
ISW München
Die Jahrestage dreier Angriffskriege
In diesen Tagen jähren sich drei völkerrechtswidrige Überfälle westlicher Mächte auf fremde Staaten, die zahllose Opfer forderten – auch durch Kriegsverbrechen –, aber bis heute straflos bleiben.
Die ersten Bombardierungswellen dreier völkerrechtswidriger Angriffskriege, die für die Täter keinerlei Konsequenzen hatten, jähren sich in dieser Woche. Heute vor 20 Jahren starteten US-Truppen die Invasion in den Irak, an der sich britische, australische und polnische Einheiten beteiligten. Sie wurde mit offenen Lügen legitimiert und diente genauso machtstrategischen Zielen wie der Überfall auf Libyen, den französische Kampfjets gestern vor zwölf Jahren einleiteten – erst unter Berufung auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die allerdings umgehend gebrochen und illegal zum Sturz der libyschen Regierung missbraucht wurde. Am Freitag vor 24 Jahren überfielen NATO-Truppen, darunter deutsche, ebenfalls völkerrechtswidrig Jugoslawien, um dessen südliche Provinz Kosovo abzuspalten. Außenministerin Annalena Baerbock fordert unter großem medialen Beifall, das Führen von Angriffskriegen dürfe nicht „straflos bleiben“, will dies freilich – ebenso wie die deutschen Leitmedien – nicht auf westliche Kriege bezogen wissen. Dasselbe gilt für schwerste Kriegsverbrechen, die westliche Soldaten begangen haben. Bestraft werden lediglich Whistleblower, die sie aufzudecken halfen.
Kriegsziel: Umsturz-DominoDer US-geführte Überfall auf den Irak begann vor genau 20 Jahren mit ersten Luftangriffen in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 und mit der unmittelbar folgenden Invasion von Bodentruppen. Beteiligt waren neben den US-Streitkräften Einheiten aus Großbritannien, Australien und Polen. Der Überfall erfolgte ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates und damit unter Bruch des Völkerrechts. Die offiziell vorgebrachte Begründung, Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, war frei erfunden. In Wirklichkeit ging es darum, eine dem Westen missliebige Regierung durch eine prowestliche zu ersetzen. In der Regierung von Präsident George W. Bush war damals außerdem von einem „demokratischen Dominoeffekt“ die Rede, wonach auf einen Sturz der Regierung im Irak derjenige weiterer Regierungen im Nahen und Mittleren Osten folgen werde, insbesondere in Syrien und Iran. Eine „erste arabische Demokratie“ im Irak werde „einen sehr großen Schatten in der arabischen Welt werfen“, erklärte damals der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz.[1] Auch Rohstoffinteressen spielten eine zentrale Rolle. Der damalige polnische Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz etwa bekräftigte Anfang Juli 2003, Warschau habe „nie unseren Wunsch“ nach „Zugang zu Rohstoffquellen für polnische Ölfirmen verborgen“; dieser sei „unser letztes Ziel“.[2]
Hunderttausende zivile TodesopferDie menschlichen Kosten des Irak-Kriegs haben mehrfach Wissenschaftler vom Costs of War Project des Watson Institute for International and Public Affairs an der Brown University in Providence (US-Bundesstaat Rhode Island) zu beziffern versucht; die Brown University zählt zu den acht berühmten Ivy League-Universitäten in den Vereinigten Staaten. Seine jüngste Untersuchung hat das Costs of War Project kurz vor dem heutigen Jahrestag der US-Invasion vorgelegt. Demnach sind allein während der ersten großen Angriffswelle vom 19. März bis zum 19. April 2003 nachweislich mindestens 7.043 Zivilisten zu Tode gekommen, ein Drittel von ihnen durch Luftangriffe der US-Kriegskoalition.[3] Die Kämpfe haben allerdings nie wirklich aufgehört und sind nicht zuletzt in den westlichen Krieg gegen den IS gemündet; die Terrormiliz entstand faktisch aus den zerfallenden sozialen Strukturen des kriegszerstörten Iraks. Insgesamt beziffert das Costs of War Project die Zahl der Todesopfer, die bis zum März 2023 im Irak und in den zeitweise IS-kontrollierten Gebieten Syriens zu verzeichnen waren, auf 549.587 bis 584.006, darunter bis zu 348.985 Zivilisten. Der Bericht weist darauf hin, dass es sich dabei nur um die nachgewiesenen unmittelbaren Todesopfer handelt. Die Anzahl der indirekten Todesopfer – durch Kriegsfolgen wie Krankheit, Unterernährung etc. – sei wohl drei- bis viermal so hoch.
Kriegsziel: Einfluss ausweitenGestern vor zwölf Jahren begann der Krieg des Westens gegen Libyen, der mit Angriffen der französischen Luftwaffe startete und schon bald zum NATO-Krieg ausgeweitet wurde. Zu der offiziellen Kriegsbegründung, man habe ein Massaker der libyschen Streitkräfte an Zivilisten verhindern wollen, erklärten renommierte Experten später vor einem britischen Parlamentsausschuss, ein solches Szenario sei überaus unwahrscheinlich gewesen. In der Tat bestätigten französische Geheimdienstoffiziere dem Ausschuss, die tatsächlichen Ziele der französischen Regierung seien gewesen, „Frankreichs Einfluss in Nordafrika zu vergrößern“, stärkeren Zugriff auf die libysche Erdölförderung zu bekommen sowie die Schlagkraft der französischen Streitkräfte zu demonstrieren (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Ein UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung wurde zum Sturz der Regierung missbraucht, also gebrochen. Die Zahl der zivilen Todesopfer des Krieges allein im Jahr 2011 wurde von der britischen Organisation Airwars mit mindestens 1.142, womöglich sogar bis zu 3.400 angegeben.[5] Der Krieg hat Libyen nicht nur materiell, sondern auch gesellschaftlich weitestgehend zerstört; immer wieder sind Kämpfe zwischen unterschiedlichen Milizen zum Bürgerkrieg eskaliert. Zwölf Jahre nach dem NATO-Krieg liegt das Land immer noch am Boden.
„Pro-Kreml-Desinformationsnarrativ“Am kommenden Freitag vor 24 Jahren wiederum überfiel die NATO Jugoslawien – gleichfalls ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats und damit unter Bruch des Völkerrechts. Begründet wurde der Angriffskrieg mit der Behauptung, im Kosovo drohe eine sogenannte ethnische Säuberung. Interne Berichte widerlegen dies; so hieß es etwa am 19. März 1999 in einem Dokument der OSZE, die Lage „über die ganze Region hinweg“ sei „angespannt, aber ruhig“, während Fachleute im Bonner Verteidigungsministerium noch am 22. März konstatierten, Tendenzen zu „ethnischen Säuberungen“ seien „weiterhin nicht erkennbar“.[6] Dem Überfall auf Jugoslawien kommt insofern besondere Bedeutung zu, als er der erste völkerrechtswidrige Angriffskrieg seit den Umbrüchen der Jahre von 1989 bis 1991 war und damit einen Präzedenzfall für spätere Angriffskriege wie diejenigen gegen den Irak oder gegen Libyen schuf. Die Zahl der zivilen Todesopfer wird etwa vom Wilson Center auf rund 2.000 geschätzt.[7] Dabei muss sich die renommierte Washingtoner Einrichtung heute von einer EU-Stelle („EuvsDisinfo“), die angebliche Propaganda widerlegen soll, vorwerfen lassen, dies sei ein „Pro-Kreml-Desinformationsnarrativ“.[8] Zu den Zielen, die die NATO damals bombardierte, gehörten unter anderem die Botschaft der Volksrepublik China in Jugoslawien sowie das Hauptgebäude des staatlichen Fernsehsenders RTS.
Wer Angriffskriege führen darfDie Staats- und Regierungschefs, die die völkerrechtswidrigen Angriffskriege befohlen haben, sind dafür nie zur Verantwortung gezogen worden. Das gilt für US-Präsident George W. Bush, den britischen Premierminister Tony Blair und den polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski (Irak-Krieg 2003) genauso wie für den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy (Libyen-Krieg 2011) bzw. Kanzler Gerhard Schröder und Vizekanzler Joseph Fischer (Jugoslawien-Krieg 1999). „Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und dabei straflos bleiben“, erklärte Mitte Januar Außenministerin Annalena Baerbock.[9] Baerbock bezog das allerdings nicht auf Kriegsverantwortliche aus den westlichen Staaten, sondern einzig und allein auf die Regierung Russlands, mit dem der Westen einen Machtkampf austrägt.
Wer bestraft wird und wer nichtAuch die Kriegsverbrechen, die die westlichen Militärs begangen haben – unter anderem auch im Afghanistan-Krieg –, sind so gut wie nie geahndet worden. Das gilt für ein Massaker an über 100 Zivilisten bei Kunduz, das von einem deutschen Offizier befohlen wurde [10], ebenso wie für einen Initiationsritus einer berüchtigten australischen Spezialeinheit, der darin bestand, mindestens einen afghanischen Zivilisten zu ermorden [11], sowie für Dutzende Morde britischer Militärs an wehrlosen Gefangenen am Hindukusch [12]. Verfolgt werden stattdessen Journalisten und Whistleblower, die die Kriegsverbrechen öffentlich machen. Das gilt etwa für den australischen Militäranwalt David McBride, der vor Gericht steht, weil er geholfen hat, australische Kriegsverbrechen öffentlich bekannt zu machen [13], sowie für den Journalisten, der im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh auf die Auslieferung in die USA wartet, da er US-Kriegsverbrechen im Irak dokumentierte: Julian Assange.
[1] Paul Reynolds: The ‘democratic domino‘ theory. news.bbc.co.uk 10.04.2003.
[2] Poland seeks Iraqi oil stake. news.bbc.co.uk 03.07.2003.
[3] Neta C. Crawford: Blood and Treasure: United States Budgetary Costs and Human Costs of 20 Years of War in Iraq and Syria, 2003-2023. Providence, 15 March 2023.
[4] House of Commons, Foreign Affairs Committee: Libya: Examination of intervention and collapse and the UK's future policy options. Third Report of Session 2016-17. London, September 2016.
[5] Oliver Imhof: Ten years after the Libyan revolution, victims wait for justice. airwars.org 18.03.2021.
[6] Zitiert nach: Heinz Loquai: Krieg - ein wahnsinniges Verbrechen. In: Forum FriedensEthik in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Rundbrief 2/2010. April 2010. S. 4-11. S. dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7895.
[7] Aleksa Djilas: Bombing to Bring Peace. wilsoncenter.org.
[8] Disinfo: About two thousand civilians were killed in NATO’s bombing of Yugoslavia. euvsdisinfo.eu.
[9] Hans Monath: „Niemand darf Krieg führen und straflos bleiben“. tagesspiegel.de 16.01.2023.
[10] S. dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4637
[11] S. dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8687
[12] S. dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8977
[13] Christopher Knaus: David McBride will face prosecution after blowing whistle on alleged war crimes in Afghanistan. theguardian.com 27.10.2022.
Armut – spielt sie in Bayern keine Rolle? (Teil 1)
Reicher Mann und armer Mann
standen da und sah’n sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär’ ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“
Bert Brecht, 1934
Armut, Armutsgefährdung
Armut begegnet man in allen Lebensaltern, von der Armut von Geburt an bis zur Armut beim Sterben – sind es bei der Geburt, die fehlenden Windeln zum Monatsende, ungesunde und damit krankmachende Wohnverhältnisse oder auch ungesunde Ernährung, so ist es am Ende des Lebens die Sorge der eigenen Bestattung mit oder ohne Würde.
Die Armutsgefährdungsquote gibt an, wie hoch der Anteil der armutsgefährdeten Personen an der Gesamtbevölkerung ist. Sie ist keine aus der Luft gegriffene Erfindung, sondern wurde vom Statistischen Bundesamt (Destatis) und den Statistischen Landesämtern als Maßstab zur Messung von materieller Armut entwickelt. Auf eine Darstellung der nach den EU-SILC- Richtlinien dargelegte Armutsdefinition wird hier verzichtet.
Die Armutsquote in Deutschland betrug bereits im Jahr 2021 nach neuen Berechnungen des Paritätischen 16,9% , will heißen : es gibt 14,1 Millionen arme Menschen in Deutschland.
Destatis hat in einer Pressemitteilung, Nr. 327 vom 4. August 2022 folgende Hauptbetroffenheit von Armut benannt:
- Frauen sind eher armutsgefährdet als Männer
- Mehr als ein Viertel der Alleinlebenden sowie der Personen aus Alleinerziehenden-Haushalten waren armutsgefährdet
- fast jede zweite arbeitslose Person war 2021 armutsgefährdet
- Differenziert nach dem überwiegenden Erwerbsstatus von Personen ab 18 Jahren war im Jahr 2021 in der Gruppe der Arbeitslosen mit 47,0 % fast jede zweite Person armutsgefährdet. Bei den überwiegend Erwerbstätigen betrug der Anteil 8,6 %.
Für Personen im Ruhestand lag die Armutsgefährdungsquote bei 19,3 %.
In einer mehrteiligen Reihe will das isw die Thematik Armut am Beispiel des Bundeslandes Bayern aufgreifen und die Ergebnisse diverser Recherchen darstellen. Dabei geht es neben Zahlen und ihren Veränderungen in Zeitvergleichen auch immer wieder – sozusagen als Weckrufe – um subjektive Eindrücke, was Armut mit Menschen macht. Bei den Diskussionen in diesem Bereich geht es immer um Menschen, ihre Lebensgefühle und Einstellungen und damit auch die Grundfragen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft – um Gerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe.
In Bayern lag 2021 die Armutsgefährdungsschwelle bei 12,6%. das entspricht einem verfügbaren Einkommen eines Einpersonenhaushalts von 1236 €.
Eine Person gilt dann als armutsgefährdet, wenn ihr Äquivalenzeinkommen die Armutsgefährdungsschwelle unterschreitet.
In Bayern fand 2014 die letzte Armutskonferenz der Wohlfahrtsverbände statt, seitdem ist Sendepause – kein gutes Signal.
Im Nachbarland Österreich gibt es eine aktive Zusammenarbeit vieler NGO´s, die sich beiden Seiten, der Armut wie dem Reichtum widmen:
Reichtumskonferenz 2022: https://www.armutskonferenz.at/reichtumskonferenz-2022;
Armutskonferenz 2022: https://www.armutskonferenz.at/es-brennt
In 2022 veröffentlichte die Bayerische Staatsregierung ihren vorerst letzten Sozialbericht. Regionale oder kommunale Berichte zum Thema Armut sind rar.
Soziale Fragen kommen auf kommunaler Ebene nur am Rande zur Sprache, in den Bügerversammlungen geht es meist um Baumaßnahmen aller Art, was die/den BürgerIn beschäftigt.
Wenn es um die Platzierung von Bauten z.B. für eine Flüchtlings- oder auch Obdachlosenunterkunft geht, auch dann wird’s hellhörig, laut, schrill und schnell grundsätzlich, Ängste und Vorurteile kommen hoch, werden vervielfacht: Das kann auch schon geschehen, wenn es um den Bau einer neuen Fußgängerbrücke über einen Bach geht – es könnte ja im Dunkeln dunkle Gestalten anziehen und man fühlt sich nicht mehr sicher im Viertel. Wenn dann daraus Überzeugungen werden, ist mit rationalen Argumenten oft nicht mehr dagegen anzukommen, daraus ziehen politisch Rechte, Nazis und AFD ihren Nutzen.
Der Freistaat Bayern hat eine Verfassung, die hohe Ziele auch bezüglich der Bereiche der Lebenssicherung beinhaltet: Art. 3
(1) Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat. Er dient dem Gemeinwohl.
(2) Der Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung. Er fördert und sichert gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land.
Detaillierter wird in den Artikel 166 ff darauf eingegangen; es fallen dort Begriffe wie „-Die menschliche Arbeitskraft ist als wertvollstes wirtschaftliches Gut eines Volkes, -gegen Ausbeutung, Betriebsgefahren und sonstige gesundheitliche Schädigungen geschützt; - Jede ehrliche Arbeit hat den gleichen sittlichen Wert und Anspruch auf angemessenes Entgelt oder auch - Arbeitsloses Einkommen arbeitsfähiger Personen wird nach Maßgabe der Gesetze mit Sondersteuern belegt.
Auch wenn daraus keine unmittelbare Inanspruchnahme abgeleitet werden kann, so muss es dennoch Ziel jeglicher staatlicher Entscheidung und staatlichen Handelns sein und bleiben, diesem Idealzustand näherzukommen, oder wie Heribert Prantl in einem Beitrag am 2./3.12.2016 in der SZ, Seite 49 schrieb: „Die Bayerische Verfassung ist 70 Jahre alt. Sie liest sich so, als hätten Fidel Castro und Papst Franziskus daran mitgeschrieben.“
Es ist das Anliegen des Autors, Fakten zu benennen, die eine Erstellung eines amtlichen Armutsberichts auf kommunaler Ebene bzw. regionaler Ebene als sozialpolitische Aufgabe zur Bekämpfung von Armut nahelegen. Hierbei erfolgt der Versuch, auf Grundlage eigener Recherchen mit der Angabe von Fakten darauf hinzuweisen, dass es eine sozialpolitischen , verfassungsverbrieften Aufgabe entspräche, zur Bekämpfung von zunehmender Verarmung gerade in einem prosperierenden Bundesland der Bundesrepublik Deutschland eine systematische Armutsberichterstattung anzugehen. Viele Gründe sprechen dafür:
Erstens: Es gibt in Bayern keinen Armutsbericht, es gibt einen Sozialbericht. Warum das so ist? Nach Auffassung der derzeit regierenden Parteien CSU und FW sind die bestehenden Gesetze bereits die bekämpfte Armut und damit verbiete sich der Begriff Armutsbericht.
Das ist Augenwischerei, denn selbst in dem im letzten Jahr erschienenen umfangreichen Sozialbericht (752 Seiten) begegnet man bei genauerem Lesen laufend strukturellen Armutssituationen. Es ist also an der Zeit anzuerkennen, daß es auch in Bayern Armut gibt und diese dann auch so zu benennen, auch wenn mit bundesweiten Vergleichen versucht wird herauszustellen, wie gut die „soziale Lage“ in Bayern doch sei.
Auch Bayern hat ein Armutsproblem.
Zweitens: Während es auf Landesebene einen Sozialbericht gibt, sieht es auf Ebene der Bezirke und der 96 Stadt- und Landkreise noch viel düsterer aus. Von wenigen positiven Ausnahmen abgesehen, wie etwa dem Armutsbericht der Stadt München aus dem Jahr 2022, gibt es nur ganz wenige Aussagen zur Betroffenheit von Armut. Und wenn ja, sind die Datensätze meist veraltet. Aktuelle Forderungen, Armutsberichte zu erstellen, konnten nur in den Städten Augsburg, Bamberg und Fürth gefunden werden.
In den Regierungsbezirken Mittelfranken und Oberbayern gibt es aus den Jahren 2022 bzw. 2020 zumindest Datenreports.
Drittens: Um dieses weitgehende „Armutsschweigen“ aufzubrechen, wären die 96 Stadt- und Landkreise aufzufordern, jeweils für ihren eigenen Bereich alle z.B. drei Jahre eigene kommunale Armutsberichte zu erstellen und daraus folgend Ziele und Maßnahmen auf kommunaler Ebene zur Bekämpfung der Armut abzuleiten und zu beschließen.
In vielen Bereichen liegen für eine entsprechende Recherche- und Analysearbeit statistische Materialien vor, die belegbar genutzt werden könnten.
In den Städten und Landkreisen leben die Menschen, die von Armut bedroht und oder betroffen sind – in diesem Nahbereich spielt sich das Leben ab, egal ob im Altenheim, zuhause, der Jugendhilfeeinrichtung oder dem Frauenhaus – dort entscheiden sich Lebensschicksale.
Diese in der isw-Reihe verwendeten Angaben sind auszugsweise aus den verfügbaren amtlichen Daten entnommen, die als Anregung zu verstehen sind für weitergehende Analysen auf regionaler, bzw. kommunaler Ebene.
Der vorliegende auf eigenen Recherchen beruhende Bericht erhebt keinesfalls den Anspruch einer vollständigen Darstellung der Armut in Bayern. Schlaglichtartig kann nur auf elementare Erkenntnisse eingegangen werden.
Das Datengerüst für eine Armuts-Analyse vor Ort gehörten mindestens folgende Kerndaten:
Einwohner, Entwicklung, Zusammensetzung nach Geschlecht, Alter, Nationalität
Relative Bevölkerungsentwicklung seit 2012 in %
Anteil der Arbeitslosen an der Gesamtbevölkerung in %
Quoten und ihre Entwicklung gemäß der amtlichen Gesetzgebungstexte und Verordnungen:
Aus dem Bereich der Sozialgesetzgebung insbesondere Daten aus den Bereichen
SGB III (Arbeitsförderung; insbesondere Arbeitslosengeld I, Kurzarbeitergeld, andere Leistungen der Bundesagentur)
SGB II (seit 2023 Bürgergeld, vorher Grundsicherung für Arbeitssuchende, umgangssprachlich Hartz IV und folgende)
SGB VIII (Jugendhilfe)
SGB IX (Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen)
SGB XI (Soziale Pflegeversicherung)
SGB XII (Sozialhilfe)
Zusätzlich verwendbare Daten:
Aufstocker SGB II an allen ALGII Beziehenden in %
Kinderarmut in %
Altersarmut, Grusi in %
Kaufkraft in € pro Haushalt
Haushalte mit niedrigem Einkommen in %
Beschäftigungsquote in %
Unterbeschäftigungsquote
Arbeitsplatzentwicklung in den letzten 5 Jahren in %
WohngeldbezieherIn
Verbraucherinsolvenzen
ÖPNV-Mobilität für Menschen mit wenig Geld
Zudem könnten Kriterien wie etwa die Ausgaben-Entwicklungen als sinnvolle Ergänzung in einen Armutsbericht einfließen.
Der Freistaat Bayern hat die Möglichkeit, sofern es politisch gewollt wäre,, die Kommunen zu verpflichten, eine regelmäßige Armutsberichterstattung einzuführen. Alle Kommunen haben außerdem die Möglichkeit, vor Ort über die gesetzlich festgelegten Maßnahmen hinaus im Rahmen der freiwilligen Leistungen zusätzliche Angebote zu schaffen, die die Armut zumindest individuell etwas verringern können. Beispiele wie kostenfreie Eintritte in Bäder, Bibliotheken, kostenfreie oder reduzierte Teilnahmemöglichkeiten an Angeboten der Bildungsträger, Theater, ein kostenfreies ÖPNV Ticket und viele andere Ideen gibt es – sie sollten flächendeckend ohne bürokratische Antragsprüfungen eingeführt und umgesetzt werden.
Erschreckend ist immer wieder, wie Politik, egal auf welcher Ebene, abwartend auf Bedarfsäußerungen reagiert, das war so bei der Frage, ob die Zusammensetzung und Höhe der Regelleistungen überhaupt den Vorgaben des Grundgesetzes entsprechen – hier bedurfte es eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010; - 1 BvL 1/09 -, Rn. 1-220; http://www.bverfg.de/e/ls20100209_1bvl000109.html); das betraf die Frage nach Nachhilfe für Hartz IV schulpflichtige Kinder – es kam dann eine späte, zunächst sehr restriktive Regelung: man musste im Vorrücken stark gefährdet sein, um überhaupt Leistungen erhalten zu können, oder auch die Möglichkeit für Kinder, Mitglied in einem Turn- oder Sportverein sein zu können, die dafür notwendigen Sportbekleidung zu erhalten. Das jetzt sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket gibt es erst seit 2011 – Hartz IV trat am 1.1.2005 in Kraft. Auch die zähen Auseinandersetzungen zur Beschaffung von PCs – ein Trauerspiel, statt vorausschauender Sozialpolitik.
Zu den geschilderten Barrieren kommt hinzu, dass man es auf nationaler, Bundesländer-, Bezirks- und Kommunalebene mit einem großen sozialpolitischen Flickenteppich zu tun hat, der Armut keineswegs verhindert; im Gegenteil - er scheint diese sogar noch zu verstärken.
Selbst für in diesem Bereich beschäftigte Profis ist es nicht leicht, nur einigermaßen und aktuell den Überblick zu behalten. Immer wieder sind Zusammenhänge, Anspruchs-voraussetzungen, Bearbeitungsabläufe und -zuständigkeiten schwer nachzuvollziehen, daß viele Anspruchsberechtigte laut dem bestehenden System der sozialen Sicherung keinen Antrag auf Leistung stellen. Hinzu kommt das Narrativ „dem Staat nicht zur Last fallen“ zu wollen oder auch aus Gründen der eigenen Scham. Und zu guter Letzt kommt der in einzelnen Behörden immer noch herrschende Korpsgeist hinzu: „Du bist der Bittsteller – wir diejenigen die Leistungen gewähren oder versagen“.
Ein Zwischen-FazitEs gibt Armut in Bayern - in mehreren Teilbereichen nimmt sie zu und verfestigt sich.
Wie ist mit diesem sozialen Thema umzugehen, welche Konsequenzen sollten gezogen werden, welche Forderungen müssen auf den Tisch? Es stellt sich gesellschaftlich also die Frage, ob man das Auseinandertriften weiter stillschweigend wegdrückt, negiert oder ob es Initiativen gibt und braucht, die die Frage Armut und Reichtum – Verteilungsgerechtigkeit – auch in Bayern stellen.
Ein Ausblick
Im nachfolgenden Teil der isw-Reihe geht es um eine möglichst umfassenden Überblick zu den Themen Armut/ Armutsgefährdung in Deutschland und in Bayern, und eine vertiefende Darstellung der Entwicklungen von Altersarmut.
Im dritten Teil sind u. a. Ausführungen zu erkennbaren neueren Formen und Erscheinungen von Armut vorgesehen. Zudem sollen Antworten auf die Frage gegeben werden:
Was sagen denn andere Akteure aus dem soziapolitischen Bereich wie z.B. die Paritäter, Diakonie, Gewerkschaften, VdK, DKSB, zum Thema Armut in Bayern.
In einem abschließenden vierten Teil soll es um mögliche Schlussfolgerungen im Umgang mit der Frage von Armut/Armutsgefährdung. „Weiterführenden Hinweise auf nationaler wie bayernweiter Ebene“ sind in einem Anhang vorgesehen.
Angaben zum Autor
Helmut Türk-Berkhan, Sozialarbeiter, Beratung, Begleitung und Förderung von Menschen in materiellen Notlagen Selbsthilfegruppen Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe, Armut; Ämterlotsen, Rechtsambulanz, Dolmetschernetzwerk, Tafeln, Selbsthilfeleitfäden. Seit 1973 Gewerkschafter, nebenberuflich über 25 Jahre Dozent an der Kath. Hochschule München und versch. Bildungseinrichtungen in Oberbayern
„Zeitenwende“ zur Kriegswirtschaft
"Der Dax wird militärischer“ titelte die SZ ihren Wirtschafts-Teil am 6. März, 2023. Anlaß war der Beschluss der Deutschen Börse, den Rüstungskonzern Rheinmetall am 20. März d. J. in die Premium-Liga Dax-40 aufzunehmen. Der Leitindex weist die 40 „wertvollsten“ börsennotierten Konzerne in Deutschland aus. Nach mehreren Anläufen ist dem Kanonen-, Panzer- und Munitionskonzern im ersten Ukrainekriegsjahr – der Aufstieg in den Elite-Klub gelungen. Weichen musste dafür der Medizinkonzern Frisenius Medical Care (FMC), Hersteller von Dialyse-Geräten.
Er rutscht in den M-Dax (Mid-Cap-Dax), der 50 „Nebenwerte“ ab. Waffen gegen Gesundheit!
Fotomontage Heartfield: „Wollt Ihr wieder fallen, damit die Aktiensteigen“?
Ausschlaggebend war der stark gestiegene Aktienkurs von Rheinmetall seit Beginn des Krieges in der Ukraine. Während die Aktie des Düsseldorfer Waffenkonzerns vor dem Krieg mit einem Kurs zwischen 70 und 90 dahindümpelte, schoss dieser mit den ersten Kanonensalven in die Höhe. Gemäß der alten Börsenweisheit: ´Kaufen, wenn die Kanonen donnern`. Am 8. März, 2023 lag der Kurs mit 257 Zählern um 180 Prozent höher als zu Kriegsbeginn. Der größte deutsche Rüstungskonzern hatte binnen eines Jahres seinen Börsenwert von gut drei Milliarden Euro auf 11 Milliarden Euro gesteigert – zur Freude seiner Großaktionäre, fast ausschließlich US-amerikanische Vermögens-Fonds (siehe https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5016-das-siebte-fette-jahr-der-welt-ruestungsindustrie). Reiche Rentner und Rentiers vorrangig in den USA profitieren also, wenn tief in der Ukraine die Menschen „aufeinander schlagen“. Und auch Konzernboß Papperger kassiert einen satten Zusatzverdienst: Mit seinen 157.000 Aktien, die er 2017 erworben hatte, machte er 2022 über 20 Millionen € Börsengewinn.
Die hohen Aktienkurse widerspiegeln die Gewinnerwartungen der Aktionäre. Und sie werden nicht enttäuscht. Seit Kriegsbeginn befindet sich Rheinmetall Rüstung in einem wahren Höhenrausch von Waffen-Aufträgen, Umsatz und Gewinn. Vier Tage vor der Aufnahme in den Dax-40 verkündete Konzernchef Papperger auf der Bilanz-Pressekonferenz (16.3.) einen „Rekordgewinn“ und eine Mords-Rendite:
Rheinmetall-Rüstungs-Rekorde
Die von Konzern-Chef Armin Pappberger auf der Bilanz-Pressekonferenz erläuterten Rekordzahlen für das Geschäftsjahr 2022:.
- Umsatz: 6,4 Mrd. Euro: + 13%;
- EBIT (Operatives Ergebnis vor Zinsen und Steuern: 754 Mio. Euro: + 27%;
- Netto-Gewinn: 469 Mio. Euro: + 61%;
- Dividende: 4,30 Euro je Aktie: + 30%;
- Auftragsbestand: 26,6 Mrd. Euro; = vierfache Jahresproduktion;
Rheinmetall rechnet bis Ende 2023 mit einem Auftragsbestand von über 30 Milliarden Euro. Denn: „Rheinmetall übernimmt Verantwortung in einer sich verändernden Welt“ (Papperger).
Rheinmetall ist nicht der einzige Kriegsgewinnler, der an der deutschen Börse notiert ist. Auch der bisher im S-Dax (Small Caps = small capitals) rangierende Rüstungselektronik-Produzent Hensoldt rückt in eine höhere Liga auf - in den M-Dax (Mid-Cap-Dax). Auch bei Hensoldt war der Aktienkurs explodiert und hatte sich binnen eines Kriegsjahres verdreifacht. Größte Anteilseigner sind hier der Bund (25,1%), der italienische Rüstungskonzern Leonardo mit ebenfalls 25,1 % (Platz 12 in der Weltrangliste der Waffenschmieden; hierbei ist der italienische Staat Großaktionär mit 30,2% Anteil). Weitere knapp 20 Prozent sind in der Hand von Finanzinvestoren. Auch dieser Wechsel entbehrt nicht einer gewissen Symbolik: Für die Aufwertung von Hensoldt musste der Bio-kraftstoff-Hersteller Verbio Platz machen und in den S-Dax absteigen.
Rüstungsmanager und Regierung: „Kapazitäten hochfahren“!„Handschlagqualitäten“ verspricht sich Rheinmetall-Chef Armin Papperger vom neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius. Bei der Waffenbeschaffung für die Bundeswehr soll es also künftig zugehen wie am Viehmarkt: Rasche Auswahl, „schnelle Beschaffungswege“ und „schnelle Genehmigungsverfahren“ - Einigung per Handschlag! Der neue Kriegsminister signalisierte gleich bei Amtsantritt, er habe „keine Berührungsängste“ mit den Rüstungsindustriellen, es müsse alles nur schnell gehen: Munition und neue Panzer. Schnell die „Kapazitäten hochfahren“ ist seitdem der Schlüsselbegriff von Rüstungsmanagern und Regierung. Von einem Spitzengespräch mit dem Kanzler nimmt Hensoldt-Boss Thomas Müller den Auftrag mit: „Wir sollen die Kapazitäten hochfahren und so schnell wie möglich liefern“.
Bei Rheinmetall werden die Rüstungsgeschäfte mordsmäßig aufgestockt. Der Umsatz soll sich bis 2025 auf 12 Milliarden € verdoppeln. Der Schwerpunkt liegt auf Panzer aller Raubkatzen-Arten (Leopard, Marder, Puma, Lynx, Panther) und Munition. Der Konzern lässt es krachen: Er hat jetzt für 1,2 Mrd. Euro den spanischen Munitionsproduzenten Expal übernommen, in Ungarn wird ein neues Munitionswerk gebaut, ein weiteres in Sachsen, und die Pulverfabriken in Unterlüß werden kapazitätserweitert. Bestärkt wurde der Konzern in seinen Vorhaben durch den „Munitionsgipfel“ im November im Kanzleramt. Wenn es noch einer Illustration des Militär-Industrie-Komplexes bedurfte, dann dieser: Die Spitzen von Politik, Militär und Rüstungsindustrie treffen sich im exklusivsten politischen Amtsgebäude, um zu beraten, wie man mehr Pulver, Patronen und Granaten beschaffen könne. Geht´s eigentlich noch!? Einkauf von Mords-Krachern als Top-Regierungsakt! Mit jeder abgeschossenen Artilleriegranate fliegen drei Kindergartenplätze durch die Luft. Mit jedem Schuss eines Pumas explodieren zwei Bürgergeld-Regelsätze. Für 20 Milliarden Euro will die Bundesregierung schnellstens Munition beschaffen, kaum weniger als im Bundesetat 2023 für das Ressort Bildung und Forschung vorgesehen sind (20,5 Milliarden Euro).
Auch im Panzergeschäft will die Düsseldorfer Rheinmetall nicht nur ihre „Kapazitäten hochfahren“ - z.B. durch 3-Schicht-Betrieb – sondern zusätzliche Produktionsmöglichkeiten schaffen. Denn nach Ansicht von Rüstungsboß Papperger „liegen vor uns Jahre des starken Wachstums“. Er gehe davon aus, dass der Krieg in der Ukraine „wahrscheinlich noch Jahre“ dauern werde. Im Einklang mit der Düsseldorfer Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmermann komme es seiner Ansicht nach auf Angriffswaffen, wie Kampfpanzer an, wenn die Ukraine ihr Territorium zurückerobern wolle. 600 - 800 Panzer pro Jahr müssten es für den Endsieg schon sein. Papperger preist dafür die neueste Tötungsmaschine seines Hauses an: die Eigen-Entwicklung „Panther“ - angeblich die modernste Panzer-Wunderwaffe der Welt. Mit der 130-Millimeter-Kanone (Leopard-2: 120mm) weist sie in der Tat das größte Zerstörungspotenzial auf. Papperger will einen Teil der Super-Panzer unmittelbar dort produzieren lassen, wo sie gleich in die Schlacht geschickt werden, in der Ukraine. Auch spätere Exporte ließen sich von dort mit weniger restriktiven Ausfuhrbestimmungen bewerkstelligen. Für 200 Millionen € will Papperger in der Ukraine ein Werk mit einer Kapazität von 400 Panther-Panzern pro Jahr hochziehen. Sie könnten somit gewissermaßen gleich vom Werk nach der Endabnahme über die Straße ins Schlachtfeld rollen. „Marktnahe Produktion“ nennen Manager das.
Auch in die Luftrüstung steigt Rheinmetall ein. Der weltgrößte Rüstungskonzern Lockheed Martin will Rheinmetall an der Produktion der F-35-Tarnkappen-Atombomber, die Deutschland zur Fortführung der atomaren Teilhabe bestellte, beteiligen. Für alle F-35, die außerhalb der USA bestellt werden, soll Rheinmetall das Rumpf-Mittelteil produzieren. Auch dafür wird in Deutschland ein neues Rheinmetall-Werk hochgezogen. Armin Papperger: „Die langjährige Partnerschaft zwischen Lockheed Martin und Rheinmetall sowie die seit Jahrzehnten bestehenden sehr engen Verbindungen zwischen der Bundeswehr und unserem Unternehmen führen zu einem echten Know-how-Transfer an den Standort Deutschlands“. Der deutsche MIK internationalisiert sich.
Kein Zweifel, es entstehen in nächster Zeit Rüstungskapazitäten in neuen Dimensionen. Rheinmetall sei hier nur als Beispiel angeführt. Und in Verbindung damit kommt es zu einer neuen Konzentrationswelle im Rüstungsgeschäft. Sie wird von den Rüstungsmanagern von der Politik offen eingefordert. Hensoldt-Boss Thomas Müller im SZ-Interview (28.2.23): „Wir haben viel zu viele Rüstungsunternehmen, auch viele kleine. Wir brauchen mehr Fusionen in Europa!“. Ein Hebel dazu wird die staatliche Auftragsvergabe sein; auch die EU-Kommission müsse strukturbereinigend und rüstungs-koordinierend auf europäischer Ebene tätig sein, so Müller. Er fordert dafür ein eigenes EU-Verteidigungsbudget in der Größenordnung von etwa „500 Milliarden Euro für die nächsten drei bis fünf Jahre“.
Es dürften sich dadurch in absehbarer Zeit auch auf EU-Ebene Rüstungs-Großkonzerne herausbilden, die im globalen Ranking der Waffenschmieden unter den Top-20 landen.
Mit deutscher Beteiligung ist unter den Top 20 bislang nur die transeuropäische Airbus Defence & Space vertreten (Platz 15; die britische BAE- Systems ist auf Platz 6. Der größte deutsche Rüstungskonzern, Rheinmetall mit 30.000 Beschäftigten., rangiert auf Platz 31 der globalen Top 100 Rüstungskonzerne:Thyssen-Krupp (Platz 55), Hensoldt (69) und Diehl 99. Transeuropäische Gemeinschaftsunternehmen mit deutscher Beteiligung sind neben Airbus (deutscher und französischer Staat je 10,9%, spanischer Staat 4,1%, 11% US-Fonds/Vermögensverwalter) der Lenkwaffenkonzern MBDA (Platz 27), Airbus, BAE-Systems, Leonardo, KNDS (Krauss-Maffei-Wegmann und Nexter (Fr). Ansonsten ist die deutsche Rüstungsindustrie mittelständisch und in Familienbetrieben organisiert, enthält also großes Fusions- und Übernahmepotenzial.
„Zeitenwende in den Köpfen“
Mit den hochfahrenden Kapazitäten und den zu erwartenden Konzentrationsprozessen wird in der EU und respektive in Deutschland die Rüstungsindustrie als materielle Basis des Militär-Industrie-Komplexes (MIK) enorm ausgeweitet und gestärkt. Der Einfluss des MIK auf Politik und Gesellschaft, die Militarisierung aller Bereiche nimmt dadurch neue Dimensionen an.
Alle Fabrikanten des Todes und auch der Kriegsminister sind sich einig; Die 100 Milliarden „Sondervermögen“ für die Bundeswehr „reichen nicht“, auch der 2%-Anteil der Rüstungsausgaben am BIP nicht. Sie sind gerade mal der Einstieg in eine neue Rüstungsära. „Wir brauchen Aufträge und die notwendigen Mittel“, meint Hensoldt-Boss Müller. „Und das sind mittelfristig gesehen eher 300 als 100 Milliarden Euro“.
Aber nicht nur die neuen Dimensionen der Waffengeschäfte und die platzenden Rüstungsetats markieren den „Einstieg in die Kriegswirtschaft“. Auch die restliche Zivilwirtschaft kann unter die Dominanz und das Diktat der „Rüstungsindustrie“ geraten, weil diese bei Zulieferern, Lieferketten, wichtigen Komponenten (z.B. High-End-Chips) und strategischen Rohstoffen Vorrang hat; und auch Vorfahrt bei Fachkräften erwirkt. „Strategische Priorisierung“ nennt das der High-Tech-Waffenkonzern Hensoldt, wenn z.B. bestimmte Teile durch die Regierung als sicherheitsrelevant eingestuft werden. Nach Thomas Müller bedeutet dies, „dass die Rüstungsindustrie bei bestimmten Teilen priorisiert, also vor den anderen beliefert wird – und dass durch Anzahlungen die Lieferkette abgesichert wird. Die Überlegungen dazu sind recht weit fortgeschritten“.
Politiker wie der EU-Binnenmarktkommissar Breton sprechen sich offen für die ökonomische Mobilmachung aus: Es gehe darum „eine Kriegswirtschaft aufzubauen“ (HB, 9.3.23). Der CSU-Vize und Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europa-Parlament, Manfred Weber, fordert „eine Art Kriegswirtschaft, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können (SZ, 25.2.23). Ex-Siko-Chef Wolfgang Ischinger sagte schon im November 2022, dass Deutschland eine Kriegswirtschaft brauche. Man dürfe „nicht kleckern, sondern klotzen, was das Hochfahren von Munitionsherstellung und Rüstungsproduktion betrifft. Es ist Krieg in Europa, und die Zeitenwende hat erst gerade begonnen“ (zit. nach HB,9.3.23).
Diese Priorisierung und Bevorzugung des Militärischen in Wirtschaft und Gesellschaft, wird ohne Gehirnwäsche der Bevölkerung, ohne politisches und mediales Trommelfeuer für Rüstungs- und Kriegsbereitschaft nicht zu erreichen sein. Ex-Bundeswehroffizier und jetziger Chef der Airbus-Rüstungssparte (Airbus-Defence and Space), Michael Schöllhorn, hat das klar erkannt: „Die eigentliche Zeitenwende ist die, die in den Köpfen der deutschen Bevölkerung stattfinden muss. Und ich hoffe, dass das passiert“, so der Rüstungsindustrielle. Und: „Ich glaube, die Politik hat erkannt, dass wir hier nachhaltig umsteuern müssen. Ob ein verstärkter Fokus auf Verteidigung von der Bevölkerung getragen wird und ob das ... auch dauerhaft so bleibt, müssen wir sehen“ (SZ, 18.2.23). Insgesamt bedürfe es eines „Kulturwandels in Industrie und Gesellschaft“.
Medienkritik als Gesellschaftskritik - Eine Einleitung (1. Teil)
Aktuell lassen Kritiker:innen aus dem gesamten politischen Spektrum an den Massenmedien kaum ein gutes Haar. Insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht zuletzt aufgrund diverser Korruptionsskandale in Misskredit geraten. Dabei ist Medienkritik so alt wie die Medien selbst. Schon Sokrates und Platon diskutierten vor etwa 2.500 Jahren über den Einfluss der Schrift auf unser Gedächtnis. Seitdem ist einiges passiert, zuletzt haben Internet und Digitalisierung die Nachrichtenverbreitung und die Medienlandschaft radikal verändert.
Theoretisch können heute Menschen auf der ganzen Welt rund um die Uhr Nachrichten empfangen. Medien sammeln und sortieren Informationen, ordnen sie ein und verbreiten sie. Mit ihren Erzählungen prägen sie unser Weltbild. Das macht sie zu mächtigen Akteur:innen, über deren Funktionsweise und Arbeit zu Recht gestritten wird. Nicht selten jedoch verdichtet sich die Kritik an den etablierten Medien zu einfachen Narrativen und Kampfbegriffen wie «Staatsfunk» oder «Lügenpresse». So wird zum Beispiel behauptet, ARD und ZDF würden systematisch Tatsachen verdrehen oder bewusst nicht über bestimmte Themen berichten. Dies kann so weit gehen, dass solch eine Fundamentalopposition hetzerische Züge annimmt und zugleich Sinn und sozialen Zusammenhalt stiftet, etwa wenn sich Gruppen gegen die angeblich (mediale) «Corona-Diktatur» formieren. Die Medien werden pauschal zum Sündenbock für gesellschaftliche Probleme erklärt, die tiefer liegen und umfassender sind.
In dieser Publikation werden einige der aktuell zentralen Kontroversen etwa um die Glaubwürdigkeit der Medienberichterstattung oder eine einseitige politische Instrumentalisierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten analysiert. Dabei werden gängige Positionen und Argumente auf ihre Aussagekraft und Gültigkeit hin überprüft. Es ist uns wichtig, bereits zu Beginn der Ausführungen drei Punkte hervorzuheben: Erstens, in fast jedem Vorwurf an die Massenmedien steckt auch ein Funken Wahrheit. Es geht also nicht so sehr darum, ob diese Vorwürfe gänzlich «wahr» oder «falsch» sind. Das Ziel sollte im aufklärerischen Sinne vielmehr sein, die in ihnen enthaltenen Kritikpunkte herauszuarbeiten und von offensichtlichen Falschaussagen und Verleumdungen zu trennen bzw. die Letzteren auf der Grundlage von Fakten als solche kenntlich zu machen. Es gibt etliche Beschwerden und Zweifel an der Funktionsweise der etablierten Medien, die einen berechtigten Unmut zum Ausdruck bringen oder auf bestehende Widersprüche verweisen.
Zweitens gibt es nicht die eine Medienkritik. Medienkritik wie Gesellschaftskritik allgemein kommt in vielen Formen daher. Entscheidend für eine fundierte Medienkritik sind die Grundannahmen, aus denen wir sie herleiten, und ihre (theoretischen) Perspektiven. So müssen wir uns fragen und klären: Betrachten wir Medienstrukturen oder die Menschen, die in diesen arbeiten, wenn wir die Medienberichterstattung kritisieren? Folgen wir dem Ideal der «journalistischen Objektivität» oder hinterfragen wir dieses Ideal und berücksichtigen die ökonomischen und institutionellen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, schauen danach, was sozial und institutionell machbar ist?
Drittens ist wichtig zu fragen, was wir mit Medienkritik eigentlich bezwecken. Also, für welche Ziele und Ideale stehen wir ein, wenn wir uns mit den Problemen der Medienwelt auseinandersetzen? Üben wir Kritik um der Kritik willen oder wollen wir einen produktiven Beitrag zur Transformation der Medienlandschaft leisten, damit diese sowohl ihrer grundlegenden Aufgabe in der Demokratie sowie den Krisen unserer Zeit (Klima, Armut usw.) gerecht wird? Eine fundierte Medienkritik ist aus unserer Sicht wie ein Puzzle: Sie setzt sich aus einer Reihe verschiedener Ansätze zusammen. Sie deckt Komplexität auf und bietet trotzdem klare Aussagen zum gesellschaftlichen oder institutionellen Versagen von Medienstrukturen, -institutionen oder -macher:innen.
Dogmatische Medienkritik hingegen beharrt meist auf einem exklusiven Gültigkeitsanspruch. Sie findet einfache Antworten auf schwierige Fragen und thematisiert oft weder Grundannahmen noch die eigenen theoretischen Perspektiven (wenn es diese überhaupt gibt). Häufig wird diese Art der Schwarz-Weiß-Medienkritik von einem Phänomen getrieben, das in der Forschung als Hostile-Media-Effekt bezeichnet wird. Gemeint ist damit der Konsum von Medien entsprechend bereits bestehender Überzeugungen. Das heißt: Finden Leser:innen bzw. Zuhörer:innen und Zuschauer:innen ihre Überzeugungen in den (Mainstream-)Medien nicht wieder, kann das zu einer Abwertung bis hin zu einer pauschal feindseligen Haltung ihnen gegenüber und den für sie arbeitenden Menschen führen. Im Extremfall kann diese Abwehrhaltung laut Armin Scholl, Kommunikationswissenschaftler aus Münster, als «paranoid oder verschwörungstheoretisch bezeichnet werden».[1] Die damit einhergehende Medienkritik ist dann eher Belehrung als Analyse und «sprachlicher Krieg» statt differenzierter Auseinandersetzung.
Aber auch inhaltlich differenzierte Medienkritik kann manchmal sprachlich über die Stränge schlagen. Denn hinter jeder Kritik steckt eine Emotion – ohne sie gäbe es ja keinen Anlass, überhaupt Kritik zu äußern. Deshalb sei es, so Scholl, nachvollziehbar, dass Kritik auch «mal harsch, polemisch, fundamental ausfällt».[2] Wichtig sei es deshalb, auf die Qualität der Kritik zu achten. Diese Qualität zeigt sich anhand der oben genannten Unterscheidungen. Sie zeigt sich auch anhand der Ziele, die diese Kritik verfolgt: beispielsweise mehr mediale Vielfalt, Beteiligung und Repräsentanz der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Eine wissenschaftlich fundierte Medienkritik überprüft zudem «die Richtigkeit einer aufgestellten Theorie mit empirischen Daten, mit konkurrierenden Theorien oder mit argumentativen Einwänden».[3] Sie ist also substanziell, argumentativ fundiert und lässt sich auf konkrete, faktenbezogene Begründungen ein.
Allerdings fordern auch Medienkritiker:innen, die eher in Schwarz-Weiß-Kategorien argumentieren, regelmäßig mediale Vielfalt ein. Laut Scholl sind solche Forderungen aber meist rein instrumentell. Ihre Vertreter:innen wollen lediglich mehr Raum für die von ihnen als wichtig erachteten Themen und Positionen (beispielsweise Corona- und Impfskeptizismus). Zusätzlich werden sie häufig in einer Sprache vorgetragen, die andere Perspektiven und Interessen abwertet. Behauptet wird, die Medien ignorierten die Forderungen von Medienkritiker:innen, die diese seit Jahren erheben würden. Den Medien werden Uneinsichtigkeit, Borniertheit, Arroganz und Selbstgefälligkeit unterstellt. Außerdem wird so getan, als gebe es klare Linien zwischen einem «Wir» (den Kritiker:innen, die angeblich die Interessen der «einfachen Menschen» vertreten) und einem «ihr/sie» (den elitären Medien). Unklar aber bleibt, über wen oder was eigentlich überhaupt gesprochen wird. Wer oder was ist mit den Medien gemeint? Sind es regionale oder überregionale Zeitungen, kleine oder große Verleger:innen, Institutionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder einzelne Journalist:innen, die in ihnen arbeiten? Zudem können die Medien weder selbstgefällig noch arrogant sein, noch sonst eine Charaktereigenschaft haben. Denn das würde voraussetzen, dass sie in sich schlüssige, handelnde Subjekte sind. Die Medienlandschaft aber ist von unterschiedlichen Akteur:innen geprägt. Deren Interessen überschneiden sich (beispielsweise in ihrem Bestreben, ihre Macht zu behalten oder auszubauen), sie stehen einander aber auch entgegen (beispielsweise befinden sich Medienkonzerne in wirtschaftlicher Konkurrenz zueinander). Daraus folgt: Die Medien als ein einheitlich handelndes Subjekt gibt es nicht.
Dieses Beispiel zeigt, dass schon eine Analyse sprachlicher Mittel helfen kann, verallgemeinernde und einseitige Medienkritik kritisch auf ihren Realitätsgehalt hin zu überprüfen. Im Folgenden werden wir eine Reihe von gängigen Annahmen bezüglich der deutschen Medienlandschaft mithilfe verschiedener theoretischer Ansätze und Perspektiven analysieren und hinterfragen. Ziel ist ein besseres Verständnis dafür, wie Medien funktionieren, was wiederum eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, um der politischen Instrumentalisierung von Medienkritik und damit ihrer Delegitimierung vorzubeugen.
Erster Auszug aus: Heiko Hilker, Jörg Langer und Mandy Tröger (2023). Einleitung, in: Zwischen Anspruch und Auftrag. Die öffentlich-rechtlichen Medien in der Kritik, Luxemburg Beiträge, Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung.
[1] Scholl, Armin: Zwischen Kritik und Paranoia: Wo hört Medienkritik auf und wo fangen Verschwörungstheorien an?, Bundeszentrale für politische Bildung, 19.12.2016, unter: www. bpb.de/dialog/netzdebatte/235319/zwischen-kritik-und-paranoia-wo-hoert-medienkritik-auf-und-wo-fangen-verschwoerungstheorien-an.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
Chinas „Boost“ für die Wirtschaft – Vitalität, Zuversicht und Innovation
Vom 5. März bis zum 11. März 2023 tagten in der chinesischen Hauptstadt Beijing die als Two Sessions bekannten politischen Gremien, der Nationale Volkskongress NPC und das beratende Gremium CPPCC. Die jährlich stattfindenden Versammlungen sind seit Gründung der Volksrepublik China die gesetzgebenden und beratenden Gremien für die politische und ökonomische Ausrichtung der VR China. Der Nationale Volkskongress NPC, das Parlament der Volksrepublik China verkörpert formal die Staatsmacht.
Die Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes CPPCC dient als beratendes Gremium im Staatsapparat der Volksrepublik China der Meinungsbildung für Entscheidungen des Nationalen Volkskongresses. 150 Abgeordnete des NPC bilden den ständigen Ausschuss mit einem Vorschlagsrecht für Regierungsämter.
Fast 3.000 Abgeordnete des National People's Congress (NPC) und 2.172 Mitglieder des National Committee of the Chinese People's Political Consultative Conference (CPPCC) kamen in Beijing zusammen, um über verschiedene Gesetzesvorhaben zu beraten und die vorgelegten Arbeitsberichte zu prüfen und zu bestätigen. Die "zwei Sitzungen" sind eine Plattform, auf der verschiedene Regionen und Gruppen ihre Meinungen äußern und einen Konsens finden. Der Ursprung vieler wichtiger Gesetze, Verordnungen und politischer Maßnahmen, die verschiedene Sektoren und Gruppen betreffen - etwa in den Bereichen Umweltschutz, Armutsbekämpfung, Bildung, Gesundheitswesen, städtische und ländliche Fragen -, liegt in den Anträgen und Vorschlägen, die von Gesetzgebern und politischen Beratern in den "zwei Sitzungen" eingereicht wurden. Seit den Two Sessions des vergangenen Jahres reichten die Abgeordneten des NPC 487 Gesetzesanträge sowie rund 8.000 Ratschläge, Kritik und Kommentare ein, während beim CPPCC 5.979 Vorschläge eingingen.
Die Mitglieder des CPPCC sind in 34 Teilnehmergruppen unterteilt, darunter Vertreter der Kommunistischen Partei Chinas (CPC), der politischen Parteien, die nicht der CPC angehören, der Volksorganisationen, der ethnischen Minderheiten und verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, Landsleute aus Hongkong, Macao und Taiwan sowie zurückgekehrte Übersee-Chinesen.
Nach Angaben des Generalbüros des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses hatten bis Juni letzten Jahres über 1 Milliarde Wähler bei der Wahl von über 2,6 Millionen Abgeordneten für die Volkskongresse auf Gemeinde- und Kreisebene ihre Stimme – eine Stimme pro Person – abgegeben.
Auch die Nominierung des frisch gewählten chinesischen Präsidenten, Xi Jinping, als Abgeordneter für den 14. NPC, wurde auf einem Provinzkongress zur Abstimmung gestellt. Das entspricht dem Grundverständnis der chinesischen Volksdemokratie.
Da der Umweltschutz ein zunehmend wichtiger Schwerpunkt der praktischen Umsetzung von politischen Entscheidungen im ganzen Land ist, hat der CPPCC einen neuen Sektor für Umwelt und natürliche Ressourcen geschaffen, der 85 TeilnehmerInnen der 2,172 Mitglieder des neuen CPPCC-Nationalkomitees für die kommenden Zwei Sitzungen umfasst.[1]
Wirtschaftsziele für das Jahr 2023
China hat sein BIP-Wachstumsziel für 2023 auf rund 5 % festgelegt.
Nach den Ausführungen des vorgelegten Arbeitsberichts der Regierung bereitet sich das Land darauf vor, seine sich verlangsamte Wirtschaft nach drei Jahren "Null-Covid" wieder auf Kurs zu bringen.
Die Entwicklung des Wachstums Chinas von 2013 bis 2022 und Zielvorgabe für 2023, in %[2]
Nach den Worten des bisher verantwortlichen Ministerpräsidenten Li Keqiang steht das Ziel im Einklang mit den Marktschätzungen für ein BIP-Wachstum von 4,8 % bis 5,6 % für das Gesamtjahr und zeige, dass die Staatsführung auf eine stetige Expansion setze. Das gesteckte Ziel läge zwar unter dem des Vorjahres, aber es sei höher als die Wachstumsrate des Landes von 3 % für das vergangene Jahr, die zweitniedrigste in mehr als vier Jahrzehnten.
Mit den angestrebten 5 % Wachstum würde die Volksrepublik wieder zu den am stärksten wachsenden Ökonomien weltweit gehören.
Wirtschaftsexperten zufolge spiegelt das BIP-Wachstumsziel nicht nur Chinas Zuversicht in die wirtschaftliche Erholung in der Post-COVID-Phase wider, sondern auch die Ausrichtung auf eine langfristige, qualitativ hochwertige und nachhaltige Entwicklung.
"Chinas BIP wird hoffentlich bis 2023 tatsächlich um mehr als 6 Prozent (so die Prognose vor der Tagung Two Sessions) steigen, wenn der Russland-Ukraine-Konflikt und der internationale Unilateralismus nicht in großem Stil eskalieren... Aber die Beamten haben das BIP-Wachstumsziel etwas niedriger angesetzt, um zu zeigen, dass sie Wert auf eine qualitativ hochwertige Entwicklung legen und ein nachhaltiges Wachstumsmuster anstreben", sagte Cao Heping, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Peking.
Cao zufolge zeigt das BIP-Wachstumsziel auch, dass die Behörden potenziell unerwartete Faktoren in Betracht gezogen haben, wobei der größte Unsicherheitsfaktor Veränderungen im externen Umfeld sind, z. B. ob einige entwickelte Volkswirtschaften in eine wirtschaftliche Rezession geraten werden, was wiederum die Nachfrage nach chinesischen Exporten senken wird.[3]
Neben den vorgegebenen Wachstumszielen von 5 % beinhaltete der Arbeitsbericht weitere Ziele für 2023:
- Schaffung von rund 12 Millionen städtischen Arbeitsplätzen, wobei eine städtische
Arbeitslosenquote von rund 5,5 % angestrebt wird
- Angestrebte Inflationsrate, d.h. der Anstieg des Verbraucherpreisindex, von etwa 3 %,
- Gezielte Umsetzung einer umsichtigen Geldpolitik und Beibehaltung eines allgemein
stabilen, anpassungsfähigen und ausgewogenen Wechselkurses des Yuan,
- Verstärkung der Intensität und Wirksamkeit der proaktiven Finanzpolitik,
- Ausbau der Stärke und Eigenständigkeit des Landes in Wissenschaft und Technologie,
- das Wachstum des persönlichen Einkommens im Gleichschritt mit dem
Wirtschaftswachstum zu halten,
- Stetige Steigerung des Volumens und der Qualität der Importe und Exporte,
- Beibehaltung einer Getreideproduktion von über 650 Millionen Tonnen,
- Weitere Verringerung des Energieverbrauchs pro BIP-Einheit und des Ausstoßes der
wichtigsten Schadstoffe,
- Chinas Covid-19-Reaktion wird besser durchdacht, gezielter und effektiver sein.
Obwohl die bisherige Wachstumsrate Chinas Wachstumsrate allein in den letzten 20 Jahren deutlich höher als die der G7-Staaten ausfielen und größer als die der großen "Schwellenländer", der so genannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und Südafrika) waren, geht die chinesische Regierung davon aus, sich auf schwierigere Zeiten einzustellen zu müssen; das Wachstum müsse unter ungünstigen globalen Rahmenbedingungen erkämpft werden.
Kein Rückfall in die absolute Armut
Chinas erhobene städtische Arbeitslosenquote fiel bis Ende 2022 auf 5,5 %.
Der Verbraucherpreisindex, die Angabe zur durchschnittlichen Preisentwicklung per Monat, (VPI) stieg um 2 %. [4]
China ist es trotz des pandemiebedingten rückläufigen Wachstumsziels als einziges größeres Land gelungen, eine reduzierte, aber eine positive Wirtschaftsleistung während der Coronapandemie aufrecht zu erhalten.
Eine Rückkehr der beseitigten absoluten Armut ist dem Land erspart geblieben.
Weltweit waren laut einer Untersuchung der Weltbank aufgrund der Folgen der Pandemie allein im Jahr 2020 gut 70 Millionen Menschen in absolute Armut gestürzt – der stärkste Anstieg seit Beginn der Weltbank-Messungen.[5]
Ankurbelung des Konsums
Dem vorgelegten Arbeitsbericht zufolge soll die neu bestimmte Regierung der Erholung und Ausweitung des Konsums Priorität einräumen. Über verschiedene Maßnahmen sollen die Einkommen der Stadt- und Landbewohner angekurbelt werden. Dabei sollten die Ausgaben für große Anschaffungen konsolidiert und eine Erholung des Konsums von Dienstleistungen bewerkstelligt werden.
In einem kürzlich erschienenen Bericht sagten Analysten der UBS Investment Bank, darunter der leitende China-Ökonom Wang Tao, voraus, dass die Regierung in diesem Jahr weitere Maßnahmen zur Ankurbelung des Konsums ergreifen wird, obwohl es keine größeren landesweiten Konsumanreize oder Einkommenssubventionen gibt.
Der chinesische Dienstleistungssektor ist zu Beginn des Jahres auffällig stark expandiert wie seit sieben Monaten nicht mehr, da sich Angebot, Nachfrage und Beschäftigung verbesserten und die erste Infektionswelle seit der Abschaffung der Nullzinspolitik abebbte.[6]
Kritisch wird demgegenüber aus ökonomischer Sicht darauf hingewiesen, dass es in einer modernen Wirtschaft darauf ankomme, den Schwerpunkt auf produktive Investitionen zu setzen, die das Wachstum einer Volkswirtschaft vorantreiben und nicht vordergründig nur der Konsum. Michael Roberts zitiert dabei die linke keynesianische Ökonomin Joan Robinson, die eine einseitige Ausrichtung auf Konsum als "bastardisierten Keynesianismus" bezeichnete, weil Maynard Keynes selbst die Rolle der "Gesamtnachfrage" betonte, die auch Investitionen und nicht nur den Konsum umfasste. Es seien die produktiven Investitionen, die das Wachstum einer Volkswirtschaft antreiben, und aus diesen Investitionen fließe der Konsum - nicht umgekehrt.[7]
Wenn China seine Wirtschaft allzu sehr auf den Verbraucher ausrichten und die Investitionen reduzieren würde, sowie den öffentlichen Sektor verkleinern und den privaten Sektor (den Sektor, der die meisten Konsumgüter in China herstellt) zu stark pushen würde, wäre eine rückläufige Wachstumsrate Chinas wieder wahrscheinlich.
Hier bleibt abzuwarten, inwieweit sich das Verhältnis der Vorgaben zur Steigerung des Binnenkonsumsund der produktiven Investitionen entwickelt.
Weltwirtschaftlicher Wachstumsmotor
Unter Berufung auf die Wachstumsziele betonen Ökonomen, dass China in diesem Jahr zu einer wichtigen Triebkraft für das globale Wirtschaftswachstum werden wird, während die Weltwirtschaft durch die Risiken in anderen größeren Volkswirtschaften beeinträchtigt wird.
Für die USA wird ein Wirtschaftswachstum von nur 0,5 Prozent prognostiziert, für Deutschland von 0,2 Prozent, während die britische Wirtschaft um 0,6 Prozent schrumpft
China ist mit einem Wachstum von 5 Prozent der wohl stärkste Wachstumsmotor, sofern sich die globalen Rahmenbedingungen nicht stärker verschlechtern als allgemein prognostiziert. Nach Auffassung internationaler Analysten ist von China ein Beitrag zum globalen Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von etwa 30 Prozent zu erwarten.
Das Institut Moody prognostizierte, dass sich das Wirtschaftswachstum der Gruppe der 20 (G20) von 2,7 Prozent im Jahr 2022 auf 2 Prozent im Jahr 2023 abschwächen wird, wie aus einem Bericht hervorgeht, der der Global Times vorliegt.[8]
Reformen – Investitionen - Innovationen
Aus dem Arbeitsbericht der Regierung geht hervor, dass eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet werden, um den Aufbau eines einheitlichen nationalen Marktes zu beschleunigen mit dem Ziel, ein Marktsystem mit hohen Standards zu entwickeln und an der Schaffung eines marktorientierten und gesetzesbasierten Geschäftsumfelds nach internationalen Standards zu arbeiten.
In der von der Weltbank veröffentlichten Doing-Business-Rangliste ist China von Platz 78 im Jahr 2017 auf Platz 31 im Jahr 2019 aufgestiegen und hat damit Frankreich überholt. Das Land gehört nun schon zwei Jahre in Folge zu den zehn Ländern mit dem schnellsten Reformtempo im Geschäftsumfeld.
Zu Beginn des Monats veröffentlichte die Amerikanische Handelskammer in Südchina das Weißbuch 2023 über das Geschäftsumfeld in China, aus dem hervorgeht, dass China nach wie vor das beliebteste Zielland für Unternehmensinvestitionen ist:
Mehr als 90 Prozent der befragten Unternehmen betrachten China als eines ihrer wichtigsten Investitionsziele.
Das chinesische Geschäftsumfeld spiegelt sich auch in den Entscheidungen ausländischer Unternehmen wider, die ihre Direktinvestitionen in China im vergangenen Jahr trotz der durch die Epidemie und andere unerwartete Faktoren verursachten Schwierigkeiten erhöht haben.
Es wird erwartet, dass die ausländischen Direktinvestitionen in China in diesem Jahr ein zweistelliges Wachstum erreichen werden.
Zukunftstechnologie - Made in China
Das australische Institut für strategische Politik, ASPI, hat einen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass China den Westen bereits in 37 der 44 Technologiebereiche, die heute als entscheidend für das Wirtschaftswachstum und die militärische Macht gelten, überholt hat.
Zu dieser Aufzählung gehören laut dem Institut die Bereiche Verteidigung, Raumfahrt, Robotik, Energie und neue Materialien.[9]
Da China oft mehr als fünfmal so viele hoch zitierte Forschungsarbeiten wie sein nächster Konkurrent - in der Regel die Vereinigten Staaten - produziert, ist es nicht nur in mehr Bereichen weiter als bisher angenommen, sondern hat auch die Grundlagen geschaffen, um sich als führende Wissenschafts- und Technologie-Supermacht der Welt zu positionieren, so die Aussagen von ASPI.
"Die westlichen Demokratien verlieren den globalen technologischen Wettbewerb, einschließlich des Wettlaufs um wissenschaftliche und forschungsbezogene Durchbrüche", heißt es in dem Bericht, der angeblich vom US-Außenministerium mit-finanziert wurde.
Nur in sieben der untersuchten Bereiche sind die USA in der Forschungsleistung führend: In den Bereichen fortgeschrittene Halbleiter, Quanten- und Hochleistungscomputer, Impfstoffe, Kleinsatelliten, Weltraumträgersysteme und Sprachverarbeitung führen sie die Rangliste an. Hingegen sei China bei verteidigungs- und raumfahrtbezogenen Technologien, einschließlich fortschrittlicher Flugzeugtriebwerke, Datenerfassungsmöglichkeiten und Drohnen, bereits führend.
Den Autoren zufolge ist der technologische Vorsprung Chinas das Ergebnis einer "bewussten Gestaltung und langfristigen politischen Planung", wie sie von Präsident Xi Jinping und seinen Vorgängern wiederholt dargelegt wurde.
Verstärkung des Militärs
Ein Wort zur Militarisierung. China sieht sich durch die von den westlichen Staaten laufend betriebene Hetze und vollzogene Militarisierung genötigt, seinerseits zur Sicherung ihrer eigenen Integrität ihres Territoriums ihre defensiv ausgelegte Abwehrsysteme zu modernisieren und deren Schlagkraft zu erhöhen. Beijing scheint weiterhin bemüht, einen gegen die Volksrepublik gerichteten Schulterschluss zwischen USA und EU zu verhindern. So äußerte der Sprecher des Volkskongresses, Wang Chao, am Wochenende, China sehe »keine grundlegenden strategischen Differenzen und Konflikte« mit der EU und betrachte Europa, anders als die USA, als »umfassenden strategischen Partner«. Angesichts der rasch zunehmenden militärischen Bedrohung treibt die Volksrepublik jedoch auch ihre Aufrüstung voran. So wird jener Haushaltsposten in diesem Jahr um rund 7,2 Prozent wachsen. Die Streitkräfte müssten »ihre Kampfbereitschaft stärken und ihre militärischen Fähigkeiten verbessern«, erklärte Li. Chinas Militärbudget für 2023 wird auf rund 225 Milliarden US-Dollar beziffert, knapp 1,5 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts. Damit liegt es in absoluten Zahlen immer noch weit hinter dem US-Wehretat (2023: 816 Milliarden US-Dollar).
Kaufkraftbereinigt entspricht das bereits mehr als 50 Prozent des US-Rüstungshaushalts. Die ungehindert und offen zu Tage tretende Drohkulisse der USA als Anführer des transatlantischen Militärpakts NATO haben dazu geführt, das inzwischen auch chinesische Rüstungsfirmen erstarkt sind; auf der SIPRI-Rangliste der größten Waffenschmieden weltweit stammen inzwischen sieben der Top-20-Konzerne aus China.[10]
China hält das achte Jahr in Folge seit 2016 ein einstelliges Wachstum des Verteidigungshaushalts aufrecht. Die Wachstumsrate betrug 6,6 Prozent im Jahr 2020, 6,8 Prozent im Jahr 2021 und 7,1 Prozent im Jahr 2022.
Eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets um 7,2 Prozent bedeutet also einen Anstieg um 0,1 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr.
Chinas Streitkräfte sollten laut des Arbeitsberichts der Regierung "auf die Durchführung von Militäroperationen, die Erhöhung der Kampfbereitschaft und die Verbesserung der militärischen Fähigkeiten hinarbeiten" und "die militärische Ausbildung und Bereitschaft in allen Bereichen intensivieren".
Viele Länder auf der ganzen Welt wollen im Jahr 2023 ihre Militärausgaben erhöhen, wobei die USA die Liste mit einem Budget von 817 Milliarden Dollar anführen, das mehr als dreimal so hoch ist wie das von China. Japan plant einen Verteidigungshaushalt in Höhe von 51 Milliarden Dollar, was eine rekordverdächtige Steigerung von 26,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Indien wird seinen Verteidigungshaushalt voraussichtlich um 13 Prozent erhöhen. Auch andere Länder wie das Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutschland und Australien wollen Medienberichten zufolge ihre Verteidigungsausgaben erhöhen.
China beteilige sich jedoch nicht an einem Wettrüsten mit anderen Ländern, so Beobachter.
Beobachter wiesen darauf hin, dass Chinas Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren weniger als 1,5 Prozent betragen habe, während der Weltdurchschnitt bei 2 Prozent liege, ganz zu schweigen von den USA, deren Anteil sich 4 Prozent nähere.
Psychologische Kriegsführung gegenüber China
Mit ihrem Programm der "Entkopplung" des wirtschaftlichen Geschäftsumfeldes starten die USA eine neue Runde der psychologischen Kriegsführung gegen ausländische Unternehmen in China und chinesische Privatunternehmen.
Die USA zielen darauf ab, das chinesische Geschäftsumfeld in der öffentlichen Meinung durch Desinformationen zu diskreditieren und die Marktteilnehmer zu verunsichern.
Einem Bericht der US-Medien vom 6. März zufolge bereitet die Regierung Biden ein neues Programm vor, das US-Investitionen in bestimmten Sektoren in China verbieten soll.
Für die USA gehört es zum Repertoire, in der Wahrung ihres hegemonialen Anspruchs, ein multipolares wirtschaftliches Kooperieren mit Ländern unterschiedlicher Gesellschaftssysteme durch Desinformationen und Sanktionen in ihrer Entwicklung zu behindern. Bedrohung der nationalen Sicherheit gilt als das Hauptargument für die staatlich-administrativen Vorschriften für die Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen mit chinesischen Unternehmen.
Das Beispiel Huawei und die bundesdeutsche Verirrung
Und ganz in treuer Gefolgschaftsmanier folgt die gegenwärtige Ampel-Regierung in Deutschland den transatlantischen Verschwörungen sogar im Geschäftsumfeld gegenüber China. Einem Bericht von Zeit Online zufolge plant die Ampel-Regierung, die Verwendung von Komponenten von Huawei und ZTE in Teilen der 5G-Netze des Landes zu verbieten.
Der Bericht zitiert anonyme Regierungsquellen, wonach ein geplantes Verbot auch Komponenten umfassen könnte, die bereits in die Netze eingebaut sind, und die Betreiber verpflichten würde, diese zu entfernen und zu ersetzen.
Im Vorfeld hat die US-Regierung amerikanischen Unternehmen die Verwendung von Komponenten und Technologien der beiden chinesischen Telekommunikationsunternehmen untersagt und drängt ihre Verbündeten, dasselbe zu tun.
Und die deutsche Regierung will offensichtlich im Zuge des Russland-Ukraine-Konflikts und der Besorgnis über eine herbeifantasierte Abhängigkeit von China – Fakten belegen exakt ein gegenteilige Abhängigkeit Chinas, etwa von deutschen Maschinen[11] - eine umfassende Neubewertung ihrer Beziehungen zu China vornehmen. Die Ampel-Regierung erweist sich damit auch in der psychologischen Kriegsführung gegenüber China als ein wenig pragmatisch agierender, der westlichen Werte-Gemeinschaft erliegender Akteur, auch wenn dies wahrscheinlich die Beziehungen zu seinem wichtigsten Handelspartner ruinieren dürfte.
Ein Sprecher des deutschen Innenministeriums bestätigt, dass die deutsche Regierung eine allgemeine Überprüfung von Telekommunikationszulieferern durchführe, bestritt aber, dass sich diese gegen bestimmte Unternehmen richte. [12]
China kündigt an, es werde sich, sollte der Westen an der Eskalation der Lage festhalten, zur Wehr setzen – mit allen Mitteln.[13]
Sollte die Bundesregierung dem Beispiel der USA in Bezug auf Huawei und ZTE folgen, würde dies bedeuten, dass Deutschland seine eigenen Interessen, auch in diesem konkreten Fall, den Interessen der USA opfert. Deutschland würde einen hohen Preis zahlen. Ein Bericht des dänischen Unternehmens Strand Consult weist darauf hin, dass "jetzt eingeführte Beschränkungen für Huawei die deutschen Betreiber möglicherweise Hunderte von Millionen Euro kosten würden".[14]
Es bleibt zu hoffen, dass sich die verantwortlichen Stellen auf ihren Verstand besinnen und diesen unsäglichen Versuch unterlassen, eine intakte Wirtschaftsbeziehung mit aller Vasallen-Gewalt zu ruinieren. Dem demokratischen Prozess Folge zu leisten und den Schwur, dem Volke zu dienen zu entsprechen, würde bedeuten, den geplanten Gesetzestext in den Aktenvernichter zu befördern.
Quellen:
[1] https://news.cgtn.com/news/2023-03-02/Understanding-China-s-whole-process-people-s-
democracy-at-Two-Sessions-1hQ673eDKCc/index.html
[2] https://www.caixinglobal.com/2023-03-05/china-sets-2023-gdp-growth-target-at-
around-5-102004732.html
[3] https://www.caixinglobal.com/2023-03-05/china-sets-2023-gdp-growth-target-at-around-5-
102004732.html
[4] https://news.cgtn.com/news/2023-03-05/China-sets-GDP-growth-target-at-around-5-
percent-for-2023-1hUXGjti4kU/index.html
[5] https://www.jungewelt.de/artikel/446168.volkskongress-china-boomt-wieder.html
[6] https://www.caixinglobal.com/2023-03-05/china-sets-2023-gdp-growth-target-at-
around-5-102004732.html
[7] https://thenextrecession.wordpress.com/2023/03/05/china-and-the-experts
[8] http://german.china.org.cn/txt/2023-03/03/content_85140696.htm
[9] https://www.japantimes.co.jp/news/2023/03/03/world/china-lead-tech
[10] https://www.jungewelt.de/artikel/446168.volkskongress-china-boomt-wieder.html
[11] Wolfgang Müller: Deutschland abhängig von China? Stimmt so nicht! in:
https://www.isw- muenchen.de/broschueren/wirtschaftsinfos/181-wirtschaftsinfo-62
[12] https://www.handelsblatt.com/technik/cybersecurity/it-sicherheit-bundesregierung-
droht-huawei-mit-rauswurf/28541284.html
[13] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9188
[14] https://strandconsult.dk/the-real-cost-to-rip-and-replace-chinese-equipment-from-
telecom-networks
Verspätung: Klimafreundliche Bahn kommt 40 Jahre später
Bis zum Jahr 2030 soll ein bundesweites Taktsystem in Gang gesetzt werden, versprachen die Vorgängerregierung und die Ampel ++ der Deutschlandtakt soll die Deutsche Bahn nach Schweizer Vorbild in eine Zukunft führen, die den individuellen Autoverkehr und Kurzstreckenflüge abhängt ++ Bundesregierung verschiebt das Klimaprojekt bundesweites Taktsystem von 2030 auf 2070. Grund: es fehlt das Geld ++ Bis der Deutschlandtakt kommt, will China ein "modernes sozialistisches Land" sein.
Mehr Bahn für alle" – mit diesem Motto eröffnete die Deutsche Bahn am 13. Februar d.J. eine neue Werbekampagne. "Neuer Takt auf ganz vielen Gleisen. .. jeden Monat kommen drei Züge mehr auf die Gleise" lauten die Versprechen im Werbespot. [1]
Es geht um den Deutschlandtakt. Der soll die Deutsche Bahn nach Schweizer Vorbild in eine Zukunft führen, die den individuellen Autoverkehr und Kurzstreckenflüge abhängt. Alle 30 bis 60 Minuten sollen Züge in jede Richtung fahren – und pünktlich am Ziel ankommen. Eine Ankündigung, die auf Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer zurückgeht. Doppelt so viele Menschen wie bisher sollen in der Zukunft Bahn fahren und so mithelfen, dass Deutschland die Klimaziele erreicht. Das ambitionierte Ziel, das auf einem massiven Ausbau der Schieneninfrastruktur basiert, sollte im Jahr 2030 abgeschlossen sein. Dafür stellte Scheuer 2021 medienwirksam 181 Infrastruktur-Maßnahmen vor, um den öffentlichen Nahverkehr zu modernisieren.
Bis zum Jahr 2030 soll ein bundesweites Taktsystem in Gang gesetzt werden. Jeder Ort soll erreichbar sein, mindestens im Stundentakt, die größeren Städte im Halbstundentakt - schnell, zuverlässig, präzise. An Knotenpunkten sollten Anschlüsse in jede Richtung geboten werden, so dass jeder Ort praktisch ohne Wartezeiten erreichbar ist. Um mehr Fahrgäste auf die Schiene zu locken, soll das Angebot zudem auf einigen Strecken nahezu verdoppelt werden: Statt des bisher üblichen Stundentaktes der ICEs soll der Halbstundentakt Standard werden. Die Fahrpläne sind bereits geschmiedet, die Diagramme öffentlich einsehbar. Umgesetzt wurde davon bislang nur der Halbstundentakt zwischen Berlin und Hamburg.
Die Ampelparteien bekräftigten 2021 im Koalitionsvertrag: "Wir werden den Masterplan Schienenverkehr weiterentwickeln und zügiger umsetzen, den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln". Die Bahn müsse zum Rückgrat der Mobilität werden, denn eine klimafreundliche Mobilität sei die Voraussetzung, um massiv CO2 einzusparen. Der Zielfahrplan eines Deutschlandtaktes werde auf diese Ziele ausgerichtet.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) erklärte das Projekt Deutschlandtakt noch vor einem halben Jahr zur "Chefsache".
Doch jetzt platzt das Koalitionsversprechen. Die Bahn kann ihre Werbekampagne einstampfen. Ausgerechnet unter Regierungsbeteiligung der Grünen werden die zukunftsweisenden Pläne auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Der für den Schienenverkehr zuständige Staatssekretär Michael Theurer (FDP) sagte am 2. März in einem ZDF-Interview: Der Deutschlandtakt werde "in den nächsten 50 Jahren als Jahrhundertprojekt" umgesetzt. 40 Jahre später als von Scheuer 2018 und von der Ampel 2021 angekündigt. [2]
Denn das Verkehrsministerium unter Volker Wissing hat bis heute keine der 181 Maßnahmen umgesetzt, die dafür nötig wären.
Vorfahrt für Panzer
Grund für die Verschiebung ist vor allem die Finanzierung. "Die Etats reichen um Längen nicht mehr aus", sagt Enak Ferlemann von der CDU. Er war von 2018 bis 2021 Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr. Während für die Hochrüstung "Sonderschulden" in Höhe von 100 Mrd. Euro aufgenommen werden – die lt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) aber noch nicht ausreichen – und der reguläre Rüstungsetat auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen soll, fehlen für die Bahn die notwendigen Mittel.
Bahn, Opfer des Privatisierungswahns
Anstatt endlich die gesamte Deutsche Bahn in eine gemeinsame "gemeinwohlorientierte" Sparte zusammenzufassen und ein "Sondervermögen" über 100 Mrd. Euro für die Bahn aufzulegen, arbeitet die Ampelregierung mit Hochdruck an dem neoliberalen Plan, die Infrastruktureinheiten von den restlichen DB-Sparten abzuspalten und die "Eisenbahnverkehrsunternehmen markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb" (Koalitionsvertrag) weiterzuführen.
Dabei liegt in der Privatisierung ein wesentlicher Grund für die Misere. Seit 1994 wurden mehr als 5.000 km Schienenstrecken stillgelegt, notwendige Investitionen wurden nicht getätigt. Die Bahn wurde in zig eigenständige Gesellschaften aufgespalten und kaputt- gespart. Alleiniges Ziel war, sie fit zu machen für die Börse. Doch so ist keine Verkehrswende zu erreichen.
Das Bündnis "Bahn für Alle" fordert statt einer zertrümmerten DB eine integrierte Bahn komplett in öffentlicher Hand. "Statt die Bahn zu retten, wird ihre Substanz durch die Regierung weiter geschwächt. Ihre scheibchenweise Privatisierungstaktik ist der völlig falsche Weg", sagt Ludwig Lindner, Sprecher von Bahn für Alle. "Nicht nur das Netz, sondern Netz und Betrieb gemeinsam sollten gemeinnützig betrieben und demokratisch kontrolliert werden. Der unsinnige 'Wettbewerb' auf der Schiene muss beendet werden." Carl Waßmuth von Bahn für Alle ergänzt: "Bahnnetz und Bahnverkehr sind zwei Teilbereiche eines eng verknüpften, fragilen Gefüges. Sie auseinanderzureißen schwächt das System Bahn insgesamt und bremst so die für den Klimaschutz dringend nötige Verkehrswende aus. Die Schweiz zeigt, dass integrierte Bahnsysteme am leistungsfähigsten sind."
In Deutschland soll es jetzt noch 40 Jahre dauern, bis eine attraktive und pünktliche Bahn auf die Schienen kommt. Während die klimafreundliche Bahn auf den St. Nimmerleinstag verschoben wird, macht sich der Verkehrsminister für den schnellen Neu- und Ausbau von Autobahnen und synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) stark und will das Verbrenner-Aus verhindern.
Zuletzt sei daran erinnert, dass China nur zwanzig Jahre gebraucht hat, um das mit inzwischen mehr als 42.000 Kilometern Länge weltgrößte Hochgeschwindigkeitsnetz aus dem Boden zu stampfen.
Zum Vergleich: Die Gesamtlänge aller Eisenbahnstrecken (inklusive der heruntergewirtschafteten Nebenstrecken) in Deutschland beträgt 33.500 Kilometer. Bis hierzulande der Deutschlandtakt kommt, wird China nach den Plänen der Kommunistischen Partei ein "modernes sozialistisches Land" sein.
Quellen:
[1] Bahn Werbespot, 13.2.2023: Mehr Bahn für alle. Mehr Verbindungen. Mehr ICE.
https://youtu.be/WH6U8Sa0DBI
[2] ZDF, 2.3.2023: Verkehrswende stockt. Deutschlandtakt der Bahn auf 2070 verschoben
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bahn-verkehrswende-deutschlandtakt-verzoegerung-100.html
Atomwaffen - die verdrängte Gefahr. Oder: der Traum von einer atomwaffenfreien Welt
Am 13. Januar 2018 wurde aus dem Traum von der atomwaffenfreien Welt für 1,5 Millionen Menschen auf Hawaii erst mal ein Alptraum.
38 Minuten lang wurden die Menschen durch einen Atomalarm in blanke Panik versetzt.
Erst danach hieß es von der Regierung Hawaiis: Entschuldigung - da hat jemand den falschen Knopf gedrückt.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu am 15. Januar 2018: „Zum Glück war es nicht der amerikanische Präsident, der den falschen Knopf gedrückt hat.
So wie es die Behörden darstellen, hatte ein Mitarbeiter des Katastrophenschutzes bei einem Routinetest mit der Maus auf seinem Bildschirm einen falschen Klick gemacht.“
Und weiter die SZ: „Das mag alles lächerlich und absurd klingen -
so ein Pentagon-Mitarbeiter - aber in Wahrheit fangen so Kriege an.“
Dieser Fehlalarm, einer von mehreren, bestätigt, dass die Risiken eines versehentlichen Atomkrieges selbst bei routinemäßigen Wartungsarbeiten oder technischen Problemen unkalkulierbar sind. Und er bestätigt, was Papst Franziskus bei der Atomwaffenkonferenz 2017 im Vatikan mit Blick auf den Konflikt USA/Nordkorea sagte:
"Die Welt steht am Beginn des dritten Weltkrieges und man muss alles tun, um einen Atomkrieg zu vermeiden".
Und weiter: Die Welt riskiere den Selbstmord; ein weltweites Verbot von A-Waffen sei „ein humanitärer Imperativ.“
Mit dem Ukrainekrieg ist die Angst vor einem Atomkrieg als reale Gefahr zurück
Der Ukrainekrieg droht nicht nur zu einem Dauerkrieg zu werden, sondern er trägt auch die Gefahr eines Atomkrieges in sich.
Aus einem Regionalkonflikt wurde ein Stellvertreterkrieg zwischen den Atommächten USA/NATO und Russland.
Dabei ist seit langem bekannt, dass ein Atomkrieg die menschliche Zivilisation zerstören und einen Großteil der Menschen weltweit auslöschen würde.
Auf einen Atomkrieg zwischen Russland und den USA würde ein nuklearer Winter von einem Jahrzehnt oder mehr folgen. Ein Großteil der Menschheit würde sterben.
Dazu die Stellungnahme von IPPNW, "International Physicians for the Prevention of Nuclear War“:
„Jeglicher Einsatz von Atomwaffen verursacht katastrophales menschliches Leid. Ein Atomkrieg würde das Ende unserer Zivilisation und eine Katastrophe für die Ökosysteme des Planeten bedeuten. Schon ein regional begrenzter Atomkrieg hätte so weitreichende Konsequenzen für das Klima und unsere Landwirtschaft, dass das Leben und die Gesundheit von Milliarden von Menschen bedroht wären.“
SIPRI: rund 13.400 Atomwaffen weltweit
Schon mit der Androhung von A-Waffeneinsatz wird die gesamte Menschheit in Geiselhaft genommen.
Nach SIPRI befinden sich insgesamt 13.400 Atomwaffen im Besitz der neun Atomwaffenstaaten; 3.720 sind sofort einsatzfähig, davon wiederrum 1.800 in ständiger Höchstalarmbereitschaft.
Derzeit gibt es fünf offizielle Atomwaffenstaaten: USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China.
Hinzu kommen die sog. inoffiziellen Atomwaffenstaaten: Israel, Indien, Pakistan, Nordkorea.
Hinzuzurechnen sind die sog. Teilhabestaaten, auf deren Territorien A-Waffen gelagert, deren Einsatz geübt und die dort gelagerten Waffen modernisiert werden.
In Europa: Türkei, Italien, Belgien, Niederlande und Deutschland, obwohl es seit 2010 einen Bundestagsbeschluss gibt, alle Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen.
Die USA haben als einzige Atommacht im Rahmen der sog. „nuklearen Teilhabe“ Atomwaffen außerhalb ihres Territoriums stationiert.
Sie verfügen zusammen mit Russland über 90% der vorhandenen Nuklearwaffen.
Käme davon auch nur ein Prozent der Atomwaffen zum Einsatz, könnte ein globaler nuklearer Winter das Klima, die Nahrungsmittelproduktion und damit die Existenzgrundlage der Menschheit zerstört werden.
Schon ein atomarer Schlagabtausch zwischen Indien und Pakistan oder USA und Nordkorea könnte zum Ende der menschlichen Zivilisation führen.
Atomwaffen sind die zerstörerischsten, unmenschlichsten und willkürlichsten Waffen, die je geschaffen wurden.
Sie sind nach dem Atomwaffenverbots-Vertrag illegal und unmoralisch, aber es findet geradezu ein Wettrennen um ihre Modernisierung statt.
Atomares Wettrennen
„Die USA begannen bereits 2010 mit einer vollständigen Modernisierung ihres A-Waffenarsenals (vergl. ICAN, internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen).
Sie modernisieren dabei alle Bereiche der Atomwaffenindustrie: Waffenfabriken, die gesamte Triade strategischer Bomber, U-Boote und Sprengköpfe.
ICAN merkt dazu an:Durch die Modernisierung erreichen die Raketen eine größere Genauigkeit also die Fähigkeit Ziele genauer zu treffen: Dadurch steigt die Bedrohung durch einen Einsatz dieser Waffen.
Insgesamt werden die USA in den nächsten 30 Jahren 1,2 Billionen Dollar für die Modernisierung ihrer Atomwaffen investieren.“
Dazu Fred Schmid: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/3968-67welt-militaerausgaben-2020-welt-im-waffen-wahn
Die jetzt in Gang gesetzte Modernisierung der in Europa stationierten Atomwaffen soll den Einsatz dieser Waffen unterhalb der Schwelle eines großen Atomkriegs ermöglichen, sie sollen zielgenauer werden, geringere „Kollateralschäden“ verursachen, und die Trägersysteme eine größere Reichweite haben.
Mit dieser Modernisierung soll die Hemmschwelle für den Einsatz von Atomwaffen gesenkt werden.
Erinnern wir uns noch an die bejubelte Rede von Barak Obama 2009 in Prag? Sein Thema: Eine Welt ohne Atomwaffen!
Aber, noch unter Obama planten die USA, eine Billion (!) US-Dollar in den nächsten dreißig Jahren – also 100 Mrd. $ jährlich - in diese Modernisierung zu investieren.
Wieviel Hunger, Armut und Elend könnte mit diesen Geldern beseitigt werden?
Wie viele Fluchtursachen könnten damit bekämpft werden?
Atomwaffen töten bereits durch ihre Erprobung und Entwicklung
ICAN, Friedensnobelpreisträger von 2017 schätzt, dass seit Beginn des atomaren Zeitalters im Juli 1945 mehr als 2000 Atomwaffentests durchgeführt wurden: oberirdisch, unterirdisch und unter Wasser. Diese Tests haben die gesamte Weltbevölkerung verstrahlt.
IPPNW (Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) schätzt, dass an den Folgen oberirdischer Atomwaffentests 2,4 Millionen Menschen gestorben sind. Quelle: ICAN: Katastrophales humanitäres Leid, S. 17.
Bis heute lagern in Büchel US-Atomwaffen
Regelmäßig trainiert die Bundeswehr mit Tornado Kampfbombern den Einsatz dieser Atomwaffen, obwohl der Deutsche Bundestag schon im März 2010 mit großer Mehrheit die Bundesregierung aufgefordert hat, sich für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.
Die Behauptung der Bundesregierung, dass für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland die NATO zuständig sei, ist eine billige Ausrede. Man könnte auch sagen eine Lüge:
Ob Massenvernichtungswaffen in Deutschland stationiert werden, ob sich die Bundesrepublik im Ernstfall an Atombombenangriffen beteiligt und dafür schon jetzt regelmäßige Trainingsflüge absolviert, das hat allein die Bundesregierung zu entscheiden.
Deutschland verstößt schon seit Jahrzehnten gegen den Atomwaffensperrvertrag
Der Atomwaffensperrvertrag wurde im Juli 1968 von den fünf Atommächten USA, Frankreich, VR China, Großbritannien und der Sowjetunion initiiert und mittlerweile von 191 Vertragsstaaten unterzeichnet. Nur vier Staaten wurden nicht Mitglied des Atomwaffensperrvertrags: Indien, Israel, Pakistan und Südsudan. Nordkorea trat im Januar 2003 aus dem Vertrag aus.
In dem Vertrag heißt es in Artikel II: „Jeder Nichtkernwaffenstaat … verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemanden mittelbar oder unmittelbar anzunehmen.“.
Aber nicht nur die Bundesregierung, auch deutsche Finanzkonzerne beteiligen sich an der Entwicklung und Herstellung von Atomwaffen und Trägersystemen. In einer ICAN-Studie wird nachgewiesen, dass diese Finanzkonzerne von 2013 bis 2016 insgesamt über 9 Milliarden Euro in Firmen investiert haben, die an der Herstellung von Atomwaffen und Trägersystemen beteiligt sind.
Aufstand der atomwaffenfreien Länder gegen die Atommächte
Am 7. Juli 2017 hat die Mehrheit von zwei Drittel der Mitgliedsstaaten der UN einen Atomwaffen-Verbortsvertrag beschlossen.
Nach dem Wortlaut des Vertrages verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, niemals, unter keinen Umständen Kernwaffen zu entwickeln, herzustellen oder zu erwerben, zu besitzen oder zu lagern, niemals Kernwaffen anzuwenden oder mit ihrer Anwendung zu drohen und weder direkt noch indirekt Kontrolle über solche Waffen zu erlangen.
Atomwaffen nicht von anderen direkt oder indirekt übertragen zu bekommen, oder ihre Stationierung, Installierung und ihren Einsatz auf dem eigenen Staatsgebiet zu erlauben.
Entsprechend dieses Vertrages gilt der Besitz oder die Herstellung von Nuklearwaffen weltweit als unethisch und als illegal.
Die Atomwaffenstaaten sowie die NATO-Mitglieder, darunter auch Deutschland, boykottieren bislang den Verbotsvertrag. Sie können jedoch später noch beitreten, wenn sie sich bereit erklären, ihre Atomwaffenarsenale zu vernichten. Aus Deutschland müssten die US-Atomwaffen abgezogen werden.
Das entspricht auch der Erklärung des Internationalen Gerichtshofs von 1996, dass die Drohung mit Atomwaffen generell mit dem Völkerrecht unvereinbar sei und nach gültigem Völkerrecht die Verpflichtung zur Vollständigen nuklearen Abrüstung bestehe.
Die Bundesregierung hat, ebenso wie alle Atommächte und die anderen NATO-Staaten, die Atomwaffenverbotsverhandlungen boykottiert.
Sie hat sogar gegen die Aufnahme von Verhandlungen gestimmt.
Atomwaffen abschaffen!
Man kann zurecht einwenden, die Atomwaffen aller Länder sind gleich verheerend und daher verbiete sich jede Politik, die sich auf die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen gründet. Das ist prinzipiell richtig – und doch lässt solche Gleichsetzung Wesentliches außer Acht:
1. Es waren die USA die als erste Atomwaffen entwickelt, über Hiroshima und Nagasaki eingesetzt– und damit eine nukleare Rüstungswelle initiiert haben.
- Im Gegensatz zu den USA hat z.B. China erklärt, nicht als erste Atomwaffen einzusetzen, Während sich die USA den Ersteinsatz von Atomwaffen ausdrücklich vorbehalten. Hier ist hinzuweisen auf Hiroshima und Nagasaki, am 6. Aug. 1945.
Würden alle Atomwaffenstaaten erklären, nicht als erste Atomwaffen einzusetzen, könnten diese Waffen abgeschafft werden. - Russland wird zu nuklearen Abrüstungsmaßnahmen nicht bereit sein, solange die USA und NATO eine erdrückende uneinholbare Überlegenheit im konventionellen Bereich haben.
Die aktuellen, kaum verhüllten Drohungen Russlands, im Ukrainekrieg ev. auch Atomwaffen einzusetzen zeigt:
Die Entscheidung über den atomaren Selbstmord der Menschheit darf man nicht denen überlassen, die an den roten Knöpfen sitzen, den Herrschenden, den Militärs und den Profiteuren dieses Wahnsinns.
Diese Botschaft sollte auch von starken Ostermärschen in diesem Jahr ausgehen.
Vermittlungsvorschläge Chinas zu Verhandlungen und eine Globale Sicherheitsinitiative (GSI) )
Die anhaltende kriegerische Eskalation des Russland-Ukraine-Konflikts hat weltweit schon tiefe Spuren hinterlassen. Und in der nächsten Zeit ist kein Ende des Konflikts in Sicht.
Der Krieg hat bereits zu zehntausenden Toten und Verletzten, zu Zerstörungen von lebensnotwendigen Einrichtungen und Infrastrukturen, geführt.
Die von den USA und der NATO bereitgestellten Panzer, Raketen und anderen hochentwickelten Waffen erreichen das sich ausweitende Schlachtfeld, begleitet von medialer Kriegsbesoffenheit und einem moralisierendem Endsieg-Fanatismus, während Russland mehr Personal mobilisiert, um in seinem kriegerischen Vorgehen ebenso eine militärische Lösung anzustreben.
Eine diplomatische Lösung hatte sich bis jetzt nicht ergeben. Anstelle von Friedensgesprächen haben sich die Kriegs- und Konfliktparteien weiter in eine gefährliche militärische Eskalationsspirale durch den Einsatz immer stärkerer Waffensystemen verfangen.[1] Die Nutznießer dieser Kriegshandlungen lassen sich belegen und beschreiben: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5058-ausgestorben-zu-viel-panzer-zu-wenig-hirn
Die Mentalität des Kalten Krieges, die seit dem oft zitierten Ende des Kalten Krieges nicht nachgelassen hat, hat in Verbindung mit den hegemonialen Ansprüchen der selbsternannten Verfechter einer regelbasierten Ordnung zu einer ständigen Erweiterung der NATO geführt. Deren von den USA bestimmte Expansionsstrategie läuft dem Verständnis eines multipolaren öffentlichen Interesses zuwider. Die harte Realität des vergangenen Jahres hat der Welt ein recht eindeutiges Verständnis für das Weltordnungs-Narrativ der USA vermittelt.
Damit sind die hegemonialen Ansprüche Russlands zur Absicherung der eigenen Einfluss-Sphäre, die im zeitlichen Verlauf inzwischen eine höhere Priorität als die unterstützenswerte gesamt-europäische Sicherheitsarchitektur einzunehmen scheinen, gegen das genannte globale öffentliche Interesse gerichtet.
Der Globale Süden meldet sich
In die immer lauter werdenden Rufe nach einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg und nach Verhandlungen reihen sind vor allem die Gesprächsinitiativen und Bemühungen aus dem Globalen Süden ein. Hierbei sind stellvertretend die Vorstöße des brasilianischen Präsidenten da Silva, die erklärte Bereitschaft des indischen Premiers Narenda Modi zur Teilnahme an jedem Friedensprozess und vor allem das von China
Veröffentlichte Positionspapier "Chinas Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise" zu benennen, in dem die chinesische Haltung in 12 Punkten systematisch dargelegt wird. [2]
Als verantwortungsbewusstes großes Land ist China zwar nicht an der Ukraine-Krise beteiligt, aber signalisiert unüberhörbar seine Bereitschaft, eine konstruktive Rolle bei der Förderung einer Lösung zu spielen. Dieses Dokument zeigt m.E. die Aufrichtigkeit und den guten Willen Chinas, Friedensgespräche aktiv zu fördern.
China hat in jüngster Zeit mehrfach eine faktisch belegbare konstruktive Rolle im Rahmen der heutigen Strukturen der Weltgemeinschafts-Organisationen bewiesen.
Das Land strebt eine größtmögliche Konvergenz der Interessen in der Weltordnungspolitik an. Mit seiner gesellschaftspolitisch-ideologischen Ausrichtung sind seine außenpolitischen Bestrebungen auf den Aufbau einer Staaten-Gemeinschaft unter Einbeziehung gegenseitiger wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Beziehungen ausgerichtet, um mehr Konsens zu schaffen, größere Kräfte zu bündeln und mehr Maßnahmen für die Sache der globalen Entwicklung und Sicherheit zu ergreifen.[3]
Kurz vor der Veröffentlichung des im folgenden dargelegten 12-Punkte-Programms hatte China der internationalen Gemeinschaft ein weiteres erwähnenswertes Konzeptpapier veröffentlicht:
Konzeptpapier zur Globalen Sicherheitsinitiative (GSI)
In einem am 22. Februar d.J. veröffentlichten Konzeptpapier zur Globalen Sicherheitsinitiative (GSI) ruft China die internationale Gemeinschaft dazu auf, die sicherheitspolitischen Herausforderungen "im Geiste der Solidarität" anzugehen, während die Spannungen zwischen China und den USA zunehmen und der Krieg zwischen Russland und der Ukraine anhält. In dem Papier wird dargelegt, wofür China bereits im April 2022 während eines Asien Forums für eine universelle und gemeinsame Sicherheit eintritt und Unilateralismus und eine Mentalität des Kalten Krieges ablehnt. "Sicherheit ist ein Recht aller Länder der Welt und nicht das exklusive Recht einiger Länder. Sie sollte nicht von einigen einzelnen Ländern entschieden werden" betont der Außenminister Qin Gang anlässlich der Veröffentlichung des Papiers.[4]
Mehr als 80 Länder und Organisationen haben ihre Unterstützung für die Initiative bereits zum Ausdruck gebracht, Der chinesische Außenminister betont, dass China in Zukunft hochrangige GSI-Veranstaltungen "zu einem geeigneten Zeitpunkt" ausrichten werde.
Die Globale Sicherheitsinitiative GSI zielt darauf ab, die Ursachen internationaler Konflikte zu beseitigen, globale Sicherheits-Regeln (Sicherheitsgovernance) zu fördern und gemeinsame Anstrengungen zu unterstützen, um mehr Stabilität und Sicherheit in eine Zeit zu bringen, die "voller Herausforderungen" sei.
Chinas Konzeption und Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise
Im erwähnten in 12-Punkten dargelegten Positionspapier bringt die chinesische Staatsregierung erneut ihre Ablehnung gegenüber dem Kriegstreiben zum Ausdruck und betont den erforderlichen Respekt gegenüber der Souveränität aller Länder.
Die eskalierende Kriegsrhetorik einschließlich der Drohung des Einsatzes atomarer Waffen weist China klar zurück.
Die China-Initiative beinhaltet ebenso einen Appell an alle Staaten, unterstützend tätig zu werden, um eine Beilegung der kriegerischen Auseinandersetzung zu beenden und zu verhandeln.[5]
Die 12 Punkte im Einzelnen
1. Die Souveränität aller Länder ist zu respektieren. Das allgemein anerkannte Völkerrecht, einschließlich der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, muss strikt eingehalten werden. Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit aller Länder muss wirksam gewahrt werden. Alle Länder, ob groß oder klein, stark oder schwach, reich oder arm, sind gleichberechtigte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Alle Parteien sollten gemeinsam die grundlegenden Normen für die internationalen Beziehungen aufrechterhalten und für internationale Fairness und Gerechtigkeit eintreten. Die gleichmäßige und einheitliche Anwendung des Völkerrechts ist zu fördern, während doppelte Standards abgelehnt werden müssen.
- Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer Länder angestrebt werden. Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder Ausweitung von Militärblöcken erreicht werden. Die legitimen Sicherheitsinteressen und -belange aller Länder müssen ernst genommen und angemessen berücksichtigt werden. Es gibt keine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Alle Parteien sollten gemäß der Vision einer gemeinsamen, umfassenden, kooperativen und nachhaltigen Sicherheit und mit Blick auf den langfristigen Frieden und die Stabilität in der Welt dazu beitragen, eine ausgewogene, effektive und nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen. Alle Parteien sollten sich dem Streben nach eigener Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer widersetzen, eine Blockkonfrontation verhindern und sich gemeinsam für Frieden und Stabilität auf dem eurasischen Kontinent einsetzen.
- Beendigung der Feindseligkeiten. Konflikte und Kriege sind für niemanden von Vorteil. Alle Parteien müssen rational bleiben und Zurückhaltung üben, es vermeiden, die Flammen zu schüren und die Spannungen zu verschärfen, und verhindern, dass sich die Krise weiter verschlechtert oder gar außer Kontrolle gerät. Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine dabei unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und den direkten Dialog so schnell wie möglich wieder aufzunehmen, um die Situation schrittweise zu deeskalieren und schließlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen.
- Wiederaufnahme der Friedensgespräche. Dialog und Verhandlungen sind die einzige praktikable Lösung für die Ukraine-Krise. Alle Bemühungen, die zu einer friedlichen Beilegung der Krise beitragen, müssen gefördert und unterstützt werden. Die internationale Gemeinschaft sollte sich weiterhin für den richtigen Ansatz zur Förderung von Friedensgesprächen einsetzen, den Konfliktparteien dabei helfen, so bald wie möglich die Tür zu einer politischen Lösung zu öffnen, und Bedingungen und Plattformen für die Wiederaufnahme von Verhandlungen schaffen. China wird in dieser Hinsicht weiterhin eine konstruktive Rolle spielen.
- Beilegung der humanitären Krise. Alle Maßnahmen, die dazu beitragen, die humanitäre Krise zu lindern, müssen gefördert und unterstützt werden. Humanitäre Maßnahmen sollten den Prinzipien der Neutralität und Unparteilichkeit folgen, und humanitäre Fragen sollten nicht politisiert werden. Die Sicherheit der Zivilbevölkerung muss wirksam geschützt werden, und es sollten humanitäre Korridore für die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den Konfliktgebieten eingerichtet werden. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um die humanitäre Hilfe in den betroffenen Gebieten zu verstärken, die humanitären Bedingungen zu verbessern und einen schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten, um eine humanitäre Krise größeren Ausmaßes zu verhindern. Die Vereinten Nationen sollten bei der Koordinierung der humanitären Hilfe für die Konfliktgebiete unterstützt werden.
- Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen. Die Konfliktparteien sollten sich strikt an das humanitäre Völkerrecht halten, Angriffe auf Zivilisten oder zivile Einrichtungen vermeiden, Frauen, Kinder und andere Opfer des Konflikts schützen und die Grundrechte der Kriegsgefangenen achten. China unterstützt den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen Russland und der Ukraine und fordert alle Parteien auf, günstigere Bedingungen für diesen Zweck zu schaffen.
- Sicherheit von Kernkraftwerken. China lehnt bewaffnete Angriffe auf Kernkraftwerke oder andere friedliche kerntechnische Anlagen ab und fordert alle Parteien auf, das Völkerrecht, einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit, einzuhalten und von Menschen verursachte nukleare Unfälle entschlossen zu vermeiden. China unterstützt die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) dabei, eine konstruktive Rolle bei der Förderung der Sicherheit friedlicher Nuklearanlagen zu spielen.
- Verringerung der strategischen Risiken. Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt und Atomkriege dürfen nicht geführt werden. Die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen sollte abgelehnt werden. Die Weiterverbreitung von Kernwaffen muss verhindert und eine nukleare Krise vermieden werden. China lehnt die Erforschung, Entwicklung und den Einsatz von chemischen und biologischen Waffen durch jedes Land unter allen Umständen ab.
- Erleichterung der Getreideexporte. Alle Parteien müssen die von Russland, der Türkei, der Ukraine und den Vereinten Nationen unterzeichnete Schwarzmeer-Getreide-Initiative in ausgewogener Weise vollständig und wirksam umsetzen und die Vereinten Nationen dabei unterstützen, eine wichtige Rolle in dieser Hinsicht zu spielen. Die von China vorgeschlagene Kooperationsinitiative zur globalen Ernährungssicherheit bietet eine praktikable Lösung für die globale Nahrungsmittelkrise.
- Beendigung einseitiger Sanktionen. Einseitige Sanktionen und maximaler Druck können das Problem nicht lösen; sie schaffen nur neue Probleme. China lehnt einseitige, vom UN-Sicherheitsrat nicht genehmigte Sanktionen ab. Die betroffenen Länder sollten aufhören, einseitige Sanktionen und die "weitreichende Gerichtsbarkeit" gegen andere Länder zu missbrauchen, um ihren Teil zur Deeskalation der Ukraine-Krise beizutragen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Entwicklungsländer ihre Wirtschaft ausbauen und die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung verbessern können.
- Aufrechterhaltung der Industrie- und Lieferketten. Alle Parteien sollten sich ernsthaft für den Erhalt des bestehenden Weltwirtschaftssystems einsetzen und sich dagegen wehren, die Weltwirtschaft als Werkzeug oder Waffe für politische Zwecke zu benutzen. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen, um die Auswirkungen der Krise abzumildern und zu verhindern, dass sie die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Finanzen, Lebensmittelhandel und Verkehr stört und die weltweite wirtschaftliche Erholung untergräbt.
- Förderung des Wiederaufbaus nach Konflikten. Die internationale Gemeinschaft muss Maßnahmen ergreifen, um den Wiederaufbau nach Konflikten in Konfliktgebieten zu unterstützen. China ist bereit, dabei Hilfe zu leisten und eine konstruktive Rolle zu spielen.
Die hörbaren positiven Reaktionen auf die chinesische Initiativen sowie die vielerorts mobilisierten Friedenskräfte geben Anlass zu der Annahme, dass ein gewisser Spielraum für verantwortungsbewußtes politisches Handeln und eine damit verbundene Gesprächsbereitschaft zur Ukraine-Konfliktlösung besteht. Auch wenn das Prinzip Hoffnung zu diesem Zeitpunkt und in dieser Frage besonders schwächelt und der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine immer noch in einer Pattsituation verharrt, einen langfristigen Zermürbungskrieg mit noch mehr Toten und Zerstörung kann sich niemand leisten.
Die Auswirkungen haben in der internationalen Gemeinschaft große Wachsamkeit geweckt. Die Auswirkungen dieser Krise auf die große Zahl der Länder des Globalen Südens, aber zwangsläufig auch für „uns“, sind direkt und stark spürbar. Gerade deshalb wollen sich die Länder des Globalen Südens nicht einer Seite anschließen, so wie die Abstimmungsergebnisse in internationalen Gremien (UN-Vollversammlung) zeigen. Sie hoffen und wünschen, die beteiligten Parteien zu einer gewaltfreien friedlichen Lösung bewegen zu können.[6]
Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung des Positionspapiers von China am Freitag veröffentlichten Dokuments noch deutlicher.
Quellen
[1] https://www.telepolis.de/features/Der-Ukraine-Krieg-und-unsere-Pflicht-zum-Frieden-7523687.html?wt_mc=nl.red.telepolis.telepolis-nl.2023-02-25.link.link
[2] China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis. fmprc.govcn 24.02.2023
[3]isw-report 130, China und seine Rolle in einer multipolaren Weltordnung, 2022
[4] https://www.caixinglobal.com/2023-02-21/china-spells-out-global-security-initiative-for-
international-conflict-settlement
[5] https://www.globaltimes.cn/page/202302/1286188.shtml
[6] https://www.globaltimes.cn/page/202302/1286188.shtml
Profite der Ölmultis auf Rekordniveau: über 200 Milliarden im Jahr 2022
Jetzt liegt sie fast vollständig vor, die Rangliste der weltweiten Profite im Jahr 2022. Für die Welt war 2022 vor allem ein Krisenjahr. Nicht so für die Ölkonzerne. Ausschließlich sie stehen ganz oben in der Profitpyramide. Ihre Gewinne sind im vergangenen Jahr regelrecht explodiert. Sie zählen zu den Gewinnern des Krieges um die Ukraine und des Wirtschaftskrieges gegen Russland.
An der Spitze steht die ExxonMobil, die in Deutschland unter dem Namen Esso aktiv ist. Dank kräftig gestiegener Ölpreise hat der us-amerikanische Öl-Multi im vergangenen Jahr mehr verdient als je zuvor: Er steigerte sein Nettoergebnis gegenüber dem Vorjahr um rund 140 Prozent auf 55,7 Milliarden US-Dollar. Der Konzern übertrifft damit auch seinen bisherigen Jahresrekord von mehr als 45 Milliarden Dollar im Jahr 2008 und erzielt das höchste Ergebnis in der mehr als 140-jährigen Geschichte des Unternehmens. Größte Eigentümer sind die Finanzinvestoren Vanguard Group mit 8,95 Prozent und Blackrock Inc. mit einem Aktienanteil von 7,07 Prozent (Stand 30.12.2022).
An zweiter Stelle liegt mit großem Abstand die britisch-niederländische Shell. Auch Shell verzeichnet mit 39,9 Mrd. USD einen neuen Rekordgewinn - in etwa das Doppelte des Vorjahres. Der Ölkonzern die niedrigen Einnahmen aus dem Flüssiggas-Handel - der enorme Zuwachs bei LNG schlägt sich auf den Konten us-amerikanischer Konzerne nieder – wurde durch höhere Preise und Raffineriemargen ausgeglichen. Auch Mehr-Einnahmen aus dem Gas- und Stromhandel kamen dazu. BlackRock Investment Management (UK) Ltd. ist mit einem Akteinpaket von 7,25 Prozent größter Anteilseigner.
Chevron, zweitgrößter US-Ölkonzern, reiht sich an dritter Stelle in den Reigen der großen Profiteure der Energiekrise ein. Die hohen Preise für Öl und Erdgas haben Chevron 2022 den höchsten Gewinn seiner Geschichte beschert. Der Überschuss lag mit rund 35,5 Mrd. USD mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr. Freuen können sich die Aktionäre, es gibt Aktienrückkäufe und höhere Dividenden. Für das Gesamtjahr wurde ein Gewinn je Aktie von 18,83 USD präsentiert, zu 8,13 USD im Vorjahr. Angesichts des Supergewinns wird Chevron ab April Aktien im Wert von 75 Mrd. USD zurückkaufen und so den Aktienkurs pushen. Größte Profiteure sind Berkshire Hathaway, Inc mit einem Akteinanteil von 8,43 Prozent, Vanguard Group Inc. (8,22 Prozent) und Blackrock Inc. (7,00 Prozent). (Stand 31.12.2022)
An vierter Stelle steht überraschenderweise die norwegische Equinor (ehemals Statoil) mit 28,7 Milliarden, die vom EU-Gasboykott für russische Gas und der Sprengung von Nordstream profitiert. Equinor – der norwegische Staat ist mit 67 Prozent größter Eigentümer des Konzerns – hat als nun wichtigster Gaslieferant in Europa die russischen Unternehmen abgelöst.
Noch weiter zurück liegt der britische Ölmulti British Petrol BP. Zur BP Group gehören u.a. auch Aral und Castrol. Zwar konnte auch BP seinen Gewinn im vergangenen Jahr mit 27,7 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln, aber es reicht nur für den fünften Platz. Die Aktionäre - größte Anteilseigner sind JPMorgan Chase, Blackrock Inc. und Vanguard Group Inc. - sollen von den sprudelnden Gewinnen profitieren und eine um zehn Prozent erhöhte Dividende erhalten. Zudem hält der Konzern an seinem Ziel fest, 60 Prozent seiner überschüssigen Barmittel für Aktienrückkäufe zu verwenden. Belastet wird BP durch den Rückzug aus dem russischen Ölmulti Rosneft, an dem sie zuvor fast 20 Prozent der Anteile gehalten hatten. Allein dadurch musste BP etwa 24 Milliarden US-Dollar abschreiben.
Aufgrund hohen Nachfrage nach Öl und Gas und der hohen Preise korrigierte BP seine Klimaziele - und zwar nach unten: Der Konzern will seine Ölforderung bis 2030 nur noch um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr kürzen. Zuvor waren 40 Prozent angekündigt.
Die französischeTotal, die am Mittwoch vergangener Woche als letzte ihre Jahresbilanz veröffentlicht hat, konnte mit einem Gewinn von 20,5 Mrd. USD das Ergebnis um 28 Prozent im Jahresvergleich steigern und zugleich eines der besten Betriebsergebnisse eines französischen Unternehmens erzielen. Und das, obwohl der französische Ölriese wegen seines Rückzugs aus Russland fast 15 Milliarden Dollar abschreiben musste.
TotalEnergies profitierte besonders von den hohen Öl- und Gaspreisen, wie das Unternehmen mitteilte.
Gewinne der sechs Öl-Multis größer als das Bruttoinlandsprodukt von halb Afrika
Das sind erschreckende Zahlen: Alle Unternehmen haben ihre Gewinne im Vergleich zu 2021 mindestens verdoppelt. Rechnet man die ersten sechs zusammen, kommt man auf die unglaubliche Zahl von über 200 Milliarden Dollar, mehr als das Bruttoinlandsprodukt von halb Afrika.
Dabei sind die italienische ENI und der weltgrößter Mineralölkonzerns Aramco aus Saudi-Arabien noch gar nicht eingerechnet. Sie geben ihre Zahlen erst noch bekannt. Aramco, mit einem Börsenwert von 2.300 Mrd. USD das weltweit teuerste Unternehmen an der Börse, lässt einen schwindelerregenden Gewinn erwarten, schließlich verbuchte der saudische Ölkonzern bereits in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres einen Nettogewinn von insgesamt 130,3 Milliarden Dollar.
110 Milliarden für die Aktionäre
Die Aktionäre der Unternehmen (von denen nur ein sehr kleiner Teil öffentlich ist) werden ebenfalls gemästet, denn bei derartigen Gewinnen gehen die ausgeschütteten Dividenden in die Milliarden: Sie werden auf insgesamt etwa 110 Milliarden geschätzt. Das lässt die Kassen bei BlackRock und anderen Finanzinvestoren klingeln, die nicht nur bei den Öl-Multis sondern auch bei den Rüstungskonzernen zu den größten Anteilseignern zählen. Für sie ist der Krieg um die Ukraine und der Wirtschaftsboykott gegen Russland in jeder Hinsicht ein Riesengeschäft.
Diese Zahlen fallen auch im Kampf gegen den Klimawandel und die Dekarbonisierung schwer ins Gewicht: Die Lobbys der Erdölkonzerne sind überall auf der Welt am Werk, um die Umweltgesetzgebung zu verwässern und ihre Greenwashing-Operationen zu subventionieren, um so zu tun, als seien sie für eine Reduzierung der Schadstoffemissionen.
Bei der nächsten Weltklimakonferenz, die für Ende November 2023 geplant ist, wird sich der Einfluss der Öl-Lobby direkt zeigen: Sultan Ahmed Al-Jaber, Vorstandsvorsitzender der nationalen Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, wurde nämlich zum Vorsitzenden der Cop28 ernannt, die in dem reichen Golfstaat Dubai stattfinden wird. Al-Jaber leitet nicht nur die Abu Dhabi National Oil Company, sondern ist auch Industrieminister der VAE und Sondergesandter für den Klimawandel. Er wird der erste CEO sein, der einer COP vorsitzt: "Wir werden einen pragmatischen, realistischen und lösungsorientierten Ansatz einbringen", sagte er.
Übergewinnsteuer kommt doch. Aber zaghaft
Diese Profitexplosion – bezahlt von den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die für die hohen Energiepreise teuer bezahlen müssen -, haben die Forderung nach einer Besteuerung der Extraprofite, die bisher in allen Ländern auf Sparflamme behandelt wird, wieder aufflammen lassen.
Anfang Oktober hatte der Rat in Brüssel als Reaktion auf die hohen Energiepreise eine EU-Verordnung beschlossen, die bis Ende des vergangenen Jahres umgesetzt werden musste. Der Plan der Europäischen Kommission zu den Extraprofiten sah eine 33-prozentige Abgabe auf jeden steuerpflichtigen Gewinn in den Jahren 2022 und 2023 vor, der den durchschnittlichen Gewinn der Jahre 2018 bis 2021 um mindestens 20 Prozent übersteigt. Nun drängen jedoch mehrere Parlamentarier verschiedener Fraktionen darauf, die Prozentsätze zu erhöhen und die Regelung zu verschärfen, um ihr Anwendungsbereich zu erweitern.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich lange gegen eine solche Steuer auf Extra-Profite gewehrt. Erst auf Druck der EU kommt die Sonderabgabe für Öl- und Gasunternehmen nun doch. Das Bundesfinanzministerium will die Extra-Gewinne von Mineralöl- und Gasunternehmen mit einem Steuersatz von 33 Prozent besteuern. Dabei handelt es sich um den Mindestsatz, den jene EU-Verordnung beschreibt. Die Einnahmen will der Bund genauso wie die Abschöpfung von Zufallsgewinnen im Strombereich zur Deckung der Finanzierung der Strompreisbremse nutzen. Die zusätzlichen Einnahmen des Bundes werden auf ein bis drei Milliarden Euro beziffert.
Der Linken-Co-Parteivorsitzende Martin Schirdewan kritisierte, dass die Bundesregierung mit ihrem Tankrabatt im Sommer zu den hohen Gewinnen der Ölkonzerne beigetragen habe. Die geplante Übergewinnabschöpfung hingegen sei zu niedrig und greife zu spät.
Andere europäische Länder haben schneller und zum Teil härter gehandelt. Am Härtesten trifft es die Norweger: Equinor wird rund 40 Milliarden Euro an Steuern zahlen. Eine sehr hohe Zahl, vor allem im Verhältnis zur geringen Einwohnerzahl: Die Regierung von Oslo wird aus diesen Sondereinnahmen pro Einwohner bis zu 7.361 EUR ausgeben können.
Unglaublicherweise beschweren sich die Ölgesellschaften sogar noch über die schwachen Vorschriften, die erlassen wurden, und behaupten, dass "Steuern auf zusätzliche Gewinne eine umstrittene Maßnahme sind, weil sie von Investitionen abschrecken". Der Vorstandsvorsitzende von Saudi Aramco, Amin Nasser, erklärte vor einigen Tagen: "Die Dekarbonisierung der vorhandenen Ressourcen kostet auch eine Menge Geld, daher brauchen wir gleichzeitig die Unterstützung der politischen Entscheidungsträger und der Kapitalmärkte."
Exxon hat die EU wegen der neuen Steuer auf Extra-Gewinne verklagt. Die Europäische Union habe damit ihre Befugnisse überschritten, sagte ein Sprecher des US-Konzerns, der die Öffentlichkeit über Jahrzehnte belogen hat und dadurch Hunderte Milliarden abkassieren konnte.
Die Eigentumspolitik staatlicher Datenverwaltung. Intransparenz der Bodenkonzentration in Deutschland.
Hinweis auf online-Veranstaltung mit Pheli Sommer, 24.2.2023, 18:00 Uhr:
https://www.isw-muenchen.de/aktuelles/termine/eventdetail/2/-/die-eigentumspolitik-der-staatlichen-datenverwaltung-was-die-intransparenz-der-bodenkonzentration-in-deutschland-macht
Was ist Konzentration? So einfach diese Frage zu sein scheint, desto schwieriger ist ihre Antwort. Am Beispiel Landwirtschaft: geht es nur um das Volleigentum oder auch um sehr lange und günstige Pachtverträge als eine Form der Landkontrolle? Soll nur die Ungleichheit zwischen bestehenden Landeigentümern gemessen werden oder ist Land ungleich verteilt, weil eben viele keinen Zugang zu Landeigentum haben? Sollten Landeigentümer und -nutzer ebenso vielfältig wie die Gesellschaft sein? Ist regionale Konzentration das Problem, weil lokale Landwirte ihre Betriebsflächen leichter ausweiten können, wenn es eine breite Streuung gibt oder ist auch die bundesweite Konzentration ein Problem? Muss man die politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen von Konzentration belegen können? Ist es möglich, absolute Schwellen zu identifizieren, wie z.B. eine Anzahl von 3000 Wohnungen? Oder ist Konzentration immer relativ festzustellen, sprich: unerwünschte Konzentration ist, wenn ein Akteur 25% der Flächen in einem bestimmten Radius kontrolliert oder zu den 25% der größten Akteure in einem bestimmten Radius gehört.
Diese Fragen wurden im Rahmen von Agrarstrukturgesetzen verschiedener Bundesländer in den letzten Jahren aufgeworfen.
Keines wurde bisher verabschiedet, doch dass diese Fragen überhaupt anhand konkreter Gesetzesinitiativen diskutiert werden können, ist neu.
Denn natürlich heißt es im Grundgesetz Artikel 14, dass die Inhalte und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt werden. Eigentum wird in einzelnen Rechten zum Wohle der Allgemeinheit oft beschränkt, z.B. für den Naturschutz, und auch enteignet, wie z.B. für Autobahnen. Hierbei spielt keine Rolle, wer der Eigentümer ist.
Das Grundstückverkehrsgesetz und das Landsiedlungsgesetz – zwei Gesetze, welche den landwirtschaftlichen Bodenmarkt regeln, sind hier anders – denn das 1919 in Kraft getretene Landsiedlungsgesetz sah damals in der Weimarer Republik die Möglichkeit vor, „Kriegsgewinnler“ zu enteignen und das Grundstücksverkehrsgesetz gibt gemeinnützigen Landgesellschaften ein Vorkaufsrecht, um Ackerland dann für einen Landwirt zwischenzukaufen, falls der Erwerber ein Nicht-Landwirt gewesen wäre.
Die Reifeschwelle von 3000 Wohnungen, die das Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne aktuell vorsieht, definiert unerwünschte Eigentümer als solche, die ein bestimmtes Vermögen angehäuft haben. Neben den großen politischen Herausforderungen ist eine der größten Barrieren jedoch, tatsächlich rechtssicher diejenigen Eigentümer zu identifizieren, welchen 3000 Wohnungen gehören.
Behördliche Genehmigungsprozesse und Registereintragungen „verzeichnen“ nicht nur – sie schaffen damit die Bedingungen dafür, wer und was staatlich gesichert, reguliert und repräsentiert werden kann. Auch Grundeigentum entsteht „konstitutiv“, sprich durch die Eintragung im Grundbuch durch ein Amtsgericht, weswegen die Grundeigentumsverteilung theoretisch komplett in einem Verzeichnis abgebildet ist und mit berechtigtem Interesse sogar einsehbar ist. Doch da Grundbuchämter keinen eindeutigen Identifikator für Grundeigentümer ausstellen und Eigentümerlisten höchstens jeweils für einen Bezirk führen, können sämtliche Grundstücke schwer ihrem Gesamteigentümer zugeordnet werden.
Um also das Vermögen eines einzelnen Eigentümers in Deutschland zu erheben und zu beziffern, müsste man erst sämtliche Grundbuch- oder Liegenschaftskatasterdaten deutschlandweit erhalten. Doch meistens werden Externe auf konkrete Einzelanfragen beschränkt. Darüber hinaus können im Grundbuch eingetragene Firmen von Konzernstrukturen kontrolliert werden, die man nur mit Hilfe von Handelsregister- oder Transparenzregisterdaten (bzw. von privaten Datenanbietern) analysieren kann. Gerade weil also das Grundbuch auf die lokale, kleinteilige Verzeichnung von natürlichen Personen ausgerichtet ist, erschwert es das Wissen über Vermögenskonzentration.
Das Leitbild der breiten Streuung des Eigentums ist ein Bestandteil der Bodenmarktpolitik der Bundesregierung und der normativen Säulen der sozialen Marktwirtschaft generell. Der theoretische Zugang zu Eigentum für jeden Mensch ist eine zentrale Legitimationsgrundlage des Privateigentums als Sicherung von Freiheit, Privatsphäre und Persönlichkeitsentfaltung. Insbesondere bei Wohnen, Nahrungsmittelproduktion, sowie bei Infrastrukturen der Grundversorgung wird jedoch deutlich, dass gerade die reale Eigentumsverteilung die Grundfreiheiten von Menschen unterminiert.
Doch gerade aufgrund einer isolierten Konzeption von Eigentum in den Grundbüchern, die Eigentum als klar abgrenzbares und isoliertes Objekt einer natürlichen Person festschreiben, sind einzelne Eigentumsrechte an Gütern und wie sie in komplexen Investitions- und Eigentumsstrukturen auf verschiedenste ultimative Eigentümer gestreut werden, unsichtbar.
Somit gibt es eine Wechselbeziehung zwischen gesellschaftlichen Konzepten von Eigentum und den Kategorien bürokratischer Register: eine Wahrnehmung gesellschaftlicher Verhältnisse entsteht nur durch aggregierte Daten, beispielsweise durch Statistiken und Verwaltungsdaten, und in das Design von Gesetzen und Verwaltungsprozessen sind Visionen der Gesellschaft eingeschrieben – ihres Status Quo und ihrem wünschenswerten Zustand.
Intransparenz der Bodenkonzentration meint hier also weniger die Verschleierung objektiven Wissens, sondern, dass die Repräsentationen des Bodeneigentums in Form von Registereinträgen, Statistiken, Bildern und Narrativen bestimmte Aussagen ermöglichen und andere nicht. In Deutschland ist jemand offiziell nur dann Grundstückseigentümer*in, wenn die Person im Grundbuch eingetragen ist und dies sind einsehbar, wenn das öffentliche Interesse schwerer als die Privatsphäre des Eigentümers wiegt. Das sollte hinreichend sein, um unerwünschte Konzentration festzustellen. Doch Eigentumsverhältnisse an Land bleiben aufgrund praktischer Obskurität durch rechtliche, technische und organisatorische Barrieren verborgen. Und diese, so argumentiere ich, liegen an den Normen und Werten von Eigentum und Gesellschaft, welche in das Design der Registerinfrastrukturen von Eigentum Einzug erhalten haben. Diese bestätigen und stabilisieren auch wieder genau jene Normen, weil andere Aspekte außer Betracht bleiben.
Um die Legitimationsfrage gesellschaftlicher Eigentumsverhältnisse demokratisch im 21. Jahrhundert neu verhandeln zu können, braucht es auch eine bürokratische und statistische Wahrnehmung von Verhältnis. Selbst ein eindeutiger Identifikator für Eigentümer im Grundbuch, die statistische Erhebung von Konzernstrukturen und eine Verlinkung von Grundeigentumsdaten mit Gesellschafterinformationen aus dem Handels- oder Transparenzregister sind damit schon ein Schritt hin zu anderen möglichen Verständnissen und Perspektiven, welche die Widersprüche unserer veralteten Eigentumskonzeptionen sichtbar machen können.
Der Zusammenbruch der alten Ordnung - Munich Security Report
Munich Security Report: Ukraine-Krieg ist Teil des großen Machtkampfs gegen bzw. für die vom Westen dominierte Weltordnung.
Der Globale Süden beginnt, sich westlicher Kontrolle zu entziehen.
Die Organisatoren der Münchner Sicherheitskonferenz plädieren für eine stärkere Berücksichtigung der Interessen des Globalen Südens. Wie es im Munich Security Report heißt, der gestern veröffentlicht wurde, müsse man sich endlich der Tatsache stellen, dass immer noch kein einziges Land Afrikas und Lateinamerikas – sowie kaum ein Land Asiens – die westliche Sanktionspolitik gegen Russland unterstütze. Wolle man ernste Rückschläge im globalen Machtkampf gegen Russland und China langfristig vermeiden, müsse man wenigstens einige der Länder im Globalen Süden zurückgewinnen. Schließlich gelte die „vom Westen geführte Ordnung“ in zahlreichen Staaten des Südens als durch „postkoloniale Dominanz“ geprägt, was Sympathien für eine „nachwestliche“ Weltordnung hervorrufe. Wie es im Munich Security Report weiter heißt, sei der Ukraine-Krieg „nur der unverfrorenste Angriff“ auf die vom Westen dominierte („regelbasierte“) Weltordnung. Demnach dient die Forderung, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, es müsse ihn am besten sogar verlieren, der wenigstens vorläufigen Sicherung der globalen westlichen Dominanz.
Die Münchner Sicherheitskonferenz
Zur diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz werden am kommenden Wochenende laut Angaben der Veranstalter rund 40 Staats- und Regierungschefs und mehr als 90 Minister aus zahlreichen – vor allem westlichen – Ländern erwartet, darunter die Präsidenten Frankreichs und Polens, Emmanuel Macron und Andrzej Duda, sowie Bundeskanzler Olaf Scholz. Die Ukraine ist unter anderem mit Außenminister Dmytro Kuleba vertreten. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nimmt an der Veranstaltung teil. Aus den USA wird Vizepräsidentin Kamala Harris anreisen, aus China der frühere Außenminister Wang Yi, der heute als Vorsitzender der außenpolitischen Kommission der Kommunistischen Partei der ranghöchste Außenpolitiker der Volksrepublik ist. Nicht eingeladen wurden die Regierungen Russlands und Irans; aus beiden Ländern werden allerdings Regierungsgegner erwartet, so etwa der einstige russische Oligarch Michail Chodorkowski. Geleitet wird die Veranstaltung nicht mehr von dem ehemaligen Spitzendiplomaten Wolfgang Ischinger, der bis 2022 als Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz amtierte, sondern erstmals von Christoph Heusgen, dem einstigen außenpolitischen Berater (2005 bis 2017) von Kanzlerin Angela Merkel.
„Symbol einer nachwestlichen Ära“
Befasst sich die Konferenz auf den ersten Blick vor allem mit dem Ukraine-Krieg, so geht es laut Angaben der Veranstalter im Kern um mehr: um den Machtkampf zwischen den Staaten, die die alte, vom Westen dominierte Weltordnung verteidigen – sie wird im Westen gern als angeblich „regelbasierte“ Ordnung gepriesen –, gegen andere, die die westliche Dominanz abschütteln wollen. Zu letzteren zählt der Munich Security Report, eine Art Begleitheft zur Konferenz, Russland und China. Der russische Überfall auf die Ukraine sei „nur der unverfrorenste Angriff auf die regelbasierte Ordnung“, heißt es im Munich Security Report, der alle Versuche, die globale Dominanz des Westens zu brechen, in denunziatorischer Absicht als „revisionistisch“ abqualifiziert.[1] Die Autoren zitieren zustimmend einen Artikel aus der britischen Zeitschrift New Statesman, in dem es schon im vergangenen Jahr hieß, ein russischer Sieg in der Ukraine wäre „ein mächtiges Symbol einer neuen, nachwestlichen Ära“ – ein Symbol „des Zusammenbruchs der alten Ordnung“. Daraus leitet sich die Forderung ab, Russland dürfe den Ukraine-Krieg nicht gewinnen, es solle ihn am besten sogar verlieren. In diesem Sinn widmet sich die Münchner Sicherheitskonferenz dem Schwerpunkt Ukraine-Krieg.
„Postkoloniale Dominanz“
Besonderes Gewicht messen die Autoren des Munich Security Report dem Globalen Süden bei. Die Motive dafür sind nicht etwa Armut sowie schwierige Lebensverhältnisse in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, sondern die Tatsache, dass die Staaten des Globalen Südens zwar mehrheitlich den russischen Überfall auf die Ukraine als einen Bruch des internationalen Rechts kritisieren, sich aber nicht am Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland oder gar an der Hochrüstung der Ukraine beteiligen. Hieß es bisher in öffentlichen Stellungnahmen aus Politik und Denkfabriken wie auch im medialen Echo stets nebulös, eine höchst diffuse „internationale Gemeinschaft“ bestrafe Moskau für den Krieg mit Sanktionen, so stellt der Munich Security Report erstmals in dieser Offenheit fest: „Kein einziger Staat Afrikas oder Lateinamerikas ist Teil der lockeren Koalition, die Sanktionen gegen Russland verhängt hat.“[2] Auch in Asien beteiligen sich nur drei Staaten [3] plus die chinesische Insel Taiwan an der Sanktionspolitik – und damit am Bestreben, die alte, vom Westen dominierte Weltordnung zu stabilisieren. Der Munich Security Report räumt ein, die „vom Westen geführte Ordnung“ sei für viele Staaten im Süden durch „postkoloniale Dominanz, doppelte Standards und Vernachlässigung der Anliegen von Entwicklungsländern“ charakterisiert. „In weiten Teilen der Welt“ gebe es daher Sympathien für eine multipolare, „nachwestliche“ Weltordnung.
Den Süden einbinden
Die Autoren des Munich Security Report plädieren dafür, diese Tatsache nicht mehr – wie bisher – weitgehend zu tabuisieren, sondern sich ihr zu stellen und um den Globalen Süden zu werben. So heißt es, zwar stoße „Chinas Modell in vielen Entwicklungsländern auf Resonanz“; doch habe das vor allem mit der „Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung“ zu tun, „die den Bedürfnissen vieler Entwicklungsländer nicht gerecht wird“.[4] Es müsse daher „gelingen, Länder besser einzubinden, die bisher wenig Mitspracherecht hatten“, sowie „dafür zu sorgen, dass die bestehende Ordnung allen gleichermaßen zugutekommt“. Habe man damit Erfolg, dann „könnte die Ordnung wieder neue Unterstützer finden“. Konkret und eher hilflos plädiert der Munich Security Report für eine wirkungsvolle Entwicklungshilfe und dafür, dass „Europa und die USA ihre Versprechen erfüllen, globale öffentliche Güter bereitzustellen“. Zugleich müssten sie vom „Geber-Empfänger-Verhältnis“ loskommen sowie „Kooperation auf Augenhöhe“ ermöglichen. Allerdings gehört etwa Letzteres seit Jahren zu den offiziell stets stolz vorgetragenen Zielen der deutschen Außenpolitik, ohne dass es jemals praktisch realisiert worden wäre.[5] Dass die ehemaligen Kolonien den Aufstieg auf gleiche Augenhöhe mit den Ex-Kolonialmächten schaffen, lag in der Tat noch nie im Interesse westlicher Politik.
Der Süden opponiert
Während es im Munich Security Report heißt, man müsse den Globalen Süden einbinden, beginnen dortige Schwellenländer nicht nur passiv – durch die Verweigerung von Russland-Sanktionen –, sondern auch aktiv gegen die transatlantische Politik im Ukraine-Krieg zu opponieren. So hat Ende vergangener Woche Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva anlässlich eines Besuchs in Washington bekräftigt, er arbeite weiterhin daran, gemeinsam mit anderen Staaten jenseits des alten Westens eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg zu erreichen.[6] Als Kooperationspartner komme dabei China in Frage. Lula hat angekündigt, in wenigen Wochen nach Beijing zu reisen und mit seinem dortigen Amtskollegen Xi Jinping Gespräche zu führen. Chinas Regierung sei „eine der wenigen auf der internationalen Bühne, die Moskau nicht ignorieren kann“, räumte gestern Wolfgang Ischinger, ehemaliger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, ein: „Allein oder mit anderen wäre China vielleicht imstande, einen Friedensvorschlag zu machen.“[7] Ischinger wies allerdings zugleich darauf hin, das werde „in den USA vermutlich nicht größte Freude auslösen“.
In der Tat wäre ein von China miterzielter Verhandlungserfolg bloß ein weiterer Beleg für den historischen Abstieg des Westens, den dieser verhindern will – mit allen Mitteln.
[1], [2] Re:vision. Munich Security Report 2023. Munich, February 2023.
[3] Japan, Südkorea, Singapur. Hinzu kommen Australien und Neuseeland.
[4] Re:vision. Munich Security Report 2023. Munich, February 2023.
[5] S. dazu: Nachbarn im Herzen, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9132
[6] Caroline Arkalji: What came out of the Lula-Biden meeting? atlanticcouncil.org 10.02.2023. S. auch Auf der SEite der Diplomatie, https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9150.
[7] Gudrun Dometeit: „Für Diplomaten ist eine Welt zerbrochen“. focus.de 13.02.2023.
Ausgestorben! Zu viel Panzer, zu wenig Hirn.
Die Entscheidung Kanzler Scholz`, 14 Leopard-2-Panzer in den Ukraine-Krieg zu schicken, beflügelte die Phantasie der Rheinmetall-Aktionäre und katapultierte die Aktie auf ein neues Allzeithoch von 230 Euro. Rheinmetall ist zusammen mit Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) der Fabrikant des feuerspeienden 62-Tonnen-Ungetüms. KMW ist an der Börse nicht notiert.
Bereits im Jahresrückblick 2022 hatte die „Börsenwoche“ unter der Überschrift „Wer ethisch investiert, verliert“ geschrieben: „Der Kurs der Rheinmetall-Aktie verdoppelte sich in diesem Jahr, der des Hafermilch-Herstellers Oarley brach hingegen ein. Für Anleger war 2022 kein gutes Jahr – außer man investierte unethisch“ – z.B. in Waffen-Werte bzw. rüstungslastige Aktien wie Airbus, Hensoldt, MTU, Rheinmetall oder in den US-Rüstungsindex Aerospace & Defense. „Es ist Weihnachten, aber die Erde ist weit entfernt von Frieden. Nutznießer sind Investoren in Waffenproduzenten“, so das Börsenblatt weiter. Das rief den BDSV, den Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, auf den Plan. Fast blasphemisch erklärte dessen Hauptgeschäftsführer Christoph Atzpodien: „Die Gleichung muss lauten: ´Frieden auf Erden durch Rüstung`.
Gemäß dieser Waffen-Logik setzt sich der BDSV (zugleich Mitglied des BDI) auch dafür ein, dass die Rüstungswirtschaft das Siegel „Nachhaltigkeit“ bekommt, denn die Verteidigungsindustrie garantiere Sicherheit und das sei die Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaften. Zudem legen viele Rüstungskonzerne Nachhaltigkeitsberichte vor. So will beispielsweise Rheinmetall nach eigenen Angaben bis zum Jahr 2035 klimaneutral arbeiten. Ein Ökopanzer mit Elektro-Antrieb ist bereits in der Entwicklung.
Präsident des BDSV mit seinen über 100 Mitgliedsfirmen (zusammen mit den in der BDSV-Exhibitions e.V. - vormals Wehrtechnische Messen – organisierten Firmen über 220) ist Armin Papperger, im Hauptberuf Vorstandsboss des größten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall. Der Kurs der Rheinmetall-Aktie stieg von 85 zu Jahresbeginn 2022 auf 190 zum Jahresende (Schützenpanzer) und auf 230 nach dem Kampfpanzerbeschluss; eine Steigerung um knapp 125 Prozent bzw. 142 Prozent.
Der Konzern fabriziert und liefert fast alles, was im Ukrainekrieg auf den Schlachtfeldern zum Töten gebraucht wird: Panzer, Kanonen und Munition. In allen drei Sparten gibt es Liefer-Engpässe, weshalb der Konzern seine Kapazitäten zügig erweitern will, in Deutschland und im Ausland. In Ungarn wird ein neues Munitionswerk gebaut, in Spanien soll für 1,2 Milliarden Euro der Munitionsproduzent Expal übernommen werden, um den steigenden Explosivbedarf zu decken (HB, 10.2.23).
Für knapp eine Milliarde Euro Investitionen will der Düsseldorfer Konzern seine Kapazitäten erweitern, um bis 2025 eine Verdoppelung des Umsatzes von 6,4 Mrd. Euro (2021) auf 11 bis 12 Milliarden Euro zu erreichen (BR-Wi vor 8, 23.1.23). 2000 Neueinstellungen wurden bereits vorgenommen, weitere 2000 sollen folgen. Das operative Ergebnis war 2022 trotz schwächelnder Automobil-Sparte um über 20% gestiegen. Bereits bei der Rheinmetall-Bilanzpräsentation 2021 versicherte Armin Papperger: „Modernisierungsprogramme und eine extrem hohe Zahl an Neuausschreibungen geben uns die Sicherheit, dass der Superzyklus weitergeht“. Mit der russischen Invasion in die Ukraine und den Waffenlieferungen der NATO-Staaten in das Kriegsgebiet, dem 100-Milliarden „Sondervermögen“ und den Aufrüstungsschritten anderer Staaten der Kriegsallianz wird es ein Super-Plus-Zyklus mit entsprechenden Profiten. Zur Freude von angelsächsischen Vermögensverwaltern und anderen Finanzinvestoren (siehe Schmid, Das siebte fette Jahr der Welt-Rüstungsindustrie). Sie halten zusammen 41,03% des Aktienkapitals von Rheinmetall, an der Spitze BlackRock mit 5,08%.
Die Reichen, die ihre Geldvermögen in die Vermögensfonds zur Mehrung stecken, verdienen kräftig an Mord und Totschlag im Ukraine-Krieg.
Das Schlachtfeld Ukraine ist für den Militär-Industrie-Komplex noch aus einem anderen Grund von großem Nutzen. „Womöglich gibt es einen willkommenen Seiteneffekt für die Waffengeber“, meint Helmi Krappitz vom Merkur (17.01.23). „Der Krieg bietet dem Westen die seltene Möglichkeit seine Waffensysteme im Einsatz zu testen“. Die Ukraine sei gewissermaßen ein „Testlabor für westliche Waffen“. Und: Es sei „ein Waffenlabor, weil das Equipment vorher noch nicht in einem Krieg zwischen zwei Industrienationen eingesetzt wurde“, erklärte ein Experte der westlichen Geheimdienste dem Sender (CNN) - FS)“. Und zynisch zur Gefechtsfelderprobung: „Das sind Kampftests im realen Leben (!)“.
Waffe für Waffe in den Flächenbrand
Die politischen Haupttreiber für immer mehr und brisantere Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet sind hierzulande die alten und neuen Kalten Krieger in der Union, aber auch in der Ampel mit der FDP und der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann sowie den Oliv-Grünen Anton Hofreiter und Annalena Baerbock; letztere wähnt sich nach eigenen Worten bereits „im Krieg mit Russland“.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann kandidierte bei den Bundestagswahlen in dem Düsseldorfer Wahlkreis, in dem der Panzer-, Kanonen- und Munitionshersteller Rheinmetall seinen Konzernsitz hat. Sie ist Präsidiums-Mitglied in den Rüstungslobby-Organisationen „Förderkreis Deutsches Heer e.V.“ und in der „Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik“. „Beides sind von der Rüstungsindustrie stark beeinflusste Organisationen, wo wir es kritisch sehen, wenn Abgeordnete des Bundestages dort leitende Funktionen übernehmen – auch wenn es ehrenamtlich geschieht“, sagte Lobbycontrol-Sprecher Timo Lange der „Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Rüstungsindustrie würde so über „sehr enge und privilegierte Zugänge ins Parlament verfügen“. (NOZ, 8.5.22). Dazu ist sie Beiratsmitglied der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Und schließlich Vizepräsidentin der Deutschen Atlantik Gesellschaft, die ihre Aufgabe darin sieht, über die deutsche Sicherheitspolitik und die Einbindung Deutschlands in die NATO zu informieren.
Strack-Zimmermann gehört zum personellen und politischen Kern des Militär-Industrie-Komplexes. In ihrer Funktion als Vorsitzende des 32-köpfigen Verteidigungsausschusses läßt sie keine Gelegenheit aus, sich für neue Waffenbeschaffungen einzusetzen, von der Handfeuerwaffe bis zur Panzerhaubitze, von der Kampfdrohnen bis zum Atombomber. siehe https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5016-das-siebte-fette-jahr-der-welt-ruestungsindustrie
Das männliche Gegenstück zur Panzer-Frontfrau ist gewissernaßen Henning Otte (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Wie es der Zufall will, liegen im Wahlkreis von Otte in Unterlüß (Lüneburger Heide) auch Werke von Rheinmetall, die einzigen größeren Arbeitgeber in dem Landstrich: zwei Munitionsfabriken (Rheinmetall Waffe) für schwere und mittelschwere Kaliber und ein Werk für Landsysteme. Nebst einem zugehörigen 50 Quadratkilometer großen Erprobungszentrum, dem größten privaten Testgebiet für Waffen in Europa.
In seinen Lobby-Funktionen ist Otte Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik und Mitglied des Präsidiums des Förderkreises Deutsches Heer. Die Rüstungslobby-Ämter gab er erst auf Nachfrage bekannt.
Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in wehrpolitischen Fragen ist der CSU-Abgeordnete Florian Hahn. Transparency International bescheinigte ihm eine besondere Nähe zur Rüstungsindustrie und bewertete den Fall als ein „besonders krasses Beispiel“ eines parlamentarischen Interessenskonflikts. Florian Hahn war jahrelang Aufsichtsrat der IABG, eine Einrichtung für zivile und militärische Luft-und Raumfahrtforschung. Zudem war er jahrelang Mitglied des Präsidiums der Gesellschaft für Wehrtechnik.
Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Hellmich, wiederum ist Mitglied des Förderkreises Deutsches Heer.
Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP, Alexander Müller, ist im Nebenberuf Vizepräsident einer weiteren Rüstungslobby-Organisation, der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP, vormals Gesellschaft für Wehrkunde) mit 7.000 Mitgliedern.
Vom Kampfpanzer zum Kampfjet - „Wir bleiben dran“
Die Rechnung der Hurra-Bellizisten vom Schlage Strack-Zimmermann und Hofreiter für die Lieferung deutscher Kampfpanzer ist aufgegangen. Der „Einsatz habe gewirkt“ jubelte die FDP-lerin schon nach dem Schützenpanzer-Beschluß der Regierung. „Damit endet aber unser Einsatz längst nicht. Denn klar muss sein: Nach dem Marder kommt der Leopard. Wir bleiben dran“.
Bei den von Scholz zugesagten 14 zugesagten Leopard-2-Panzern wird es nicht bleiben. Dutzende Leopard-1-Panzer gibt es als Dreingabe. Erstmals nach 80 Jahren rollen dann wieder deutsche Panzer nach Osten, um Russen totzuschießen.
Auch der stellvertretende ukrainische Außenminister und Faschistenverehrer Andrij Melnyk und Präsident Selenskyj „bleiben dran“. „Wir brauchen die Luftwaffe“ twitterte Andrij Melnyk. Und Wolodymyr Selenskyj forderte Kampfbomber, Langstrecken-Raketen, U-Boote und andere Kriegsschiffe.
Die ganz große deutsche Panzerkoalition im Bundestag reagierte bislang ablehnend, selbst Strack-Zimmermann betont das Risiko. Doch eine baldige Kehrtwende ist zu erwarten, wenn Wolodymyr Selenskyj bei seiner Europatour genügend Länder um- und eingestimmt hat und der Bieterreigen erneut beginnt. Militarist und CDU-Abgeordneter Roderich Kiesewetter, Oberst a.D., fünf Jahre lang Präsident des Reservistenverbandes, gibt sich bereits aufgeschlossener: „Ausschließen sollten wir allerdings grundsätzlich nichts“. In Großbritannien werden bereits ukrainische Soldaten zu Bomberpiloten ausgebildet.
So wird sich die tödliche Spirale militärischer Eskalation weiterdrehen. Allein mit den Panzern hat die Brisanz des Krieges gefährlich zugenommen: Panzerhaubitzen, Gepard-Flakpanzer, Schützenpanzer „Marder“, Leopard-2-Panzer, Leopard-1-Panzer, weitere Panzerhaubitzen, …...der Rüstungskonzern Rheinmetall möchte zudem seinen Kampfpanzer Panther, eine Eigenentwicklung des Konzerns, an die Ukraine verkaufen. „Die Ukraine hat Interesse an dem Lynx und dem Panther, die derzeit modernsten Schützen- und Kampfpanzer“, so Konzernboß Papperger. Man könne sich auch vorstellen, die Panzer direkt in der Ukraine zu fertigen. Deutschland ist ohnehin Hauptlieferant von schweren Waffen in das Kriegsgebiet. Und Scholz brüstet sich noch damit.
Deutschland marschiert im Gleichschritt mit den anderen NATO-Komplizen immer weiter in den Krieg hinein.
Profiteure des Krieges aber sind primär US-amerikanische, aber auch deutsche und europäische Rüstungskonzerne; genauer: deren Eigner. Allen voran US-amerikanische Finanzinvestoren. Sie dominieren, mit den Vermögensverwaltern BlackRock und Vanguard an der Spitze, die größten US-Waffenschmieden: Lockheed Martin, Raytheon, Boeing, Northrop Grumman, General Dynamics. Es sind dies zugleich die größten Rüstungskonzerne der Welt. Aber auch bei Rheinmetall haben amerikanischen Finanzinvestoren das Sagen: sie halten 41% des Aktienkapitals. Größter Einzelaktionär ist der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock mit über 5% Anteil.
Die Finanzinvestoren profitieren an der Zerstörung, aber auch am etwaigen Wiederaufbau der Ukraine.
Am 28. Dezember gab das Präsidialbüro der Ukraine bekannt, dass Wolodymyr Selenskyj und BlackRock-Chef Larry Fink im Rahmen eines Videogesprächs übereinkamen, „sich auf die Koordinierung der Bemühungen aller potenziellen Investoren und Teilnehmer am Wiederaufbau zu konzentrieren und die Investitionen in die wichtigsten und wirkungsvollsten Sektoren der ukrainischen Wirtschaft zu lenken“ (zit. nach NachDenkSeiten, 19.1.23). In der Presseerklärung des ukrainischen Präsidialbüros heißt es ergänzend: Gemäß den Vereinbarungen, die Anfang des Jahres zwischen dem Staatschef und Larry Fink getroffen wurden, arbeitet das BlackRock-Team seit mehreren Monaten an einem Projekt zur Beratung der ukrainischen Regierung bei der Strukturierung der Wiederaufbaufonds des Landes. Larry Fink taxiert die Kosten für den Wiederaufbau auf 750 Milliarden Euro.
US-BlackRock will also die Ukraine wiederaufbauen! Das ist gewissermaßen Kreislaufwirtschaft à la Finanzinvestoren. Von Zerstörungen profitieren und dann vom Wiederaufbau. Für sie gilt, was der Fraktionsvorsitzende der Republikaner Mitch McConnel im US-Senat formuliert hatte: „Und lassen Sie uns das klarstellen. Der Grund dafür, dass eine große parteiübergreifende Mehrheit im Kongress die weitere Unterstützung der Ukraine befürwortet, liegt nicht in dem Wunsch sich philanthropisch zu engagieren. Die wichtigsten Gründe für die weitere Unterstützung der Ukraine bei der Niederringung der russischen Invasoren sind kalte, harte, praktische amerikanische Interessen“.
Medienkritik „von links“ geht eben doch
Medien zu kritisieren ist wie übers Wetter schimpfen – es geht (fast) immer. Jede und jeder hat eine Meinung, und alle posaunen sie heraus: Die Schlesinger-Affäre beim RBB? Eine Schande! Das Programm der Öffentlich-Rechtlichen? Langweilig und fad! „Schafft endlich das Fernsehen ab“, titelte erst neulich die Berliner Zeitung. Die Corona-Berichterstattung? Oberflächlich und manipulativ! Und die Ukraine? Genauso! Die Welle der Kritik nimmt kein Ende. Sie kommt im Schlagzeilenformat und spült in ihrer Wucht gern alles und jede und jeden vom Tisch. Das kann amüsant und erhellend sein oder langweilig und nervig.
Denn wer Ausgewogenheit will, sollte auch ausgewogen argumentieren. Aber manche Kritiker:innen bekämpfen Feuer lieber mit Feuer.
Ganz vorn dabei: die „Querdenker“-Fraktion. Seit Corona bedient sie die komplette Bandbreite der Medienkritik. Zwischen „Tiefenstaat“ und „Meinungsdiktatur“ werden hier korrupte Medien gern Teil verquerer Erzählungen. Heraus kommt die vermeintlich ganze Wahrheit – alles zur Rettung der Demokratie, versteht sich. Sieht man aber genauer hin, wird aus dieser Wahrheit meist nur ihr berühmtes Körnchen – aufgeplustert, schabloniert und verstrickt in Informationsblasen, deren Sinn sich einem schwer erschließt.
Das ist schade, denn Medienkritik ist wichtig und gut! Wo kämen wir denn hin, wenn wir nicht kritisch beäugten, was Medien und ihre Macher:innen uns vorsetzen? Fundiert und genau sollte die Kritik sein; gern auch politisch – dann aber bitte transparent!
Eine Initiative, die das leistet, ist die Linke Medienakademie (LiMA) mit Sitz in Berlin. Seit 2009 fördert sie links-kritische Perspektiven auf die Medien – und in den Medien. Kritische Medienkompetenz nennt sich das. „Unser Ziel ist soziale Gerechtigkeit, und ‚ein gutes Leben für alle‘“, erzählt Helge Groß. Er gehört zu den vier Teilzeitkräften, die die LiMA am Laufen halten.
Ihr jährliches Highlight ist die LiMA-Woche: 400 Medienmacher:innen, Aktivist:innen und Journalist:innen besuchen Workshops zu Medien, Journalismus und politischer Arbeit. Das ist keine kleine Leistung und braucht „viel Engagement, Einsatz und Unterstützung“, sagt Groß. Aber diese Arbeit lohne sich. „Es gibt so viel Hass, Abwertung und Ausgrenzung, es braucht Initiativen, die versuchen, etwas zu tun.“ Die LiMA sei solch eine Initiative. Ihr Netzwerk bringt Menschen und Projekte aus dem linken Spektrum zusammen, denen die aktuelle (Medien-)Welt nicht passt.
Ein Beispiel sind die Neuen Deutschen Medienmacher:innen (NDM). Ihr Ziel ist mehr Vielfalt in deutschen Redaktionen, denn viele Journalist:innen in Deutschland sind sich ziemlich ähnlich: Sie sind weiß, gut gebildet und ihre Eltern haben Geld. Migrant:innen, Arbeiterkinder, Ostdeutsche sucht man in deutschen Redaktionen mit der Lupe. Ihre Perspektiven fallen so oft aus den Medien. NDM zeigt auf diese Lücken und schließt sie.
Diese Arbeit ist wichtig, denn Medien bieten uns Orientierung in der Welt. Klar ist das problematisch, wenn ganze Stücke aus dieser Welt in den Medien fehlen. Trotzdem sind Journalist:innen oft Sündenböcke für Probleme, die tiefer gehen und breiter streuen.
Soziale Ungleichheit, zum Beispiel. Die wurzelt in unserer Gesellschaft, nicht in den Medien, und ihr Wandel braucht mehr als Kritik – sie braucht Engagement.
Anmerkung: Dieser Artikel erschien unter dem Titel „Über die Medien meckern? Nur zu, legen Sie los!“ in ähnlicher Fassung in der Berliner Zeitung.
Klimaverbrecher EXXON wußte seit den 1970 Jahren um die Klimazerstörung
Forscher:innen von ExxonMobil haben seit den 1970er Jahren die derzeitige globale Erwärmung mit großer Genauigkeit vorhergesagt. Sie warnten die Unternehmens-leitung mehrmals vor dem "katastrophalen Risiko". Doch der Konzern hat diese Erkenntnisse bewusst verschleiert, die Öffentlichkeit getäuscht, Hunderte Milliarden verdient und der Menschheit Jahrzehnte geraubt, um dem Klimawandel zu begegnen.
Jahrzehntelang versuchte die Industrie für fossile Brennstoffe, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nutzung fossiler Brennstoffe und der Klimaerwärmung hergestellt werden könne, weil die Modelle, die zur Prognose der Erwärmung verwendet wurden, zu unsicher seien.
Doch nun ist ein Slogan der Klimaktivist:innen #ExxonKnew - Exxon wusste (https://exxonknew.org/) bewiesen: Die Ölkonzerne wussten nämlich sehr wohl, dass die Kohlendioxidemissionen aus fossilen Brennstoffen zur Klimakrise führen würden. Sie wussten es nicht nur, sondern, wie jetzt in der Zeitschrift Science veröffentlichte Forschungsergebnissezeigen, haben die Forscher:innen von ExxonMobil seit den 1970er Jahren die derzeitige globale Erwärmung mit großer Genauigkeit vorhergesagt, sogar besser als die maßgeblichen Klimaforscher:innen. [1]
Die Exxon-Forscher:innen verfügten über eigene interne Modelle, die eine Erwärmung prognostizierten, die mit den Prognosen der unabhängigen akademischen und staatlichen Modelle übereinstimmte. Was Exxon über Klimamodelle wusste, stand also im Widerspruch zu dem, was der Konzern der Öffentlichkeit vorgaukelte.
"Eine Exxon-Projektion sagte sogar schon 1977 korrekt voraus, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe ein 'kohlendioxidinduziertes Superinterglazial' verursachen würde", erklärte Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der Co-Autor der Studie ist. "Das ist eine Warmzeit, die nicht nur viel wärmer ist als alles in der Geschichte der menschlichen Zivilisation, sondern sogar wärmer als die letzte Warmzeit vor 125.000 Jahren." Es sei sogar recht präzise ein "Kohlenstoffbudget" für eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad berechnet worden.
Die Autoren der Studie sind zwei Wissenschaftshistoriker von der Harvard University (USA), Geoffrey Supran und Naomi Oreskes, und der deutsche Klimatologe Stefan Rahmstorf (Universität Potsdam, Deutschland). "Die meisten dieser Vorhersagen zur globalen Erwärmung stimmen mit den in den Folgejahren erhobenen Daten überein", schreiben sie in ihrer Studie. "Außerdem erweisen sie sich als mindestens genauso genau wie die von unabhängigen Forschern und Regierungen gemachten Angaben".
Exxon-Forscher:innen warnten vor dem "katastrophalen Risiko"Die Arbeit von Supran und Kollegen basiert auf Dokumenten, die von Journalist:innen von Inside Climate News und dem Climate Investigation Center veröffentlicht wurden. Das Material bezieht sich auf Prognosen, die von ExxonMobil zwischen 1977 und 2003 erstellt wurden, und zeigt, dass Forscher die Unternehmensleitung bereits vor 40 Jahren vor dem "katastrophalen Risiko" der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung gewarnt hatten. Dabei handelte es sich nicht um eine sporadische Warnung: Die Dokumente enthalten nicht weniger als sechzehn Prognosen, die über fast drei Jahrzehnte hinweg im Auftrag des Unternehmens erstellt wurden und die alle übereinstimmend eine globale Erwärmung von etwa 0,2 °C pro Jahrzehnt vorhersagten (genau das, was wir heute erleben).
Die Vorhersagen des Ölkonzerns sind sogar noch genauer als die, die der NASA-Klimatologe James Hansen 1988 dem US-Parlament bei der historischen Anhörung präsentierte, die den Klimanotstand erstmals in den Vordergrund der öffentlichen Meinung in den USA rückte.
"Diese Ergebnisse", schreiben die Forscher, "bestätigen auch in quantitativer Hinsicht die Behauptungen von Wissenschaftlern, Journalisten, Anwälten, Politikern und vielen anderen, dass ExxonMobil die Bedrohung durch die vom Menschen verursachte globale Erwärmung vorausgesagt hat, und zwar sowohl vor als auch während der Lobby- und Propagandakampagnen zur Verzögerung von Klimaschutzmaßnahmen".
Exxon investierte Millionen, um den Klimawandel zu leugnen
Das Unternehmen, das mit einem Umsatz von über 280 Milliarden Dollar das größte private Ölunternehmen der Welt und in Deutschland unter der Marke Esso bekannt ist, zog es vor, die Prognosen geheim zu halten und das Gegenteil zu behaupten.
Genauso wie Big Tobacco vermeintliche Experten:innen anheuerte, die die Risiken von Sucht und Krebs leugneten, hat Exxon eine Kampagne des Zweifels und der Täuschung inszeniert. Im Laufe von fast vierzig Jahren hat das Unternehmen Millionen von Dollar an Denkfabriken und Politiker:innen gespendet, die ihr Bestes getan haben, um Zweifel und Fehlinformationen zu verbreiten - zunächst über die Existenz des Klimawandels, dann über das Ausmaß des Problems und schließlich über seine Ursache.
In dieser Zeit haben Exxon und seine Aktionäre – Investmentfonds wie Vanguard Group, BlackRock oder Fidelity – Hunderte von Milliarden auf Kosten von Menschenleben verdient.
Bewusst verbreitete die Konzernspitzen Desinformationen. "Wir haben kein ausreichend tiefes Verständnis des Klimawandels, um vernünftige Vorhersagen zu machen und drastische Maßnahmen zu rechtfertigen", sagte der Vorstandsvorsitzende von ExxonMobil, Lee Raymond, im Jahr 2000. Noch 2005 behauptete er, dass "die natürliche Klimavariabilität nichts mit menschlichen Aktivitäten zu tun hat, sondern mit Sonnenflecken". Raymond war auch Vorsitzender des US National Petroleum Council, des Gremiums, das die gesamte Branche der fossilen Brennstoffe im US-Energieministerium vertritt. Unter seiner Regentschaft war dies also wahrscheinlich die offizielle Position der gesamten Branche.
Rex Tillerson, sein Nachfolger an der Spitze von ExxonMobil, erklärte bis 2013, dass "trotz aller Fortschritte bei der Datenerfassung (...) unsere Fähigkeit, die Zukunft mit Sicherheit vorherzusagen, weiterhin sehr begrenzt ist" und dass "nach wie vor Ungewissheit darüber besteht, was die eigentlichen Ursachen des Klimawandels sind". Er war auch nicht nur ein privater Manager. Zwischen 2017 und 2018 war er Außenminister in der Trump-Administration, die ihn mit der Aufgabe betraute, die Beziehungen mit Russland wieder zu normalisieren. 1998 wurde Tillerson Präsident der russischen Exxon-Tochter Neftegas Limited und war verantwortlich für deren Aktivitäten in Russland. 2011 schlossen ExxonMobil und Rosneft unter der Führung von Tillerson eine Partnerschaft zur Ausbeutung von Energievorkommen in der Arktis und im Schwarzen Meer.
Der Präsident der Union of Concerned Scientists, Ken Kimmell, sagte damals: "Sie würden den CEO eines Tabakkonzerns nicht als Gesundheitsminister anstellen. Warum also wählt man den Chef eines Öl- und Gaskonzerns, um eine Position zu besetzen, die mit der nationalen Sicherheit und globalen Klimaschutzmaßnahmen beauftragt ist?"
Zu den rhetorischen Mitteln, die darauf abzielen, die "Pessimisten" zu diskreditieren, gehört der "Global Cooling Hoax", eine in den 1970er Jahren verbreitete Theorie, wonach die Temperatur in der Atmosphäre sinkt und nicht steigt. "Einige von denen, die heute wegen der globalen Erwärmung Alarm schlagen", so Raymond 1997, "haben in den 1970er Jahren eine neue Eiszeit vorausgesagt. Der Temperaturanstieg könnte also ein weiterer Irrtum der Klimaforscher sein", hieß es. In Wirklichkeit, so zeigen Supran, Oreskes und Rahmstorf, blieb die Theorie der "globalen Abkühlung" unter den Klimaforscher:innen stets in der Minderheit. Und das konnte Raymond nicht entgangen sein, denn es waren die eigenen Expert:innen von ExxonMobil, die dies für unwahrscheinlich hielten.
Jahrzehnte verloren in ScheindebattenOhne die Obstruktion der Kohlenstofflobby hätte die wissenschaftliche Klimadebatte also schon vor vielen Jahren abgeschlossen werden können. Ein Eingreifen Jahrzehnte im Voraus wäre weniger belastend gewesen als die komplexe Umstellung, zu der die Menschheit heute gezwungen ist, wenn sie überleben will.
"Exxon wusste schon vor einem halben Jahrhundert über den Klimawandel Bescheid. Sie haben die Öffentlichkeit belogen, ihre Aktionäre in die Irre geführt, und der Menschheit die Zeit einer Generation geraubt, um den Klimawandel aufzuhalten. Da Exxon die Öffentlichkeit absichtlich über den Klimawandel und fossile Brennstoffe getäuscht hat, sollte das Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir fordern eine sofortige Untersuchung", heißte es von #Exxonknew[2]
Exxon-Spitzenmanager wegen Verbrechen an der Menschheit anklagenDoch eine Untersuchung reicht nicht.
- Die Spitzenmanager von ExxonMobil müssen wegen schwerster Klimaverbrechen und Verbrechen an der Menschheit angeklagt werden!
- Exxon und die anderen Energiekonzerne müssen unter demokratischer Kontrolle vergesellschaftet werden!
Die EU-Staaten hatten sich im September auf eine befristete Zufallsgewinn-Steuer für Öl-, Erdgas- und Raffinerie-Konzerne geeinigt, die die einzelnen Staaten noch strenger gestalten dürfen. In Deutschland werden Gewinne, die im Vergleich zu den Vorjahren den Durchschnittsgewinn um ein Fünftel übersteigen, mit 33 Prozent besteuert. Die auf eine bis drei Milliarden Euro geschätzten Einnahmen sollen zur Finanzierung der Strompreisbremse für Verbraucher:innen beitragen.
Exxon hat die EU wegen der neuen Steuer auf Übergewinne verklagt. Die Europäische Union habe damit ihre Befugnisse überschritten, sagte ein Sprecher des US-Konzerns, der die Öffentlichkeit über Jahrzehnte belogen hat und dadurch Hunderte Milliarden abkassieren konnte.
Ein Ölmann wird Cop28 leitenZwar wird die nächste Vertragsstaatenkonferenz der Vereinten Nationen zum Klimawandel, der Cop28, nicht von einem Exxon-Manager geleitet, aber die nächste Weltklimakonferenz, die für Ende November 2023 geplant ist, zeigt diesmal den Einfluss der Öl-Lobby direkt: Sultan Ahmed Al-Jaber, Vorstandsvorsitzender der nationalen Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, wurde nämlich zum Vorsitzenden der Cop28 ernannt, die in dem reichen Golfstaat Dubai stattfinden wird. Al-Jaber leitet nicht nur die Abu Dhabi National Oil Company, sondern ist auch Industrieminister der VAE und Sondergesandter für den Klimawandel. Er wird der erste CEO sein, der einer COP vorsitzt: "Wir werden einen pragmatischen, realistischen und lösungsorientierten Ansatz einbringen", sagte er.
Vanessa Nakate, ugandische Aktivistin für Klimagerechtigkeit, ist kritisch: "Es darf nicht sein, dass die Interessen der fossilen Energieträger unsere Zukunft für ein paar weitere Jahre Profit opfern können", sagte sie.
[1] Science, 13.1.2023: "Assessing ExxonMobil’s global warming projections"
https://www.science.org/doi/10.1126/science.abk0063
[2] Investigate Exxon
https://exxonknew.org/#petition
Klimaverbrecher EXXON wußte seit den 1970 Jahren um die Klimazerstörung
Forscher:innen von ExxonMobil haben seit den 1970er Jahren die derzeitige globale Erwärmung mit großer Genauigkeit vorhergesagt. Sie warnten die Unternehmensleitung mehrmals vor dem “katastrophalen Risiko”. Doch der Konzern hat diese Erkenntnisse bewusst verschleiert, die Öffentlichkeit getäuscht, Hunderte Milliarden verdient und der Menschheit Jahrzehnte geraubt, um dem Klimawandel zu begegnen.
Jahrzehntelang versuchte die Industrie für fossile Brennstoffe, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nutzung fossiler Brennstoffe und der Klimaerwärmung hergestellt werden könne, weil die Modelle, die zur Prognose der Erwärmung verwendet wurden, zu unsicher seien.
Doch nun ist ein Slogan der Klimaktivist:innen #ExxonKnew – Exxon wusste (https://exxonknew.org/) bewiesen: Die Ölkonzerne wussten nämlich sehr wohl, dass die Kohlendioxidemissionen aus fossilen Brennstoffen zur Klimakrise führen würden. Sie wussten es nicht nur, sondern, wie jetzt in der Zeitschrift Science veröffentlichte Forschungsergebnissezeigen, haben die Forscher:innen von ExxonMobil seit den 1970er Jahren die derzeitige globale Erwärmung mit großer Genauigkeit vorhergesagt, sogar besser als die maßgeblichen Klimaforscher:innen. [1]
Die Exxon-Forscher:innen verfügten über eigene interne Modelle, die eine Erwärmung prognostizierten, die mit den Prognosen der unabhängigen akademischen und staatlichen Modelle übereinstimmte. Was Exxon über Klimamodelle wusste, stand also im Widerspruch zu dem, was der Konzern der Öffentlichkeit vorgaukelte.
“Eine Exxon-Projektion sagte sogar schon 1977 korrekt voraus, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe ein ‘kohlendioxidinduziertes Superinterglazial’ verursachen würde”, erklärte Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der Co-Autor der Studie ist. “Das ist eine Warmzeit, die nicht nur viel wärmer ist als alles in der Geschichte der menschlichen Zivilisation, sondern sogar wärmer als die letzte Warmzeit vor 125.000 Jahren.” Es sei sogar recht präzise ein “Kohlenstoffbudget” für eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad berechnet worden.
Die Autoren der Studie sind zwei Wissenschaftshistoriker von der Harvard University (USA), Geoffrey Supran und Naomi Oreskes, und der deutsche Klimatologe Stefan Rahmstorf (Universität Potsdam, Deutschland). “Die meisten dieser Vorhersagen zur globalen Erwärmung stimmen mit den in den Folgejahren erhobenen Daten überein”, schreiben sie in ihrer Studie. “Außerdem erweisen sie sich als mindestens genauso genau wie die von unabhängigen Forschern und Regierungen gemachten Angaben”.
Exxon-Forscher:innen warnten vor dem “katastrophalen Risiko”
Die Arbeit von Supran und Kollegen basiert auf Dokumenten, die von Journalist:innen von Inside Climate News und dem Climate Investigation Center veröffentlicht wurden. Das Material bezieht sich auf Prognosen, die von ExxonMobil zwischen 1977 und 2003 erstellt wurden, und zeigt, dass Forscher die Unternehmensleitung bereits vor 40 Jahren vor dem “katastrophalen Risiko” der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung gewarnt hatten. Dabei handelte es sich nicht um eine sporadische Warnung: Die Dokumente enthalten nicht weniger als sechzehn Prognosen, die über fast drei Jahrzehnte hinweg im Auftrag des Unternehmens erstellt wurden und die alle übereinstimmend eine globale Erwärmung von etwa 0,2 °C pro Jahrzehnt vorhersagten (genau das, was wir heute erleben).
Die Vorhersagen des Ölkonzerns sind sogar noch genauer als die, die der NASA-Klimatologe James Hansen 1988 dem US-Parlament bei der historischen Anhörung präsentierte, die den Klimanotstand erstmals in den Vordergrund der öffentlichen Meinung in den USA rückte.
“Diese Ergebnisse”, schreiben die Forscher, “bestätigen auch in quantitativer Hinsicht die Behauptungen von Wissenschaftlern, Journalisten, Anwälten, Politikern und vielen anderen, dass ExxonMobil die Bedrohung durch die vom Menschen verursachte globale Erwärmung vorausgesagt hat, und zwar sowohl vor als auch während der Lobby- und Propagandakampagnen zur Verzögerung von Klimaschutzmaßnahmen”.
Exxon investierte Millionen, um den Klimawandel zu leugnen
Das Unternehmen, das mit einem Umsatz von über 280 Milliarden Dollar das größte private Ölunternehmen der Welt und in Deutschland unter der Marke Esso bekannt ist, zog es vor, die Prognosen geheim zu halten und das Gegenteil zu behaupten.
Genauso wie Big Tobacco vermeintliche Experten:innen anheuerte, die die Risiken von Sucht und Krebs leugneten, hat Exxon eine Kampagne des Zweifels und der Täuschung inszeniert. Im Laufe von fast vierzig Jahren hat das Unternehmen Millionen von Dollar an Denkfabriken und Politiker:innen gespendet, die ihr Bestes getan haben, um Zweifel und Fehlinformationen zu verbreiten – zunächst über die Existenz des Klimawandels, dann über das Ausmaß des Problems und schließlich über seine Ursache.
In dieser Zeit haben Exxon und seine Aktionäre – Investmentfonds wie Vanguard Group, BlackRock oder Fidelity – Hunderte von Milliarden auf Kosten von Menschenleben verdient.
Bewusst verbreitete die Konzernspitzen Desinformationen. “Wir haben kein ausreichend tiefes Verständnis des Klimawandels, um vernünftige Vorhersagen zu machen und drastische Maßnahmen zu rechtfertigen”, sagte der Vorstandsvorsitzende von ExxonMobil, Lee Raymond, im Jahr 2000. Noch 2005 behauptete er, dass “die natürliche Klimavariabilität nichts mit menschlichen Aktivitäten zu tun hat, sondern mit Sonnenflecken”. Raymond war auch Vorsitzender des US National Petroleum Council, des Gremiums, das die gesamte Branche der fossilen Brennstoffe im US-Energieministerium vertritt. Unter seiner Regentschaft war dies also wahrscheinlich die offizielle Position der gesamten Branche.
Rex Tillerson, sein Nachfolger an der Spitze von ExxonMobil, erklärte bis 2013, dass “trotz aller Fortschritte bei der Datenerfassung (…) unsere Fähigkeit, die Zukunft mit Sicherheit vorherzusagen, weiterhin sehr begrenzt ist” und dass “nach wie vor Ungewissheit darüber besteht, was die eigentlichen Ursachen des Klimawandels sind”. Er war auch nicht nur ein privater Manager. Zwischen 2017 und 2018 war er Außenminister in der Trump-Administration, die ihn mit der Aufgabe betraute, die Beziehungen mit Russland wieder zu normalisieren. 1998 wurde Tillerson Präsident der russischen Exxon-Tochter Neftegas Limited und war verantwortlich für deren Aktivitäten in Russland. 2011 schlossen ExxonMobil und Rosneft unter der Führung von Tillerson eine Partnerschaft zur Ausbeutung von Energievorkommen in der Arktis und im Schwarzen Meer.
Der Präsident der Union of Concerned Scientists, Ken Kimmell, sagte damals: “Sie würden den CEO eines Tabakkonzerns nicht als Gesundheitsminister anstellen. Warum also wählt man den Chef eines Öl- und Gaskonzerns, um eine Position zu besetzen, die mit der nationalen Sicherheit und globalen Klimaschutzmaßnahmen beauftragt ist?”
Zu den rhetorischen Mitteln, die darauf abzielen, die “Pessimisten” zu diskreditieren, gehört der “Global Cooling Hoax”, eine in den 1970er Jahren verbreitete Theorie, wonach die Temperatur in der Atmosphäre sinkt und nicht steigt. “Einige von denen, die heute wegen der globalen Erwärmung Alarm schlagen”, so Raymond 1997, “haben in den 1970er Jahren eine neue Eiszeit vorausgesagt. Der Temperaturanstieg könnte also ein weiterer Irrtum der Klimaforscher sein”, hieß es. In Wirklichkeit, so zeigen Supran, Oreskes und Rahmstorf, blieb die Theorie der “globalen Abkühlung” unter den Klimaforscher:innen stets in der Minderheit. Und das konnte Raymond nicht entgangen sein, denn es waren die eigenen Expert:innen von ExxonMobil, die dies für unwahrscheinlich hielten.
Jahrzehnte verloren in Scheindebatten
Ohne die Obstruktion der Kohlenstofflobby hätte die wissenschaftliche Klimadebatte also schon vor vielen Jahren abgeschlossen werden können. Ein Eingreifen Jahrzehnte im Voraus wäre weniger belastend gewesen als die komplexe Umstellung, zu der die Menschheit heute gezwungen ist, wenn sie überleben will.
“Exxon wusste schon vor einem halben Jahrhundert über den Klimawandel Bescheid. Sie haben die Öffentlichkeit belogen, ihre Aktionäre in die Irre geführt, und der Menschheit die Zeit einer Generation geraubt, um den Klimawandel aufzuhalten. Da Exxon die Öffentlichkeit absichtlich über den Klimawandel und fossile Brennstoffe getäuscht hat, sollte das Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir fordern eine sofortige Untersuchung”, heißte es von #Exxonknew[2]
Exxon-Spitzenmanager wegen Verbrechen an der Menschheit anklagen
Doch eine Untersuchung reicht nicht.
- Die Spitzenmanager von ExxonMobil müssen wegen schwerster Klimaverbrechen und Verbrechen an der Menschheit angeklagt werden!
- Exxon und die anderen Energiekonzerne müssen unter demokratischer Kontrolle vergesellschaftet werden!
Exxon klagt gegen Übergewinnsteuer
Die EU-Staaten hatten sich im September auf eine befristete Zufallsgewinn-Steuer für Öl-, Erdgas- und Raffinerie-Konzerne geeinigt, die die einzelnen Staaten noch strenger gestalten dürfen. In Deutschland werden Gewinne, die im Vergleich zu den Vorjahren den Durchschnittsgewinn um ein Fünftel übersteigen, mit 33 Prozent besteuert. Die auf eine bis drei Milliarden Euro geschätzten Einnahmen sollen zur Finanzierung der Strompreisbremse für Verbraucher:innen beitragen.
Exxon hat die EU wegen der neuen Steuer auf Übergewinne verklagt. Die Europäische Union habe damit ihre Befugnisse überschritten, sagte ein Sprecher des US-Konzerns, der die Öffentlichkeit über Jahrzehnte belogen hat und dadurch Hunderte Milliarden abkassieren konnte.
Ein Ölmann wird Cop28 leiten
Zwar wird die nächste Vertragsstaatenkonferenz der Vereinten Nationen zum Klimawandel, der Cop28, nicht von einem Exxon-Manager geleitet, aber die nächste Weltklimakonferenz, die für Ende November 2023 geplant ist, zeigt diesmal den Einfluss der Öl-Lobby direkt: Sultan Ahmed Al-Jaber, Vorstandsvorsitzender der nationalen Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, wurde nämlich zum Vorsitzenden der Cop28 ernannt, die in dem reichen Golfstaat Dubai stattfinden wird. Al-Jaber leitet nicht nur die Abu Dhabi National Oil Company, sondern ist auch Industrieminister der VAE und Sondergesandter für den Klimawandel. Er wird der erste CEO sein, der einer COP vorsitzt: “Wir werden einen pragmatischen, realistischen und lösungsorientierten Ansatz einbringen”, sagte er.
Vanessa Nakate, ugandische Aktivistin für Klimagerechtigkeit, ist kritisch: “Es darf nicht sein, dass die Interessen der fossilen Energieträger unsere Zukunft für ein paar weitere Jahre Profit opfern können”, sagte sie.
[1] Science, 13.1.2023: “Assessing ExxonMobil’s global warming projections”
https://www.science.org/doi/10.1126/science.abk0063
[2] Investigate Exxon
https://exxonknew.org/#petition
„Demokratien gegen Autokratien“ – die neue Formel des imperialistischen Hegemonieanspruchs
Vorveröffentlichung aus dem neuen Buch des Autors, Deutschland im Wirtschaftskrieg, Papyrossa Verlag, März 2023
1. Der totalitäre Anspruch der US-Regierung
Präsident Biden formuliert in seiner Einleitung zur „Nationalen Sicherheits-Strategie“ deren Hauptpunkte folgendermaßen (National Security Strategy. www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2022/11/8-November-Combindes-PDF-for-Upload/pdf):
- Die Welt steht an einem Wendepunkt. Wie die USA auf die enormen Herausforderungen und die beispiellosen Möglichkeiten von heute reagieren, wird die Richtung der Welt und Sicherheit und Wohlstand des amerikanischen Volkes auf Jahrzehnte hinaus bestimmen.
- Wir sind inmitten einer strategischen Auseinandersetzung um die Zukunft der internationalen Ordnung. Wir werden im engsten Zusammenwirken mit unseren Partnern und allen, die unsere Interessen teilen, darum kämpfen, dass unsere Werte siegen – wir werden unsere Zukunft nicht denen überlassen, die unsere Vision einer freien, offenen und sicheren Welt nicht teilen.
- Diesen Kampf werden die USA anführen. „Die Notwendigkeit für amerikanische Führung ist so groß, wie sie jemals gewesen ist… Keine Nation ist besser in der Lage, mit Stärke und klarem Ziel zu führen als die Vereinigten Staaten von Amerika.“
- Gegner Nr. 1 ist die Volksrepublik China, die „die Absicht hegt und in wachsendem Maß die Fähigkeit hat, die internationale Ordnung so umzuformen, dass sie das globale Spielfeld zu ihren Gunsten gestaltet“. Gegner Nr. 2 ist Russland, das mit seinem Angriff auf die Ukraine den Frieden in Europa zerstört habe und überall Instabilität verbreite. „Die Autokraten machen Überstunden, um die Demokratie unterminieren und ein Regierungsmodell zu exportieren, dessen Kennzeichen Unterdrückung nach innen und Zwang nach außen sind.“
- Die USA haben um den Globus ein beispielloses Netzwerk von Allianzen und Partnerschaften gelegt, um diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Als „Kernallianzen“ werden für Europa die Nato – „ist stärker und einiger als jemals“ – und für den Indopazifik AUKUS (Australien, Vereinigtes Königreich, USA) genannt. Weiter aufgezählt werden EU, der Indo-Pacific Quad, das Indo-Pacific Economic Framework und die „Americas Partnership for Economic Prosperity“ für Lateinamerika.
- Die Autokraten irren, wenn sie glauben, Demokratien seien schwächer als Autokratien. Die Innenpolitik ist ein Teil dieses Kampfes. Wir werden weiter in Amerikas globales Wettbewerbsfähigkeit und Anziehungskraft investieren und „die Träumer und Strebsamen aus aller Welt zu uns ziehen“. Und „wir werden weiter zeigen, wie Amerikas dauerhafte Führung sich den Herausforderungen von heute und morgen stellt“.Bidens Einleitung schließt mit dem Satz: „Ich bin mehr denn je überzeugt, dass die USA alles haben, was nötig ist, um den Wettbewerb um das 21. Jahrhundert zu gewinnen.
Es gibt nichts, was jenseits unserer Fähigkeiten ist.“
Russland „ruinieren“, dann alle Rohre auf China
Diese größenwahnsinnige Einschätzung des „auserwählten Volkes“, als das die politische Elite der USA seit den Gründertagen die US-Amerikaner sehen, zieht sich durch das gesamte Dokument. Interessant und bestürzend sind die Präzisierungen der weihevoll formulierten Imperative des Präsidenten. Für das internationale System habe zu gelten, „die Länder müssen ihre eigene auswärtige Politik frei bestimmen“. Letzten Endes gehe es darum, „dass die globale Wirtschaft auf einem gleichen Spielfeld (level playing field) stattfindet und Möglichkeiten für alle vorsieht“. (S.6) Die Staaten müssen nicht selbst demokratisch sein oder werden, sie müssen aber im Lager der „Demokratien“ stehen.
Dass es neben der Blockrivalität noch andere grundlegende Probleme wie „Klimawandel, Nahrungsmittelunsicherheit, Infektionskrankheiten, Terrorismus, Energieknappheiten oder Inflation“ gibt, wird ohne weiteres konstatiert, um es sofort in die militante Block-Strategie einzubetten: „Wir müssen klaren Auges sehen, dass diese Herausforderungen innerhalb der internationalen Wettbewerbsumgebung angegangen werden müssen“. Der „geopolitische Wettbewerb…macht die Kooperation immer schwieriger und fordert von uns, über neue Wege nachzudenken und zu handeln“. Auch die Menschheitsprobleme stellen das „Sicherheits-Konzept“ unter das Ziel, „unsere Rivalen zu besiegen“. Russland stelle „eine unmittelbare Gefahr für das freie und offene internationale System dar, wie der brutale Angriffskrieg gegen die Ukraine“ gezeigt habe. „Im Gegensatz dazu ist die Volksrepublik China der einzige Wettbewerber, der sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung umzuformen wie zunehmend die ökonomische, diplomatische, militärische und technologische Macht, diesem Ziel näherzukommen.“ (S. 8) Die ausführliche Bekräftigung der Worte des Präsidenten – das ist das Mantra dieses „Sicherheitskonzepts“: Russland „ruinieren“, wie Frau Baerbock brav nachplappert, dann alle Rohre auf die Volksrepublik China, die das Zeug dazu hat, die Dominanz der westlichen Welt über das internationale System zu brechen.
Das Konzept drückt Verständnis aus für die Sorgen „in einigen Teilen der Welt, die sich unbehaglich fühlen mit dem Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und den größten Autokratien der Welt“. Auch die USA wollten keine „Welt rigider Blöcke“. Es ginge nur darum, dass alle Länder eine freie Entscheidung in ihrem eigenen Interesse treffen können. Natürlich eine freie Entscheidung für eine „freie Welt“, als deren Anführer sich die USA sehen. „Das ist der entscheidende Unterschied zwischen unserer Vision, die darauf abzielt, die Autonomie und die Rechte der weniger mächtigen Staaten zu wahren, und der unserer Rivalen, die das nicht tut.“ (S.9). Das muss den Völkern noch mal genauer erklärt werden, denen von Kuba, Vietnam, Chile, Nicaragua, Jugoslawien, Aghanistan, Irak, Libyen, Jemen – damit sie wissen, wie die US-Bomben auf ihr Land in Wirklichkeit gemeint waren.
„Linien“ und „Pfeiler“ der neuen US-Strategie
Um diese Welt zu erreichen, „die frei ist von Aggression, Zwang und Einschüchterung“, verfolgen die USA „drei Linien der Anstrengung:
1) in die Quellen und Instrumente amerikanischer Macht und Einflusses zu investieren;
2) die stärkstmögliche Koalition von Nationen zu bilden, die unseren gemeinsamen Einfluss auf die globale strategische Umgebung stärkt und gemeinsame Herausforderungen bewältigt und
3) unser Militär zu modernisieren und zu stärken, sodass es ausgerüstet ist für die Ära des strategischen Wettbewerbs mit größeren Mächten.
Die Totalmobilmachung aller Kräfte für die globale Auseinandersetzung „baut auf mehreren Pfeilern“:
1) Die USA heben die Trennungslinie zwischen Außen- und Innenpolitik auf. Der gemeinsame Wohlstand im Inland muss Hand in Hand gehen mit der Formung der internationalen Ordnung „in Übereinstimmung mit unseren Interessen und Werten“. Die Innovationskraft des privaten Sektors muss deshalb verbunden werden mit einer modernen Industriestrategie, die besonderes Gewicht legt auf die modernsten Technologien wie „Mikroelektronik, hochentwickelte Computertechnik, Biotechnologie, Technologien sauberer Energie und modernste Telekommunikation“ (S.11),
2) Die Allianzen und Partnerschaften rund um die Welt „sind unser wichtigstes strategisches Asset und ein nicht wegzudenkendes Element des Beitrags zu internationalem Frieden und Stabilität“. Besonders wichtig ist die wachsende Zusammenarbeit zwischen den Partnern im Indo-Pazifik und in Europa. „Wir erkennen, dass sie sich gegenseitig bestärken und dass die Schicksale der beiden Regionen eng miteinander verwoben sind … Wenn eine Region ins Chaos abgleitet oder von einer feindlichen Macht dominiert wird, wird dies unsere Interessen in den anderen fundamental treffen.“ (S. 11)
3) Es wird unterstrichen, dass die Volksrepublik China „Amerikas konsequenteste geopolitische Herausforderung ist“. Russland ist eine unmittelbare und andauernde Gefahr für die Stabilität, „aber ihm fehlen die umfassenden Fähigkeiten der Volksrepublik China“. Es gibt andere „kleinere autokratische Mächte, die ebenfalls auf Aggression und Destabilisierung hinwirken“. Genannt werden der Iran und Nord-Korea. (S.11f.)
4) Die USA wollen die Welt aber nicht „nur durch die Brille des strategischen Wettbewerbs sehen“, sondern sich auch für regionale Zonen von Frieden und Wohlstand einsetzen. Herausgehoben werden der Mittlere Osten, Afrika und Lateinamerika. Vor allem in der letzteren Region wollen die USA „wirtschaftliche Widerstandskraft, demokratische Stabilität und Sicherheit der Bürger voranbringen“ (S.12).
5) Die Globalisierung hat immense Vorteile für die USA und die Welt gebracht, „aber jetzt ist eine Justierung nötig, um es mit den dramatischen globalen Wandlungen aufzunehmen wie der sich ausweitenden Ungleichheit innerhalb der Länder und zwischen ihnen, der Herausbildung Chinas als sowohl unserem logischen Wettbewerber als auch einem unserer größten Handelspartner, und den aufkommenden modernen Technologien außerhalb der jetzt bestehenden Regelwerke“. Deshalb wollen die USA jenseits der traditionellen Freihandelsabkommen neue wirtschaftliche Arrangements bilden, engere Verbindungen der jeweiligen nationalen Wirtschaft mit der US-Wirtschaft wie im Indo-Pacific Economic Framework (IPEF); eine globale Mindeststeuer soll eingeführt werden, sodass alle Unternehmen ihren fairen Anteil an Steuern zahlen, wo auch immer in der Welt sie ihre Basis haben; die Partnership for Global Investment and Infrastructure (PGII – das späte und kleinere US-Gegenstück zur Belt & Road-Initiative Chinas), das auf Niedrig- und Mitteleinkommen-Länder zielt; die Regeln für die modernen Technologien, für Handel und Wirtschaft generell sollen modernisiert werden; und es soll abgesichert werden, dass „der Übergang zu sauberer Energie wirtschaftliche Gelegenheiten eröffnet und gute Jobs in aller Welt schafft“ (S. 12)
Abschließend: „Die Welt ist an einem Wendepunkt. Dieses Jahrzehnt wird entscheidend sein.“
Fassen wir den Kern dieses Konzepts zusammen:
- Die USA sind die eine unverzichtbare Nation an der Spitze des Blocks von „Demokratien“. Diesem stehen gegenüber die „Autokratien“, an deren Spitze China steht, dahinter Russland.
- In diesem Jahrzehnt wird ausgefochten, wer das internationale System bestimmt. Es kann nur einen Sieger geben, der USA-Block.
- Dieser Sieg ist nicht leicht zu erringen. Alle Kräfte müssen mobilisiert werden, wirtschaftlich, politisch, militärisch. Die Wirtschaft muss im wirtschaftlichen Wettbewerb siegen, sie muss eingerichtet werden unter dem Gesichtspunkt der globalen Rivalität. Bündnisse müssen unter eben dieser Orientierung organisiert werden. Das Militär muss ausgebaut werden, Krieg ist keineswegs ausgeschlossen, er gehört zur Planung. Einschließlich des Atomkrieges, den die USA in Europa auch die Bundeswehr üben lässt.
- Die Menschheitsprobleme wie Klimaerwärmung, Pandemien, Atomunfälle oder -kriege müssen ebenfalls unter der Maßgabe des globalen Kampf der System angegangen werden.
- Es kommt in letzter Instanz nicht auf „unsere Werte“ an, sondern darauf, ob ein Land sich zur „regelbasierten Ordnung“ des Westens bekennt. Dann ist es im US-Block willkommen.
- Eigentlich aber, sagen die USA, wollen sie gar keine Blockbildung. Sie bilden ein System rund um den Globus, in dem sie in jedem einzelnen regionalen Bündnis die unbestrittene Vormacht sind. Ziel ist ausdrücklich, die Teilelemente zu einer festeren, geschlossen vorgehenden Formation zu fügen. In Wahrheit bemühen sich die USA kaum, die Tatsache zu verhüllen, einen Block des Westens zu bilden, dessen unbestrittene Vormacht sie sind, die strikte Disziplin von „Partnern“ und Abhängigen verlangt.
2. Die neoliberale Globalisierung ist am Ende
Die offizielle Strategie der USA geht von der Erkenntnis aus, dass das bisherige Konzept der neoliberalen Globalisierung gescheitert ist. Die Unipolarität der Welt, die Dominanz der USA würde dafür sorgen, dass der „Freihandel“ die „westlichen Werte“ überall hin exportieren würde und die nachholenden Schwellenländer die arbeitsintensiven Produktionsabschnitte komplementär zu den fortgeschrittenen westlichen Ländern übernehmen würden, die sich auf die modernsten, hochproduktiven Teile der globalen Produktionsketten konzentrieren würden. Im Zuge der Industrialisierung würden die Schwellenländer zu westlichen Demokratien (Thomas Friedman, The World is Flat, New York 2007). Beides schien zunächst auch am zentralen Beispiel China aufzugehen. Millionen Arbeitsplätze verschwanden aus den USA und erstanden neu vor allem im kostengünstigeren China. Dort wurde der Anteil des privaten Kapitals immer größer. Doch änderte sich dies mit der Übernahme der Führung von Kommunistischer Partei und Staat durch die Xi-Mannschaft. In den letzten Jahren wuchs wieder der Anteil des staatlichen Eigentums und vor allem wurde der Zugriff des Staates auf die kapitalistischen Unternehmen immer enger. Das politische System entwickelte sich keineswegs hin zu den „westlichen Werten“, sondern ganz im Gegenteil, 15mal Marx und nur 3mal Markt, wie der aufmerksame Beobachter im Dienst des deutschen Kapitals bei Xi´s Rede auf dem letzten Parteitag der KP beobachten konnte. Aber nicht nur auf dem politischen, auch auf dem wirtschaftlichen Feld erfüllten sich die Erwartungen der westlichen Globalisierungsstrategen nicht. China blieb nämlich nicht bei seiner Rolle als billiger Arbeitslieferant für die weniger produktiven Teile der Produktion, sondern wurde schnell zu einem internationalen Wettbewerber auch für manche der modernsten Produkte. China hat mehr internationale Patenanmeldungen als die sechs größten europäischen Länder zusammen und sein Innovationstempo ist zehnmal schneller als das der USA. (Conrad Schuhler, Die USA, China, die EU und der Weltfrieden. Wie weit noch bis zum Krieg. Köln 2020, S. 64) Arbeitsplätze, die von Multis jetzt verlagert werden, gehören auch zu modernsten Produktionsverfahren. Apple, der Gigant der Kommunikationsindustrie, hat in China nicht nur seinen größten Markt, sondern auch seinen größten Produktionsstandort. (Thomas Fazi, Die Deglobalisisierung, die wir brauchen. Makroskop 11.1.2023. https://www.makroskop.eu/02-2023) Dasselbe gilt auch für Volkswagen, das von Produktion und Absatz eher ein chinesisches als ein deutsches Unternehmen darstellt.
Die Biden-Regierung zielt auf diese Verlagerung, wenn sie versucht, die protektionistische Politik des Vorgängers Trump noch zu übertreffen.
Wenn sich heute viele der fortgeschrittenen Länder auf „ortsgebundene Wirtschaft“, auf ein Entkoppeln von globalen Lieferketten einstellen, geschieht dies nicht nur in Folge internationaler Spannungen und Unsicherheiten, sondern auch weil sich die Qualifikationsniveaus zwischen „Norden“ und „Süden“ bei einigen wichtigen Ländern annähern. Und weil sich infolgedessen die Machtverhältnisse im internationalen System geändert haben und weiter ändern. Die USA und der Westen können die „terms of trade“, die Handels- und Austauschbedingungen nicht mehr diktieren, sie müssten sich auf internationale Kooperation, auf Multilateralismus einstellen. Dann müssten sie internationale Kooperation akzeptieren oder selbst anstreben, in der es um den gemeinschaftlichen Vorteil für alle geht und nicht um das Übertrumpfen und „Ausstechen“ des anderen.
Doch in einem historischen Moment, der eine Wende hin zur engen und entschlossenen Kooperation aller Nationen zur gemeinsamen Bewältigung der universalen Probleme der Menschheit verlangt, wollen die USA alle menschlichen und natürlichen Ressourcen unter dem Gesichtspunkt eines antagonistischen globalen Wettbewerbs nutzen. Sie kalkulieren die Möglichkeit eines Atomkrieges ein, Präsident Biden sagte jüngst, wir stünden vor einem Armageddon, der letzten irdischen Schlacht gegen die Kräfte des Bösen. Selbst wenn es nicht zur Atom-Katastrophe käme, würde die Realisierung dieses Konzepts – alle Kräfte auf den globalen Rivalenkampf auszurichten – das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten. „Der Verlust der biologischen Vielfalt, die Versauerung der Ozeane, die Störung des Stickstoff- und Phosphorkreislaufs, der Verlust der Bodenbedeckung, das Schwinden der Süßwasserressourcen und die chemische und radioaktive Verschmutzung sind Beispiel für Prozesse, die das Potential haben, eine unaufhaltsame Kette von Ereignissen in Gang zu setzen, die die Welt, wie wir sie kennen, radikal verändern werden.“ (Anders Sorensen, Die einzige Antwort auf die Krisen der Menschheit. Junge Welt, 14.1.2023) Ob es der Klimawandel ist oder aufeinanderfolgende Pandemien, Vergiftung der Umwelt oder Überwindung von Hunger und Armut, alles sind Probleme, die von der Menschheit nur kooperativ und nicht im antagonistischen Wettbewerb gelöst werden können. Die entwickelten westlichen Länder in Hochrüstung und Militarisierung hineinzutreiben, bedroht deren Zukunft, denn ihre Politik müsste sich richten auf sozialen Ausgleich und fairen Austausch mit anderen statt auf weitere Trennung in wenige Reiche und viele Arme, müsste zielen auf die Transformation in solidarische, nachhaltige, zivilwissenschaftsintensive Gesellschaften und Zusammenarbeit in einer gemeinsam zu bewirtschaftenden und zu pflegenden Welt. Innenpolitisch wie international ist dies das Gebot der Stunde. Die Strategie der USA will Partner und Rivalen in genau die andere Richtung zwingen.
3.Die Übernahme des Konzepts durch Deutschland, EU und Nato
Das strategische Konzept der Biden-Regierung war von Biden und seiner Mannschaft schon vor dem Ukrainekrieg festgelegt worden. Die „Guidances“, die im Grunde dieselben Ziele ausdrücken, waren eine Woche vor der russischen Invasion in die Ukraine veröffentlicht worden. Schon im Wahlkampf 2020 hatte Biden die Auseinandersetzung „Demokratien gegen Autokratien“ zu seiner außenpolitischen Grundformel gemacht. Es konnte deshalb nicht überraschen, dass die neue deutsche Regierung in ihrem Koalitionsvertrag die Hauptlinien des US-Konzeptes geradezu beflissen wiederholte. (https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitonsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf)
Der zentrale Absatz im Abschnitt „Außen, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte“ lautet: „Die strategische Souveränität Europas wollen wir erhöhen. Ziel ist eine multilaterale Kooperation in der Welt, insbesondere in enger Verbindung mit denjenigen Staaten, die unsere demokratischen Werte teilen. Dabei geht es auch um den Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten und eine strategische Solidarität mit unseren demokratischen Partnern.“ (S. 113) Die deutschen Koalitionsparteien bekräftigen die Teilung der internationalen Ordnung in zwei Blöcke; unter „multinationaler Kooperation“ verstehen sie ein größeres Gewicht Europas gegenüber den USA in der „regelbasierten internationalen Ordnung“ (S,114). Damit der Große Bruder USA das aber bitte nicht missversteht, schiebt man hinterher: „Wir streben eine enge transatlantische Abstimmung in der China-Politik an und suchen die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren.“ Die Beziehungen mit China müsse man nämlich „in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten“ (S,124). Deutschland warnt China, dass „eine Veränderung des Status Quo in der Straße von Taiwan nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen (darf)“. Hier wird Taiwan zu einem gleichgewichtigen Gegenüber der Volksrepublik China hochgedeutet, während die „Ein-China-Politik“, die völkerrechtlich vorgegeben ist, genau das Gegenteil besagt: Taipeh/Formosa/Taiwan ist Teil der Volksrepublik , die autonom im Rahmen des Völkerrechts die Beziehung zur abtrünnigen Insel praktiziert. Provokant setzen die Koalitionsparteien noch einen drauf und verlangen die „Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen“ (S,124). Auch wollen sie, dass „dem Prinzip ´Ein Land – zwei Systeme´ in Hongkong wieder Geltung verschafft werden (muss)“. Nur ist dieses Prinzip eben aufgehoben worden durch den Vertrag von Großbritannien mit China zur Überführung Hongkongs in die Unabhängigkeit und Rückkehr in die Volksrepublik. Hongkong ist jetzt Teil dieser Volksrepublik China, wo keine zwei Systeme stattfinden, sondern zum Kummer der westlichen Beobachter vor Ort nur eines, mit „mehr Marx als Markt“ (siehe Kapitel 7).
Von der zaghaft vorgebrachten „strategischen Souveränität“ Europas ist seit dem Ukrainekrieg in keinem der westlichen Dokumente mehr die Rede. Im neuen „2022 Strategischen Konzept“ der NATO wird die ganze Welt zum potentiellen Einsatzgebiet erklärt. „Der strategische Wettbewerb, die andauernde Instabilität und wiederkehrende Schocks definieren unsere breitere Sicherheitsumgebung. Die Drohungen, denen wir uns gegenübersehen, sind global und miteinander verknüpft.“ (Nato 2022 – Strategic Concept. Nato-Gipfel in Madrid, 29.6.2022. https://nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2022/6/pdf/290622-strategic-concept.pdf, S. 3) Die Zweiteilung der Welt nach Vorgabe der US-Strategie wird nahtlos übernommen. „Autoritäre Akteure fordern unsere Interessen, unsere Werte und die demokratische Lebensweise heraus… Diese Akteure stehen auch an vorderster Front einer überlegten Anstrengung, unsere multilateralen Normen und Einrichtungen zu unterminieren und autoritäre Regierungsmodelle zu fördern.“ (S. 3) Auch in Sachen Hauptfeind sieht es die Nato haargenau so wie der Taktvorgeber aus Washington: „Der Volksrepublik Chinas erklärte Ziele und ihre Zwangspolitiken fordern unsere Interessen, Sicherheit und Werte heraus. Die Volksrepublik unterhält ein breites Spektrum politischer, wirtschaftlicher und militärischer Werkzeuge, um ihren globalen Fußabdruck zu vergrößern und ihre Macht auszuweiten, während ihre Strategie, ihre Absichten und ihr militärischer Aufbau undurchsichtig bleiben. Ihre bösartigen hybriden und Cyper-Operationen und ihre konfrontative Rhetorik zielen auf Alliierte und verletzen die Sicherheit der Allianz …Die sich vertiefende strategische Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation und ihre sich gegenseitig verstärkenden Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu unterlaufen, richten sich gegen unsere Werte und Interessen.“ (S. 5)
Die beiden „Schurkenstaaten erster Ordnung“ sind benannt, fehlt noch der Gute im globalen Wettstreit: „Die Nato ist das einzigartige, wesentliche und nicht wegzudenkende Forum, um einander zu konsultieren, um zu koordinieren und zu handeln in allen Angelegenheiten, die mit unserer individuellen und kollektiven Sicherheit zu tun haben.“ (S. 3) Das ist das Gegenteil vom „Hirntod“ der Nato, wie ihn Frankreichs Präsident Macron drei Jahre zuvor festgestellt hat. Die Nato ist einiger denn je, die Führung der USA so unbestritten wie zu Zeiten des ersten Kalten Krieges.
Da dieser neue Kalte Krieg auf allen Ebenen geführt wird, Krieg und Wirtschaftskrieg stets zusammengehören und zusammenwirken, hat die Nato mit der EU eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, worin das Mantra der neuen „Sicherheitsstrategien“ wortgenau wieder holt wird: „ Autoritäre Akteure stehen unseren Interessen, Werten und demokratischen Prinzipien entgegen, indem sie verschiedene Mittel benutzen – politische, wirtschaftliche, technologische und militärische. Wir leben in einer Ära wachsenden strategischen Wettbewerbs. Chinas wachsende Durchsetzungskraft und Politik stellen uns vor Herausforderungen, die wir angehen müssen.“
(Joint Declaration on EU-NATO Cooperation, 10.1.2023)
Die deutsche Regierung, die EU, die Nato folgen bisher der von Washington vorgegebenen großen Linie. Wie lange diese Gefolgschaftstreue zur US-Führungsmacht anhält, wird abhängen von den weiteren Kosten, die Kriege und Wirtschaftskriege den Menschen und Volkswirtschaften der „Alliierten und Partner“ der USA noch zumuten; und vom Widerstand der Betroffenen – klar zeigt sich der enge Zusammenhang der sozialen, der Umwelt- und der Friedensfrage. Höchste Zeit, dass die Kräfte, die Bewegungen, die sich auf diesen Feldern für die humane Seite einsetzen, endlich zueinander finden.
„Demokratien gegen Autokratien“ – die neue Formel des imperialistischen Hegemonieanspruchs
Vorveröffentlichung aus dem neuen Buch des Autors, Deutschland im Wirtschaftskrieg, Papyrossa Verlag, März 2023
1. Der totalitäre Anspruch der US-RegierungPräsident Biden formuliert in seiner Einleitung zur „Nationalen Sicherheits-Strategie“ deren Hauptpunkte folgendermaßen (National Security Strategy. www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2022/11/8-November-Combindes-PDF-for-Upload/pdf):
- Die Welt steht an einem Wendepunkt. Wie die USA auf die enormen Herausforderungen und die beispiellosen Möglichkeiten von heute reagieren, wird die Richtung der Welt und Sicherheit und Wohlstand des amerikanischen Volkes auf Jahrzehnte hinaus bestimmen.
- Wir sind inmitten einer strategischen Auseinandersetzung um die Zukunft der internationalen Ordnung. Wir werden im engsten Zusammenwirken mit unseren Partnern und allen, die unsere Interessen teilen, darum kämpfen, dass unsere Werte siegen – wir werden unsere Zukunft nicht denen überlassen, die unsere Vision einer freien, offenen und sicheren Welt nicht teilen.
- Diesen Kampf werden die USA anführen. „Die Notwendigkeit für amerikanische Führung ist so groß, wie sie jemals gewesen ist… Keine Nation ist besser in der Lage, mit Stärke und klarem Ziel zu führen als die Vereinigten Staaten von Amerika.“
- Gegner Nr. 1 ist die Volksrepublik China, die „die Absicht hegt und in wachsendem Maß die Fähigkeit hat, die internationale Ordnung so umzuformen, dass sie das globale Spielfeld zu ihren Gunsten gestaltet“. Gegner Nr. 2 ist Russland, das mit seinem Angriff auf die Ukraine den Frieden in Europa zerstört habe und überall Instabilität verbreite. „Die Autokraten machen Überstunden, um die Demokratie unterminieren und ein Regierungsmodell zu exportieren, dessen Kennzeichen Unterdrückung nach innen und Zwang nach außen sind.“
- Die USA haben um den Globus ein beispielloses Netzwerk von Allianzen und Partnerschaften gelegt, um diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Als „Kernallianzen“ werden für Europa die Nato – „ist stärker und einiger als jemals“ – und für den Indopazifik AUKUS (Australien, Vereinigtes Königreich, USA) genannt. Weiter aufgezählt werden EU, der Indo-Pacific Quad, das Indo-Pacific Economic Framework und die „Americas Partnership for Economic Prosperity“ für Lateinamerika.
- Die Autokraten irren, wenn sie glauben, Demokratien seien schwächer als Autokratien. Die Innenpolitik ist ein Teil dieses Kampfes. Wir werden weiter in Amerikas globales Wettbewerbsfähigkeit und Anziehungskraft investieren und „die Träumer und Strebsamen aus aller Welt zu uns ziehen“. Und „wir werden weiter zeigen, wie Amerikas dauerhafte Führung sich den Herausforderungen von heute und morgen stellt“.
Bidens Einleitung schließt mit dem Satz: „Ich bin mehr denn je überzeugt, dass die USA alles haben, was nötig ist, um den Wettbewerb um das 21. Jahrhundert zu gewinnen. Es gibt nichts, was jenseits unserer Fähigkeiten ist.“
Russland „ruinieren“, dann alle Rohre auf ChinaDiese größenwahnsinnige Einschätzung des „auserwählten Volkes“, als das die politische Elite der USA seit den Gründertagen die US-Amerikaner sehen, zieht sich durch das gesamte Dokument. Interessant und bestürzend sind die Präzisierungen der weihevoll formulierten Imperative des Präsidenten. Für das internationale System habe zu gelten, „die Länder müssen ihre eigene auswärtige Politik frei bestimmen“. Letzten Endes gehe es darum, „dass die globale Wirtschaft auf einem gleichen Spielfeld (level playing field) stattfindet und Möglichkeiten für alle vorsieht“. (S.6) Die Staaten müssen nicht selbst demokratisch sein oder werden, sie müssen aber im Lager der „Demokratien“ stehen.
Dass es neben der Blockrivalität noch andere grundlegende Probleme wie „Klimawandel, Nahrungsmittelunsicherheit, Infektionskrankheiten, Terrorismus, Energieknappheiten oder Inflation“ gibt, wird ohne weiteres konstatiert, um es sofort in die militante Block-Strategie einzubetten: „Wir müssen klaren Auges sehen, dass diese Herausforderungen innerhalb der internationalen Wettbewerbsumgebung angegangen werden müssen“. Der „geopolitische Wettbewerb…macht die Kooperation immer schwieriger und fordert von uns, über neue Wege nachzudenken und zu handeln“. Auch die Menschheitsprobleme stellen das „Sicherheits-Konzept“ unter das Ziel, „unsere Rivalen zu besiegen“. Russland stelle „eine unmittelbare Gefahr für das freie und offene internationale System dar, wie der brutale Angriffskrieg gegen die Ukraine“ gezeigt habe. „Im Gegensatz dazu ist die Volksrepublik China der einzige Wettbewerber, der sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung umzuformen wie zunehmend die ökonomische, diplomatische, militärische und technologische Macht, diesem Ziel näherzukommen.“ (S. 8) Die ausführliche Bekräftigung der Worte des Präsidenten - das ist das Mantra dieses „Sicherheitskonzepts“: Russland „ruinieren“, wie Frau Baerbock brav nachplappert, dann alle Rohre auf die Volksrepublik China, die das Zeug dazu hat, die Dominanz der westlichen Welt über das internationale System zu brechen.
Das Konzept drückt Verständnis aus für die Sorgen „in einigen Teilen der Welt, die sich unbehaglich fühlen mit dem Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und den größten Autokratien der Welt“. Auch die USA wollten keine „Welt rigider Blöcke“. Es ginge nur darum, dass alle Länder eine freie Entscheidung in ihrem eigenen Interesse treffen können. Natürlich eine freie Entscheidung für eine „freie Welt“, als deren Anführer sich die USA sehen. „Das ist der entscheidende Unterschied zwischen unserer Vision, die darauf abzielt, die Autonomie und die Rechte der weniger mächtigen Staaten zu wahren, und der unserer Rivalen, die das nicht tut.“ (S.9). Das muss den Völkern noch mal genauer erklärt werden, denen von Kuba, Vietnam, Chile, Nicaragua, Jugoslawien, Aghanistan, Irak, Libyen, Jemen – damit sie wissen, wie die US-Bomben auf ihr Land in Wirklichkeit gemeint waren.
„Linien“ und „Pfeiler“ der neuen US-StrategieUm diese Welt zu erreichen, „die frei ist von Aggression, Zwang und Einschüchterung“, verfolgen die USA „drei Linien der Anstrengung:
- in die Quellen und Instrumente amerikanischer Macht und Einflusses zu investieren;
- die stärkstmögliche Koalition von Nationen zu bilden, die unseren gemeinsamen Einfluss auf die globale strategische Umgebung stärkt und gemeinsame Herausforderungen bewältigt und
- unser Militär zu modernisieren und zu stärken, sodass es ausgerüstet ist für die Ära des strategischen Wettbewerbs mit größeren Mächten.
Die Totalmobilmachung aller Kräfte für die globale Auseinandersetzung
„ baut auf mehreren Pfeilern“:
- Die USA heben die Trennungslinie zwischen Außen- und Innenpolitik auf. Der gemeinsame Wohlstand im Inland muss Hand in Hand gehen mit der Formung der internationalen Ordnung „in Übereinstimmung mit unseren Interessen und Werten“. Die Innovationskraft des privaten Sektors muss deshalb verbunden werden mit einer modernen Industriestrategie, die besonderes Gewicht legt auf die modernsten Technologien wie „Mikroelektronik, hochentwickelte Computertechnik, Biotechnologie, Technologien sauberer Energie und modernste Telekommunikation“ (S.11),
- Die Allianzen und Partnerschaften rund um die Welt „sind unser wichtigstes strategisches Asset und ein nicht wegzudenkendes Element des Beitrags zu internationalem Frieden und Stabilität“. Besonders wichtig ist die wachsende Zusammenarbeit zwischen den Partnern im Indo-Pazifik und in Europa. „Wir erkennen, dass sie sich gegenseitig bestärken und dass die Schicksale der beiden Regionen eng miteinander verwoben sind … Wenn eine Region ins Chaos abgleitet oder von einer feindlichen Macht dominiert wird, wird dies unsere Interessen in den anderen fundamental treffen.“ (S. 11)
- Es wird unterstrichen, dass die Volksrepublik China „Amerikas konsequenteste geopolitische Herausforderung ist“. Russland ist eine unmittelbare und andauernde Gefahr für die Stabilität, „aber ihm fehlen die umfassenden Fähigkeiten der Volksrepublik China“. Es gibt andere „kleinere autokratische Mächte, die ebenfalls auf Aggression und Destabilisierung hinwirken“. Genannt werden der Iran und Nord-Korea. (S.11f.)
- Die USA wollen die Welt aber nicht „nur durch die Brille des strategischen Wettbewerbs sehen“, sondern sich auch für regionale Zonen von Frieden und Wohlstand einsetzen. Herausgehoben werden der Mittlere Osten, Afrika und Lateinamerika. Vor allem in der letzteren Region wollen die USA „wirtschaftliche Widerstandskraft, demokratische Stabilität und Sicherheit der Bürger voranbringen“ (S.12).
- Die Globalisierung hat immense Vorteile für die USA und die Welt gebracht, „aber jetzt ist eine Justierung nötig, um es mit den dramatischen globalen Wandlungen aufzunehmen wie der sich ausweitenden Ungleichheit innerhalb der Länder und zwischen ihnen, der Herausbildung Chinas als sowohl unserem logischen Wettbewerber als auch einem unserer größten Handelspartner, und den aufkommenden modernen Technologien außerhalb der jetzt bestehenden Regelwerke“. Deshalb wollen die USA jenseits der traditionellen Freihandelsabkommen neue wirtschaftliche Arrangements bilden, engere Verbindungen der jeweiligen nationalen Wirtschaft mit der US-Wirtschaft wie im Indo-Pacific Economic Framework (IPEF); eine globale Mindeststeuer soll eingeführt werden, sodass alle Unternehmen ihren fairen Anteil an Steuern zahlen, wo auch immer in der Welt sie ihre Basis haben; die Partnership for Global Investment and Infrastructure (PGII – das späte und kleinere US-Gegenstück zur Belt & Road-Initiative Chinas), das auf Niedrig- und Mitteleinkommen-Länder zielt; die Regeln für die modernen Technologien, für Handel und Wirtschaft generell sollen modernisiert werden; und es soll abgesichert werden, dass „der Übergang zu sauberer Energie wirtschaftliche Gelegenheiten eröffnet und gute Jobs in aller Welt schafft“ (S. 12)
Abschließend: „Die Welt ist an einem Wendepunkt. Dieses Jahrzehnt wird entscheidend sein.“
Fassen wir den Kern dieses Konzepts zusammen:
- Die USA sind die eine unverzichtbare Nation an der Spitze des Blocks von „Demokratien“. Diesem stehen gegenüber die „Autokratien“, an deren Spitze China steht, dahinter Russland.
- In diesem Jahrzehnt wird ausgefochten, wer das internationale System bestimmt. Es kann nur einen Sieger geben, der USA-Block.
- Dieser Sieg ist nicht leicht zu erringen. Alle Kräfte müssen mobilisiert werden, wirtschaftlich, politisch, militärisch. Die Wirtschaft muss im wirtschaftlichen Wettbewerb siegen, sie muss eingerichtet werden unter dem Gesichtspunkt der globalen Rivalität. Bündnisse müssen unter eben dieser Orientierung organisiert werden. Das Militär muss ausgebaut werden, Krieg ist keineswegs ausgeschlossen, er gehört zur Planung. Einschließlich des Atomkrieges, den die USA in Europa auch die Bundeswehr üben lässt.
- Die Menschheitsprobleme wie Klimaerwärmung, Pandemien, Atomunfälle oder -kriege müssen ebenfalls unter der Maßgabe des globalen Kampf der System angegangen werden.
- Es kommt in letzter Instanz nicht auf „unsere Werte“ an, sondern darauf, ob ein Land sich zur „regelbasierten Ordnung“ des Westens bekennt. Dann ist es im US-Block willkommen.
- Eigentlich aber, sagen die USA, wollen sie gar keine Blockbildung. Sie bilden ein System rund um den Globus, in dem sie in jedem einzelnen regionalen Bündnis die unbestrittene Vormacht sind. Ziel ist ausdrücklich, die Teilelemente zu einer festeren, geschlossen vorgehenden Formation zu fügen. In Wahrheit bemühen sich die USA kaum, die Tatsache zu verhüllen, einen Block des Westens zu bilden, dessen unbestrittene Vormacht sie sind, die strikte Disziplin von „Partnern“ und Abhängigen verlangt.
Die offizielle Strategie der USA geht von der Erkenntnis aus, dass das bisherige Konzept der neoliberalen Globalisierung gescheitert ist. Die Unipolarität der Welt, die Dominanz der USA würde dafür sorgen, dass der „Freihandel“ die „westlichen Werte“ überall hin exportieren würde und die nachholenden Schwellenländer die arbeitsintensiven Produktionsabschnitte komplementär zu den fortgeschrittenen westlichen Ländern übernehmen würden, die sich auf die modernsten, hochproduktiven Teile der globalen Produktionsketten konzentrieren würden. Im Zuge der Industrialisierung würden die Schwellenländer zu westlichen Demokratien (Thomas Friedman, The World is Flat, New York 2007). Beides schien zunächst auch am zentralen Beispiel China aufzugehen. Millionen Arbeitsplätze verschwanden aus den USA und erstanden neu vor allem im kostengünstigeren China. Dort wurde der Anteil des privaten Kapitals immer größer. Doch änderte sich dies mit der Übernahme der Führung von Kommunistischer Partei und Staat durch die Xi-Mannschaft. In den letzten Jahren wuchs wieder der Anteil des staatlichen Eigentums und vor allem wurde der Zugriff des Staates auf die kapitalistischen Unternehmen immer enger. Das politische System entwickelte sich keineswegs hin zu den „westlichen Werten“, sondern ganz im Gegenteil, 15mal Marx und nur 3mal Markt, wie der aufmerksame Beobachter im Dienst des deutschen Kapitals bei Xi´s Rede auf dem letzten Parteitag der KP beobachten konnte. Aber nicht nur auf dem politischen, auch auf dem wirtschaftlichen Feld erfüllten sich die Erwartungen der westlichen Globalisierungsstrategen nicht. China blieb nämlich nicht bei seiner Rolle als billiger Arbeitslieferant für die weniger produktiven Teile der Produktion, sondern wurde schnell zu einem internationalen Wettbewerber auch für manche der modernsten Produkte. China hat mehr internationale Patenanmeldungen als die sechs größten europäischen Länder zusammen und sein Innovationstempo ist zehnmal schneller als das der USA. (Conrad Schuhler, Die USA, China, die EU und der Weltfrieden. Wie weit noch bis zum Krieg. Köln 2020, S. 64) Arbeitsplätze, die von Multis jetzt verlagert werden, gehören auch zu modernsten Produktionsverfahren. Apple, der Gigant der Kommunikationsindustrie, hat in China nicht nur seinen größten Markt, sondern auch seinen größten Produktionsstandort. (Thomas Fazi, Die Deglobalisisierung, die wir brauchen. Makroskop 11.1.2023. https://www.makroskop.eu/02-2023) Dasselbe gilt auch für Volkswagen, das von Produktion und Absatz eher ein chinesisches als ein deutsches Unternehmen darstellt.
Die Biden-Regierung zielt auf diese Verlagerung, wenn sie versucht, die protektionistische Politik des Vorgängers Trump noch zu übertreffen.
Wenn sich heute viele der fortgeschrittenen Länder auf „ortsgebundene Wirtschaft“, auf ein Entkoppeln von globalen Lieferketten einstellen, geschieht dies nicht nur in Folge internationaler Spannungen und Unsicherheiten, sondern auch weil sich die Qualifikationsniveaus zwischen „Norden“ und „Süden“ bei einigen wichtigen Ländern annähern. Und weil sich infolgedessen die Machtverhältnisse im internationalen System geändert haben und weiter ändern. Die USA und der Westen können die „terms of trade“, die Handels- und Austauschbedingungen nicht mehr diktieren, sie müssten sich auf internationale Kooperation, auf Multilateralismus einstellen. Dann müssten sie internationale Kooperation akzeptieren oder selbst anstreben, in der es um den gemeinschaftlichen Vorteil für alle geht und nicht um das Übertrumpfen und „Ausstechen“ des anderen.
Doch in einem historischen Moment, der eine Wende hin zur engen und entschlossenen Kooperation aller Nationen zur gemeinsamen Bewältigung der universalen Probleme der Menschheit verlangt, wollen die USA alle menschlichen und natürlichen Ressourcen unter dem Gesichtspunkt eines antagonistischen globalen Wettbewerbs nutzen. Sie kalkulieren die Möglichkeit eines Atomkrieges ein, Präsident Biden sagte jüngst, wir stünden vor einem Armageddon, der letzten irdischen Schlacht gegen die Kräfte des Bösen. Selbst wenn es nicht zur Atom-Katastrophe käme, würde die Realisierung dieses Konzepts – alle Kräfte auf den globalen Rivalenkampf auszurichten – das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten. „Der Verlust der biologischen Vielfalt, die Versauerung der Ozeane, die Störung des Stickstoff- und Phosphorkreislaufs, der Verlust der Bodenbedeckung, das Schwinden der Süßwasserressourcen und die chemische und radioaktive Verschmutzung sind Beispiel für Prozesse, die das Potential haben, eine unaufhaltsame Kette von Ereignissen in Gang zu setzen, die die Welt, wie wir sie kennen, radikal verändern werden.“ (Anders Sorensen, Die einzige Antwort auf die Krisen der Menschheit. Junge Welt, 14.1.2023) Ob es der Klimawandel ist oder aufeinanderfolgende Pandemien, Vergiftung der Umwelt oder Überwindung von Hunger und Armut, alles sind Probleme, die von der Menschheit nur kooperativ und nicht im antagonistischen Wettbewerb gelöst werden können. Die entwickelten westlichen Länder in Hochrüstung und Militarisierung hineinzutreiben, bedroht deren Zukunft, denn ihre Politik müsste sich richten auf sozialen Ausgleich und fairen Austausch mit anderen statt auf weitere Trennung in wenige Reiche und viele Arme, müsste zielen auf die Transformation in solidarische, nachhaltige, zivilwissenschaftsintensive Gesellschaften und Zusammenarbeit in einer gemeinsam zu bewirtschaftenden und zu pflegenden Welt. Innenpolitisch wie international ist dies das Gebot der Stunde. Die Strategie der USA will Partner und Rivalen in genau die andere Richtung zwingen.
3. Die Übernahme des Konzepts durch Deutschland, EU und NatoDas strategische Konzept der Biden-Regierung war von Biden und seiner Mannschaft schon vor dem Ukrainekrieg festgelegt worden. Die „Guidances“, die im Grunde dieselben Ziele ausdrücken, waren eine Woche vor der russischen Invasion in die Ukraine veröffentlicht worden. Schon im Wahlkampf 2020 hatte Biden die Auseinandersetzung „Demokratien gegen Autokratien“ zu seiner außenpolitischen Grundformel gemacht. Es konnte deshalb nicht überraschen, dass die neue deutsche Regierung in ihrem Koalitionsvertrag die Hauptlinien des US-Konzeptes geradezu beflissen wiederholte. (https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitonsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf)
Der zentrale Absatz im Abschnitt „Außen, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte“ lautet: „Die strategische Souveränität Europas wollen wir erhöhen. Ziel ist eine multilaterale Kooperation in der Welt, insbesondere in enger Verbindung mit denjenigen Staaten, die unsere demokratischen Werte teilen. Dabei geht es auch um den Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten und eine strategische Solidarität mit unseren demokratischen Partnern.“ (S. 113) Die deutschen Koalitionsparteien bekräftigen die Teilung der internationalen Ordnung in zwei Blöcke; unter „multinationaler Kooperation“ verstehen sie ein größeres Gewicht Europas gegenüber den USA in der „regelbasierten internationalen Ordnung“ (S,114). Damit der Große Bruder USA das aber bitte nicht missversteht, schiebt man hinterher: „Wir streben eine enge transatlantische Abstimmung in der China-Politik an und suchen die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren.“ Die Beziehungen mit China müsse man nämlich „in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten“ (S,124). Deutschland warnt China, dass „eine Veränderung des Status Quo in der Straße von Taiwan nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen (darf)“. Hier wird Taiwan zu einem gleichgewichtigen Gegenüber der Volksrepublik China hochgedeutet, während die „Ein-China-Politik“, die völkerrechtlich vorgegeben ist, genau das Gegenteil besagt: Taipeh/Formosa/Taiwan ist Teil der Volksrepublik , die autonom im Rahmen des Völkerrechts die Beziehung zur abtrünnigen Insel praktiziert. Provokant setzen die Koalitionsparteien noch einen drauf und verlangen die „Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen“ (S,124). Auch wollen sie, dass „dem Prinzip ´Ein Land – zwei Systeme´ in Hongkong wieder Geltung verschafft werden (muss)“. Nur ist dieses Prinzip eben aufgehoben worden durch den Vertrag von Großbritannien mit China zur Überführung Hongkongs in die Unabhängigkeit und Rückkehr in die Volksrepublik. Hongkong ist jetzt Teil dieser Volksrepublik China, wo keine zwei Systeme stattfinden, sondern zum Kummer der westlichen Beobachter vor Ort nur eines, mit „mehr Marx als Markt“ (siehe Kapitel 7).
Von der zaghaft vorgebrachten „strategischen Souveränität“ Europas ist seit dem Ukrainekrieg in keinem der westlichen Dokumente mehr die Rede. Im neuen „2022 Strategischen Konzept“ der NATO wird die ganze Welt zum potentiellen Einsatzgebiet erklärt. „Der strategische Wettbewerb, die andauernde Instabilität und wiederkehrende Schocks definieren unsere breitere Sicherheitsumgebung. Die Drohungen, denen wir uns gegenübersehen, sind global und miteinander verknüpft.“ (Nato 2022 – Strategic Concept. Nato-Gipfel in Madrid, 29.6.2022. https://nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2022/6/pdf/290622-strategic-concept.pdf, S. 3) Die Zweiteilung der Welt nach Vorgabe der US-Strategie wird nahtlos übernommen. „Autoritäre Akteure fordern unsere Interessen, unsere Werte und die demokratische Lebensweise heraus… Diese Akteure stehen auch an vorderster Front einer überlegten Anstrengung, unsere multilateralen Normen und Einrichtungen zu unterminieren und autoritäre Regierungsmodelle zu fördern.“ (S. 3) Auch in Sachen Hauptfeind sieht es die Nato haargenau so wie der Taktvorgeber aus Washington: „Der Volksrepublik Chinas erklärte Ziele und ihre Zwangspolitiken fordern unsere Interessen, Sicherheit und Werte heraus. Die Volksrepublik unterhält ein breites Spektrum politischer, wirtschaftlicher und militärischer Werkzeuge, um ihren globalen Fußabdruck zu vergrößern und ihre Macht auszuweiten, während ihre Strategie, ihre Absichten und ihr militärischer Aufbau undurchsichtig bleiben. Ihre bösartigen hybriden und Cyper-Operationen und ihre konfrontative Rhetorik zielen auf Alliierte und verletzen die Sicherheit der Allianz …Die sich vertiefende strategische Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation und ihre sich gegenseitig verstärkenden Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu unterlaufen, richten sich gegen unsere Werte und Interessen.“ (S. 5)
Die beiden „Schurkenstaaten erster Ordnung“ sind benannt, fehlt noch der Gute im globalen Wettstreit: „Die Nato ist das einzigartige, wesentliche und nicht wegzudenkende Forum, um einander zu konsultieren, um zu koordinieren und zu handeln in allen Angelegenheiten, die mit unserer individuellen und kollektiven Sicherheit zu tun haben.“ (S. 3) Das ist das Gegenteil vom „Hirntod“ der Nato, wie ihn Frankreichs Präsident Macron drei Jahre zuvor festgestellt hat. Die Nato ist einiger denn je, die Führung der USA so unbestritten wie zu Zeiten des ersten Kalten Krieges.
Da dieser neue Kalte Krieg auf allen Ebenen geführt wird, Krieg und Wirtschaftskrieg stets zusammengehören und zusammenwirken, hat die Nato mit der EU eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, worin das Mantra der neuen „Sicherheitsstrategien“ wortgenau wieder holt wird: „Autoritäre Akteure stehen unseren Interessen, Werten und demokratischen Prinzipien entgegen, indem sie verschiedene Mittel benutzen – politische, wirtschaftliche, technologische und militärische. Wir leben in einer Ära wachsenden strategischen Wettbewerbs. Chinas wachsende Durchsetzungskraft und Politik stellen uns vor Herausforderungen, die wir angehen müssen.“
(Joint Declaration on EU-NATO Cooperation, 10.1.2023)
Die deutsche Regierung, die EU, die Nato folgen bisher der von Washington vorgegebenen großen Linie. Wie lange diese Gefolgschaftstreue zur US-Führungsmacht anhält, wird abhängen von den weiteren Kosten, die Kriege und Wirtschaftskriege den Menschen und Volkswirtschaften der „Alliierten und Partner“ der USA noch zumuten; und vom Widerstand der Betroffenen – klar zeigt sich der enge Zusammenhang der sozialen, der Umwelt- und der Friedensfrage. Höchste Zeit, dass die Kräfte, die Bewegungen, die sich auf diesen Feldern für die humane Seite einsetzen, endlich zueinander finden.
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RCEP - regionale Zusammenarbeit fördert die Entwicklung des asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraums
Das seit Januar 2021 ratifizierte Regional Comprehensive Economic Partnership Agreement (RCEP) gilt als das derzeit größte existierende Freihandelsabkommen mit 15 beteiligten Ländern im asiatischen Wirtschaftsraum. Mit China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland und den zehn Staaten des ASEAN-Bündnisses repräsentiert das Freihandelslabkommen rund 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, das entspricht 29,94 Bill. $.[1] Davon fällt der größte Anteil mit 61 % auf die VR China. In Summe lebt jeder dritte Erdenbürger lebt in einem der 15 eingebunden Länder, die sich über politisch-ideologische Unterschiede hinweg als alternativ zu bezeichnendes Freihandelslabkommen zusammengeschlossen haben.[2]
Die Prinzipien der RCEP-PartnerschaftZiel des Abkommens ist es, im Zeitraum der nächsten 20 Jahre eine weitgehende Zollbefreiung der zwischen den Unterzeichnerstaaten gehandelten Waren umzusetzen. Die Grundlage für die wirtschaftliche Zusammenarbeit bilden die Vereinbarungen, die neben dem sukzessiv entfallenden Zollerhebungen, einer schnelleren Zollabfertigung und einen reibungsloseren Transport sowie die Entwicklung des elektronischen Handels vorsehen.[3] Der größte Gewinn für die Mitglieder des RCEP ist also die Senkung der Zölle auf Produkte, die innerhalb des Handelsblocks bezogen werden. Das Abkommen enthält Regelwerke für zwanzig Bereiche. Ursprungsländer werden klar definiert, was den Warenfluss unter den beteiligten Ländern vereinfacht. Damit wird ein Anreiz für die RCEP-Mitglieder geschaffen, innerhalb des definierten Wirtschaftsraumes Waren freier zu beschaffen und generell freien Handel untereinander zu betreiben.
Die von allen Teilnehmerstaaten ratifizierten Grundlagen der RCEP sehen vor, dass Produktkomponenten aus allen Mitgliedsländern gleichbehandelt werden. Dadurch dürften sich die Beschaffungsmöglichkeiten innerhalb der Region über Landesgrenzen hinweg erhöhen. Zudem werden dadurch mehr Möglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen geschaffen, sich in die regionalen Lieferketten und Warenströme zu integrieren und die Handelskosten für beteiligte Unternehmen zu senken.
Somit existiert bereits 12 Monate lang ein erstes multilaterales Abkommen, ohne dass die weiterhin bestehenden bi-lateralen Handelsabkommen aufgegeben werden. Australien unterhält beispielsweise mit jedem anderen Land im RCEP ein bilaterales Abkommen. Die Länder behalten diesew bilateralen Abkommen bei, die im Kern die Handelsbeziehungen zwischen den Ländern detaillierter regeln, jedoch respektieren alle die neuen einheitlichen Beschaffungsregeln im Rahmen des RCEP.[4]
Da die Welt mit der COVID-19-Pandemie und den erfolgten zahlreichen Einschränkungen der Warenströme zu kämpfen hat, bietet die fortschreitende Umsetzung des RCEP-Handelsabkommens einen rechtzeitigen Anstoß für eine schnellere Erholung sowie ein langfristiges Wachstum und Wohlstand in der Region.
Die regionale Partnerschaft umfaßt eine Vielfalt von Volkswirtschaften in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, so dass die weniger entwickelten Volkswirtschaften die Stärke der entwickelten Partner wie China und dessen belegbar kooperativen und fairen Stil nutzen können, während die stärkeren Volkswirtschaften aufgrund der entstehenden Nachfrage kleinerer Märkte ebenfalls eine Fortsetzung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung erleben. Analysten zufolge wird das RCEP-Abkommen die regionale wirtschaftliche Integration durch niedrigere Zölle, sich entwickelnden Lieferketten und Produktionsnetzwerke beschleunigen und ein robustes Handelsökosystem in der Region schaffen. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einem solchen großartigen Gebilde Unregelmäßigkeiten in der Umsetzung und der Präzisierung der Absprachen im zeitlichen Verlauf auftreten. Den allzu forschen begleitenden Kritiken ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Zielsetzungen der RCEP-Vereinbarung zum Teil bis auf 20 Jahre ausgelegt sind und insofern Phasen der Entwicklung durchlaufen.
"Das RCEP ist ein bedeutendes Abkommen in einer Zeit großer globaler Handelsunsicherheit. Es wehrt sich gegen Handelsprotektionismus und Fragmentierung in 30 Prozent der Weltwirtschaft und ist ein enorm stabilisierender Faktor im globalen Handelssystem. " betont Prof. Peter Drysdale vom East Asian Bureau of Economic Research, Australien.[5]
Als größtes Freihandelsabkommen, das jemals geschmiedet wurde, könnte das RCEP die Rolle eines Vorreitermodells für andere Freihandelszonen und Freihandelsabkommen in der Welt spielen. Die im Ansatz erkennbare lebhafte Dynamik der Region dürfte in naher Zukunft auch eine starke Anziehungskraft auf Volkswirtschaften außerhalb der Region ausüben. Einer Recherche der Bertelsmann-Stiftung zufolge sollte sich auch die EU bemühen, mit RCEP Verhandlungen über eine Zusammenarbeit aufzunehmen, die über einen Beobachterstatus hinweg bis zu einer Mitgliedschaft führen könnte.[6]
Einem im Februar 2022 veröffentlichten Bericht der IFW zufolge werden die Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen im Rahmen der RCEP-Partnerschaft die größten Lohnzuwächse verzeichnen. Die Studie simuliert die Auswirkungen des Handelsabkommens und kommt zu dem Ergebnis, dass die Realeinkommen, beispielhaft aufgezeigt an den RCEP-Teilnehmerländern Vietnam und Malaysia um bis zu 5 Prozent steigen könnten und bis zu 27 Millionen Menschen dank des Abkommens bis 2035 in die Mittelschicht aufsteigen werden. Es sei davon auszugehen, dass der Transfer von Technologie und Produktionskapazitäten aus den höher entwickelten Ländern in die weniger entwickelten Länder ein wesentlicher Vorteil des Handelsabkommens sei.[7] Die Bemühungen einer stärkeren wirtschaftlichen Kooperation zwischen Vietnam und China , denen zufolge Vietnam günstige Bedingungen für Investitionsvorhaben großer chinesischer Unternehmen schaff, können als ein Indikator für die zunehmende Vitalisierung der RCEP-Region angesehen werden.[8] Dem liegt ganz offenbar die banale Erkenntnis zugrunde, dass kein Land der Welt eine Kernposition in der globalen Lieferkette aufrechterhalten kann, indem es selbst seine vermeintlichen Partner behindert bzw. mit Sanktionen überzieht, wie im Falle der vielfältigen Sanktionen durch die US-Administration weltweit nachzuweisen ist.
Gerade deshalb ist anzumerken, dass trotz der Handelseinschränkungen durch die US-Politik Chinas Exporte in die USA seit 2018 auf Rekordhöhe gewachsen sind, zumindest statistisch belegbar bis einschließlich 2021.[9]
Chinas Wirtschaft hat sich beharrlich tief in die Weltwirtschaft integriert. Seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 hat China ein durchschnittliches jährliches Wachstum von über 11 % im Außenhandel verzeichnet und Handelsüberschüsse im Wert von über 5 Billionen US-Dollar angehäuft. Das Jahr 2021 markiert den 20. Jahrestag des Beitritts Chinas zur WTO. Im Jahr 2021 erreichte der Anteil der chinesischen Exporte an den Gesamtexporten der Welt ein Rekordhoch.[10]
Auch in der asiatisch-pazifischen Region ist China im Hinblick auf sein Wirtschaftswachstum zur wichtigsten Volkswirtschaft aufgestiegen. Dennoch hat das Land zu keinem Zeitpunkt den Anspruch erhoben, das Zentrum des RCEP zu bilden; das Zentrum der Partnerschaft ist den zehn ASEAN-Ländern übertragen.
Der Gegenwind aus dem US-Lager
Die US-Regierung ermutigt sowohl ihre Verbündeten als auch neutrale Länder, ihre etablierten industriellen Lieferketten aus China zu verlagern. [11]
Der sich seit langem zu einem Handelskrieg zugespitzten hegemonialen Konflikt konkurrierender Wirtschaftsmächte veranlaßt China, ein Gleichgewicht zwischen seinen gesellschaftspolitischen Entwicklungszielen und seiner souveränen Sicherheit herzustellen und zudem ein günstiges externes Umfeld für seine wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen. Um dies zu erreichen, scheint in einer arbeitsteilig organisierten Weltwirtschaft, trotz der politisch-ideologischen Unterschiede eine rationale Suche nach Gemeinsamkeiten und Differenzen überwindenden Politik im Umgang mit anderen Ländern unausweichlich. Insofern sind wirtschaftliche Handelsabkommen und eine handelspolitische Zusammenarbeit, so wie die RCEP-Vereinbarung für den asiatischen Wirtschaftsraum ausgelegt ist, Ausdruck pragmatischer Politik, die eine Verknüpfung der Produktionsnetze und den Warenaustausch zwischen den beteiligten Ländern vorantreibt. Durch die festgelegten Grundsätze für die wirtschaftliche Zusammenarbeit schaffen die Länder im gegenseitigen Einvernehmen die Voraussetzungen für die Nutzung zum Beispiel von modernen Maschinen und Arbeitsgeräten im verarbeitenden Gewerbe, der Montage von Vorprodukten aus einem Nachbarland sowie der Nutzung von Ressourcen im Ringtausch. So soll die Fertigung von wettbewerbsfähigeren Produkten in den eher als Entwicklungsländern zu bezeichnenden RCEP-Ländern gefördert und vorangetrieben werden. Dieser Weg erscheint als eine Option, die Souveränität und Eigenständigkeit der beteiligten Länder zu erhalten bei gleichzeitiger Förderung der inländischen Nachfrage und Versorgung. Für die führende Wirtschaftsmacht China bedeutet das eine Verbesserung eines soliden makroökonomischen Umfeldes für die beabsichtigte Modernisierung der Industrie und Festigung seiner Position als verlässlicher und kooperativer Partner. Der Zuspruch der Beteiligten zur langfristig angelegten Partnerschaft in der RCEP läßt den Schluss zu, dass sich die beteiligten Länder trotz ihres unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstandes aufgeschlossen und kooperativ begegnen und eine langfristige Zusammenarbeit für ihr Land befürworten.
[1] https://www.handelsblatt.com/politik/international/rcep-vor-allem-china-setzt-auf-die-weltgroesste-freihandelszone/28896192.html
[2] https://www.isw-muenchen.de/2020/12/rcep-multilateralismus-auf-erfolgskurs/
[3] https://www.kas.de/de/analysen-und-argumente/detail/-/content/das-weltgroesste-freihandelsabkommen-rcep-tritt-in-kraft
[4] https://www.isw-muenchen.de/2020/12/rcep-multilateralismus-auf-erfolgskurs/
[5] https://www.eria.org/database-and-programmes/prof-peter-drysdale-rcep-as-alternative-course-to-avoid-protectionism/
[6] https://www.handelsblatt.com/politik/international/rcep-vertrag-neue-warenstroeme-in-asien-vor-allem-china-setzt-auf-die-weltgroesste-freihandelszone/
[7] https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/37012
[8] https://vovworld.vn/de-DE/nachrichten/beziehungen-zwischen-vietnam-und-china-gesund-stabil-und-nachhaltig-entwickeln-1147488.vov
[9] https://de.statista.com/infografik/27021/anzahl-der-derzeit-aktiven-sanktionen-nach-zielland/
[10] https://www.caixinglobal.com/2022-09-10/weekend-long-read-how-china-can-chart-a-path-forward-in-international-trade-101938178.html
[11] https://www.isw-muenchen.de/2022/11/us-midterms-bidens-konfrontative-aussenpolitik-kann-weitergehen-innenpolitisch-ist-er-eine-lahme-ente/
RCEP – regionale Zusammenarbeit fördert die Entwicklung des asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraums
Das seit Januar 2021 ratifizierte Regional Comprehensive Economic Partnership Agreement (RCEP) gilt als das derzeit größte existierende Freihandelsabkommen mit 15 beteiligten Ländern im asiatischen Wirtschaftsraum. Mit China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland und den zehn Staaten des ASEAN-Bündnisses repräsentiert das Freihandelslabkommen rund 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, das entspricht 29,94 Bill. $.[1] Davon fällt der größte Anteil mit 61 % auf die VR China. In Summe lebt jeder dritte Erdenbürger lebt in einem der 15 eingebunden Länder, die sich über politisch-ideologische Unterschiede hinweg als alternativ zu bezeichnendes Freihandelslabkommen zusammengeschlossen haben.[2]
Die Prinzipien der RCEP-Partnerschaft
Ziel des Abkommens ist es, im Zeitraum der nächsten 20 Jahre eine weitgehende Zollbefreiung der zwischen den Unterzeichnerstaaten gehandelten Waren umzusetzen. Die Grundlage für die wirtschaftliche Zusammenarbeit bilden die Vereinbarungen, die neben dem sukzessiv entfallenden Zollerhebungen, einer schnelleren Zollabfertigung und einen reibungsloseren Transport sowie die Entwicklung des elektronischen Handels vorsehen.[3] Der größte Gewinn für die Mitglieder des RCEP ist also die Senkung der Zölle auf Produkte, die innerhalb des Handelsblocks bezogen werden. Das Abkommen enthält Regelwerke für zwanzig Bereiche. Ursprungsländer werden klar definiert, was den Warenfluss unter den beteiligten Ländern vereinfacht. Damit wird ein Anreiz für die RCEP-Mitglieder geschaffen, innerhalb des definierten Wirtschaftsraumes Waren freier zu beschaffen und generell freien Handel untereinander zu betreiben.
Die von allen Teilnehmerstaaten ratifizierten Grundlagen der RCEP sehen vor, dass Produktkomponenten aus allen Mitgliedsländern gleichbehandelt werden. Dadurch dürften sich die Beschaffungsmöglichkeiten innerhalb der Region über Landesgrenzen hinweg erhöhen. Zudem werden dadurch mehr Möglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen geschaffen, sich in die regionalen Lieferketten und Warenströme zu integrieren und die Handelskosten für beteiligte Unternehmen zu senken.
Somit existiert bereits 12 Monate lang ein erstes multilaterales Abkommen, ohne dass die weiterhin bestehenden bi-lateralen Handelsabkommen aufgegeben werden. Australien unterhält beispielsweise mit jedem anderen Land im RCEP ein bilaterales Abkommen. Die Länder behalten diesew bilateralen Abkommen bei, die im Kern die Handelsbeziehungen zwischen den Ländern detaillierter regeln, jedoch respektieren alle die neuen einheitlichen Beschaffungsregeln im Rahmen des RCEP.[4]
Da die Welt mit der COVID-19-Pandemie und den erfolgten zahlreichen Einschränkungen der Warenströme zu kämpfen hat, bietet die fortschreitende Umsetzung des RCEP-Handelsabkommens einen rechtzeitigen Anstoß für eine schnellere Erholung sowie ein langfristiges Wachstum und Wohlstand in der Region.
Die regionale Partnerschaft umfaßt eine Vielfalt von Volkswirtschaften in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, so dass die weniger entwickelten Volkswirtschaften die Stärke der entwickelten Partner wie China und dessen belegbar kooperativen und fairen Stil nutzen können, während die stärkeren Volkswirtschaften aufgrund der entstehenden Nachfrage kleinerer Märkte ebenfalls eine Fortsetzung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung erleben. Analysten zufolge wird das RCEP-Abkommen die regionale wirtschaftliche Integration durch niedrigere Zölle, sich entwickelnden Lieferketten und Produktionsnetzwerke beschleunigen und ein robustes Handelsökosystem in der Region schaffen. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einem solchen großartigen Gebilde Unregelmäßigkeiten in der Umsetzung und der Präzisierung der Absprachen im zeitlichen Verlauf auftreten. Den allzu forschen begleitenden Kritiken ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Zielsetzungen der RCEP-Vereinbarung zum Teil bis auf 20 Jahre ausgelegt sind und insofern Phasen der Entwicklung durchlaufen.
“Das RCEP ist ein bedeutendes Abkommen in einer Zeit großer globaler Handelsunsicherheit. Es wehrt sich gegen Handelsprotektionismus und Fragmentierung in 30 Prozent der Weltwirtschaft und ist ein enorm stabilisierender Faktor im globalen Handelssystem. ” betont Prof. Peter Drysdale vom East Asian Bureau of Economic Research, Australien.[5]
Als größtes Freihandelsabkommen, das jemals geschmiedet wurde, könnte das RCEP die Rolle eines Vorreitermodells für andere Freihandelszonen und Freihandelsabkommen in der Welt spielen.
Die im Ansatz erkennbare lebhafte Dynamik der Region dürfte in naher Zukunft auch eine starke Anziehungskraft auf Volkswirtschaften außerhalb der Region ausüben.
Einer Recherche der Bertelsmann-Stiftung zufolge sollte sich auch die EU bemühen, mit RCEP Verhandlungen über eine Zusammenarbeit aufzunehmen, die über einen Beobachterstatus hinweg bis zu einer Mitgliedschaft führen könnte.[6]
Einem im Februar 2022 veröffentlichten Bericht der IFW zufolge werden die Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen im Rahmen der RCEP-Partnerschaft die größten Lohnzuwächse verzeichnen. Die Studie simuliert die Auswirkungen des Handelsabkommens und kommt zu dem Ergebnis, dass die Realeinkommen, beispielhaft aufgezeigt an den RCEP-Teilnehmerländern Vietnam und Malaysia um bis zu 5 Prozent steigen könnten und bis zu 27 Millionen Menschen dank des Abkommens bis 2035 in die Mittelschicht aufsteigen werden. Es sei davon auszugehen, dass der Transfer von Technologie und Produktionskapazitäten aus den höher entwickelten Ländern in die weniger entwickelten Länder ein wesentlicher Vorteil des Handelsabkommens sei.[7] Die Bemühungen einer stärkeren wirtschaftlichen Kooperation zwischen Vietnam und China , denen zufolge Vietnam günstige Bedingungen für Investitionsvorhaben großer chinesischer Unternehmen schaff, können als ein Indikator für die zunehmende Vitalisierung der RCEP-Region angesehen werden.[8] Dem liegt ganz offenbar die banale Erkenntnis zugrunde, dass kein Land der Welt eine Kernposition in der globalen Lieferkette aufrechterhalten kann, indem es selbst seine vermeintlichen Partner behindert bzw. mit Sanktionen überzieht, wie im Falle der vielfältigen Sanktionen durch die US-Administration weltweit nachzuweisen ist.
Gerade deshalb ist anzumerken, dass trotz der Handelseinschränkungen durch die US-Politik Chinas Exporte in die USA seit 2018 auf Rekordhöhe gewachsen sind, zumindest statistisch belegbar bis einschließlich 2021.[9]
Chinas Wirtschaft hat sich beharrlich tief in die Weltwirtschaft integriert. Seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 hat China ein durchschnittliches jährliches Wachstum von über 11 % im Außenhandel verzeichnet und Handelsüberschüsse im Wert von über 5 Billionen US-Dollar angehäuft. Das Jahr 2021 markiert den 20. Jahrestag des Beitritts Chinas zur WTO. Im Jahr 2021 erreichte der Anteil der chinesischen Exporte an den Gesamtexporten der Welt ein Rekordhoch.[10]
Auch in der asiatisch-pazifischen Region ist China im Hinblick auf sein Wirtschaftswachstum zur wichtigsten Volkswirtschaft aufgestiegen. Dennoch hat das Land zu keinem Zeitpunkt den Anspruch erhoben, das Zentrum des RCEP zu bilden; das Zentrum der Partnerschaft ist den zehn ASEAN-Ländern übertragen.
Der Gegenwind aus dem US-Lager
Die US-Regierung ermutigt sowohl ihre Verbündeten als auch neutrale Länder, ihre etablierten industriellen Lieferketten aus China zu verlagern. [11]
Der sich seit langem zu einem Handelskrieg zugespitzten hegemonialen Konflikt konkurrierender Wirtschaftsmächte veranlaßt China, ein Gleichgewicht zwischen seinen gesellschaftspolitischen Entwicklungszielen und seiner souveränen Sicherheit herzustellen und zudem ein günstiges externes Umfeld für seine wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen. Um dies zu erreichen, scheint in einer arbeitsteilig organisierten Weltwirtschaft, trotz der politisch-ideologischen Unterschiede eine rationale Suche nach Gemeinsamkeiten und Differenzen überwindenden Politik im Umgang mit anderen Ländern unausweichlich.
Insofern sind wirtschaftliche Handelsabkommen und eine handelspolitische Zusammenarbeit, so wie die RCEP-Vereinbarung für den asiatischen Wirtschaftsraum ausgelegt ist, Ausdruck pragmatischer Politik, die eine Verknüpfung der Produktionsnetze und den Warenaustausch zwischen den beteiligten Ländern vorantreibt.
Durch die festgelegten Grundsätze für die wirtschaftliche Zusammenarbeit schaffen die Länder im gegenseitigen Einvernehmen die Voraussetzungen für die Nutzung zum Beispiel von modernen Maschinen und Arbeitsgeräten im verarbeitenden Gewerbe, der Montage von Vorprodukten aus einem Nachbarland sowie der Nutzung von Ressourcen im Ringtausch. So soll die Fertigung von wettbewerbsfähigeren Produkten in den eher als Entwicklungsländern zu bezeichnenden RCEP-Ländern gefördert und vorangetrieben werden.
Dieser Weg erscheint als eine Option, die Souveränität und Eigenständigkeit der beteiligten Länder zu erhalten bei gleichzeitiger Förderung der inländischen Nachfrage und Versorgung. Für die führende Wirtschaftsmacht China bedeutet das eine Verbesserung eines soliden makroökonomischen Umfeldes für die beabsichtigte Modernisierung der Industrie und Festigung seiner Position als verlässlicher und kooperativer Partner.
Der Zuspruch der Beteiligten zur langfristig angelegten Partnerschaft in der RCEP läßt den Schluss zu, dass sich die beteiligten Länder trotz ihres unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstandes aufgeschlossen und kooperativ begegnen und eine langfristige Zusammenarbeit für ihr Land befürworten.
[1] https://www.handelsblatt.com/politik/international/rcep-vor-allem-china-setzt-auf-die-weltgroesste-freihandelszone/28896192.html
[2] https://www.isw-muenchen.de/2020/12/rcep-multilateralismus-auf-erfolgskurs/
[3] https://www.kas.de/de/analysen-und-argumente/detail/-/content/das-weltgroesste-freihandelsabkommen-rcep-tritt-in-kraft
[4] https://www.isw-muenchen.de/2020/12/rcep-multilateralismus-auf-erfolgskurs/
[5] https://www.eria.org/database-and-programmes/prof-peter-drysdale-rcep-as-alternative-course-to-avoid-protectionism/
[6] https://www.handelsblatt.com/politik/international/rcep-vertrag-neue-warenstroeme-in-asien-vor-allem-china-setzt-auf-die-weltgroesste-freihandelszone/
[7] https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/37012
[8] https://vovworld.vn/de-DE/nachrichten/beziehungen-zwischen-vietnam-und-china-gesund-stabil-und-nachhaltig-entwickeln-1147488.vov
[9] https://de.statista.com/infografik/27021/anzahl-der-derzeit-aktiven-sanktionen-nach-zielland/
[10] https://www.caixinglobal.com/2022-09-10/weekend-long-read-how-china-can-chart-a-path-forward-in-international-trade-101938178.html
[11] https://www.isw-muenchen.de/2022/11/us-midterms-bidens-konfrontative-aussenpolitik-kann-weitergehen-innenpolitisch-ist-er-eine-lahme-ente/