SIKO Gegenaktionen München

Meldungen

Matt Taibbi über die Israel-Gaza-Zensur & Neue staatliche „Desinformations“-Programme

acTVism - Fr, 10/11/2023 - 11:09

Matt Taibbi über die Israel-Gaza-Zensur & Neue staatliche „Desinformations“-Programme.

Der Beitrag Matt Taibbi über die Israel-Gaza-Zensur & Neue staatliche „Desinformations“-Programme erschien zuerst auf acTVism.

die westlchen Regierungen ...

Amazonas-Box/Frieden-etc. - Do, 09/11/2023 - 23:49

ach ja: in Gaza findet kein Genozid statt, weil das die westlichen Regierungen verhindern würden ... oder so
Siehe Artikel https://mondoweiss.net/2023/11/do-not-dismiss-the-gaza-genocide-allegati... .. Englisch halt
-------
dazu, auch Englisch:

"Nie Wieder": Holocaust-Überlebende verurteilt Gaza-Bombardierung, verlangt Frieden

Lebenshaus-Newsletter - Do, 09/11/2023 - 19:34
Heute jährt sich die Pogromnacht zum 85. Mal. 1938 hatten Truppen der Nationalsozialisten in der Nacht vom 9. auf den... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Sind alle pro-palästinensischen Demonstranten Antisemiten?

acTVism - Do, 09/11/2023 - 17:15

Sind alle pro-palästinensischen Demonstranten Antisemiten?

Der Beitrag Sind alle pro-palästinensischen Demonstranten Antisemiten? erschien zuerst auf acTVism.

Zum Ukrainekrieg. Aufruf an Kirche und Politik: Württembergischer Friedensaufruf im Herbst 2023

Lebenshaus-Newsletter - Do, 09/11/2023 - 17:06
55 Pfarrerinnen und Pfarrer der evangelischen Landeskirche Württemberg sowie 139 weitere Personen aus Kirche und Gesellschaft gehören zu den Erstunterzeichnenden... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Autoindustrie blockt Verkehrswende.   Autowerbung sagt: „Vernunft kann warten!“

ISW München - Do, 09/11/2023 - 12:05

Autoindustrie vergesellschaften, da sie dem Allgemeinwohl schadet. IG Metall: Chance zur Verkehrswende nutzen oder mit der Autoindustrie verlieren; Ressourcen für nachhaltige Produktion freisetzen; Arbeitszeitverkürzung!
Der gewerkschaftliche Anspruch, Teil der Umweltbewegung zu sein, ist noch nicht eingelöst.

Freiheit statt Tempolimit – sagt der VW-Boss. Wessen Freiheit, wessen Tempo, wessen Limit? „Sie steigen auf ihrem Bürodach in die Drohne und fliegen über alle Staus hinweg zum Flughafen, da dürfte es jedem Innovationsfan in den Fingern kribbeln.“ Konstrukt der Konkurrenz als Produktivitätspeitsche. Bahn für Alle? Das erfordert unglaublich viel Arbeit. Arbeiter*innen wissen um die Notwendigkeit der Verkehrswende. Das Kapital nimmt keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern orientiert sich ausschließlich an den erwarteten Profiten. Gewerkschaften, Klimabewegung und Transformationsräte. Die IG Metall nutzt die Chance nicht, ihre Stärke in der Bahnindustrie auszubauen.

Die Autoindustrie in Deutschland (VW, Daimler und BMW) hält an ihrem umweltzerstörerischem Wachstumsmodell fest. Elektroantriebe sind kein Weg, die Klimakatastrophe zu begrenzen, sondern führen zu zusätzlichen globalen Verwerfungen. Die Anzahl der Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie sank in den letzten vier Jahren um ca. 60.000, die Inlandsproduktion sank von 5,7 Mio. auf 3,4 Mio., während die Profite auf sagenhafte 60 Milliarden Euro stiegen. Die IG Metall hat noch hunderttausende Mitglieder in der Autoindustrie (ca. 750.000 Beschäftigte), nutzt die Chance jedoch nicht, ihre Stärke in der Bahnindustrie (ca. 200.000 Beschäftigte) auszubauen. Während die Autoindustrie trotz hoher Gewinne mit Milliarden durch die Bundes- und Landesregierungen subventioniert wird, werden die Kapazitäten in der Bahnindustrie vernichtet und Betriebe geschlossen. Die Mächtigen haben die Karre in den Dreck gefahren und blockieren jetzt die möglichen und überfälligen Veränderungen.

Daraus ergeben sich erste Thesen:

  • Die Big three der Autoindustrie können nach Artikel 14/15 vergesellschaftet werden, da dieses Eigentum an Produktionsmitteln dem Allgemeinwohl schadet.
  • Die IG Metall hat die Chance, die Verkehrswende mitzugestalten und zu gewinnen – oder sich an die Autoindustrie zu ketten und zu verlieren.
  • Weniger umweltzerstörerische Produkte (z.B.Autos) setzen Ressourcen frei für nachhaltige Produktion (z.B. Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr) und kollektive Arbeitszeitverkürzung.

Wessen Freiheit, wessen Tempo, wessen Limit?

„Freiheit statt Tempolimit“ – tönte vor kurzer Zeit der oberste VW-Manager Blume (NDR, 28.10.22). Für ihn ist es ein Gütezeichen, dass Fahrzeuge in einem Land entwickelt werden, in dem es kein Tempolimit gibt. Die Wolfsburger Presse schreibt von „Balsam für die Werker-Seele“. Was für ein Schmalz, was für ein ideologisches Geschwätz. Angesichts tiefgreifender ökonomischer und politischer Krisen, angesichts teuren Öls und knapper elektrischer Energie muten solche Aussagen wie die von Wahnsinnigen an. Manager des Autokapitals sprechen über die Freiheit der Reichen, tun und lassen zu können, was ihnen beliebt – ohne Rücksicht auf die Mehrheit der Menschen, ohne Rücksicht gegenüber schrumpfenden Ressourcen, ohne Rücksicht gegenüber dem erreichten Limit von Natur und Klima. Deren Freiheit ist purer Egoismus. Die Mächtigen im Land glauben sich in Übereinstimmung mit den 750.000 Beschäftigten der Autoindustrie. Das Freiheitsgerede und die Milliarden Euro Kurzarbeitergeld seit 2020 sollen die Beschäftigten bei Laune halten. Das funktioniert zu einem guten Teil, weil das Leben für viele fast so weitergeht, als gäbe es keine Unsicherheit des Arbeitsplatzes und keine Reallohnsenkungen. Stehen die EU und die Regierungen der Länder wie Deutschland, Frankreich, Polen, Rumänien, Portugal und die Slowakei machtlos gegen die mächtigen Autokonzerne? Es ist immer das Zusammenwirken von Kapital und neoliberaler Politik, wie an zwei weiteren Beispielen deutlich wird:

  • In Chattanooga/USA ist es der rechten Administration durch das Zusammenspiel mit dem Management von VW gelungen, eine gewerkschaftliche Interessenvertretung zu verhindern. Als Dank hat VW jetzt entschieden, für zwei Milliarden $ zwei weitere Fabriken in den USA für dort beliebte riesige Pick-ups zu bauen. Betriebsrat und IG Metall erklären lapidar, das Projekt werde „die Transformation in Richtung Elektromobilität weiter vorantreiben, dabei müssten die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesichert sein.“
  • In Mexiko sollte mithilfe des deutschen „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP-Branchendialog Automobil) ein Beschwerdemechanismus für automobile Lieferketten aufgebaut werden. Volkswagen hat nun seinen Ausstieg aus dem geplanten Beschwerdemechanismus angekündigt. Das Unternehmen erklärte, dass der geplante Mechanismus „keine ausreichenden Vorteile gegenüber den bestehenden Beschwerdesystemen bei VW“ biete. Dem widersprechen die am Dialog beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie die unabhängigen Expert:innen der mexikanischen Zivilgesellschaft ausdrücklich (https://www.transparency.de/fileadmin/Redaktion/Bilder/Stellungnahmen_PMs_und_Meldungen/2022/22-12-08_Branchendialog_Automobil_Stellungnahme__VW-Ausstieg.pdf).

Die vom Kapital erwünschte und immer wieder neu erzeugte Konkurrenz zwischen den Standorten und den Beschäftigten wirkt als Produktivitätspeitsche. Den Beschäftigten schwant, dass die goldene Zeit der Autoproduktion vorbei ist. Das Kapital orientiert sich schon um, setzt nicht mehr auf den Massenmarkt, baut vermehrt Luxusautos, greift mit Fahrservice-Flotten den ÖPNV an, lässt das Personenbeförderungsgesetz dafür ändern, erprobt Passagierdrohnen: „Stellen Sie sich vor, Sie steigen einfach auf ihrem Bürodach in die Drohne und fliegen über alle Staus hinweg zum nächsten Termin, zum Flughafen, nach Hause … da dürfte es jedem Innovationsfan doch in den Fingern kribbeln!“1 Weil die Gewerkschaften mangels eigener Konzepte und Visionen weitgehend ratlos vor dieser Entwicklung stehen, beschränken sie sich auf die möglichst schmerzlose Regulierung der veränderten Geschäftsmodelle des Kapitals. Der „Zukunftsfond Automobil“ der Bundesregierung und die „konzertierte Aktion Mobilität“ von Regierung, Arbeitgebern und IG Metall, auf Wachstum und Subventionen angelegt, bieten keine Alternativen für einen großen Teil der Beschäftigten.

So lange wie irgend möglich soll es beim privat finanzierten und genutztem Auto bleiben – bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos in Deutschland zugelassen werden. Das von der EU beschlossene Verbrenner-Aus ab 2035 wurde von der deutschen Autoindustrie erfolgreich aufgeweicht. Während „wir alle“ zum Sparen von Energie genötigt werden, benötigen 15 Millionen E-Autos etwa 40 TWh elektrische Energie, viermal so viel, wie in der Stadt Hamburg jährlich durch Haushalte und Industrie verbraucht werden. Diese auf weiteres Wachstum orientierte Strategie verschärft die globalen Verteilungskonflikte um Rohstoffe und Energie; die Strategie wird scheitern, weil die erforderliche Menge erneuerbare Energie nicht zur Verfügung steht. Kein Bündnis mit den Scheichs aus Katar noch neokolonial gewonnener Wasserstoff aus Namibia werden diese Lücken füllen.

Bahn für Alle – das erfordert unglaublich viel Arbeit!

Die Autoindustrie wird – trotz glänzender Profite – mit Milliarden Euro durch die EU, den Bund und die Länder subventioniert. Autos bekommen kostenlos Zugang zu Straßen und Autobahnen. Die öffentlichen Verkehrsbetriebe führen ihren Versorgungsauftrag mit mehr als 12 Milliarden Beförderungsfällen pro Jahr durch. Dort fließen wesentlich weniger Gelder, die Bahnbetriebe zahlen stattdessen Trassengebühren von 5 bis 6 Cent pro gefahrenen Kilometer und die Löhne sind geringer als in der Autoindustrie.

Das 9-Euro-Ticket ebenso wie das 49-Euro-Ticket haben den Bedarf offenbart und die Bereitschaft, vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen, wenn das Angebot gut ist. Die Angebote sind aber nicht gut und der Ausbau kommt nicht voran. Am Beispiel der Ermstalbahn, der Regionalstadtbahn Neckar-Alb in Baden-Württemberg, wird das Dilemma deutlich. Vor 20 Jahren ist der reguläre Personenverkehr durch Bürgerinneninitiative wieder aufgenommen worden. Jetzt werden dort als Übergangslösung geliehene Elektrotriebzüge aus Augsburg eingesetzt, weil die in Auftrag gegebenen Fahrzeuge erst in fünf Jahren ausgeliefert werden (Schwäbisches Tageblatt, 10.12.2022 / eigene Recherche). Die Kapazitäten im Schienenfahrzeugbau sind zu gering, um die Verkehrswende voranzubringen.

Mit dem 9-Euro-Ticket, mit der Debatte um die sozial-ökologische Transformation, den Aktionen von Verdi für bessere Arbeit im ÖPNV gemeinsam mit Fridays for Future, der Letzten Generation hat sich vieles geändert. Für die Verkehrswende braucht es neben Produktionskapazitäten im Schienenfahrzeug- und Busbau vor allem Geld und Personal für Betriebe des öffentlichen Verkehrs und den Infrastrukturbau. Die öffentlichen Verkehrsbetriebe suchen händeringend Lokomotivführer*innen, Busfahrer*innen, Schaffner*innen und Planer*innen – und finden viel zu wenige. In einem planmäßigen Prozess der Schrumpfung der Autoindustrie können Beschäftigte aus dieser Branche solche Aufgaben übernehmen. Aber dieser Prozess wird nicht geplant, weil im öffentlichen Verkehr keine Profite zu erzielen sind. Diese Planlosigkeit führt zu großen Verunsicherungen – in den Kommunen und bei den Beschäftigten.

Während in der Autoindustrie Arbeitsplätze verschwinden (müssen), können im Schienenfahrzeugbau viele neue Arbeitsplätze entstehen. Aber eben nicht durch am Profite interessierten Investoren, sondern durch am Gemeinwohl orientierte Gruppen oder Institutionen: Genossenschaften, Kooperativen oder kommunale oder landeseigene öffentlich-rechtliche Betriebe. Dazu bedarf es einer bisher fehlenden Sicherheit der Investitionen durch einen planmäßigen Ausbau des schienengebundenen Nah- und Fernverkehrs, durch einen vom Kopf auf die Füße gestellten Bundesverkehrswegeplanes und einer Kostenübernahme weitgehend durch den Bund. Warum eigentlich kein Sondervermögen von 200 Milliarden Euro für die Schieneninfrastruktur, den Schienenfahrzeugbau, den Bau von smarten Bussen, den Ausbau und Betrieb des ÖPNV in Stadt und Land?

Teils noch aktive Lokomotiv- und Waggonbaubetriebe in Bautzen, Dessau, Görlitz, Halle, Niesky und Vetschau können aktiviert, die Kapazitäten in Berlin, Chemnitz, Henningsdorf, Mannheim, München, Salzgitter und Stendal können ausgebaut werden. Die Beschäftigten der Bahnindustrie würde es freuen, wenn ihre Arbeit aufgewertet und mehr Anerkennung erfahren würde. Die Erfahrungen beim Ausstieg aus der Kohle, Blicke in die Lausitz, das mitteldeutsche oder das rheinische Kohlerevier zeigen, dass 40 Milliarden Euro und ein Zeitraum von 20 Jahren nicht ausreichen, wenn das Geld ohne demokratische Beteiligung der Menschen in der Region zweckentfremdet eingesetzt wird. Kritik an Strukturwandel landauf und landab (Aachener Zeitung, 15.3.21; Mitteldeutsche Zeitung 5.12.2022). Der DGB hat „Revierwende-Büros“ eröffnet und sagt zur provinziellen Zweckentfremdung, zu Schlosssanierung oder Kirchenanstrich statt alternativer Produktion und Beschäftigung: „So etwas geschieht, wenn keine unabhängigen Kontrollgremien gewollt sind. Von neuen Arbeitsplätzen müssen die Menschen im Revier profitieren. Die Bemühungen um bessere Lebensbedingungen im Revier müssen sich an den Wünschen der Menschen vor Ort ausrichten“ (Revierkurier 1/2022). Im Kohlebergbau und bei der Kohleverstromung geht es um einen absoluten Abbau, in der Mobilitätsindustrie geht es „nur“ um einen radikalen Umbau – allerdings mit viel mehr Menschen.

Arbeiter*innen und Verkehrswende

Wir haben Autoarbeiter*innen zum sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie befragt („E-Mobilität, ist das die Lösung? Luxemburg Beiträge 6 /2021) – Menschen mit Hoffnungen, Wünschen, Sorgen, mit kritisch-reflektierter Produzentenintelligenz. Viele schämen sich nach dem gigantischen Abgasbetrug für ihre Arbeitgeber, spätestens von ihren Kindern wissen sie vom Zusammenhang ihrer Arbeit mit der Klimakatastrophe. Sie sind überwiegend keine beinharten Männer mit Benzin im Blut. Gesagt haben sie, dass sie auch anderes als Autos produzieren könnten. Aber die Beschäftigten entscheiden nicht darüber. „Mitbestimmung in der Wirtschaft ist vom Ansatz her radikal-demokratisch und antikapitalistisch“ (Otto Brenner). An Demokratie und Antikapitalismus fehlt es, auch in den Gewerkschaften. Zweitens müssen, so die Aussagen der Befragten, die Einkommen sicher sein. Die relativ guten Löhne in der Autoindustrie hängen an der Exportlastigkeit, der höheren Wertschöpfung, der Ausbeutung in der Lieferkette und daraus resultierenden Profiten. Lars Hirsekorn, Mitglied des Betriebsrates bei VW in Braunschweig sagt: „Die Belegschaften in der Autoindustrie haben bei diesem Thema gemischte Einstellungen. Große Teile sind der Meinung, dass das Elektroauto ökologisch nicht sinnvoll ist. Einige meinen, dass man dann gleich beim Verbrenner bleiben kann. Aber es gibt inzwischen viele Leute, die einsehen, dass wir etwas grundlegend ändern müssen“ (www.nationalgeographic.de/).

In diversen Studien wurde herausgearbeitet und dokumentiert, dass eine solche Verkehrswende die Arbeitsplatzverluste in der Autoindustrie überkompensiert (Spurwechsel, VSA-Verlag; Mfive, Gesamtwirtschaftliche Wirkungen durch die Transformation zu nachhaltiger Mobilität).

Die Ängste der Beschäftigten in der Autoindustrie sind dennoch berechtigt und begründet – das Kapital nimmt keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern orientiert sich an den erwarteten Profiten. Die Beschäftigten bei VW in Wolfsburg und Emden hoffen, mangels Alternativen, bald wieder ausgelastet eine weitere Million große und teure Autos pro Jahr zu produzieren. Volkswagen jedoch beginnt, Autos aus chinesischer Produktion nach Europa zu exportieren. Die Batteriezellfertigung in Salzgitter soll es geben, wenn Volkswagen so viele Subventionen bekommt wie Tesla in Grünheide. Alles, was viele Jahrzehnte sicher schien, ist unsicher geworden. Da hilft kein Pfeifen im dunklen Wald. Die Autoindustrie verschwindet – so oder so – zu einem großen Teil aus unserem Land. Die Arbeitsplatzvernichtung und – Verlagerung findet zunächst bei Zulieferern wie Conti, Bosch und Mahle, bei vielen kleinen Zulieferern sowie bei Opel und Ford statt.

Gewerkschaften, Belegschaften und Klimabewegung

Die Gewerkschaften haben sich dem Pariser Klimaziel verpflichtet. Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall reklamiert für seine Gewerkschaft: „Wir sind Teil der Umweltbewegung“ (OXI 9/2022). Ulrich Brand beschreibt das Dilemma gewerkschaftlicher Stärke und gut bezahlter Arbeitsplätze in der Autoindustrie einerseits und der ökologischen Notwendigkeit, eben hier zu schrumpfen andererseits: „Sozial-ökologische Aufgaben müssen zu Kernanliegen der Gewerkschaften werden“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/2019). Daraus ergibt sich: Die IG Metall muss mehr Energie auf Erhalt und Ausbau der Schienenfahrzeugproduktion legen. Es reicht nicht, wenn Alstom Standorte schließt oder Waggonfabriken in Niesky und Dessau geschlossen werden, nach Subventionen oder Investoren zu rufen.

Ist die Zustimmung von IG Metall und Betriebsräten zu neuen Auto- oder Batteriefabriken nur der Überlegung geschuldet, dass die Verkehrswende eventuell nicht funktionieren wird, dass Busse und Bahnen nicht im notwendigen Umfang durch Bund, Länder und Kommunen in Auftrag gegeben werden? Das ist unverständlich angesichts des vor sich gehenden Abbaus von Arbeitsplätzen in der Autoindustrie. Die Gewerkschaft könnte den Mitgliederschwund stoppen, würde Organisations- und Verhandlungsmacht gewinnen, wenn sie die Verkehrswende vorantreiben würde. Bei Beibehaltung der bisherigen Politik wird sie verlieren.

Der gewerkschaftliche Anspruch, Teil der Umweltbewegung zu sein, ist noch nicht eingelöst. Das Bündnis von Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden gibt es bisher nur auf dem Papier (IG Metall, BUND, SoVD, EKD und andere) – dieses Bündnis hat noch keine Füße bekommen, ist noch nicht lokal verankert. Ein Hinweis auf die Ursachen findet sich in einer Erklärung linker Gewerkschafter:innen: „Unsere Macht kommt von unten. Bei der Industriepolitik müssen wir unsere Durchsetzungsfähigkeit durch den Schulterschluss mit der Umweltbewegung ausbauen. Dafür brauchen wir mehr Wissen bei unseren Funktionär*innen, warum und wie wir Industriepolitik machen. Der historisch notwendige Schulterschluss für eine sozialökologische Transformation kann uns nur gelingen, wenn wir die hierfür notwendige Kompetenz an unserer gewerkschaftlichen Basis durch unsere Bildungsarbeit ausbauen.“ (Zeitschrift SOZIALISMUS 11/22).

Die im mitteldeutschen Revier bei Naumburg gelegene Heimvolkshochschule Haus Sonneck entwickelt sich zur Transformationsakademie. Die vom DGB getragene Einrichtung der politischen Bildung „Arbeit und Leben“ und Haus Sonneck werden die Revierwende in der gewerkschaftlichen und beruflichen Fort- und Weiterbildung aktiv mitgestalten. Die Akademie wird durch bauliche und inhaltliche Modernisierung entstehen, finanziert aus dem Fond für den Kohleausstieg. Das müsste mit allen gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen ähnlich passieren. Gewerkschaftspolitische Grundlagenbildung ist kein Selbstzweck. Sie ermächtigt die Beschäftigten, die Welt aus ihren Klasseninteressen heraus zu erkennen und zielgerichtet in betriebliche und gesellschaftliche Veränderungsprozesse einzugreifen, nicht weiter als „Werker-Seele“ erniedrigt zu werden.. Gewerkschaftspolitische Bildung hilft bei der Überwindung von Fatalismus und immunisiert ein Stück weit vor Technikgläubigkeit. Sie ist eine Voraussetzung, um rechten Hass und Hetze zurückzuweisen, sie ist eine Barrikade gegen autoritäre Wege aus der Krise. Politische Bildung ist nicht alles – aber ohne sie wird das alles nichts.

Transformationsräte

Schließlich sind hoffnungsvolle neue Ansätze in der Verteidigung sozialer Rechte in der Transformation zu beobachten, so bei GKN in Zwickau und beim Waggonbau in Niesky. In Niesky soll ein traditioneller Waggonbau geschlossen werden. IG Metall und Linke unterstützen die Belegschaft im Kampf um den Erhalt von Betrieb und Arbeitsplätzen. Die Linke erinnert daran, dass Mahnwachen nicht ausreichen werden: „Im Fall des Waggonbaus Niesky, wo mit der Geschäftsleitung kein Gespräch hergestellt werden kann, wäre eine Besetzung der Fabrik durch die Arbeiter ein weltweit erprobtes Mittel, um ihrem Kampf eine realistische Chance zu geben“, erklärte die Landtagsabgeordnete Antonia Mertsching weiter und versicherte: „Unsere Unterstützung ist ihnen sicher.“ Ihr Kollege Mirko Schulze fordert ein stärkeres Engagement des Landes Sachsen: „Die sächsische Lausitz erhält 7 Milliarden Euro für den Ausstieg aus der Kohleverstromung, um Industriearbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten. Mir ist völlig unklar, warum bisher nicht ein Cent in die Stärkung des vorhandenen Schienenfahrzeugbaus geht.“ (https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/linke-ermutigt-waggonbauer-in-niesky-zur-werksbesetzung/ar-AA191L0c).

Bei GKN in Zwickau haben die Beschäftigten mit der IG Metall zusammen einen Sozialtarifvertrag erstreikt, gehen jetzt „in die 2. Halbzeit“ und kümmern sich um einen Investor, der den Betrieb mit anderer Produktion fortführen kann. „Damit habt ihr auch eine Blaupause geliefert, wie wir Auseinandersetzungen gegen das Kapital führen können“, so die neue Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, zu dieser Auseinandersetzung. In Zwickau gibt es Kontakte und Gespräche mit den Aktiven der Klimabewegung (FFF) sowie nach Florenz, wo eine GKN-Fabrik von der Belegschaft besetzt wurde. Die Lehren daraus: Dem Klassenkampf des Kapitals gegen die Beschäftigten kann nur mit Klassenkampf von unten für Demokratie, gute Arbeit und ökologische, am Gebrauchswert orientierte Produktion begegnet werden. Die ökologische Krise ist Ergebnis der kapitalistischen Produktionsweise, dem damit verbundenen Konsum(zwang).

Vielleicht sind das die Pflänzchen, die sich zu regionalen Transformationsräten entwickeln. Zu Räten, in denen Beschäftigte, Gewerkschaften, Umwelt- und Verkehrsverbände, Klima- und Verkehrswendeinitiativen sowie regionale Politik direkten Einfluss auf die sozial-ökologische Transformation der Produkte und der Produktion in der gesamten Mobilitätsindustrie nehmen. So etwas ist durchaus möglich, wie Dario Azzinelli in einer Studie zum Transformationsprozess in Schottland beschreibt: „Auch wurde darin (im Climate Change Plan) die Einrichtung einer Just Transition Kommission und einer Bürgerversammlung zum Klimawandel beschlossen, die Empfehlungen erarbeiten soll, wie eine Null-Emissionen-Transition erfolgen soll und was dabei zu beachten ist, auch bezüglich Qualifikationen, Arbeitsmarkt und Bildung“.2

1https://www.volkswagenag.com/de/news/fleet-customer/2022/12/interview_group_innovation.html

2 Scottish Government 2019, file:///C:/Users/User/Downloads/Working%20Paper%201_%20Azzellini%202021_%20Nachhaltige%20Arbeit.pdf

 

Geheime Mächte oder reale Verhältnisse?

Lebenshaus-Newsletter - Do, 09/11/2023 - 12:02
Angst vor dem Erstarken der Partei AfD treibt die Bundesregierung und die Parteien um. Sie bilden deshalb zusammen mit den... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

KI als Geschäftsmodell

ISW München - Mi, 08/11/2023 - 23:12

Lidl und Co. investieren in Künstliche Intelligenz (KI).

Der SPIEGEL berichtet, chtet, dass Aleph Alpha, ein deutsches Start-up-Unternehmen Aleph Alpha eine Finanzspritze von 486 Mio. Euro erhält.. Das Kapital wird u.a. von der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), dem Bosch-Konzern und SAP bereitgestellt.  Mit dem Geld will der KI-Spezialist gegen OpenAI konkurrieren, dem Erfinder von Chat-GPT, Der Spiegel.
 
Damit „werden wir unsere Fähigkeiten weiter ausbauen und unseren Partnern ermöglichen, an der Spitze dieser technologischen Entwicklung zu stehen“, sagte Jonas Andrulis, der Gründer von Aleph Alpha.
Das Unternehmen aus Heidelberg hat sich auf Arbeitsbereiche für öffentliche Verwaltung und Industrie spezialisiert.

Eine Erweiterung des hauseigenen Sprachmodells Luminous sei in der Lage, Zusammenhänge in Informationen auf Basis gesicherter Fakten nachzuvollziehen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht von einer „wahnsinnigen Erfolgsgeschichte“. Dem 2019 gegründeten Unternehmen sei es gelungen, einen Meilenstein auf dem Weg zu inhaltlich korrekter und vertrauenswürdiger KI zu erreichen.

Minister Habeck sieht einen weltweiten Wettbewerb um die Künstliche Intelligenz KI. Europa müsse deshalb „richtig Hackengas geben“, um international nicht abgehängt zu werden. „Überall da, wo wir stark sind, kann KI made in Europe auch stark werden“, sagte Habeck in Capital. Er verweist dabei auf die Branchen wie Maschinenbau und Tele-Kommunikation für die man hierzulande über eigene Kompetenz verfüge.

Unerwähnt lässt Habeck die Logik der Geschäftsmodelle im Zeitalter der Digitalisierung. Ein Musterbeispiel dafür ist Delivery Hero: Mit unterschiedlichen Markennamen betreibt die Firma weltweit Online-Bestelldienste, bei denen Kunden an Restaurants vermittelt werden. Einnahmen sollen durch Provision erzielt werden. „Der hartnäckig ausbleibende Gewinn ist die Dauerbaustelle von Delivery Hero“, bemängelt die Wirtschaftswoche.

Seit Jahren macht Delivery Hero Minus – und ist damit in der Plattformökonomie nicht allein.

Der Fahrdienstvermittler Uber erwirtschaftete ein Jahrzehnt lang keinen Gewinn.

Das Zauberwort hinter diesen Geschäftsmodellen lautet: „Venture Capital“, das Wagniskapital zur Finanzierung. Die Anlagen sind riskant, aber lukrativ. Die meisten Investitionen scheitern, dafür erzielt eine kleine Anzahl von Spekulanten überdurchschnittliche Renditen, verdeutlicht Nils Peters, Fellow für Wirtschaftssoziologie an der London School of Economics London School of Economics.

Für die Risikokapitalgeber ist Rentabilität weniger wichtig als schnelles Wachstum. Gewinne können sie realisieren, wenn das Unternehmen übernommen wird oder an die Börse geht, die Investitionen erfordern einen langen Atem.

Ziel ist auch, eine Markt-Dominanz zu erreichen, die etwa Google, Amazon oder Microsoft erreicht haben. Die Kapitalgeben drängen die Unternehmen dazu, Konkurrenten auszusperren, kritisiert Peters. Es ist das Streben nach Monopolkapitalismus 4.0.

 

Veranstaltungshinweis mit dem Autor:

isw-Veranstaltung
Donnerstag, 30. November 2023, 19:00 - 20:30

ZOOM https://us02web.zoom.us/j/84318474296

KI, Arbeitszeit und Gewerkschaften. Wie Unternehmen die Technik in ihrem Interesse nutzen

Marcus Schwarzbach

 

Sit-in für Waffenstillstand in Gaza an der Freiheitsstatue

Lebenshaus-Newsletter - Mi, 08/11/2023 - 17:54
Die Facebook-Seite der "Jüdischen Stimme für den Frieden" beschreibt die Invasion der Freiheitsstatue in New York durch Hunderte von Aktivist:innen,... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Kein Frieden mit der AfD!

IMI Tübingen - Di, 07/11/2023 - 12:13
Die extrem rechte Alternative für Deutschland (AfD) inszeniert sich seit etwa einem Jahr immer vehementer als Friedenspartei – ja zum Teil sogar als die vermeintlich einzige Friedenspartei. So schreibt etwa der AfD-Landesverband Nordrhein-Westfalen auf seiner Homepage: „Die AfD ist die (…)

Read the rest of this entry »

Eine europäische Sicherheitsarchitektur nach dem Ukrainekrieg?

IMI Tübingen - Di, 07/11/2023 - 12:02
————————————– Gesamte Studie hier zum download ————————————– INHALTSVERZEICHNIS Gesamte Studie hier zum download Der Krieg in der Ukraine ist weiterhin in vollem Gange. Die russischen Streitkräfte setzen ihren Angriff unvermittelt fort und halten große Teile des Nachbarlandes besetzt. Die ukrainische (…)

Read the rest of this entry »

CUBA heute, nach einem weiteren Jahr der Einschränkung

ISW München - Mo, 06/11/2023 - 18:38

Die wirtschaftliche Entwicklung des sozialistischen Kubas bleibt unvermittelt trüb.

Es ist vor allem die fortgesetzte Energiekrise, die der cubanischen Wirtschaft enorm zusetzt. Auch der zarte Aufschwung bei den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) konnte dieses Jahr keinen entscheidenden Beitrag leisten, um den mittlerweile seit vier Jahren andauernden Krisenmodus zu beenden. Hinzu kommt der noch immer schwächelnde Tourismus, die Besucherzahlen liegen aktuell bei 55 Prozent des Stands von 2019: Viel zu wenig, um die klamme Haushaltslage zu entspannen – was wiederum Voraussetzung für die Bekämpfung von Inflation und das Ende des dualen Wechselkurs-regimes wäre, zwei entscheidende Voraussetzungen für das Greifen der Reformen. Ein Teufelskreis. 

Außenpolitisch konnte Kuba vergangene Woche wieder den zu erwartenden symbolischen Sieg bei den Vereinten Nationen erringen: Lediglich die Vereinigten Staaten und Israel stimmten gegen eine Resolution zur Aufhebung der US-Sanktionen. Änderungen der verfahrenen US-kubanischen Beziehungen scheinen im Schatten des Kriegs in Nahost indes immer unwahrscheinlicher, während konkrete Ergebnisse der Deals mit  China, Vietnam, Russland und Algerien noch auf sich warten lassen. Das Leben der Kubaner, es wird momentan nicht einfacher.

Dass es nicht so weitergehen kann, ist allen klar. Die Regierung kündigte bereits mehrfach ein "makroökonomisches Stabilisierungsprogramm" und "profunde wirtschaftliche Transformationen" für das kommende Jahr an, blieb bisher jedoch im vagen. Nur so viel ist bekannnt: Die Aufgabe allgemeiner Preisstützen zugunsten von gezielten Subventionen bedürftiger Personengruppen soll damit definitiv einhergehen. Zunächst soll jedoch die Bankarisierung vorangetrieben werden: Bis Anfang nächsten Jahres haben sämtliche Gewerbe (aller Eigentumsformen) noch Zeit, bargeldlose Bezahlkanäle anzubieten, kündigte das Binnenhandelsministerium Ende letzter Woche an. Seit der Bekanntgabe des Programms im August halten sich die Ergebnisse allerdings in engen Grenzen, vor allem aufgrund der ungelösten Wechselkursproblematik. Kurzfristig dürfte die Ankündigung damit vor allem für noch mehr Ungewissheit sorgen, zumal auch neue Importregularien für Privatbetriebe im Gespräch sind. 

Zum Stand der wirtschaftlichen Entwicklung

Nachdem Kuba diesen Sommer, erstmals seit Beginn der aktuellen Krise im Jahr 2020, mit nur wenigen Stromausfällen überstanden hat, hätte man vermuten können, dass das Ende der Rezession näher rückt. Die zarte Blüte erlebte jedoch ein jähes Ende, als Energieminister Vicente de la O Levy Anfang Oktober erneut Energiesparmaßnahmen anzukündigen hatte. Seitdem arbeiten viele Betriebe und Ämter nur Halbtags, der Transport läuft auf Sparflamme, die Ausreisewelle hält an und selbst die Grundversorgung über die Libreta gerät mitunter ins Stocken. Wo steht Kubas Wirtschaft heute, am Ende ihres vierten Krisenjahres?

Die Ursachen der Krise sind multikausal und haben sich im Laufe der vergangenen Jahre teils gegenseitig verstärkt: Zum einen wäre da die angespannte Haushaltslage zu nennen, mit der Kuba seit spätestens 2018 ins Zentrum der Trump’schen Sanktionspolitik geriet, in deren Rahmen mehr als 200 Einzelmaßnahmen erlassen worden sind, die vom Tourismus bis hin zum internationalen Marktzugang reichen. Dann kam die Pandemie, die alle wichtigen Devisenbringer der Wirtschaft abwürgte und in deren schwierigster Phase die Insel von den Vereinigten Staaten wieder als „Staatssponsor des Terrorismus“ gelistet wurde. Die zahlreichen ungelösten Probleme der Wirtschaft, überbordende Bürokratie, Missmanagement und Korruption, konnten indes auch mit einem wieder an FAhrt gewinnenden Reformprozess nicht in den Griff bekommen werden. Zu tief sitzen die Probleme, zu gering der finanzielle Spielraum für Lösungen – und zu groß die Angst vor echter struktureller Veränderung bei den Entscheidungsträgern, trotz oder vielleicht gerade wegen der landesweiten Proteste im Sommer 2021. Die Verwaltung des Status quo hat auch in diesem Jahr weite Teile der politischen Agenda bestimmt, die – trotz  neuem Kommunikationsgesetz -  weiterhin durch Abwesenheit von Agilität und Dynamik geprägt ist.

Drei Jahre seit Beginn der aktuellen Krise, und am Ende des ersten Jahres, das wieder ein „besseres“ (Díaz-Canel) hätte werden sollen, fällt die Bilanz ernüchternd aus. Die Ausreisewelleder vergangenen Jahre, die größte seit der Bootskrise von Mariel 1994, hat ihre Spuren hinterlassen. Seit 2020 haben laut Daten des US-Grenzschutzes rund 480.000 Kubanerinnen und Kubaner das Land in Richtung Vereinigte Staaten verlassen, rund vier Prozent der Bevölkerung. Hinzu kommen jene, die in andere Länder migriert sind. Genauere Auskunft dürfte der Zensus geben, der ursprünglich 2022 geplant war und vor kurzem endgültig auf das erste Quartal 2025 verschoben wurde.
Die Folgen der Ausreisewelle sind auch in der Ökonomie überall spürbar und haben die Krise weiter verschärft. Wie die kubanische Zeitschrift „Bohemia“ berichtet, stellt der Fachkräftemangel viele Betriebe vor immer größere Herausforderungen und auch die Sozialsysteme ächzen unter der Lücke. So ging die Zahl der Ärzte seit 2020 um mehr als 12.000 zurück, über 1.300 Universitätsdozenten verließen ihren Posten. Die dreistellige Inflation ließ die Kaufkraft der Löhne in diesem Jahr auf die Hälfte des Niveaus von 2022 schrumpfen, eue Hiobsbotschaften gibt es auch aus der Landwirtschaft. Wie Agrarminister Ydael Jesús Pérez Brito vergangene Woche in der Sendung „Mesa Redonda“ (Runder Tisch) erklärte, konnten dieses Jahr lediglich 40 Prozent des benötigten Diesels für Traktoren, 20 Prozent des Tierfutters und nur vier Prozent der notwendigen Düngemittel bereitgestellt werden. Die Produktion erlebte dementsprechend empfindliche Einbrüche: So ging die Zahl der Legehennen von einst acht auf drei Millionen zurück, die Schweinefleischproduktion brach von 200.000 im Jahr 2017 bis Ende 2022 auf 16.500 Tonnen um 91 Prozent ein. Beim Anbau von Reis und Bohnen bewegt sich der Einbruch auf etwas niedrigerem Niveau, dort betrug der Rückgang dieses Jahr 10 bzw. neun Prozent. Mittlerweile muss praktisch die gesamte Grundversorgung des staatlichen Bezugshefts „Libreta“ importiert werden, was eine zusätzliche Belastung für den Haushalt bedeutet.

Auch der Tourismus kommt nicht in Tritt. Trotz neuer Flugrouten verschwand Kuba in den letzten Monaten aus vielen Reiseprospekten, da die Rezession auch Auswirkungen auf die Qualität des Fremdenverkehrsprodukts hat – der wohl schwerwiegendste Verstärkungsfaktor der aktuellen Krise, da wichtige und fest eingeplante Devisenreserven ausbleiben. Bis September zählte die Insel 1,8 Millionen Besucher. Zwar zwei Drittel mehr als im vergangenen Jahr, aber immer noch lediglich 55 Prozent des Stands von 2019. Das Ziel von 3,5 Millionen wird in jedem Fall verfehlt werden.

Ein guter Indikator, um den Status der kubanischen Wirtschaft abzulesen, ist der Transportsektor. Wenn es dem Land relativ gut geht, die Wirtschaft wächst, wird hier in Wartung und Anschaffung investiert und die Treibstoffversorgung ist gesichert, was sich in steigenden Passagierzahlen niederschlägt. In Krisenzeiten wird relativ proportional eingespart, wie die Entwicklung der 1990er Jahren zeigte. So konnte der Sektor zwischen 2010 und 2017 ordentlich zulegen und erreichte am Ende dieser Periode wieder rund zwei Drittel des Werts der späten 1980er Jahre, vor der „Sonderperiode“ in Folge der Auflösung des sozialistischen Lagers. Von da an gab es bereits einen ersten leichten Rückgang bei den Deviseneinnahmen in Folge der Krise in Venezuela und neuen Sanktionen. Seither war die Zahl der transportierten Passagiere rückläufig, was sich mit der Treibstoffkrise 2019 nochmals beschleunigte. Die Jahre 2020 und 2021 markieren den Tiefpunkt im Rahmen von Covid-Lockdowns und Rezession. Die leichte Erholung 2022 setzt sich laut Schätzung des Ministeriums in diesem Jahr minimal fort und wird voraussichtlich unter den Werten von 2020 bleiben. Von dieser Warte aus gelesen, dürfte 2023 für die kubanische Wirtschaft de facto eine weitere Nullrunde werden. Auch das Wirtschaftsministerium rechnet mit einem leichten Wachstum, das allerdings, wie Minister Gil betont, „nicht spürbar“ sein werde.

Wie weiter?

Wie geht es nun also weiter? Die jüngste Reforminitiative der Regierung, die Bankarisierung der Wirtschaft, mit der Korruption zurückgedrängt, der Mangel an Bargeld reduziert und die Wirtschaft digitalisiert werden soll, ist ins Stocken geraten. Die Ankündigung, sämtliche Zahlungsströme im gewerblichen Bereich künftig nur noch über bargeldlose Methoden abzuwickeln, hatte zu großer Verunsicherung bei den mittlerweile 8964  kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) geführt. Hauptproblem ist nach wie vor, dass der offizielle Wechselkurs nicht bedient werden kann und der Staat keine Devisen für diesen Bereich der Wirtschaft ausgibt. So lange diese Themen nicht gelöst sind, dürfte sich die Umsetzung verschieben müssen. Im Staatssektor wurden zwar Fortschritte erreicht, aber auch hier verläuft die Umstellung träge. Statt einen Wachstumsimpuls zu liefern hat die Ankündigung, auch aufgrund ihrer Kommunikation, kurzfristig hauptsächlich zu mehr Verunsicherung geführt.

Kubas Präsident Díaz-Canel bezog am 16. Oktober in einem  seltenen Fernsehinterview zur Kritik an seiner Wirtschaftspolitik sowie der allgemeinen Lage des Landes Stellung. „Jeder hat das Recht, uns zu kritisieren, und ich glaube es wäre auch sehr idealistisch zu behaupten, dass alles gut gemacht wurde, dass wir mit allem Recht haben“, erklärte das Staatsoberhaupt, als ihn die Journalistin Arleen Rodriguez mit Kritik am Timing von Währungsreform und Bankarisierung konfrontierte. Man befinde sich derzeit in Zeiten „des maximalen Drucks“, so Díaz-Canel unter Verweis auf die anhaltenden US-Sanktionen. Die Regierung studiere sämtliche Vorschläge von Ökonomen und aus der Bevölkerung, mit denen man zu großen Teilen übereinstimme. „Wir sind weder verschlossen noch Dogmatiker“, erklärte er und kündigte eine umfassende Aufarbeitung der Fehler der Währungsreform an. Ein großes Problem sei der Mangel an Devisen, der die Umsetzung vieler wirtschaftspolitischer Maßnahmen erschwere, auch jene, die mit der Wechselkursthematik zu tun hätten. Auf die Frage, wo die Ergebnisse der zahlreichen Auslandsreisenund Wirtschaftsabkommen (unter anderem mit China, Russland, Algerien und  Vietnam) blieben, antwortete Díaz-Canel, dass diese erst „mittelfristig“ positive Auswirkungen haben dürften. Fast nebenbei machte er in dem Gespräch eine Ankündigung, die aufhorchen lässt: Der Übergang von allgemeinen Preissubventionen hin zur gezielten Unterstützung von bedürftigen Personengruppen, eines der fiskalpolitischen Kernelemente des Reformprozesses, dessen Umsetzung immer wieder verschoben wurde, solle „eher früher als später“ kommen. Auch dies ist Teil des „makroökonomischen Stabilisierungsprogramms“, das bereits vor Monaten angekündigt wurde und weiterhin seiner Umsetzung harrt. Wann erste Schritte erfolgen werden, bleibt abzuwarten. Díaz-Canel gab zumindest einen ungefähren Hinweis, als er im Sommer vor der Nationalversammlung  erklärte, dass kommendes Jahr eine „profunde Transformation“ der kubanischen Wirtschaft anstehe.

Trotz aller Probleme bleibt festzuhalten, dass die Genehmigung und Gründung neuer KMU weiter voranschreitet.Sie beschäftigen mittlerweile 260.000 Personen und tragen, gemeinsam mit Produktions- und Dienstleistungskooperativen, rund 13 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt sowie mit acht Prozent zu den Importen bei. Inmitten der aktuellen Krise sind sie einer der wenigen Sektoren, in denen neue, in der Regel überdurchschnittlich bezahlte Arbeitsplätze entstehen. Mit zunehmender Professionalisierung trägt der Sektor zudem bereits zur Bildung neuer Wertschöpfungsketten bei. Das Konsumgüterangebot hat sich durch private Importe in den vergangenen Monaten weiter ausgeweitet und stabilisiert. Die hohen Preise sind in diesem Bereich nicht weiter gestiegen, sondern, wie beispielsweise im Fall von Reis und Bier, mit steigendem Angebot eher gesunken.

Ein weiteres, bislang wenig beachtetes Signal, landete vergangene Woche im Gesetzesblatt: In einer Neufassung des Gesetzes über Agrarkooperativen wurde erstmals die Möglichkeit eingeführt, Kooperativen zweiten Grades (also Zusammenschlüsse mehrerer Genossenschaften in Supraorganisationen) zu bilden, deren Autonomie nochmals bekräftigt wurde. Damit könnten sich in der kubanischen Landwirtschaft künftig größere, nicht-staatliche Akteure herausbilden, die in der Lage sind, weitgehend autark mit anderen Unternehmen zu interagieren. Inkrafttreten soll die Regelung kommenden Januar.
Ein Game-Changer?
Wie immer gilt auch hier: „The proof of the pudding is in the eating“. Und ob die kommenden Strukturreformen reichen, die Wirtschaft aus der Krise zu führen? Auch das steht – Stand heute – noch in den Sternen. Sicher sagen lässt sich nur: Wenn die kubanische Wirtschaft ihr momentanes Siechtum verlässt, wird das Modell, dass sie dazu befähigen wird, notwendigerweise ein anderes sein.

 

Erstveröffentlichung https://cubaheute.de/newsletter/

Einen Film über Chile im Jahr 2023?

ISW München - Mo, 06/11/2023 - 14:40

Film-Referenz zum 50-sten Jahrestag des Putsches gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende.


Am 4.9.1970 gewinnt Allende an der Spitze der Unidad Popular, einem 1970 gegründeten Zusammenschluß mehrerer Parteien die Wahl mit 36,4% der Stimmen. Am 24.10. 1970 wird Allende vom chilenischen Nationalkongress mit 153 zu 35 Stimmen als Präsident bestätigt und es beginnt damit eine bis dahin eine einmalige Etappe in der Geschichte Chiles.

Bereits am 15.9.1970 – also kurz nach der Wahl stellte Henry Kissinger fest: „Die Wahl Allendes ist ernst, ernst für die amerikanischen Interessen in Chile“.  
Bereits 1970 war in Washington beschlossen worden, Chile zu destabilisieren, wirtschaftlich, medienmäßig und militärisch.

Seit 1958 war Allende beim CIA auf dem Radarschirm, nachdem er damals bei der Präsidentschaftswahl bereits 29% der Stimmen erzielte. Auch bei den nachfolgenden Wahlen, das wissen wir heute, unterstützte der CIA die rechten Kandidaten. 1966 wird Allende zum Präsidenten des Senats gewählt.

Am 11.9.1973 hat sich der demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende (mit der Unidad Popular) das Leben genommen, nachdem das Gebäude der Monade vom Militär gestürmt worden war. Dieser von der CIA (die US- Regierung war aktuell informiert)  massiv unterstützte Putsch ist Anlaß, daran zu erinnern.
Mit dem Putsch sollte mit Panzern und Bomben die Hoffnung auf ein Alternative zum kapitalistischen Gesellschaftsmodell zerstört werden.

Was hatte Allende falsch gemacht, kann man fragen?

Das Wahlprogramm der Unidad Popular hatte drei Hauptrichtungen:

  • Verstaatlichung von Schlüsselindustrien wie z.B. Kupferminen (35% des Kupfers gingen in die BRD), Salpeterminen (heute Lithium) – Einführung von Mindestlöhnen,
  • Ausbau der vom Vorgänger begonnenen Landreform - 20% des enteigneten Landes hatte Deutschen gehört),
  • Einführung diverser Sozialprogramme, wie z.B. Beseitigung von Unterernährung und Armut, (jedes Kind soll täglich Milch bekommen), Einführung einer allg. Gesundheitsversorgung, Zugang zu Bildung und Kultur für Alle, Errichtung von Sozialwohnungen, Alphabetisierungskampagnen…

Alle Maßnahmen sollten mit der Umgestaltung des Staates zu einem Estado Popular einhergehen – einer Gesellschaft, in der die Macht in den Händen des Volkes liegt.

Chile wurde auf Druck der USA von der Kreditvergabe der Weltbank ausgeschlossen, Umschuldungen waren blockiert, Investitionen verhindert. Auch die BRD half fleißig mit, indem sie Entwicklungshilfe und Millionenkredite entfallen ließ.

Allende hat den Staats- und den Militärapparat weitgehend unangetastet gelassen, was sich 1973 bitter rächen sollte.

Ab 1971 /72 kam es zu einer massiven Wirtschaftskrise. Die Kupferbarone sabotierten die Regierungsmaßnahmen, ebenso die Fuhrunternehmer, Anschläge auf Infrastruktureinrichtungen häuften sich.
Am 29.06.1973 kam es zu einer Meuterei gegen Allende in der Armee, die niedergeschlagen werden konnte. Nachdem der Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte aufgrund rechten Rucks zurücktrat, rückte Pinochet auf dessen Posten nach.  Im August 1973 streikten die Einzelhändler und Kleinunternehmer, Frauen aus den besseren Vierteln Santiagos gingen mit leeren Kochtöpfen lärmend auf die Straße.
Am 4.9. demonstrierten über 1. Mio. Menschen in Santiago für die Unidad Popular (UP). 

Am 7.9.1973 versammelte Allende die chilenischen Generäle und teilte Ihnen mit, daß er eine Volksabstimmung durchführen lassen will, um den Konflikt zwischen ihm und der rechten Mehrheit im Parlament aufzulösen. Dies war das Signal für Pinochet, loszuschlagen. Obwohl die KP Chiles, Mitglied der Unidad Popular, mit einem Warn-Aufruf vor einem Putsch warnte, besetzte am 11.9.1973 das Militär Rundfunkstationen, Telefonzentralen, Treibstofflager und andere wichtige Einrichtungen.

Nach dem Putsch installierten die Faschisten unter den Augen der Weltöffentlichkeit ein Terrorregime mit eiligst errichteten Konzentrationslagern und dem Verbot aller demokratischen Parteien und Gewerkschaften. Zehntausende Gefolterte, Ermordete und Verschwundene waren das erste Resultat des chilenischen Faschismus.  Zu den bekanntesten Opfern gehörten Pablo Neruda, Literaturnobelpreisträger, der nach neuesten Forschungsergebnissen aus diesem Jahr im Krankenhaus vergiftet wurde, und der Volkssänger Victor Jara.

In der Zeit von 1970 – 1973 hat die Regierung Allende andere Länder beim Aufbau des Sozialismus unterstützt.  Für viele Länder sowohl in Südamerika als auch in Afrika war Chile zu einem Leuchtturm geworden.  Auch in Europa fand der chilenische Versuch Interesse und Anerkennung. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die in 1974 endende Diktatur Salazars in Portugal.

Wie verhielten sich die beiden deutschen Staaten?

Die DDR nahm 1971 gegen die Interventionen der BRD diplomatische Beziehungen mit der Regierung Allendes auf und schloss umfangreiche Handelsverträge inkl. Fachkräfteausbildungen in der DDR ab. Außerdem entstand bereits damals eine große internationale Solidaritätskampagne in der DDR, die später, also nach dem 11.9.73 noch erweitert wurde und über 5000 ChilenInnen politisches Asyl ermöglichte. Auf abenteuerlichen Wegen z.B. über Argentinien konnten Gesuchte mit Hilfe der DDR außer Landes und in Sicherheit gebracht werden. Die Unidad Popular richtete ihren Exil Sitz in Berlin, DDR ein.

Wie verhielt sich die Bundesrepublik Deutschland?

Schon lange vor 1973 diente die chilenische Einrichtung Colonia Dignidad, die mit den Namen des Sektengründers Paul Schäfer und Dr. Gerd Seewald verbunden war, vielen ehemaligen SS- Offizieren als neue Heimat. Bereits in den dreißiger Jahren gründete sich in Chile eine MNS – Movimento National-Socialista, deren Chef Oswald Spengler war. Diese Gruppe übernahm sowohl Programm als auch nach außen hin sichtbare national-sozialistische Kennzeichen. Ihre Zeitung hieß Deutsche Zeitung.
Nach dem 2. Weltkrieg gelang ca. 1000 Offizieren von SS, SA und Gestapo die Flucht nach Chile. In der DINA, der chilenischen Geheimpolizei, wurden sie „unsere deutsche Truppe“ genannt. Ihr Anführer war Walther Rauff, den Pinochet 1956 im Auftrag des Oberkommandos als Militärberater nach Chile holte, laut einem Bericht der ARD vom 3.9.23. Rauff hatte demnach mitgeholfen, einen effektiven Geheimdienst aufzubauen. Seine Truppe sollte Gegner spurlos verschwinden lassen. Unterstützt wurden diese Vorhaben auch durch illegale Transporte z.B. von Sarin von Frankfurt nach Santiago: „Die DINA hat mit dem BND sehr eng zusammengearbeitet.“ (ebd., ARD).

Eine Gruppe um Roberto Thieme gründete 1971 die rechts- terroristische Gruppe Patria y Libertad mit ihrem Organ CONDOR als Nachfolgerin der Deutschen Zeitung, die ebenfalls Pinochet unterstützte.

Eine umfassende Aufklärung dazu gibt es bis heute nicht, es wird gemauert, wo es geht. Selbst die Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer der Colonia Dignidad wird immer noch hinausgezögert. Der frühere SS-Mann Gerhard Mertins, seit 1956 für den BND aktiv, lieferte Waffen auch nach Chile und hatte enge Kontakte zu Schäfer und der Colonia Dignidad. Bis zu 100 Menschen sollen nach dem Putsch in der berüchtigten Kolonie ermordet worden sein, die Identität weiterer bis zu 1000 Personen ist ungeklärt. Das Verbrechen der Colonia Dignidad war ein doppeltes, zum einem gegenüber den Kolonie-Bewohnern und zum anderen als Hilfs- und Vollzugsorgan des chilenischen Regimes. Heute ist die ehemalige Colonia Dignidad ein Freizeit- und Erholungszentrum „Villa Baviera“. Auf der Homepage von TripAdvisor befindet sich dazu ein bemerkenswerter Kommentar: "Wie kann es sein, dass hier noch Geld erwirtschaftet wird auf den Gebeinen der Getöteten und warum werden keine Zahlungen geleistet, die von Geschädigten durch Rechtsurteile erstritten wurden? Macht man hier so weiter, wie man begonnen hat? Unwürdig! Keinen Cent würde ich hier lassen!"

Nach wie vor bremst das deutsche Außenministerium die Aufarbeitung, so ein Beitrag im ARD- Weltspiegel vom 16.4.23. Gemeint ist damit vor allem die Botschaft in Chile, die seit den 60 er Jahren von den Sektenverbrechen wußte und dennoch Schäfer jahrzehntelang unterstützte. Deutsche Diplomaten schickten geflüchtete Mißbrauchsopfer damals sogar zurück in die Fänge des Pädophilen und seines treuen Führungskreises. Im Hintergrund agiert bis heute auch die deutsch-chilenische Wirtschaftskammer, die mit Namen wie Schiess oder von Appen, Paulmann im Zusammenhang steht; viele deren Vorfahren kamen als Nazis vor 1945 oder flohen nach 1945 als Nazis nach Chile. Bundeskanzler Scholz hat Anfang 2023 diese Leute besucht, Treffen mit Opferorganisationen der Colonia Dignidad gab es hingegen nicht.

Nach dem Sturz Allendes wurde Chile ein großes Versuchslabor neoliberaler Wirtschaftskonzepte (Stichwort Chicago Boys - Milton Friedmann, (chicago boys)  – es wurden Renten, Gesundheit, Strom, Wasser (Art. 19 der Verfassung von 1980 steht immer noch, daß die Inhaber von Wasserrechten zu deren Eigentümern werden) und Bildung privatisiert ebenso wie alle vorher enteigneten Unternehmen. Der Staat wurde heruntergefahren, zwischen 1973 und 1979 strich die Regierung ihre Ausgaben von 40% des Bruttoinlandsprodukts auf 26% zusammen. Chile sollte wieder zu einem reinen Rohstofflieferanten werden.

Der Widerstand in Chile, auch der Militärische entwickelte sich langsam und war trotz einiger spektakulärer Aktionen, wie z.B. einem Anschlagsversuch auf Pinochet am 7.9.1986 - nicht sehr erfolgreich, auch wenn Luis Corvalan, der damalige Vorsitzende der PC rückblickend feststellte, daß auch dieser Kampf einen Beitrag zur Beendigung der Diktatur geleistet habe.

1988 ließ Pinochet ein Referendum durchführen, das ihm erlauben sollte, bis 1997 an der Macht zu bleiben. So sah es die 1980 verabschiedete Verfassung vor. In dieser Verfassung wurde die Familie, der Markt und das Privateigentum über soziale Grundrechte, Gleichberechtigung und Umweltschutz gesetzt. Bei dem Referendum stimmten 56% mit NEIN, Pinochets Zeit endete. Die Zeit danach – von 1990 bis 2019 war durch verschiedene sozial-demokratische und rechte Regierungen und Präsidenten gekennzeichnet. Bis heute sind die Grundfesten dieses neoliberalen Gesellschaftsmodells nicht verändert worden.

Auszug aus Allendes letzten Rede:

„Ich bin sicher, daß die Saat, die wir im Bewußtsein Tausender und Abertausender Chilenen gesät haben, nicht vollständig ausgelöscht werden kann.“ Und: „Man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen.“

Der Film Mi Pais Imagninario – mein imaginäres Land ist auf diesem gezeichneten historischen Hintergrund „Pinochet Diktatur zwischen 1973 und 1989" entstanden:
40.000 Opfer, 3000 Verschwundene, 200.000 ins Exil Fliehende, Bücherverbrennungen in Chile. Die wenigsten Mörder wurden – auch in der Zeit ab 1990 – zur Rechenschaft gezogen.
Der Filmemacher Patricio Guzmán – er war 1973 selbst 15 Tage lang politischer Gefangener im berüchtigten National-Stadion von Santiago - blickt auf die seit 2019 anhaltenden Proteste in Santiago de Chile. Ursprünglicher Auslöser des Widerstands war die Erhöhung der Preise für U-Bahn-Tickets, die für viele Chilenen offenbar das Fass zum Überlaufen brachte. Im Oktober startete die Bewegung, die bis zu 1,5 Millionen Menschen auf die Straße führte, die für mehr Demokratie, bessere Bildung, ein würdigeres Leben und eine neue Verfassung demonstrierten. Die Revolte hatte vor allem ein weibliches Gesicht!

Der zitierte  Film geht über die gerade gehörten Erinnerungen hinaus – es geht um einen neuen Aufbruch, um eine neue Hoffnung.

Die Wahlen in Chile 2021

Bei den Wahlen im Dezember 2021 gewann der Kandidat des Mitte-Links Bündnisses Gabriel Boric (Sozialdemokrat) deutlich gegen den ultrarechten Jose Antonio Kast mit fast 9% Vorsprung – die Erwartungen waren groß.

Die vier Hauptschwerpunkte seines Wahlprogramms lauteten:

  • Umweltschutz
  • Feminismus
  • Soziale Gerechtigkeit, z.B. Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 45 auf 40 Stunden
  • Wohnungsbau, es fehlen mindestens 640.000 Wohnungen

Boric konnte sich von Anfang an nicht auf parlamentarische Mehrheiten stützen, was ihn zu Kompromiß um Kompromiß zwang.  Von den Zielen der Allende Regierung ist heute fast nichts mehr zu hören, im Gegenteil – die Regierung läßt wieder Wasserwerfer gegen Demonstranten auffahren, verlängert die Ausnahmezustände in den Mapuche-Regionen. Außenpolitisch folgt eine Annäherung an die USA. Boric setzt sich, so ein Kommentator, zunehmend zwischen alle Stühle, er betreibt Neoliberalismus light.

Einige Beispiele dazu:

  • Eine eine geplante Steuerreform, mit der Einnahmen für die Reformprojekte erzielen werden sollten ist gescheitert, frühestens 2024 kann es einen neuen Versuch geben;
  • Die Aufhebung des Ausnahmezustands in den Mapuche-Gebieten war zugesagt und wurde nicht eingehalten. Auch einen Autonomiestatus gibt es bisher nicht (wobei die Mapuche ein anderes Verständnis von Land, Leben, Staat haben) und
  • die Befugnisse der umstrittenen Militär Polizei „Carabineros“ wurden unter Boric ausgebaut, der Schußwaffen Einsatz erheblich erleichtert. – law and order in Chile 2023.

Die Popularität des Präsidenten lag Anfang 2023 bei 35% Zustimmung. Aufgrund der politischen Niederlagen hat er sein Kabinett inzwischen umgebaut. Auch in Chile gibt es massive migrationsfeindliche und rassistische Stimmungen – der Druck insbesondere von Menschen auf der Flucht aus Venezuela ist groß.

Von der Euphorie, die ab Okt. 2019 die chilenische Gesellschaft ergriff, ist nicht mehr viel übrig, die Revolte ist im Sand verlaufen. Zunächst sah das anders aus, eine junge Massenbewegung eroberte öffentliche Räume, organisierte sich vor allem in den Städten, kämpfte gegen staatliche Repression und setzte eine Volksabstimmung durch, in der die Mehrheit für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung stimmte.

Ein Konvent erarbeitete einen Entwurf, der die alte Verfassung noch aus Pinochets Zeiten stammende endgültig beseitigen sollte. Darin wären enthalten gewesen Recht auf Wohnraum, Bildung, Gesundheit, eine Frauenquote von 50% in allen Staatsorganen und ein Selbstbestimmungsrecht für indigene Gemeinschaften (ca. 15% der Bevölkerung). enthalten gewesen Mit der Wahl von Gabriel Boric zum Präsidenten verband sich auch die Hoffnung, diese neue Verfassung zum Erfolg führen zu können. Beim Referendum am 4.9.22 stimmte die Mehrheit (62%) mit NEIN.

Amanada Jara, eine Tochter Victor Jaras äußerte sich in einem Interview wie folgt:
„Das war äußerst schwierig und verwirrend. Nur etwa 20% haben es unterstützt. Es war sehr schwer zu verstehen, was am Wahltag passiert war. Einige sagen, daß Putsche heutzutage über die Medien, mit Fake News und einer Umgebung voller Lügen und Informationskampagnen ablaufen. Es wäre interessant, dies genauer zu analysieren, denn wir haben bisher nicht die notwendige Selbstkritik geübt. Es gab viel Identitätspolitik, die uns spaltete und uns vom großen Projekt ablenkte.“ JW vom 5.10.23

Nach jetzigem Stand ist eine progressive Verfassung in weite Ferne gerügt. Ein Kommentar des Sozialwissenschaftlers Goiovic dazu:
„Es wäre nicht verwunderlich, wenn die neue Verfassung größere polizeiliche Befugnisse gegen Protestierende und Migranten formulieren würde, während ein breiter operativer Rahmen für lokale und ausländische Kapitalinvestitionen ins Auge gefaßt wird und im Gegenzug dem Progressismus einige Brosamen in Fragen der Interkulturalität und der Gleichstellung der Geschlechter gewährt werden.“

Das Bemühen um eine neue Verfassung

Am 17.12. 23 - soll es einen zweiten Versuch geben. Dabei erstarkt die Rechte angesichts eines Regierungsbündnisses, das sich mit dem Erbe der sozialistischen Regierung Allende nach wie vor schwertut. Es gibt jetzt einen Verfassungsrat. Am 7.5.23 hat die rechte Republikanische Partei mit Jose Antonio Kast, einem Sohn eines ehemaligen Wehrmachtoffiziers 22 der 51 Sitze gewonnen und kann damit zusammen mit anderen rechten Vertretern mit insgesamt 33 Mandaten jeden Fortschritt verhindern. Die Vereinigte Linke – Unidad para Chile kam auf 17 Sitze und hat damit nicht einmal eine Sperrminorität. Der jetzige Rat hat weniger Kompetenzen als die vorige Versammlung, er ist weniger repräsentativ, weil er dem Senatswahlverfahren nachgebildet ist und das Volk selbst ist nicht einbezogen. Durch den vom jetzigen Präsidenten Boric mit der konservativen Mehrheit in Parlament und Senat eingegangenen Kompromiß sollte man sich keine Illusionen machen, progressive, linke Elemente in dem neuen Verfassungsentwurf zu finden, Ja, es besteht sogar die Befürchtung, daß die jetzige Vorlage noch hinter der der Verfassung von 1980 zurückbleiben könnte, laut Aussagen von VertreterInnen der Bewegung des Zugangs zu Wasser, Land und Umweltschutz (Modatima), JW vom 23./24.9.23.

Der Verfassungsprozess ist schlecht organisiert, die Zeit zu kurz, jetzt eine Pflicht abtstimmung ohne Wissen … so seine Kritikerinnen.

2023 hat der oberste Gerichtshof sechs pensionierte Armeeoffiziere wg. der Entführung und Ermordung des Liedermachers Victor Jara endgültig verurteilt zu jeweils 15 Jahren und einem Tag Gefängnis wg. Mordes und jeweils zu 10 Jahren und einem Tag wg. schwerer Entführung. Also endlich, nach fast 50 Jahren – ähnlich wie die Dauer der Verfolgung von Nazis und Kriegsverbrechern hierzulande. Kurz vorher hatte der Gerichtshof bereits Angehörigen der ermordeten Leibwächter Allendes Entschädigungen zugesprochen.

In Chile selbst versuchen rechte Parteien auch in diesem Jahr wieder Rechtfertigungsresolutionen für den Putsch im Parlament durchzusetzen. Auch heute noch spaltet das Thema die ChilenenInnen.

Die in Chile selbst 2023 durchgeführten staatlichen Gedenkveranstaltungen waren sehr gemischt. So schrieb die span. Journalistin Carmen Rendon z.B. für RT: „Bei den chilenischen Linken handele es sich um eine entkoffeinierte bürgerliche und verängstigte Linke, die die Basis des sozialen Aufbruchs nicht kennt oder verstehen will.“ JW vom 11.9.23 S. 7.

Öffentliche Ordnung, Sicherheit, Migration und Wirtschaft gelten als die größten Probleme des Landes. Vertiefende Beschreibungen und Analysen sind ergänzenden und weiterführenden Veröffentlichungen vorbehalten.

 

Zum Thema

https://www.rosalux.de/news/id/49595/warum-haben-die-chileninnen-den-verfassungsentwurf-abgelehnt

https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/4040.rechazo-in-chile.html?sstr=Chile

https://www.blaetter.de/ausgabe/2022/september/chile-als-avantgarde

https://kommunisten.de/rubriken/internationales/8622-ablehnung-gewinnt-verfassungsreferendum-in-chile

https://kommunisten.de/rubriken/kultur/8912-chile-cybersyn-und-die-santiago-boys

 

Zum Titelbild:

Angefertigt von der Künstlergruppe Brigade "Salvador Allende", 1976
Standort: Audimax der Universität Bielefeld

IMI lädt ein: Krieg im „Nahen Osten“

IMI Tübingen - Mo, 06/11/2023 - 12:55
7.11. IMI lädt ein: Krieg im „Nahen Osten“ Dienstag, 19:00 Uhr im IMI-Büro im Sudhaus Die aktuelle Eskalation der Gewalt im sog. „Nahen Osten“ schockiert und macht viele sprachlos. Wir möchten beim kommenden „IMI lädt ein“ am 7. November um (…)

Read the rest of this entry »

„Nicht die Zeit, über Frieden zu reden“

ISW München - Mo, 06/11/2023 - 09:50

 

Berlin ist mit Israel über sanitätsdienstliche Unterstützung im Gespräch.
Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen steigt.
US-Außenminister warnt, bei weiterer Eskalation fehlten künftig „Partner für den Frieden“.

 

Die Bundesregierung ist mit Israel über medizinische Hilfen für die in Gaza kämpfenden israelischen Truppen im Gespräch. Dies geht aus Äußerungen von Sprechern der Bundesregierung hervor. Demnach steht das Bundesverteidigungsministerium „in einem engen Austausch“ mit Tel Aviv und verhandelt „insgesamt über sanitätsdienstliche Unterstützung“. Dies geschieht, während die Kritik am Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen weltweit zunimmt und Israel in zunehmendem Ausmaß isoliert. Die Zahl der Todesopfer in Gaza hat die Zahl der zivilen Todesopfer im Ukraine-Krieg nahezu eingeholt. UN-Generalsekretär António Guterres warnt, das humanitäre Völkerrecht sei „kein à la carte-Menü“; es dürfe „nicht selektiv angewandt“ werden. US-Außenminister Antony Blinken dringt zumindest auf eine Feuerpause und warnt, wenn die Bevölkerung „von der humanitären Katastrophe verzehrt“ und „entfremdet durch die wahrgenommene Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Not“ sei, werde es nach dem Ende der Kampfhandlungen „keine Partner für den Frieden“ mehr geben. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck teilt den Gedanken nicht und postuliert: „Es ist jetzt nicht die Zeit, über Frieden zu reden.“

Die humanitäre Katastrophe

Die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen erreichte am Sonntagabend laut Angaben der dortigen Gesundheitsbehörden 9.730. Damit nähert sie sich der Zahl der zivilen Todesopfer im Ukraine-Krieg, die seit dem 24. Februar 2022 den Vereinten Nationen zufolge inzwischen auf mehr als 9.900 gestiegen ist.[1] Zwar ist nicht klar, wieviele Milizionäre sich unter den Opfern in Gaza befinden. Doch wurden dort mehrheitlich Kinder und Jugendliche (rund 4.800) oder Frauen (etwa 2.550) getötet. Während israelische Regierungsstellen die Angaben der Gesundheitsbehörden als übertrieben abtun, weisen kritische Stimmen auch in Israel darauf hin, dass sie sich in der Vergangenheit gewöhnlich als zuverlässig erwiesen haben.[2] Bis zu diesem Wochenende kamen im Gazastreifen außerdem 79 UN-Mitarbeiter zu Tode – fast zwei Drittel der 116 UN-Mitarbeiter, die im Jahr 2022 weltweit ihr Leben verloren.[3] Mehr als 1,4 Millionen der insgesamt 2,3 Millionen Einwohner sind auf der Flucht, ohne freilich eine Chance zu haben, sich vor den überall einschlagenden Bomben in Sicherheit zu bringen. Mittlerweile sind 16 der 35 Krankenhäuser geschlossen; die übrigen werden nur noch eingeschränkt betrieben, weil Treibstoff und Medikamente kaum mehr vorhanden sind. Die gesamte Gesundheitsversorgung hänge „am seidenen Faden“, hieß es bereits Anfang vergangener Woche.[4]

„Kein à la carte-Menü“

Heftigen Protest äußern die Vereinten Nationen. Mitte vergangener Woche konstatierte das UN-Menschenrechtskommissariat, unter anderem bei dem israelischen Angriff auf das Flüchtlingslager Jabalia könne es sich wegen der hohen Zahl ziviler Todesopfer und wegen des Ausmaßes der Zerstörung um ein „Kriegsverbrechen“ handeln.[5] Berichten zufolge wurden bei mehreren Angriffen auf das Lager mindestens 195 Menschen getötet; mehr als hundert wurden noch unter den Trümmern vermutet. Nach einem Angriff auf einen Konvoi von Krankenwagen, dem Bombardements von Krankenhäusern vorausgegangen waren, gab sich der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, „zutiefst geschockt“: „Patienten, Gesundheitspersonal, Einrichtungen und Krankenwagen müssen zu allen Zeiten geschützt werden. Immer.“[6] UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich gleichfalls „entsetzt“. „Ich vergesse die Terrorangriffe, die in Israel von der Hamas begangen wurden, nicht“, betonte Guterres. Nun würden aber seit fast einem Monat Zivilisten im Gazastreifen belagert, von Hilfe abgeschnitten, getötet und aus ihren Wohnungen gebombt: „Das muss aufhören.“[7] Guterres hatte bereits zuvor gewarnt, das humanitäre Völkerrecht sei „kein à la carte-Menü“ und dürfe „nicht selektiv angewandt“ werden.[8]

Zunehmend isoliert

Die rücksichtslose Kriegführung stößt im Ausland in steigendem Maß auf scharfe Kritik. Mehrere Staaten haben mittlerweile aus Protest gegen die hohe Zahl an zivilen Todesopfern ihre Botschafter aus Israel zurückgerufen, darunter etwa Chile, Kolumbien und Honduras, Jordanien und Bahrain. Bahrain ist eines der Länder, die mit Israel ein sogenanntes Abraham-Abkommen geschlossen haben. Bolivien hat sogar seine diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen – bereits zum zweiten Mal: Der damalige Präsident Evo Morales hatte dies bereits im Jahr 2009 aus Protest gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen getan; die 2019 per kaltem Putsch an die Macht gelangte Übergangspräsidentin Jeanine Áñez [9] hatte die diplomatischen Beziehungen zu Israel 2020 wiederaufgenommen. Dass sich Israel mit seiner Kriegführung immer stärker isoliert, zeigte bereits das Votum der UN-Generalversammlung vom 27. Oktober. Lediglich 14 Staaten lehnten die Resolution mit ihrer Forderung nach einem Waffenstillstand im Gazastreifen ab: neben den USA, Israel und vier EU-Mitgliedern lediglich zwei Staaten Lateinamerikas und sechs Pazifikstaaten, die in ihrer aktuellen Politik von den Vereinigten Staaten abhängig sind.[10] Unter den 45 Staaten, die sich enthielten, befanden sich nur 15 aus dem Globalen Süden. Dieser geht ganz überwiegend zu Israel auf Distanz.

„Keine Partner für den Frieden“

Zur zunehmenden äußeren Isolation kommt mittlerweile auch Druck aus den Vereinigten Staaten hinzu. Hintergrund ist vor allem, dass die USA weiterhin ihren globalen Schwerpunkt auf den Machtkampf gegen China legen und deshalb einen ausufernden Flächenbrand im Nahen Osten verhindern wollen, der sie – wie zuletzt der Krieg gegen den IS – erneut von der Konzentration all ihrer Kräfte auf die Asien-Pazifik-Region abhalten würde. Washington hat deshalb die israelische Bodenoffensive zumindest zu verzögern versucht. Nun dringen die Vereinigten Staaten auf eine Feuerpause. Außenminister Antony Blinken erklärte am Freitag bei einem Besuch in Israel, er sei unverändert schockiert über das Hamas-Massaker vom 7. Oktober. Doch sei er auch erschüttert über die Bilder toter und verwundeter palästinensischer Kinder in Gaza: „Wenn ich das sehe, sehe ich meine eigenen Kinder.“[11] Israel habe zwar das Recht, sich selbst zu verteidigen. Allerdings müsse das unter Einhaltung des humanitären Völkerrechts geschehen. Wenn die Bevölkerung „von der humanitären Katastrophe verzehrt“ sei und „entfremdet durch die wahrgenommene Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Not“, dann werde es „keine Partner für den Frieden“ geben, warnte Blinken im Hinblick auf die Zeit nach dem Krieg.[12]

Kein Ende der Gewaltspirale

Die Bundesregierung weist derlei Überlegungen zurück. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte in der vergangenen Woche explizit: „Es ist jetzt nicht die Zeit, über Frieden zu reden.“[13] Habeck positionierte sich damit gegen die jüdische Schriftstellerin Deborah Feldman, die in einer TV-Talkshow mit Blick auf die hohe, schnell steigende Zahl ziviler Todesopfer im Gazastreifen erklärt hatte: „Es gibt eine erhebliche Stimme in der [jüdischen, d. Red.] Diaspora, die nach einem Ende der Gewaltspirale schreit. Ich gehöre dazu.“ „Wenn diese Eskalation der Gewalt nicht beendet wird“, warnte Feldman, dann „erleben wir möglicherweise eine dramatische, gefährliche Entwicklung“ – und das nicht nur „in unserer Gesellschaft“, sondern auch „in der Welt“, „die wir nicht mehr in den Griff bekommen“. Habeck lehnte Feldmans Warnung „politisch“ eindeutig ab: „Als politische Haltung schließt sich das für mich aus.“[14] Deutschland werde Israel weiter im Krieg unterstützen, nicht zuletzt mit Waffenlieferungen (german-foreign-policy.com berichtete [15]).

Sanitätsdienstliche Unterstützung

Aktuell ist die Bundesregierung mit Israel über medizinische Hilfen für Israel im Gespräch. Auf die Frage, ob es zutreffe, dass „Deutschland um ein Lazarettschiff gebeten worden sei ..., um die Verletzten aus dem Gazastreifen zu behandeln“, bestätigte ein Regierungssprecher am vergangenen Freitag, Berlin „prüfe“ derzeit“ „nach Kräften, was wir anbieten können“.[16] Ein „Lazarettschiff“ besitze die Deutsche Marine allerdings nicht. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums erläuterte, es sei „kein Geheimnis“, dass „wir mit Israel in einem engen Austausch stehen und insgesamt über sanitätsdienstliche Unterstützung sprechen“. Die drei Einsatzgruppenversorger der Marine verfügten „über unterschiedliche sanitätsdienstliche Möglichkeiten“. Einer von ihnen, die Frankfurt am Main, befindet sich derzeit im östlichen Mittelmeer. Auf die Frage, ob die Marine eventuell „medizinische Hilfsleistungen für im Gazastreifen verwundete Palästinenser“ durchführen werde, erklärte ein Regierungssprecher: „Das ist mir nicht bekannt.“[17]

 

Quellen

[1] ‘Unceasing Death, Destruction, Suffering’ of Russian Federation’s War on Ukraine Must End, Senior Humanitarian Affairs Official Tells Security Council. press.un.org 31.10.2023.

[2] Jack Khoury: Gaza Aid Groups Struggle to Estimate Extent of Destruction. They Say It’s Never Been Worse. haaretz.com 03.11.2023.

[3] Charles R. Davis: More UN aid workers have been killed in Gaza in the last few weeks than in all previous wars between Israel and Hamas combined. businessinsider.com 02.11.2023.

[4] Nadeen Ebrahim, Abeer Salman: Surgery without drugs, patients piling up: Gaza’s hospitals overwhelmed amid Israeli strikes and fuel shortages. edition.cnn.com 02.11.2023.

[5] Israel’s attacks on Gaza refugee camp may amount to war crimes, UN human rights office says. cbc.ca 01.11.2023.

[6] Ben Samuels: Israel’s UN envoy slams WHO for ‘bias and double standards’. haaretz.com 04.11.2023.

[7] Andrew Carey, Tara John, Kevin Flower: Israel admits airstrike on ambulance near hospital that witnesses say killed and wounded dozens. edition.cnn.com 04.11.2023.

[8] UN chief warns humanitarian law not ‘an a la carte menu’ in Israel-Hamas war. ynetnews.com 31.10.2023.

[9] S. dazu Berlin und der Putsch (II).

[10] Bei den Ländern handelt es sich um Guatemala und Paraguay sowie um Fidschi, die Marschallinseln, die Föderierten Staaten von Mikronesien, Nauru, Papua-Neuguinea und Tonga. Die vier EU-Staaten sind Österreich, Tschechien, Ungarn und Kroatien.

[11], [12] Matthew Lee, Eric Tucker: Blinken warns Israel that humanitarian conditions in Gaza must improve to have ‘partners for peace’. apnews.com 03.11.2023.

[13], [14] Marko Schlichting: „Es ist jetzt nicht die Zeit, über Frieden zu reden“. n-tv.de 02.11.2023.

[15] S. dazu Waffen für Israel und Einsatz im östlichen Mittelmeer.

[16], [17] Regierungspressekonferenz vom 3. November 2023. bundesregierung.de 03.11.2023.

 

Mutwillig oder fahrlässig?

IMI Tübingen - Mo, 06/11/2023 - 05:33
Mit zwei bemerkenswerten Reden meldete sich Verteidigungsminister Boris Pistorius in den letzten Tagen zu Wort: Während dabei der „Kriegstüchtigkeitsrede“ in den Medien viel Beachtung geschenkt wurde,[1] ging ein zweites nur wenige Tage zuvor mit der Sendung Streitkräfte & Strategien geführtes (…)

Read the rest of this entry »

Gaza brennt

acTVism - So, 05/11/2023 - 10:06

Gaza brennt.

Der Beitrag Gaza brennt erschien zuerst auf acTVism.

2023/11/09-10 III Congresso

No to NATO - Sa, 04/11/2023 - 22:06

2023/11/27 -12/01 UN New York USAThe Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW)

No to NATO - Sa, 04/11/2023 - 21:08
https://www.icanw.org/tpnw_second_meeting_of_states_parties

Prof. Mearsheimer über Israel-Gaza und die US-Unterstützung für die Ukraine

acTVism - Sa, 04/11/2023 - 16:10

Prof. Mearsheimer über Israel-Gaza und die US-Unterstützung für die Ukraine.

Der Beitrag Prof. Mearsheimer über Israel-Gaza und die US-Unterstützung für die Ukraine erschien zuerst auf acTVism.

Seiten

Subscribe to sicherheitskonferenz.de Aggregator