechte niederländische Politiker Geert Wilders Berlins neue Grenzkontrollen auf X so: „Gute Idee, müssen wir auch machen!“
„Keine Übernahmen“
Auf entschiedene Ablehnung stößt auch der Plan, die Zurückweisungen an den Grenzen deutlich auszuweiten. Rein praktisch verweigert sich Österreich dem Ansinnen. Bereits am Montag hatte Innenminister Gerhard Karner erklärt, er habe den Direktor der österreichischen Bundespolizei „angewiesen, keine Übernahmen durchzuführen“.[3] Als sein Hauptmotiv darf gelten, dass die Zahl der Asylanträge, die die Wiener Behörden zu bearbeiten hätten, rasch ansteigen würde.
Völkerrechtler äußern vor allem grundsätzliche Einwände. So schreiben das internationale Flüchtlingsrecht wie auch EU-Normen, vor allem die Dublin-II-Verordnung, vor, dass Flüchtlinge an den Grenzen Gelegenheit haben müssen, einen Asylantrag zu stellen, der dann auch bearbeitet werden muss.
Wenn ein Flüchtling zuvor in einen anderen EU-Staat eingereist ist, dann kann er zwar dorthin abgeschoben werden; allerdings muss zuvor klar festgestellt werden, in welchem Staat der Flüchtling zuerst die EU betreten hat, und dann gilt es die Abschiebung mit den Behörden des betreffenden Landes zu regeln.[4] All das kostet Zeit; währenddessen muss der Flüchtling zumindest versorgt werden. Dies ist etwa bereits in den Schnellverfahren am Flughafen in Frankfurt am Main („Flughafenverfahren“) der Fall.
Die Praxis an den Grenzen
Bei alledem ist unklar, wie die Praxis an den deutschen Grenzen aussieht. Die Bundespolizei hat bereits im vergangenen Jahr 35.618 Personen an der Grenze zurückgewiesen; im ersten Halbjahr 2024 waren es sogar 21.601 Personen – ein erheblich höherer Prozentsatz als 2023. Zudem fällt auf, dass der Anteil derjenigen, die an der Grenze den Wunsch äußern, Asyl zu beantragen, merkwürdig schwankt. An der deutsch-österreichischen Grenze blieb er relativ konstant: Im ersten Quartal 2023 lag er bei 14, im zweiten Quartal 2024 bei 11 Prozent aller Personen, die ohne gültige Papiere bzw. ohne Visum Einreise begehrten. An der deutsch-polnischen Grenze fiel der Anteil von 57 Prozent im ersten Quartal 2023 auf 23 Prozent im zweiten Quartal 2024.[5] Unklar ist unter anderem, ob Einreisewillige auf die Möglichkeit, Asyl zu beantragen, in einer Sprache hingewiesen werden, die ihnen vertraut ist, und ob die Grenzbeamten zuverlässig in der Lage sind, möglicherweise auf Englisch vorgetragene Asylbegehren zu verstehen.
Aus der Partei Die Linke heißt es, man habe sogar Kenntnis von Fällen, in denen Grenzbeamte Flüchtlingen empfohlen hätten, auf einen Asylantrag zu verzichten, weil die Chance, wirklich Asyl zu erhalten, in Deutschland äußerst gering sei.[6] Die Bundesregierung weist das selbstverständlich zurück.
„Eine absolute Ausnahme“
Mit erkennbarer Skepsis äußerte sich zu dem deutschen Vorstoß auch die EU-Kommission. Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen dürften bloß dann vorgenommen werden, wenn sie unzweifelhaft „notwendig und verhältnismäßig“ seien, bestätigte eine Sprecherin der Kommission am Dienstag in Brüssel. Deshalb „sollten derartige Maßnahmen eine absolute Ausnahme bleiben“.[7] Ob das auf die geplanten deutschen Grenzkontrollen zutreffe, werde zur Zeit überprüft. Eindeutig ablehnend äußerte sich Polens Ministerpräsident Donald Tusk. Er erklärte mit Blick auf die Pläne, die Zurückweisungen auszuweiten: „Ein solches Vorgehen ist aus polnischer Sicht inakzeptabel“.[8] Man wolle „dringende Konsultationen“ mit anderen „Nachbarn Deutschlands“ abhalten, um über Reaktionen zu diskutieren. Polen sorgt sich – wie Österreich –, es werde eine viel höhere Zahl an Asylanträgen bearbeiten müssen, falls die Bundesrepublik ihre Zurückweisungen stark ausweitet.
Allerdings weisen Beobachter darauf hin, dass Polen seine Grenze zu Belarus mit Stacheldrahtverschlägen in Höhe von mehreren Metern abgeschottet hat und dort selbst illegale Zurückweisungen in hoher Zahl durchführt. Polnische Gerichte, so heißt es, ahndeten „die mit EU-Recht schwer zu vereinbarende Praxis der Zurückweisung bisher nicht“.[9]
EU: Anschluss verpasst
Während die neuen deutschen Grenzkontrollen zu Konflikten mit mehreren Nachbarstaaten führen, das Schengen-System bedrohen und außerdem Kosten in Höhe von vielen Milliarden Euro verursachen könnten (german-foreign-policy.com berichtete [10]), sagt ein aktuelles Papier des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi der EU auch rein wirtschaftlich eine düstere Zukunft voraus.
Während Chinas Wirtschaft unverändert wachse und gegenüber dem Westen aufhole, falle die EU gegenüber den USA seit zwei Jahrzehnten zurück, konstatiert Draghis Bericht zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit.
Ursache sei vor allem, dass die EU die „digitale Revolution und die damit verbundenen Produktivitätsgewinne weitgehend verpasst“ habe.[11] Nun müsse dringend die Produktivität erhöht werden; dies erfordere EU-Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr – nahezu fünf Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Im Rahmen des Marshallplans seien nach dem Zweiten Weltkrieg ein bis zwei Prozent der Wirtschaftsleistung bereitgestellt worden – erheblich weniger, als heute nötig sei. Unterblieben die Investitionen, dann drohe ein weiterer Abstieg; dann sei auch „das europäische Sozialmodell“ nicht mehr finanzierbar.[12]
„Wenn die EU jetzt nicht handelt“, sagt Draghi voraus, „steht ihr ein langsamer, aber qualvoller Niedergang bevor.“
[1] Die eine Grenze ist nicht wie die andere. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.09.2024.
[2] Jon Henley: ‘The end of Schengen‘: Germany’s new border controls put EU unity at risk. theguardian.com 10.09.2024.
[3] Bisher sind die Nachbarn nicht auf Streit aus. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.09.2024.
[4] Matthias Lehnert, Robert Nestler: Der Mythos von der Notlage. verfassungsblog.de 09.09.2024.
[5], [6] Mona Jaeger: Wer wird bereits zurückgewiesen? Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.09.2024.
[7], [8] Polen nennt Grenzkontrollen „inakzeptabel“. Maßnahme muss laut EU-Kommission „absolute Ausnahme bleiben“. tagesspiegel.de 11.09.2024.
[9] Bisher sind die Nachbarn nicht auf Streit aus. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.09.2024.
[10] S. dazu Festung Deutschland
[11] Carsten Volkery: Draghi fordert massive Investitionen – und neue EU-Schulden. handelsblatt.com 09.09.2024.
[12] Draghi warnt vor qualvollem Niedergang. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.09.2024.
Leonardo Boff: Ist Glück möglich in einer so unruhigen Welt wie der unseren?
Setzt China künftig die Standards für Künstliche Intelligenz?
Seit der Trump-Regierung haben die USA China mit Wirtschaftssanktionen überzogen, in erster Linie im Halbleiterbereich.
Bislang haben die Sanktionen ihr Ziel nicht erreicht, Chinas Aufstieg zu stoppen.
Vor allem haben sie nicht verhindert, dass China bei einer Schlüsseltechnologie der Zukunft, der Künstlichen Intelligenz, weiter aufgeholt hat.
Schon 2018 spielten nach Einschätzung von McKinsey nur noch die USA und China eine wesentliche Rolle auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz.
Europa war längst abgeschlagen (FT, 2.5.18). Seitdem herrscht unter den Eliten in den USA die Paranoia, dass es mit der technologischen Vormachtstellung der USA demnächst vorbei ist. „Diese Technologien sind so umwälzend, dass das in den KI-Technologien führende Land nicht nur einen wirtschaftlichen oder technologischen Vorsprung hat, sondern auch bei der nationalen Sicherheit vorne ist“, zitierte die Financial Times einen Cyber-Experten aus dem US-Sicherheitsapparat. Künstliche Intelligenz verändert die Kriegsführung und hat das Potential zur Neuordnung der globalen Machtverteilung.
Bislang hatten die USA den meisten Experten zufolge einen Vorsprung, vor allem, weil sie die besten Algorithmen haben und über den Zugriff auf dedizierte Computer-Hardware, also Chips, verfügen, die die ultraschnelle Durchforstung riesiger Datenmengen ermöglichen. Die USA sind in der Grundlagenforschung stark. Aber China hat aufgeholt: Schon 2018 teilten sich der chinesische Konzern Alibaba und Microsoft die Siegerprämie bei einem Wettbewerb um das Leseverständnis von KI-Software und ebenso bei Wettbewerben um Gesichtserkennung.
Unter dem Begriff der Künstlichen Intelligenz als Teilgebiet der Informatik werden Technologien zusammengefasst, die es ermöglichen, kognitive Fähigkeiten der Menschen - nämlich aus Daten Informationen zu erfassen und zu sortieren - durch Hardware und Software zu imitieren. Diese Intelligenz kann auf programmierten Abläufen nach klaren Regeln basieren oder aber durch sogenanntes maschinelles Lernen erzeugt werden.
Durch die zunehmende Verfügbarkeit von großen Datenmengen und höher Rechenleistung wurden zuletzt vor allem im Bereich des maschinellen Lernens große Fortschritte gemacht. Dabei generiert ein Lernalgorithmus aus den Beispieldaten eine Funktion, die auch für neue Daten eine korrekte Ausgabe erzeugt.
Lernalgorithmen können Lösungen für Probleme lernen, die zu kompliziert sind, um sie mit Regeln zu beschreiben, zu denen es aber viele Daten gibt, die als Beispiele für die gewünschte Lösung dienen können.
Ein Lernalgorithmus bildet vorgegebene Beispieldaten auf ein mathematisches Modell ab. Dabei passt der Lernalgorithmus das Modell so an, dass es von den Beispieldaten auf neue Fälle verallgemeinern kann, der Algorithmus wird trainiert. Das so statistisch, durch Wiederholung trainierte Modell kann für neue Daten Vorhersagen treffen oder Empfehlungen und Entscheidungen erzeugen.
Die Software lernt, selbstständig die Struktur der Daten zu erkennen. So können Roboter selbst erlernen, wie sie bestimmte Objekte greifen müssen, um sie von A nach zu B transportieren. Sie bekommen nur gesagt, von wo und nach wo sie die Objekte transportieren sollen. Wie genau der Roboter greift, erlernt er durch das wiederholte Ausprobieren und durch Feedback aus erfolgreichen Versuchen.
Als generative KI werden Modelle des maschinellen Lernens bezeichnet, die auf der Basis von Eingabedaten in Form von Texten, Bildern, Videos oder Audioformaten neue Inhalte generieren. Eine Sonderform der generativen KI sind große Sprachmodelle (LLM, large language models), die aus unspezifischen Spracheingaben jeder Art (juristische Texte oder Gebrauchsanweisungen oder Kurzgeschichten …) neue Textdokumente generieren.
Bei der Künstlichen Intelligenz geht es u.a. um Anwendungen wie Muster- und Gesichtserkennung durch Computer, die automatisierte Beantwortung von Kundenanfragen oder das autonome Steuern von Autos, Drohnen oder Booten. Die KI-Technologien können aber genauso militärisch genutzt werden.
2030 will China bei KI an der Weltspitze sein
In Chinas staatlicher Wirtschaftsplanung für die nächsten Jahrzehnte hat die Künstliche Intelligenz (KI) eine Schlüsselstellung. Schon seit der Jahrtausendwende spielt die KI in allen Staatsplänen eine prominente Rolle. Auch bei der Dritten Plenartagung des ZK der KP, die in diesem Sommer stattfand und die sich auf die Wirtschaftspolitik konzentrierte, ging es um die Förderung der neuen Produktivkräfte und die Künstliche Intelligenz. Die chinesische Regierung sieht in KI und allgemein in den neuen Produktivkräften die Motoren für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes.
2030 will China bei der Künstlichen Intelligenz an der Weltspitze sein. 2017 war Chinas Sputnik-Moment, als die von Google erworbene DeepMind-Software im Go-Spiel, einem komplexen alten chinesischen Brettspiel, den weltweit führenden Go-Spieler Ke Jie besiegte. Das demonstrierte die Kapazität von KI und war ein Weckruf für die chinesische Führung.
Für den Autor Kai-Fu Lee, früher Chef von Google China und jetzt Venture-Kapitalist und Buchautor („AI Superpowers: China, Silicon Valley and the New World Order“, New York 2018) ist China erstmals seit der Industriellen Revolution an der Spitze einer enormen technologischen und wirtschaftlichen Umwälzung.
Nach seiner Analyse wird China das Wettrennen um KI gegen die USA deshalb gewinnen, weil China in vier entscheidenden Feldern, die über den Einsatz von KI entscheiden, vorne ist: Erstens bei den qualifizierten Arbeitskräften. Zweitens beim Einsatz von Kapital. Drittens bei der staatlichen Regulierung. Und schließlich viertens bei der Verfügbarkeit von Daten.
Lee behauptet nicht, dass China in der Grundlagenforschung, den grundlegenden Innovationen auf diesem Gebiet führend ist. Aber das mache nichts, weil die großen intellektuellen Durchbrüche schon längst passiert sind. Was Lee zufolge jetzt zählt, ist die Implementation, der praktische Einsatz von KI, nicht die Innovation.
China hat hochqualifizierte Arbeitskräfte
Und dabei hat China besondere Vorteile: Nicht nur, dass die Arbeiten führender KI-Forscher leicht verfügbar sind, vor allem durch das Internet. Inzwischen kommen etwa 40% aller Forschungsarbeiten weltweit zum Thema KI aus China, nur etwa 10% aus den USA und 15% aus Europa. Eine der meistzitierten Forschungsarbeiten überhaupt, die demonstrierte, wie neuronale Netze zur Bildverarbeitung trainiert werden können, wurde von KI-Forschern aus China verfasst. Ein amerikanischer Experte urteilte, dass Chinas KI-Forschung Weltklasse ist und dass China einen signifikanten Vorsprung bei der Bilderkennung und in der Robotik hat (Economist, 15.6.24).
Zwar ziehen die USA, speziell das Silicon Valley, immer noch Top-Talent an. Ein chinesischer Entwickler schätzte, dass 2020 ca. die Hälfte aller KI-Entwickler im Silicon Valley Chinesen waren. Noch 2019 blieben nur 38% der chinesischen Universitätsabsolventen mit KI-Schwerpunkt in China, aber 2022 waren es schon fast 60%. Die alte Weltordnung in den Naturwissenschaften, dominiert von den USA, Japan und Europa, gehe dem Ende entgegen, diagnostiziert der Economist (15.6. 24). Dabei dominiert China in den angewandten Wissenschaften, besonders in den Ingenieurwissenschaften, während die USA und Europa bei der Grundlagenforschung noch vorne sind. Nach einer Erhebung der Stanford University entfielen 2022 über 60% aller KI-Patente auf chinesische Unternehmen und Organisationen und nur etwa 20% auf die USA (Nikkei Asia, 11.8.24).
China hat ein extrem wettbewerbsorientiertes Wirtschaftssystem, das KI fördert
Zweitens hat China laut Lee eine extrem wettbewerbsorientierte und unternehmerische Ökonomie nach dem Motto: Move fast and break things! Im erbitterten Konkurrenzkampf haben chinesische Unternehmen führende westliche Unternehmen in ihrem Heimatmarkt längst übertrumpft. Die Methode von ständigem „Versuch-und-Irrtum" des chinesischen Geschäftsmodells sei bestens geeignet, die Ergebnisse der KI in der Volkswirtschaft zu verbreiten.
Für westliche Ohren, die mit der KP Chinas und mit Staatsplanung immer wirtschaftliche Stagnation und verkrustete Strukturen assoziieren, mag die Beschreibung der chinesischen Volkswirtschaft als einer extrem wettbewerbsorientierten, dynamischen Ökonomie bizarr erscheinen. Doch z.B. der Erfolg und das Innovationstempo der vielen chinesischen Autobauer müsste doch inzwischen auch den eingefleischtesten Neoliberalen zum Grübeln bringen.
Auch die Entwicklung der chinesischen KI-Branche ist ein Beispiel dafür, wie die den Rahmen definierende Planung und die begleitende Co-Finanzierung auf allen staatlichen Ebenen zusammen mit hunderten privaten Start-ups ein Ökosystem im ganzen Land geschaffen haben, dass die weitere Entwicklung der KI-Technologien fördert und für den praktischen Einsatz in der chinesischen Volkswirtschaft sorgt. So stellen mit ultraschnellen Chips ausgestattete staatliche Rechenzentren den KI-Start-ups, die wegen der US-Sanktionen keine leistungsfähigen Rechner mehr bekommen, günstig Rechenzeit zur Verfügung. Und natürlich werden diese jungen Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen und von Staatsunternehmen bevorzugt. Noch vor zwei Jahren – nach dem Markteintritt von ChatGPT und anderer Modelle von generativer KI im Westen - schien China den technologischen Wettlauf mit den USA zu verlieren. Inzwischen sind aber zahlreiche chinesische KI-Produkte von den chinesischen Internet-Giganten wie Baidu, Tencent oder Bytedance, aber auch von den zahllosen Start-ups auf dem Markt, die in ihrer Leistung den Produkten etwa der US-Konzerne vergleichbar sind (Wallstreet Journal, 23.8.24).
Für Kai-Fu Lee sind Chinas große Schwärme von KI-Unternehmen und den damit verbundenen Chip-Startups vielleicht ineffizient, aber insgesamt effektiv. Das zähle.
Für die Berliner Analysten von Sinolytics, einem auf China spezialisierten Forschungsinstitut, könnte die Arbeitswelt der Zukunft sogar in China entschieden werden (China.Table vom 21. August 2024). Denn in Chinas geschütztem Markt entstehen äußerst konkurrenzfähige Anwendungen, die früher oder später ihren Weg nach Europa finden.
“Während im Westen ChatGPT, Claude, Otter.ai, Gamma und andere Anwendungen das Arbeitsleben der verändern, treiben in China Akteure wie KimiChat von Moonshot AI, Ernie Bot von Baidu, Spark von iFLYTEK, Tongyi Qwen von Alibaba oder dem an der Tsinghua-Universität entstandenem Start-up Zhipu AI diesen Trend voran.
Generell unterscheiden sich die chinesischen GenAI-Anwendungen nicht wesentlich von vergleichbaren Angeboten US-amerikanischer oder europäischer Anbieter. Allerdings profitieren sie von gewissen Vorteilen: einer Fülle an Trainingsdaten und der Offenheit der chinesischen Nutzer gegenüber neuen Apps und digitalen Produkten. Hinzu kommen ein harter Wettbewerb unter den starken chinesischen Anbietern, ein großer Pool an KI-Fachkräften und eine beträchtliche politische Unterstützung. Zudem sind die Anbieter durch gesetzliche Einschränkungen vor internationaler Konkurrenz geschützt. All diese Vorteile könnten ein perfekter Nährboden für die nächste Welle chinesischer Technologieunternehmen sein, die sich auf dem Weltmarkt etablieren wollen. Chinas KI-Unternehmen sind hoch ambitioniert …”
Verfügbarkeit von Daten
Ob Bilderkennung, Spracherkennung oder die automatisierte Auswertung oder Erstellung von Dokumenten: die Leistungsfähigkeit der KI-Systeme basiert auf der Masse von Daten, die in diese Systeme eingeflossen sind.
Daten sind der Rohstoff für die KI-Technologien, und hier verfügt China über mehr Daten als alle anderen Volkswirtschaften - nicht nur wegen der Besonderheiten seines gesellschaftlichen Systems.
China hat mehr Internet-Nutzer als Europa und die USA zusammen. Chinas hochentwickelte Internet-Ökonomie generiert ein Vielfaches an Daten im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften. Digitale Zahlungssysteme sind selbstverständlich. Ebenso der Kauf von Tickets per Spracheingabe. Zudem bringt die Bevölkerungsdichte eine riesige Nachfrage nach Auslieferungen und anderen Dienstleistungen.
Spezialisierte KI-Anwendungen basieren für ihr Training auf der Verfügbarkeit größter Datenmengen. So hat China als Fabrik der Welt wahrscheinlich bei Produktionsdaten und bei Robotik die Nase vorn. Ebenso bei der Auswertung von Gesundheitsdaten etwa zur Prognose von Risiken für Herzerkrankungen. In Chinas Krankenhäusern werden mit KI Tumore entdeckt. An den meisten Gerichten hat Spracherkennung die Gerichtsstenografen ersetzt. Ambulanzen und Lieferanten von dringend benötigten Medikamenten können die Anfahrtszeiten durch smarte Steuerung von Ampeln etc. halbieren. Smart-City-Dienste von KI helfen etwa beim Auffinden von vermissten Kindern und Alten.
Gesichtserkennungssysteme Made in China, die auf KI-Bilderkennungs-Software basieren, sind inzwischen weltweit verbreitet. Nach einer US-Studie werden sie inzwischen von 52 Ländern eingesetzt. 2018 kontrollierte China die Hälfte des weltweiten Marktes für Gesichtserkennungs-Software und der entsprechenden Hardware, Kameras etc. Die Exporte dieser Technologien aus China wuchsen um 13,5% im letzten Jahr. Ein großer Lieferant ist Huawei, daneben Hikvision, SenseTime, Dahua und ZTE. Natürlich wird China angeklagt, mit diesen Technologien Autoritarismus zu exportieren.
Aber es gibt auch Konkurrenz aus den USA (IBM, Palantir und Cisco), Israel und Japan (NEC), über die im westlichen Medien kaum berichtet wird.
Chinas Polizei hat die größte Bild-Datenbank mit über 1 Mrd. Gesichtern. China technischer Vorsprung liegt aber auch darin, dass viele Transaktionen wie das Einchecken im Hotel oder auch im Krankenhaus, die Zugbuchung und Bankgeschäfte inzwischen ganz per Gesichtserkennung laufen als „real-name identification“ oder die sonstige Identifikation zumindest ergänzen. Aber als die Pharmazeutische Hochschule Nanjing ein Hörsaal-Monitoring-System mit Gesichtserkennung einführen wollte, um die Anwesenheit der Studenten zu checken oder sie beim Quatschen oder Surfen zu ertappen, gab es einen Aufstand der Studenten.
Datenbanken mit Dokumenten in chinesischer Sprache für das Training von KI-Systemen sind nur begrenzt verfügbar. In einer Open-Source-Datenbank für KI-Trainingszwecke namens Common Crawl sind weniger als 5% der Daten in chinesischer Sprache. Deswegen fördert die chinesische Regierung jetzt eigene Datenbanken. Ein Anbieter ist ein Ableger der Pekinger Volkszeitung (Renmin Ribao), der lokalen KI-Firmen jetzt Daten mit dem Label “mainstream values corpus” anbietet, also als Partei-konform zertifiziert.
Staatliche Regulierung und Definition von KI-Standards
Für die Regierung hat die praktische Förderung der Künstlichen Intelligenz und anderer Schlüsseltechnologien Priorität. Der Begriff Regierung meint dabei alle Ebenen des chinesischen Staatsapparates, von der Zentralregierung bis zur Administration einer kleinen Stadt. In einer Rede rief der damalige Ministerpräsident Li Keqiang schon 2014 zu „Mass entrepreneurship” und “Mass innovation“ auf, forderte also Massenbewegungen für Unternehmertum und Innovation.
Aber die chinesische Regierung will nicht nur die grundlegende Technologie entwickeln, sondern vor allem ihre praktische Anwendung fördern. Der 14. Fünfjahrplan für den Zeitraum von 2021 bis 2025 fordert ausdrücklich die Integration digitaler Technologien wie KI in die Gesellschaft. So breitet sich die generative KI längst in vielen Industrien und Dienstleistungen in China aus und wird z.B. zur Inspektion von Autoteilen oder auch zur Ausarbeitung von Studienplänen für Schulen zur Prüfungsvorbereitung genutzt (Nikkei Asia 11.8.24).
Für die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz hat der chinesische Staatsrat eine nationale Strategie beschlossen. Für die Ziele geht China Risiken ein und baut auch eine komplementäre Infrastruktur. So haben alle großen chinesischen Internet-Firmen gemeinsame Forschungslabore mit der chinesischen Regierung.
Ein Schwerpunkt der chinesischen Regierung ist die Definition von Standards für Künstliche Intelligenz, die möglichst weltweit gültig sind und die damit auch die Verbreitung chinesischer KI-Produkte fördern. So nimmt nach Angaben der UN-Unterorganisation ITU, der International Telecommunication Union, Chinas Einfluss zu. Die Standards, deren Verabschiedung ca. 2 Jahre dauert, sind ein wichtiges Mittel der Wirtschafts- und Industriepolitik. So hat die deutsche Industrie historisch positive Erfahrungen und gute Geschäfte mit den DIN-Normen gemacht.
Lokale Experimente und Nomen, um später einmal landesweite Standards zu definieren, gelten für Chinas Versuche mit dem autonomen Fahren. Chinesische Software- und Autofirmen sind technologisch führend in der KI-Entwicklung für die Autoindustrie. Von den Lokalbehörden werden entsprechende Experimente unterstützt. Das ist ein wesentlicher Grund, warum die deutschen Auto-OEMs ihre Entwicklungszentren in China weiter ausbauen. Die Technologie für das autonome Fahren wird dort entwickelt, und die Standards werden dort gesetzt.
Bei den Standards für KI geht es auch um Gesetze und Vorschriften. Nach Daten der OECD gibt es weltweit inzwischen über 1.000 Gesetze und staatliche Vorschriften, die den Einsatz der KI regulieren sollen. In China sind inzwischen zahlreiche Gerichtsverfahren entschieden, bei denen es u.a..um den Schutz von Persönlichkeitsdaten und das Rechtes auf das eigene Bild in KI-Projekten ging. Die Befassung der chinesischen Justiz mit diesen Themen zeigt, wie weit KI inzwischen in das Alltagsleben in China eingedrungen ist. Das zeigt gleichzeitig, dass auch in China der Schutz der Persönlichkeitsdaten ein wesentliches Thema ist. Nach der Einschätzung westlicher Juristen haben die inzwischen erlassenen chinesischen Datenschutzgesetze durchaus "Biss”, auch wenn der Arbeitnehmer-Datenschutz dabei keine große Rolle spielt (Nikkei Asia 11.8.24).
Definiert die KP den Wissenskanon, den die KI-Sprachmodelle lernen sollen? Alle KI-Modelle haben ein Bias, sind tendenziös. Viele Untersuchungen haben nachgewiesen, dass KI-Ergebnisse etwa nach Rasse, Geschlecht und sozialer Herkunft entzerrt sind. Die Sorge mancher Experten im Westen: Wie die chinesische KP erfolgreich das Internet in China per Firewall abgeschottet hat, so könne die KP auch die KI und insbesondere die KI-Sprachmodelle steuern, dass die Werte und Ziele der KP dabei nicht verletzt werden. So ein Kommentar im britischen Guardian (22.4.24).
Die meisten generativen KI-Sprachmodelle brauchen in China das Okay der Cyberspace Administration, des chinesischen Internet-Regulators, bevor sie auf den Markt kommen. Die chinesischen KI-Firmen müssen zwischen 20.000 und 70.000 Fragen vorbereiten, mit denen ihre Systeme, z. B. Suchmaschinen, getestet werden, ob sie zuverlässige Antworten produzieren. Für die Freigabe müssen sie zusätzlich außerdem Datensätze von bis zu 10.000 Fragen einreichen, auf die das jeweilige Sprachmodell keine Antwort gibt. Ein großer Teil dieser Fragen bezieht sich auf die politische Ideologie und auf Kritik an der KP.
Im Mai veröffentlichte Chinas Cyberspace-Administration Pläne für einen Chatbot, einen Textgenerator, der auf Basis von KI funktioniert und eine Unterhaltung simuliert, als würde man mit einem Menschen schreiben. Der geplante Jackpot soll u.a. auf der Basis der politischen Philosophie von Xi Jinping trainiert werden. Unternehmen und Behörden hätten damit einen Chatbot als Option zur Verfügung mit der Garantie, nicht die politischen roten Linien zu verletzen.
Warum die immer neuen Chip-Sanktionen zu immer neuen KI-Innovationen führen
Chinesische KI-Firmen, die durch die US-Sanktionen von ultraschnellen Chips von Halbleiterfirmen wie Nvidia abgeschnitten sind, haben einen Weg gefunden, damit die nötigen Millionen Lernzyklen für die großen KI-Sprachmodelle dennoch erfolgreich gerechnet werden können: Sie entwickeln viel leistungsfähigen Programmcode, der auch auf Rechnern mit Chips älterer Generationen abläuft, berichtet das Wallstreet Journal (23.8.24).
Viele chinesische KI-Start-ups arbeiten für ihre KI-Sprachmodelle mit sehr effizientem Programmcode, um diese Einschränkungen zu umgehen. Andere entwickeln jetzt kleinere, spezialisierte Sprachmodelle oder nutzen auch Trainingsmethoden für die KI-Software, die weniger Rechenzyklen und damit weniger Energie und Zeit erfordern. Die Firma 01.AI, von dem oben genannten Buchautor Kai-Fu Lee gegründet und von den chinesischen Privatkonzernen Alibaba und Xiaomi unterstützt, arbeitet mit einem Trainingsformat, das den Zeit- und Energieaufwand reduziert. Die Firma könne nicht auf viele GPUs (spezialisierte Chips für Grafikverarbeitung und KI) zugreifen. Das zwinge zur Entwicklung einer sehr effizienten KI-Infrastruktur, zitiert das Wallstreet Journal Kai-Fu Lee. Der Chef von Baidu, einer Internet-Plattform, zugleich spezialisiert auf autonomes Fahren, warnte auf einer Konferenz im Juli 2024 in Peking vor einer Verschwendung knapper Computer-Ressourcen für die Entwicklung großer KI-Sprachmodelle. Wichtiger seien KI-gestützte Apps, also kleine Programme, die praktischen Nutzen hätten.
Der chinesische Bytedance-Konzern, Chinas “App-Fabrik”, aus dem die weltweit verbreitete App TikTok stammt, hat in den letzten Monaten mehr als 20 auf KI basierende Apps veröffentlicht, darunter einen Englisch-Tutor und ein Programm zur Erstellung eigener Videos. Andere Apps generieren aus Texten Videos. Drei der zehn KI-Apps mit den meisten Downloads in diesem Jahr in den USA stammen von chinesischen Firmen.
Auf der Konferenz im Juli in Peking erklärte ein Manager von Huawei, es sei falsch zu glauben, China könne nicht bei der Künstlichen Intelligenz führend sein, nur weil es nicht die modernsten Chips habe. In Unternehmen, staatlichen Rechenzentren und Forschungseinrichtungen werde fast die Hälfte aller großen KI-Sprachmodelle auf Ascend-Chips von Huawei trainiert. Andere chinesische Technologiekonzerne wie Baidu, Alibaba und Tencent nutzen eigene, inhouse entwickelte Chips, um ihre KI-Modelle zu testen.
Es ist offensichtlich, dass die US-Chip-Sanktionen Chinas Vormarsch auf dem Gebiet der Schlüsseltechnologie künstliche Intelligenz nicht gestoppt haben.