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"100 Unternehmen sind für 71 Prozent der Emissionen seit 1988 verantwortlich"

ISW München - Mi, 13/11/2024 - 12:03

"Wenn wir die ökologische Krise verstehen wollen, müssen wir die Arbeitswelt verstehen."







Die zitierte Ausgangsthese ist, passend zur Weltklimakonferenz COP29, den Ausführungen von Simon Schaupp aus "Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und Zukunft des Planeten" entnommen. *)

Am 11. November d. J.  begann die UN-Weltklimakonferenz in Baku (Aserbaidschan) und die über 30.000 Teilnehmenden sehen sich zum Start mit einer Reihe von Hiobsbotschaften konfrontiert: Das aktuelle Jahr wird dem EU-Klimawandeldienst Copernicus zufolge so gut wie sicher das erste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn werden, in dem es im Durchschnitt mehr als 1,5 Grad wärmer als im vorindustriellen Mittel war. Auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris hatten die Staaten weltweit vereinbart, die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen, möglichst aber auf 1,5 Grad.

Der jährliche Klimagipfel der Vereinten Nationen hat in Aserbaidschan begonnen. Zentrales Thema wird die Finanzierung der Kosten für Klimaschutz sein, aber auch für Schäden durch Extremwetter im Globalen Süden, nachdem ein Jahr voller Wetterkatastrophen die Entwicklungsländer in ihren Forderungen nach mehr Mitteln bestärkt hat. Ein von den Vereinten Nationen unterstützter Bericht besagt, dass Schwellenländer, mit Ausnahme von China, bis 2030 Investitionen von weit über 2 Billionen US-Dollar pro Jahr benötigen, wenn die Welt die globale Erwärmung stoppen will.

In seiner Eröffnungsrede sagte der UN-Klimachef Simon Stiell, dass die Staats- und Regierungschefs der Welt zeigen müssen, dass die globale Zusammenarbeit "nicht am Ende ist".

"Hier in Baku müssen wir uns auf ein neues globales Klimafinanzierungsziel einigen. Wenn mindestens zwei Drittel der Nationen der Welt es sich nicht leisten können, ihre Emissionen schnell zu senken, dann zahlt jede Nation einen hohen Preis", warnte er.
Stiell forderte außerdem ein "ehrgeiziges" neues Ziel für die Bereitstellung von Klimafinanzierung für die ärmeren Nationen der Welt und sagte: "Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass Klimafinanzierung Wohltätigkeit ist."

Doch wichtige Spitzenpolitiker:innen aus Europa, den USA und der Welt nehmen diesmal gar nicht teil.

Neben Bundeskanzler Olaf Scholz, Präsident Macron und der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, fehlen auch andere wichtige Vertreter:innen. Joe Biden reist nach dem Wahlsieg Trumps nicht zur Klimakonferenz. Ursula von der Leyen nimmt wegen der Übergangsphase der EU-Kommission und ihrer Vorbereitung auf die zweite Amtszeit nicht teil. Emmanuel Macron bleibt dem Gipfel aufgrund der angespannten Beziehungen zu Aserbaidschan fern, das den Gipfel ausrichtet. Die Beziehungen zwischen Frankreich und Aserbaidschan sind angespannt, seit Paris im vergangenen Jahr die militärischen Angriffe Aserbaidschans gegen armenische Separatisten in der abtrünnigen Region Karabach verurteilte. Beim kanadischen Premierminister Justin Trudeau wurden keine offiziellen Gründe für seine Abwesenheit bekanntgegeben.

Neben Spitzenpolitiker:innen aus Europa und den USA, fehlen u.a. Narendra Modi, Premierminister in Indien sowie Brasiliens Präsident da Silva. Im vergangenen Jahr bei der Weltklimakonferenz in Dubai hatten sie alle noch teilgenommen.

Keine gute Ausgangslage für die wichtige Konferenz, obwohl zentrale Beschlüsse gefasst werden müssten.

Ursache ist nach Angaben der Weltmeteorologieorganisation (WMO), dass die Konzentration klimaschädlicher Treibhausgase in der Erdatmosphäre einen neuen Rekordstand erreicht hat.
Allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten nahm die CO₂-Konzentration um mehr als zehn Prozent zu. Die fortschreitende Erderwärmung geht laut WMO zu 64 Prozent auf den Ausstoß von Kohlendioxid zurück; aber auch Methan und Stickstoffoxid sind bedeutende Treibhausgase. [1]

Die Folgen sind immer mehr spürbar: Taifune und Hurricane wie jetzt um die Philippinen und um Kuba/USA herum bilden sich in immer kürzeren Zeitspannen in den subtropischen Meeren. Und auch die Menschen in Spanien mussten vor wenigen Wochen hautnah am eigenen Leib erleben, was Klimawandel bedeutet: Sturmtief "Boris" verursachte die stärksten Niederschläge, die jemals in Mitteleuropa gemessen wurden; es folgten die durch anhaltende Regenfälle verursachten Überschwemmungen in der Gegend von Málaga bis Valencia mit etwa 250 Toten.

Um 43 Prozent müssten die Treibhausgasemissionen bis 2030 zurückgehen, wenn die globale Erwärmung auf ein gerade noch vertretbares Maß beschränkt werden soll, hat der IPCC, der Weltklimarat, vorgerechnet. Doch die von den Regierungen versprochenen Maßnahmen werden bis 2030 bestenfalls zu einer Reduktion um 2,6 Prozent führen, so die ernüchternde UN-Analyse.

Viele Konferenzen und Publikationen – wenig greifbare Erfolge

Dabei mangelt es nicht an internationalen Klima- und Naturschutzkonferenzen: Vor der 29. UN- Weltklimakonferenz in Baku, fand Anfang November in Cali (Kolumbien) die Weltnaturkonferenz mit rund 23.000 Teilnehmer:innen (und wenigen greifbaren Ergebnissen) statt. Ende November wird in Busan (Südkorea) über ein globales Plastikabkommen konferiert und Anfang Dezember wird Saudi-Arabien Gastgeber der UN-Wüstenkonferenz sein.



 

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Es wir also viel verhandelt und konferiert, um den Klimawandel, den Rückgang der biologischen Vielfalt und die Umweltverschmutzung einzudämmen. Daneben gibt es eine unübersehbare Fülle an Veröffentlichungen und Büchern, die faktenbasiert Ursachen und Auswege aus der Klimakatastrophe aufzeigen.

Insgesamt verfestigt sich der Eindruck, dass sich die Debatten um das Thema Klimawandel in einer Sackgasse befinden – trotz jahrelanger "Fridays-For-Future"-Aktivitäten und Aktionen der "Letzten Generation".
Das belegen z. B. auch Zahlen der aktuellen Shell-Jugendstudie. Danach ist die Sorge vor Umweltverschmutzung im Vergleich zu 2019 von 71 Prozent auf 64 Prozent zurückgegangen und rangiert hinter Ängsten vor einem Krieg in Europa (81 Prozent) und Angst vor Armut (67 Prozent).[2]

 

Redaktionelle Anmerkung zu einer folgenden Buchbesprechung:
Simon Schaupp.  Stoffwechselpolitik.  Arbeit, Natur und Zukunft des Planeten

Üblicherweise nimmt die isw-Redaktion keine Buchbesprechungen vor.
In Anbetracht des sich abzeichnenden Klimawandels und der Dringlichkeit des internationalen Handelns halten wir es für angebracht, die Ausführungen von Günther Stamer zu dem Werk zu veröffentlichen.


Trotz der ernüchternden Vorbemerkung  ist ein Buch empfehlen, dessen Autor die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, dass der Planet Erde eine Zukunft hat.

Der Untertitel unter dem etwas sperrigen Headliner "Stoffwechselpolitik" lautet "Arbeit, Natur und Zukunft des Planeten." Dass dabei "Arbeit" als erster Begriff genannt wird, ist durchaus programmatisch. Zwar haben schon zahllose Autor:innen festgestellt, dass in dem kapitalistischen Wachstumsimperativ und der damit einhergehenden immer umfassenderen Ausbeutung der Natur, die strukturelle Ursache der ökologischen Krise liegt. Der Fokus war in den meisten Fällen dabei auf den Konsumtionsbereich gerichtet; Stichwort: "Imperiale Lebensweise".

Der Soziologe Simon Schaupp möchte mit seinem Buch in gewisser Weise einen Perspektivwechsel initiieren. Schaupp, der "Oberassistent" am Lehrstuhl für Sozialstrukturanalyse an der Universität Basel ist, hat sich bisher vor allem kritisch mit Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Dem bleibt er auch in seinem aktuellen Buch treu. Mit Karl Marx, für den Arbeit der "gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur" war, setzt Schaupp Arbeit und Natur ins Verhältnis miteinander und nimmt so eine wichtige Verschiebung in der Betrachtung der ökologischen Krise vor.

So rutscht bei ihm der Konsum, der sonst meist vorrangig die Klima-Debatte dominiert, weitgehend aus dem Blick. Wie wichtig diese Verschiebung seiner Meinung nach ist, zeigt er gleich zu Beginn des Buchs: Der Großteil des Treibhausgas Ausstoßes stammt nämlich von Unternehmen, nicht Privathaushalten: "100 Unternehmen sind für 71 Prozent der Emissionen seit 1988 verantwortlich." Da liegt also das Problem.

"Wer die ökologische Krise verstehen will, muss die Arbeitswelt verstehen"

"Wenn Arbeit der Ort des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur ist, dann bedeutet eine sozialökologische Transformation notwendigerweise eine Transformation der Arbeitswelt."

Die Ausgangsthese seines Buches lautet: Wenn wir die ökologische Krise verstehen wollen, müssen wir die Arbeitswelt verstehen. Soll die Erderwärmung zumindest verlangsamt werden, setzt dies für Schaupp eine Transformation der Arbeitswelt voraus. "Wenn Arbeit der Ort des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur ist, dann bedeutet eine sozialökologische Transformation notwendigerweise eine Transformation der Arbeitswelt."

Der Autor arbeitet an historischen Beispielen der kapitalistischen Produktion die Wechselwirkung von Natur- und Arbeitsverhältnissen theoretisch ambitioniert (mit Marx) und empirisch reichhaltig unterfüttert, heraus. Er spricht von einem "Stoffwechsel" zwischen Natur und Gesellschaft, die in einer widersprüchlichen Einheit und Getrenntheit zueinander stehen. Das Trennende verschärft sich in der kapitalistischen Produktionsweise immer weiter. Das liegt daran, "dass im Zuge der Kapitalakkumulation ökologische Kreisläufe durch Akkumulationsprozesse ersetzt werden. Marx veranschaulicht dies am Beispiel der kapitalistischen Landwirtschaft, die Agrarprodukte kontinuierlich vom Land in die Stadt transferiert. In der Folge stehen die Abfälle nicht mehr vor Ort als Dünger zur Verfügung, sondern sie belasten in den Städten in Form von Müll die Umwelt. Auf diese Weise entsteht ein immer breiter werdender 'Riss' im Stoffwechsel mit der Natur."

Die Trennung zwischen Produktion und Reproduktion ist eine der zentralen Konfliktlinien in der Debatte um die ökologische Krise, bei der die Rolle der "Produktivkräfte" im Mittelpunkt steht. Mit Marx versteht er darunter neben den Produktionsmitteln und der Gesamtheit des menschlichen Arbeitspotenzials auch das gesellschaftliche Wissen sowie Formen der Arbeitskooperationen (MEW 4, Seite 130).

"Deshalb entwickle ich in diesem Buch das vermittelnde Konzept der Re/produktivkräfte, bei dem Produktion und Reproduktion zusammengedacht werden."

Dieses Konzept der Re/produktivkräfte demonstriert der Autor dann im folgenden an ausgewählten Feldern der kapitalistischen Expansionsdynamik, die sich in einer immer weiter ausgreifenden und zunehmend intensiveren Nutzbarmachung von Arbeit und Natur darstellt.

Dabei betont der Autor die Relevanz von Wissen um Naturprozesse in Arbeitskonflikten und - kämpfen sehr plastisch: Angefangen von den Sklav:innen-Aufständen in der Karibik über die Chicagoer Schlachtfabriken bis hin in die Gegenwart der Kämpfe der Automobil- und Bauarbeiter:innen.

An den Wiegen des industriellen Kapitalismus

Am umfangreichsten und gerät ihm dabei im 2. Kapitel die Beschreibung der Wurzeln des industriellen Kapitalismus. Überraschend ist dabei, dass der Autor dies nicht am Beispiel Englands aufarbeitet sondern an dem Schimmelmann-Imperium. Dieses umfasste Ende des 18./Anfang des 19 Jahrhunderts ausgedehnte Ländereien Rum-, Gewehr- und Baumwollmanufakturen in Schleswig-Holstein und Dänemark. An der westafrikanischen Goldküste waren sie als Großaktionäre am Sklavenhandel beteiligt und verschifften dort "ihre Afrikaner:innen" insbesondere auf ihre Plantagen auf den Jungferninseln in der Karibik. Die dort angebaute Baumwolle und der Zucker gingen dann an ihre nordeuropäischem Fabriken.

"In diesem Sinne ist die kapitalistische Weltwirtschaft schon immer eine Art Puzzle gewesen, eine Aneinanderreihung von Zonen, die miteinander auf verschiedenen Ebenen verbunden sind."

Ausführlich und anschaulich beschreibt der Autor in diesem 50seitigen Kapitel das Schimmelmannsche Geschäftsmodell von Handel, Sklavenarbeit und "freier Lohnarbeit" ehe es von dem fossilen Zeitalter mit ihren großen Fabriken (Webereien) und Bergwerken abgelöst wurde.

Die Geburtsstunde der modernen Arbeitswelt des fossilen Zeitalters markieren nach Schaupp die Schlachthöfe von Chicago, wo in Gestalt von Eisenbahn und Fließband qualitativ neue technische und ökonomische Entwicklungen zusammenfließenden. Die Industrialisierung zieht hier ihre Kostenvorteile vor allem aus Skaleneffekten, d.h. aus der Abhängigkeit der Produktionsmenge pro Zeitspanne von der Menge der eingesetzten Produktionsfaktoren. Sobald sich totes Fleisch in den Schlachthöfen anhäufte stieg mit der Gefahr der Verwesung und damit drohende ökonomische Verluste. Die Fleischindustrie stand somit stärker als andere Branchen unter dem Druck, die Produktionsgeschwindigkeit zu erhöhen. Zentrales Instrument der Beschleunigung war dabei das Fließband.

Autofabriken und der "fossile Klassenkompromiss"

Von Mitte der 50er bis Mitte der70er Jahre vollzog sich eine weitere grundlegende Veränderung in der materiellen Produktion – das Erdöl löste die Kohle als "Treibstoff" der Wirtschaft endgültig ab. Hatte Westeuropa seinen Bedarf in der Energieversorgung bisher noch zu 75 Prozent aus Kohle und 23 Prozent aus Öl gedeckt, entfielen 1972 nur noch 23 Prozent auf Kohle, während der Anteil des Öls auf 60 Prozent angestiegen war.

Während sich der Preis der Kohle im Gleichschritt mit der allgemeinen Konjunktur entwickelt hatte, war Öl derart billig, dass Energieverschwendung gang und gäbe wurde.

"Erst dadurch wurde jenes exponentielle Wirtschaftswachstum möglich, das wir heute mit einem funktionierenden Kapitalismus identifizieren. Auf dieser Basis konnten zudem die Konflikte in der Arbeitswelt entschärft werden, waren die Unternehmer doch in der Lage, hohen Profit zu erwirtschaften und gleichzeitig relativ hohe Löhne zu zahlen. Der auf Massenkonsum ausgerichtete fossile Klassenkompromiss materialisierte sich im Automobil."

Der Autor prophezeit, dass dieser Klassenkompromiss angesichts der staatlichen Maßnahmen, die den Klimawandel eindämmen sollen und typischerweise vor allem die lohnabhängige Klasse und die Bauern finanziell trifft, zunehmend erodiert (die französischen Gelbwesten sind hier ein spektakuläres Beispiel).

Er weist nach, dass die modernen Arbeitskämpfe immer mehr mit der ökologischen Krise zusammen gedacht werden müssen. Ein zarter Ansatz, den Schaupp erwähnt, sind die gemeinsamen Streiks der ÖPNV Beschäftigten mit der Klimabewegung "Fridays for Future", die aktuell gemeinsam sowohl für verbesserte Arbeitsbedingungen als auch den Ausbau des Nahverkehrs auf die Straße gehen.

Gegen eine "Expansion in die Nutzlosigkeit"

"Die Relevanz einer proletarischen Umweltpolitik resultiert daraus, dass es die Arbeitenden sind, die den gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur vollziehen. Das heißt einerseits, dass sie als Erste von ökologischen Risiken betroffen sind. Andererseits ergibt sich aus der zentralen Stellung der Arbeitenden auch ein besonderer Machthebel. Denn wenn sie den Betrieb einstellen, kommt der gesellschaftliche Stoffwechsel sofort zum Erliegen."

Dabei weist er darauf hin, dass in Deutschland 64 Prozent der gesamten gesellschaftlichen Arbeitszeit auf sogenannte "Care-Tätigkeiten" entfallen wie Erziehung und Pflege. Davon wiederum werden allerdings nur 12 Prozent in Form von Erwerbsarbeit und die restlichen 88 Prozent unentgeltlich in den Haushalten geleistet.

Bei der kapitalistischen Nutzbarmachung handelt es sich um eine "Vernutzung": Die Natur und die Arbeitskörper werden ausgeplündert. Besonders dramatische Folgen in Bezug auf die Umwelt hat dies im Fall fossiler Energieträger, die verbrannt werden, um "die Wirtschaft" anzutreiben – was zu einer Steigerung der CO2-Emissionen führt. Neben der Chemie- und Automobilindustrie ist insbesondere auch die Baubranche eine der zentralen Verursacherinnen der ökologischen Krise. Als Beispiel führt der Autor die Schweizer Holcim AG an, den zweitgrößten Zementhersteller der Welt, der 2.300 Fabriken in 70 Ländern betreibt und zu den weltweit größten CO2-Verursachern gehört.

"Das Problem ist: Die vorherrschende Umweltpolitik setzt auf die Einschränkung des Konsums. Sogenannte Austeritätspolitiken zielen auf höhere Preise, was dazu führt, dass sich nur noch Reiche umweltschädliches Verhalten leisten können. Ärmere Leute bezahlen hingegen die Kosten der Krise. Aber tatsächlich gibt es objektive Grenzen der Naturbelastung. Deshalb brauchen wir eine politische Vision, die diese Grenzen anerkennt.

Wie könnte diese aussehen?

Arbeitszeitverkürzung scheint mir eine zentrale Forderung zu sein, weil sie die zweifellos notwendige Reduktion des Gesamtproduktionsvolumens mit Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit vereinbar macht. Es geht darum, weniger Lebenszeit zu verkaufen, weniger Bullshit-Jobs zu machen, stattdessen mehr ökologisch verträgliche Tätigkeiten auszuüben."[3]

Gedanken nach Lesen des Buches

Projekte wie der "Green Deal", die den Kapitalismus ökologisch modernisieren sollen, führen in eine Sackgasse und verschärfen die soziale Ungleichheit, weil sie die Transformationskosten auf die lohnabhängig Beschäftigten und von Armut betroffenen Menschen abwälzen.

Da ökonomisches Wachstum notwendigerweise einen höheren Ressourcenverbrauch und damit eine Zerstörung der Umwelt erfordert, die nach Marx zu "einem Riss" im gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur führt, stellt sich also die Frage wie Umgehen mit "Wachstum". Wenn in Schaupps Buch das Wort "Degrowth" auch nicht vorkommt, laufen seine Schlussfolgerungen letztlich aber in Richtung einer "Nullwachstums-Strategie" ohne dass er eine grundsätzliche gesellschaftliche Perspektive formuliert. Das unterscheidet ihn z. B. von Kohei Saito, der einem nebulösen "Degrowth-Kommunismus" das Wort redet.[4]

Schaupp und Saito führen insbesondere den "späten Marx" für ihre Argumentation ins Feld. 1868 exzerpierte Marx mehrere Bücher von Carl Fraas. Dessen umwelthistorische Studien zu den antiken Klassengesellschaften Mesopotamiens, Ägyptens und Griechenlands waren von der These geleitet, dass diese Zivilisationen aufgrund von ökologischen Krisen kollabierten, insbesondere durch Raubbau an den Böden und die flächendeckende Rodung von Wäldern. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass gesellschaftliche Landnutzungsänderungen zu lokalem Klimawandel führten, der sich wiederum durch Ernteausfälle und in sozialen Unruhen niedergeschlagen habe.

Wie eine neue postkapitalistische Gesellschaft aussehen, geschweige denn wie der Weg dahin aussehen könnte, ist eine große Lehrstelle in allen Kapitalismus-kritischen Klima-Veröffentlichungen. Das ist bei Saito so und Schaupp verzichtet gleich ganz darauf.

Etwa zur gleichen Zeit, als Marx sich mit den umwelthistorischen Studien beschäftigte, schrieb auch seine "Kritik des Gothaer Programms" (1875)[5]. Darin skizziert er den Übergang in eine kommunistische Gesellschaft als langwierigen, in zwei qualitativ verschiedene Phasen gegliederten Prozess und betont dabei die notwendige Unvollkommenheit der ersten Phase, "wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Da die neue Gesellschaft "aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen" sein wird, ist auch das Problem der Produktivkräfte als ein langwieriger Prozess der Umformung zu erwarten.

Seit diesen vor 150 Jahren Geschriebenem ist allerdings das Zeitfenster erheblich kleiner geworden, um das Überleben des Planeten und ihrer Bewohner:innen zu sichern. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Viele Augen richten sich gegenwärtig auf China mit der Hoffnung, dass man sich dort auf den Weg macht, die Produktivkräfte nachhaltig in den Dienst der Menschen und der Natur zu stellen.

 

 

Anmerkungen

*) Siehe die redaktionelle Anmerkung zur Buchbesprechung 

 

[1] https://wmo.int/media/news/greenhouse-gas-concentrations-surge-again-new-record

[2] https://www.shell.de/about-us/initiatives/shell-youth-study-2024/information

[3] Simon Schaupp im Interview mit Guido Speckmann, AK 16.4.24

[4} Der Degrowth-Kommunismus rettet die Welt, meint der japanische marxistische Philosoph Kohei Saito.
www.kommunisten.de: "Der Degrowth-Kommunismus rettet die Welt, meint der japanische marxistische Philosoph Kohei Saito"

[5] MEW 19, Seite 13-32

 


Zur Buchbesprechung

Simon Schaupp
Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten.
Suhrkamp, Berlin 2024,
419 Seiten, 24 Euro

 

Victoria Nulands Krieg gegen den pakistanischen Politiker Imran Khan

acTVism - Mi, 13/11/2024 - 08:58

Victoria Nulands Krieg gegen den pakistanischen Politiker Imran Khan

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Ein bisschen Populismus und Faschismus retten nicht die Demokratie

ISW München - Di, 12/11/2024 - 16:19

Donald Trump verstehe das Volk besser, daher habe er gewonnen, sagen einige.
Was kann also die deutsche Politik daraus lernen?


 

 

Deutschland feiert 35 Jahre Mauerfall, und die Welt steht kopf.
In Europa ist Krieg, die Ampelregierung ist am Ende und Donald Trump wird (wieder) Präsident der USA. Ein verurteilter Straftäter, Populist und Faschist als politischer Führer der größten westlichen Demokratie. Wer hätte 1989 davon zu träumen gewagt? 

Mit Trumps Amtsantritt wird sich vieles ändern – die Kriege in der Ukraine und in Gaza, die Stabilität Europas und unser aller ökologische Zukunft.
Analysten in Deutschland suchen jetzt nach Antworten auf die Frage, wie es so weit kommen konnte.
 Die einen meinen, Trump verstehe die Amerikaner besser.
Die anderen sagen, er zeige den politischen Eliten Amerikas, wie das Volk wirklich ticke.
Wir alle, so ein Fazit, könnten von Trump einiges lernen.

Hier sind drei Gründe, warum das nicht stimmt: 

Erstens wählten nicht „die Amerikaner“ Trump, sondern rund 74 Millionen Menschen.
Das sind viele, aber rund 70 Millionen wählten die Gegenkandidatin Kamala Harris.
In einem Land mit rund 335 Millionen Einwohnern wählten viele auch gar nicht – beispielsweise die Einwohner von Puerto Rico oder Guam. Diese sogenannten Territorien gehören zu den USA, aber ihre Bürger haben kein Wahlrecht. Auch rund vier Millionen ehemalige Straftäter wählten nicht.
Denn obwohl ein vorbestrafter US-Präsident kein Problem ist, dürfen Vorbestrafte in vielen Bundesstaaten nicht wählen, vor allem Afroamerikaner sind betroffen.
Das heißt, nicht alle Amerikaner haben eine Stimme. 

Zweitens versteht Trump die Amerikaner nicht besser als andere; er schafft nur bessere Informationsblasen. In diesen Blasen wird jede Kritik an Trump zu politisch motivierten Fake News. Selbst seine Verbrechen – wie die Verschleierung von Schweigegeld – werden zu Akten der Revolution. Während viele Medien also kritisch über Trumps Straftaten berichten, feiern ihn rechtskonservative Medien als „Freiheitskämpfer“ und „Rebell“.
Für erzkonservative Megakirchen ist er der Retter der freien Welt.

Solche Informationsblasen sind Kern politischer Kommunikation in den USA und ein wichtiger Teil von Trumps Erfolg. 

Kommt dann, drittens, noch Inflation, wachsende Armut und das Gefühl politischer Alternativlosigkeit hinzu, profitiert Trump.
Seine Stärke ist weniger die eigene als das Versagen seiner Gegner.
Ähnliches gilt wohl auch für die AfD. 

„Wir werden gegen die Medien vorgehen.“ 

Jetzt ist die Frage, was die Zukunft bringt. Seit Jahren schürt Trump Hass gegen alle, die ihn kritisieren, beispielsweise Journalisten. Er nennt sie „Feinde des Volkes“, bezichtigt sie der Lüge. Laut der britischen Zeitung Guardian erklärte Kash Patel, ein möglicher Trump-Kandidat für das Amt des FBI-Direktors: „Wir werden gegen die Medien vorgehen.“ Das Konzept „Projekt 2025“ für Trumps zweite Amtszeit sieht zum Beispiel die leichtere Beschlagnahmung von E-Mails und Telefonaufzeichnungen von Journalisten vor. Im Klartext heißt das: Bye, bye Pressefreiheit! Auch in Deutschland werden wir die Folgen spüren. 

Nein, wir können von Donald Trump nicht lernen, sein Erfolg gibt ihm nicht recht.
Denn ein bisschen Populismus und Faschismus retten nicht die Demokratie.

 Im Gegenteil, wir brauchen kritisch kühle Köpfe, vor allem im Journalismus. Nur sie können Informationsblasen platzen lassen, auch die unserer Politiker. Sonst geht die Welt vor die Hunde und wir sehen im Liveticker dabei zu.

 

Erstveröffentlichung: Berliner Zeitung

Vabanques Kalkül

IMI Tübingen - Di, 12/11/2024 - 12:16
Es gibt nur eine nukleare Schwelle – die erste scharfe Detonation eines Atomsprengkopfes. Was dann folgt, ist kein gemächlicher Aufstieg auf der ‚Eskalationsleiter‘, wie ihn sich der […] amerikanische Stratege Herman Kahn Anfang der 1960er Jahre ausgemalt hat, sondern ein (…)

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Chips: US-Sanktionen haben Chinas Aufholjagd beschleunigt

ISW München - Di, 12/11/2024 - 12:10

 „Wenn man eine Industrie an China verlieren will, muss man China nur den Zugang zu dieser Industrie verwehren.“


 

 

 

Warum die Zukunft der Halbleiterindustrie weiter in Asien und in China liegt

Unter Kritikern der US-Sanktionspolitik gegen China kursiert der o.g. sarkastische Satz, dass China dann erfolgreich agieren wird, wenn man ihm den Zugang zu diesen Industrien verwehrt.
Im Fall der Halbleiterindustrie scheint sich dieses Muster zu wiederholen.
Noch vor 10 Jahren galt der westliche und insbesondere der US-Vorsprung bei Halbleitern als uneinholbar.
 Dieser technologische Vorsprung ist inzwischen drastisch geschrumpft.

 

Bislang haben die Technologie-Sanktionen, die die US-Regierung schon seit der ersten Trump-Präsidentschaft gegen China und einzelne chinesische Firmen verhängt hat, nicht gewirkt. Nach fast 6 Jahren US-Sanktionen hat China durch vervielfachten Einsatz von Ressourcen große Fortschritte gemacht.
In vielen Zukunftstechnologien und auch in der Halbleiterindustrie, wo China weit zurück lag, ist das Land von westlichen und speziell von US-Inputs zunehmend unabhängig und autark.

Natürlich waren und sind die US-Sanktionen auch ein Treiber für erfolgreiche Umgehungsstrategien von westlichen Konzernen, Zwischenhändlern und chinesischen Abnehmern.
Denn China ist nicht irgendein Kunde, sondern der weltgrößte Absatzmarkt für Halbleiter, Vorprodukte etc. und für Maschinen zur Chipproduktion.
Diesen Riesenmarkt gibt kein kapitalistisches Unternehmen nur wegen politischer Bauchschmerzen freiwillig auf. Aber vor allem hat China in der Halbleiterindustrie technologische Durchbrüche erzielt, wie Berichte aus den einschlägigen deutschsprachigen und angelsächsischen Technologiemedien belegen.

 

Auch China kann ultrafeine Chips produzieren

 

Im Zentrum von Chinas technologischer Aufholjagd steht der Konzern Huawei. Seit Beginn der US-Exportkontrollen 2018, die das lukrative Smartphone-Geschäft von Huawei zerstört haben, hat das Unternehmen mehr als je zuvor in Forschung und Entwicklung investiert, im Jahr 2021 über 22% vom Umsatz.
 Nach Angaben der EU ist Huawei heute das innovativste chinesische Unternehmen. Kurzfristige Profite zählen dabei weniger als die langfristige Profitabilität und die Unterstützung auch durch die chinesischen Regierungsebenen.

 

In einer Untersuchung für die US-Regierung kommen Spezialisten aus der Halbleiterindustrie zum Ergebnis, dass um Huawei inzwischen ein Zentrum der Chipentwicklung und -produktion in China entstanden ist:

“Das Ausmaß und die Geschwindigkeit sind enorm: wir schätzen, dass das Produktionsnetzwerk von Huawei im Jahr 2024 7,3 Mrd. Dollar für ausländische Anlagen zur Chipproduktion ausgeben wird, der viertgrößte Einkäufer in der Welt. Wenn man noch (die Auftragsfertiger) SMIC und CXMT einbezieht, die beide eng mit Huawei zusammenarbeiten, sind das die zweitgrößten Käufer von Anlagen in der Welt, direkt hinter TSMC und weit vor amerikanischen Firmen.
Über die Hälfte dieser Anlagen kommt gegenwärtig von US-Firmen.”
 
(im Netz unter: https://semianalysis.com/2024/10/28/fab-whack-a-mole-chinese-companies

In diesem Jahr hat Huawei zusammen mit dem Shanghaier Chip-Auftragsfertiger SMIC ein neuartiges Lithografie-Verfahren zur Produktion von ultrafeinen 5- und 3-Nanometer-Chips patentiert. Bislang konnte China solche ultrafeinen Chips nicht produzieren. Nur das taiwanesische Unternehmen TSMC und Samsung aus Südkorea sind da weiter. Sie fertigen inzwischen sogar 2nm-Chips.

 

Die Maschinenbau-Technologien für die Produktion von Halbleitern sind hoch komplex: Im Zentrum stehen lithographische Verfahren, mit denen winzigste Leiterbahnen auf die Oberfläche einer Waferscheibe geätzt werden. Aus der Waferscheibe im Format einer Pizza werden später die Chips ausgeschnitten. Je winziger die Leiterbahnen auf einem Chip - gemessen in Nanometern (1 Nanometer = ein millionstel Millimeter) - sind, desto mehr Halbleiter können auf einen Chip integriert werden. Umso geringer ist auch die Leistungsaufnahme, der Energieverbrauch. Auch SiCarrier, ein chinesischer Hersteller von Maschinen für die Chipproduktion und ebenfalls Partner von Huawei, hat 2024 ein neues Lithografie-Verfahren patentieren lassen.

 

Westliche Experten hatten nicht damit gerechnet, dass mit Belichtungsmaschinen einer älteren Technologie (DUV), die bislang nicht unter die US-Sanktionen fällt, Halbleiter mit 5nm- oder 3nm-Leiterbahnen produziert werden können. Denn "state-of-art" sind sogenannte EUV-Maschinen des Monopolisten ASML aus den Niederlanden mit Optiken von Zeiss und mit Lasern von Trumpf zum Stückpreis von weit über 150 Mio Euro.

Aber aufgrund der US-Sanktionen, den sich die EU angeschlossen hat, dürfen diese Anlagen nicht nach China geliefert werden.

 

Für Huawei und die Partnerfirmen ist dieser technologische Durchbruch, mit älteren Generationen von Maschinen und Anlagen trotzdem ultrafeine Chips zu produzieren, entscheidend - trotz der damit verbundenen höheren Stückkosten.
In der chinesischen Halbleiterindustrie wird geschätzt, dass SMIC vergleichbare Prozessoren um 40 bis 50% teurer produziert als der Markt- und Technologieführer TSMC aus Taiwan. Aber Huawei kann auf diesen Anlagen seine ultraschnellen Kirin-Prozessoren für Smartphones, Tablets etc. ebenso produzieren lassen wie die Ascend-Prozessoren für KI-Server.
Der schnellste KI-Prozessor von Huawei, der Ascend 920, wird künftig auch von SMIC in 5nm-Technologie produziert.

 

Damit reduziert sich der Entwicklungsrückstand zwischen KI-Chips aus China und den sehr gesuchten KI-Prozessoren vom Marktführer Nvidia, einem auf Grafik- und KI-Chips spezialisierten US-Konzern.
Die von Huawei entwickelten und von SMIC produzierten Ascend-Chips gelten auch unter westlichen Chip Experten als vielversprechende Alternativen zu den KI-Prozessoren von Nvidia. Sie mussten konstatieren, dass Chinas Halbleiterindustrie trotz US-Exportkontrollen weiter aufholt. Die Überraschung war groß, als Huawei im August 2024 sein Mate 60 Pro-Smartphone mit einem 7nm-Prozessor und KI-Fähigkeiten vorstellte.
Spätestens seitdem sieht Apple in China, seinem weltgrößtenAbsatzmarkt, nur noch die Rücklichter der chinesischen Konkurrenz.

 

 

Chinesischer Erfolg beim Chipdesign

 

Der chinesische Smartphone- und Elektronikhersteller Xiaomi, der inzwischen in seinen Läden in China auch ein eigenes Elektroauto vertreibt, hat einen wichtigen Schritt in der Halbleiterindustrie gemacht: Xiaomi hat einen eigenen 3nm-Chip entwickelt (Telepolis  Wirtschaft, 23/10/2024 https://www.telepolis.de/features/Halbleiter-Xiaomi-gelingt-Durchbruch-mit-eigenem-3nm-Chip-9991576.html).

Er soll bereits im ersten Halbjahr 2025 in die Massenproduktion gehen. Die Nachricht wurde sogar im chinesischen Staatsfernsehen bekannt gegeben. Es ist der erste 3-nm-Chip, der von einem chinesischen Unternehmen entwickelt wurde. Bei der Entwicklung des Chips soll Xiaomi mit dem taiwanischen Unternehmen MediaTek zusammengearbeitet haben. MediaTek kontrolliert mit dem US-Konzern Qualcomm bislang den Weltmarkt für Smartphone-Prozessoren.

 

Die Ankündigung von Xiaomi ist ein Meilenstein, weil nicht nur die Produktion, sondern auch das Design, die Entwicklung von Chips äußerst komplex ist. Dabei geht es um das Zusammenspiel von bis zu Milliarden Transistoren auf einem einzigen Chip. Diese Beziehungen müssen dargestellt und getestet werden, bevor das Chip-Design in die Fertigung geht. Das geht nicht mehr an einem oder auch hunderten Zeichenbrettern. Ohne die entsprechende Software ist das unmöglich. Der Gründer und CEO von Xiaomi, Lei Jun, erwähnte einmal, Chip-Design sei ein riskantes Spiel: Große Investitionen können manchmal keinen Ertrag bringen. 2017 brachte Xiaomi einen ersten Smartphone-Chip auf den Markt. Der hatte aber Überhitzungsprobleme. Ein weiterer Versuch mit einem neuen Chip scheiterte dann 2020.

 

Trotz der hohen Entwicklungskosten setzen nicht nur der chinesische Xiaomi-Konzern, sondern auch Apple, Google oder Amazon inzwischen auf selbst entwickelte Prozessoren für Smartphones, Tablets oder auch für die eigenen Rechenzentren. Es geht dabei um Verbesserungen bei der Chipleistung, der Energieeffizienz und der Transistordichte. Durch die Optimierung und Abstimmung von Hardware - also den eigenen Chips statt Chips von der Stange - und Software funktionieren die Smartphones besser, so die Philosophie. Eigene Chipsätze eröffnen zudem Möglichkeiten für innovative Funktionen in zukünftigen Smartphones.

Außerdem sind die Smartphone-Hersteller weniger von Lieferengpässen oder Preiserhöhungen der Lieferanten abhängig. Der Chef von Xiaomi erklärte, die Entwicklung eigener Chips sei entscheidend, da die Prozessoren von Qualcomm immer teurer würden. So kostet ein einziger winziger Grafikchip des US-Konzerns Nvidia, der für KI-Anwendungen eingesetzt wird, derzeit 50.000 $.

Der Xiaomi-Chip wird künftig von dem taiwanesischen Auftragsfertiger TSMC produziert.
 In den USA gibt es deshalb schon Spekulationen über mögliche Sanktionen gegen Xiaomi aufgrund dieses technologischen Durchbruchs in der Chipentwicklung.

 

 

Auch bei Software für Chip-Design holt China auf

Seit August 2022 haben die USA chinesischen Unternehmen den Zugang zu amerikanischer Software für den Chipdesign (ECAD Electronic Computer Aided Design) untersagt. Diese Software wird für den Entwurf komplexer integrierter Schaltkreise, also Halbleiter, verwendet. Bereits seit 2019 darf diese Software nicht mehr an Huawei lizensiert werden.

 

 

Aktuell wird der Markt von einem Oligopol der drei Firmen Cadence, Synopsys und Siemens EDA (vormals Mentor Graphics) dominiert. Alle drei Firmen haben ihren Hauptsitz in den USA und haben zusammen knapp 70 Prozent Marktanteil. Natürlich setzen die USA ihre Dominanz auf diesem technologischen Spezialgebiet gezielt ein, um die chinesische Chip-Design-Industrie zu behindern. Das erklärte unverblümt der frühere Pentagon-Mitarbeiter Gregory Allen vom Center for Strategic and International Studies CSIS (Asia Times, Oktober 2022). Dennoch bekam der Xiaomi-Konzern offensichtlich Zugang zu dieser Software. Wie sich Xiaomi Zugang zu US-amerikanischer EDA-Software verschafft hat, ist noch unklar.

 

Mikrochips für Computer werden schon lange nicht mehr von Hand entworfen. In den Anfängen der Halbleiterindustrie hatten Prozessoren wie der Intel 4004 nur wenige Tausend Transistoren. Einzelne Mitarbeiter waren nicht nur in der Lage, den kompletten Aufbau zu verstehen, sondern sie konnten auch Prototypen, etwa einer ALU (Arithmetic Logic Unit), in größerem Maßstab aufbauen und manuell testen, um Fehler zu beheben.

 

Das ist heute unmöglich, denn moderne Prozessoren haben Hunderte Milliarden Transistoren. Kein Mensch ist mehr in der Lage, den Aufbau vollständig manuell zu planen. Dafür wird EDA-Software verwendet. Erst so wird es möglich, moderne Chips zu entwerfen und den Entwurf zu testen und  auf Machbarkeit zu prüfen. Die Alternative, einen einzelnen Chip als Prototyp zu fertigen, um dann bei im Prototyp gefundenen Fehlern einen ganz neuen Chip zu fertigen, wäre extrem teuer.

 

Die Eintrittsschranken in diesen extrem spezialisierten Markt für das Chipdesign sind extrem hoch: Chinesische (und andere) Neueinsteiger müssen die Komplexität der Software beherrschen. Sie müssen das sehr lukrative Oligopol der drei Marktführer herausfordern und brauchen zudem Entwickler, die schon in die Software der Marktführer eingearbeitet sind. Schließlich muss die vollkommen neue Software für das Chipdesign auch in der Fertigung funktionieren, also reibungslose Prozesse für die kontinuierliche Chipproduktion, deren Anlagen Milliarden kosten, garantieren.

 

China hat deshalb die Entwicklung eigener Software für das Chipdesign im aktuellen Fünfjahresplan priorisiert. Die Regierung investiert in Firmen auf diesem Gebiet. Am weitesten ist wohl die Firma Huada Empyrean mit 6 Prozent Marktanteil im eigenen Land. Deren Software ist aber noch weit davon entfernt, den kompletten Entwicklungsablauf für einen neuen Chip abbilden zu können. (Martin Böckmann, 24. August 2022, in: Golem.de)

 

Chinesische Firmen für Chipdesign-Software werden häufig von ehemaligen Mitarbeitern von Cadence oder Synopsys geleitet. Durch das Bündeln ihrer Erfahrungen bei den Marktführern können solche Startups die Entwicklung in China deutlich vorantreiben. Dem Land kommt dabei zugute, dass über ein Viertel aller Ingenieure im amerikanischen Silicon Valley aus China stammen und/oder einen chinesischen Pass haben.
Die rassistisch kontaminierte Anti-China-Hetze in den USA hat inzwischen zu einem Brain Drain zurück nach China geführt, wie das japanische Wirtschaftsmagazin Nikkei Asia
 https://asia.nikkei.com/Business/Japan-seeks-to-stop-tech-brain-drain

 konstatierte. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis China auch das Oligopol bei der Chipdesign-Software geknackt hat.

 

 

KI-Chips aus China: teilweise (schon) gleichwertig

 

 

 Die meisten im Westen bekannten sogenannten Sprachmodelle der künstlichen Intelligenz oder KI sind trainiert auf ultraschnellen Grafikprozessoren, etwa von Nvidia. So lernte das neueste Sprachmodell der Zuckerberg-Konzerns Meta namens Llama 3 auf 16.000 H100 Chips von Nvidia. Bis zum Jahresende will der Meta-Konzern weitere 600.000 dieser Chips vorhalten.  Doch chinesische KI-Firmen können mit dieser opulenten Hardwareausstattung der US-Konzerne noch nicht nicht mithalten. Sie haben stattdessen das Beste aus ihren begrenzten Ressourcen gemacht - einerseits durch Optimierung der Software und der Trainingsprozesse für die KI-Modelle, andererseits durch konzentrierten Einsatz der in China verfügbaren Chips.

 

Das Ergebnis sind leistungsfähige KI-Modelle, die bei Programmieraufgaben oder bei Sprachaufgaben in Englisch oder Chinesisch mit den Open-Source-Modellen wie etwa Chat GPT mithalten können (Economist, 21.09 24).
So setzt das Startup DeepSeek aus Hangzhou gerade mal 10.000 Nvidia Prozessoren älterer Generationen ein - wenig im Vergleich zu US- oder europäischen Mitbewerbern. Das Sprachmodell besteht aus einer Anzahl verschiedener Netze, die jeweils für spezielle Aufgaben trainiert sind. Außerdem werden die Eingabedaten komprimiert. Obwohl DeepSeek mit über 200 Milliarden (!) Parametern arbeitet, nutzt es für eine bestimmte Aufgabe nur maximal ein Zehntel dieser Parameter. Das spart Zeit, Rechenleistung und Energie. Ein anderes kleines Sprachmodell, an der Pekinger Tsinghua-Universität entwickelt, kann sogar auf Smartphones eingesetzt werden.

 

Aus Sicht eines Experten von SenseTime, ein chinesischer Konzern, in dessen KI-Rechenzentrum in Shanghai KI-Chips von den wichtigsten chinesischen Lieferanten wie Huawei und Biren arbeiten, gibt es zwar nach wie vor Leistungsunterschiede zwischen KI-Chips aus China und denen von Nvidia.
Die US-Chips seien leistungsfähiger für das Training von KI-Modellen. Das ist der Prozess, die KI-Software mit riesigen Datenmengen für den speziellen Einsatzbereich - etwa Steuerprüfung – anzulernen. Aber beim praktischen Einsatz scheinen  die Unterschiede nicht groß zu sein. So bringt ein KI-Prozessor von Huawei namens Ascend 910C eine signifikante Leistungsverbesserung.
Nicht nur Huawei, sondern auch SenseTime und Biren stehen auf der Sanktionsliste des US-Handelsministeriums.

 

Huawei hat sich mit seinen Chips und mit der passenden Software als Chinas #1-Lieferant für KI-Lösungen positioniert, u.a. für den Finanzsektor und für die Telekommunikation.
Dennoch liegt  bei den KI-Chips  auch in China immer noch Nvidia vorne mit einem Marktanteil von 90%. Nach dem US-Exportverbot für die schnellsten KI-Chips von Nvidia hatte Nvidia extra einen Chip mit gedrosselter Leistung für den chinesischen Markt herausgebracht.

 

 

Dominiert China bei “reiferen” Chips?

Allianz für Auto-Chips

Während sich die Schlagzeilen meist auf die ultrafeinen Chips und KI konzentrieren und auf den Versuch der USA, China davon komplett abzuschneiden, machen aber sogenannte reifere Chips mit Leiterbahnen über 12nm Durchmesser sowie Leistungshalbleiter, Sensoren und Analogchips etc. die Masse des weltweiten Geschäfts im Umfang von über 600 Mrd Dollar aus.


Weil China das Weltzentrum der Elektronikindustrie, des Maschinenbaus und künftig wohl auch der Automobilindustrie ist, wurden schon vor 10 Jahren die meisten Halbleiter in Stückzahlen in China verbaut. Das von Ölimporten abhängige China hat viele Jahre wertmäßig mehr für Importe von Halbleitern als von Öl und Gas ausgegeben. Doch China hat massiv in die Chipindustrie investiert. Die Massenproduktion von billigen Chips bringt chinesischen Konzernen auch das Geld, um die kostspieligen Experimente mit der Produktion von ultrafeinen Chips zu finanzieren.
US-Experten warnen jetzt davor, dass die Welt künftig von “reiferen“ Halbleitern aus China abhängig ist, an denen ganze Industrien hängen, aber auch unser Alltagsleben.

Das gilt auch für Autos und für Anwendungen in Elektrofahrzeugen. China importiert heute immer noch rund 90 Prozent seiner Automobilchips. Produzenten sind etwa Infineon, NXP, Bosch oder japanische Unternehmen. Nach Ansicht des chinesischen Automobilverbands (CAAM) ist die Lokalisierung der Chip-Lieferkette entscheidend für die Entwicklung der chinesischen Automobilbranche. Dabei spielen technische Normen eine entscheidende Rolle.

Eine wesentliche Hürde für den Markteintritt chinesischer Anbieter von Automobilchips ist das fehlende Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Chips. Da Automobilchips rauen Umweltbedingungen ausgesetzt sind, müssen sie wesentlich höhere Standards erfüllen als kommerzielle Chips. Um die Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Automobilchips zu fördern und Vertrauen zwischen Chip-Anbietern und Autoherstellern zu schaffen, hat das Ministerium für Industrie und Informationstechnologien die „China Automotive Industry Innovation Alliance“ gegründet. Das Bündnis soll Chinas Automobilindustrie unabhängig machen und Substitutionen im eigenen Land fördern.

 

Mitglieder der Allianz sind chinesische Autohersteller wie SAIC, BYD, FAW, Anbieter von Automobilelektronik und -software, Chip-Unternehmen und staatliche Forschungseinrichtungen. Während das Bündnis nach eigenen Angaben allen Branchenteilnehmern offen steht, besteht der technische Ausschuss ausschließlich aus chinesischen Unternehmen. (China.Table # 925 / 25. September 2024). Es besteht die Gefahr, dass auch diese bisherige Domäne vor allem der europäischen Chipindustrie verloren geht.

 

 

Warum die Zukunft der Halbleiterindustrie weiter in Ostasien liegt

 

Nach allen Prognosen wird die Zukunft der Chipindustrie weiter in Ostasien liegen.
Daran ändert der mit Steuermilliarden finanzierte Aufbau von Kapazitäten zur Chipfertigung in den USA und Europa vermutlich nichts.
Entsprechend äußert sich der Chef des niederländischen Maschinenbauers ASML, der die ganze Welt mit den teuersten Maschinen für die Chipindustrie beliefert (Nikkei Asia,9.10.24). Nach seinen Aussagen und nach allen verfügbaren Statistiken wachsen die Kapazitäten der Chipindustrie in Ostasien weiter schneller als im Rest der Welt.
Noch viele Jahre werde Ostasien das Weltzentrum der Chipproduktion bleiben.

 

Die Umsätze des Maschinenbauers ASML zeigen, wohin die Reise geht: 2023 machte der Konzern über 80% seines Umsatzes in Asien. Spitzenreiter war Taiwan, gefolgt von China, Korea und Japan. In den USA machte ASML 12% des Umsatzes, in Europa lediglich  vier Prozent.

 

Nach Statistiken des US-Branchenverbandes SEMI hat China im ersten Halbjahr 2024 sogar mehr Anlagen für die Chipindustrie eingekauft als Taiwan, Südkorea und die USA zusammen. Die Investitionen in die Chipindustrie sind ein  Barometer für die Entwicklung der künftigen Kapazitäten. Gleichzeitig hat China sicher vorausschauend eingekauft, in Erwartung weiterer US-Sanktionen.

 

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es die Aufspaltung der Lieferketten in der Halbleiterindustrie, der technologisch fortgeschrittensten modernen Industrie, in eine US-basierte Lieferkette mit westlichen Anhängseln und in eine um China basierte Chipindustrie mit entsprechenden Clustern aber nicht geben.
Ostasien mit China bleibt Zentrum der weltweiten Chipproduktion und vermehrt auch des Chipdesigns und vielleicht künftig auch des Anlagenbaus. Alle Zahlen über jetzige und künftige Investitionen in dem Sektor deuten darauf hin.

 

Taiwan investiert

Eine Ergänzung: Die USA und der Westen machen zwar viel Getöse um einen künftigen Krieg um die Insel Taiwan, dem Weltzentrum der Chipindustrie.
Deswegen müsse man sich – wegen der Unterbrechung der Lieferketten – unabhängiger von Ostasien und speziell Taiwan machen. Die Politik der taiwanesischen Regierung und die Investitionen von TSMC, UMC, Globalfoundries, Foxconn etc. sprechen aber eine andere Sprache.
Nicht in den USA oder in Dresden wird aus Sorge um einen militärischen Konflikt vorrangig investiert, sondern gerade auf der Insel Taiwan.
Das ist nach der Logik des taiwanesischen Kapitals und der politischen Eliten der Insel der beste Schutz vor einem Krieg.
Die Investitionen von TSMC in Arizona oder in Dresden sind dagegen Peanuts.

 

Schließlich ist in der weltweiten Arbeitsteilung die industrielle Produktion immer mehr in Asien und speziell in China konzentriert. Diese Industrien sind  jetzt und künftig vermutlich noch mehr der Hauptabnehmer der Chipindustrie. Es gibt deshalb wenig Grund, dass sich ausgerechnet die Halbleiterindustrie zusammen mit ihren komplexen Wertschöpfungsketten in den USA ansiedelt - abgesehen von einzelnen Clustern für Chipdesign etc. an der Ost- bzw. Westküste.

 

 

 

 

 

 

Medien fassungslos über Trumps Sieg

acTVism - Di, 12/11/2024 - 11:52

Medien fassungslos über Trumps Sieg.

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Trumps überragender Sieg ERKLÄRT

acTVism - Di, 12/11/2024 - 09:15

Trumps überragender Sieg ERKLÄRT

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Wir haben Euch im Jahr 2024 auf der Lebenshaus-Website wieder intensiv informiert. Im Schnitt wurde im vergangenen Jahr täglich... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

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Unter dem Titel „‘Zeitenwende‘ in Bildung und Hochschulen“ wird am kommenden Wochenende (16./17.11) der 28. Kongress der Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI) im Tübinger Schlatterhaus stattfinden. „Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stehen die Begriffe ‚Zeitenwende‘ und ‚Kriegstüchtigkeit‘ für eine (…)

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Israelischer Politiker Dr. Cassif über Israels Kurs in Richtung Faschismus

acTVism - Mo, 11/11/2024 - 10:30

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Die Knesset hat UNRWA, die wichtigste Hilfsorganisation für die Palästinenser, verboten. Das Verbot hat katastrophale Folgen für die Palästinenser, die... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Ästhetik und Propaganda der Militarisierung

Lebenshaus-Newsletter - Sa, 09/11/2024 - 21:40
Mit emotionalen Rührstücken oder mithilfe neuer Werkzeuge der Künstlichen Intelligenz: Die Angriffe der Militaristen auf das Denken der Bürger werden... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Jewish Israeli politician Dr. Cassif speaks out on Israel’s path towards Fascism

acTVism - Fr, 08/11/2024 - 15:57

Jewish Israeli politician Dr. Cassif speaks out on Israel's path towards Fascism

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Mittelstreckenwaffen in Deutschland - Online-Vortrag von Jürgen Wagner (IMI e.V.)

Lebenshaus-Newsletter - Fr, 08/11/2024 - 10:25
Am 10. Juli wurde in einer gemeinsamen Erklärung die Stationierung von US-Mittelstreckensystemen in Deutschland ab 2026 angekündigt. Es handelt sich... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Die transatlantische Rivalität

ISW München - Fr, 08/11/2024 - 06:04

Nach Trumps Wahlsieg drohen der deutschen Wirtschaft gravierende Einbrüche aufgrund der angedrohten US-Strafzölle: bis zu 180 Milliarden Euro binnen vier Jahren.
Trump folgt einer veränderten Interessenlage der US-Industrie.

 

Mit der bevorstehenden zweiten US-Präsidentschaft von Donald Trump zeichnen sich gravierende ökonomische Machtkämpfe zwischen den Vereinigten Staaten und der EU bzw. Deutschland ab. Laut Berechnungen des unternehmernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln würden die Strafzölle, die der designierte US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf angekündigt hat, allein die deutsche Wirtschaft im Vierjahreszeitraum von 2025 bis 2028 bis zu 180 Milliarden Euro kosten. Die deutsche Industrie würde dabei mittelfristig schwer geschädigt. So seien für die Jahre 2027 und 2028 Einbrüche der deutschen Wirtschaftsleistung um jeweils rund 1,5 Prozent zu erwarten, während die US-Konkurrenz sich deutlich schneller vom Schock einer Strafzollschlacht erholen würde.

Die EU hat bereits Gegenzölle gegen US-Strafzölle in Aussicht gestellt. Die Trump’sche Strafzollpolitik, das zeigt eine ausführliche Studie, folgt Verschiebungen in der US-Industrie: War diese lange in der Lage, offene Weltmärkte zu dominieren, so sind mittlerweile immer mehr US-Unternehmen internationaler Konkurrenz unterlegen. Ihren Interessen entspricht die Trump’sche Abschottungspolitik.

Glimpflich davongekommen

Mit Blick auf das deutsche US-Geschäft hatten Ökonomen gerade erst Entwarnung gegeben. So berichtete das unternehmensnahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln, der Biden’sche Inflation Reduction Act (IRA), der mit dreistelligen Milliardenbeträgen die Industrien der Energiewende fördert, habe bisher nicht zu der befürchteten Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland in die Vereinigten Staaten geführt.
Zumindest kurzfristig habe die deutsche Industrie sogar profitieren können: Der Export von Maschinen sowie von elektrischer Ausrüstung, von klassischen Vorprodukten beim Bau auch klimafreundlicher Fabriken also, aus der Bundesrepublik in die Vereinigten Staaten sei im vergangenen Jahr um zehn Prozent gestiegen. Dank einer eigens eingeführten Ausnahme für geleaste Fahrzeuge sei auch kein Nachteil für deutsche Kfz-Exporte in die USA zu beklagen.[1]
Denkbar sei es freilich, heißt es weiter beim IW, dass Donald Trump diese Ausnahmeregelung aufhebe, was zu Nachteilen für deutsche Autohersteller führen werde. Mit einem Ausstieg aus dem IRA durch die künftige Trump-Administration rechnen US-Beobachter nicht; sogar Konzerne der US-Erdöl- und Erdgasbranche setzen sich für die Beibehaltung des Programms ein, da sie von ihm erheblich profitieren.[2]

Trumps Strafzolldrohung

Führt der designierte US-Präsident Donald Trump allerdings wirklich die im Wahlkampf angedrohten Strafzölle ein, dann ist mit hohen Einbußen insbesondere auch für die deutsche Industrie zu rechnen. Das IW hat in einer unlängst publizierten Studie Schadensprognosen, die es allein für die Bundesrepublik im Sommer noch auf gut „123 bis 146 Milliarden Euro“ bezifferte [3], auf 127 bis 180 Milliarden Euro nach oben korrigiert [4]. Mit Einbußen in Höhe von 127 Milliarden Euro im Vierjahreszeitraum 2025 bis 2028 ist demnach zu rechnen, sollte Trump auf sämtliche US-Einfuhren Strafzölle von 10 Prozent und auf Importe aus der Volksrepublik China Strafzölle in Höhe von 60 Prozent erheben. Eingepreist ist in die Berechnungen, dass die EU Gegenzölle in gleicher Höhe verhängt.

Sollte freilich zusätzlich der transatlantische Handelskonflikt eskalieren und die Strafzölle beider Seiten auf 20 Prozent nach oben treiben, könnten die Schäden 180 Milliarden Euro erreichen, schreibt das IW.
Zwar müssten auch die USA je nach Szenario Einbußen von 686 bzw. 874 Milliarden US-Dollar für 2025 bis 2028 in Kauf nehmen. Allerdings werde sich die US-Wirtschaft spätestens 2028 wieder einigermaßen konsolidieren können.

„Für Deutschland eine Katastrophe“

Die EU und insbesondere Deutschland aber würden laut dem IW vor allem langfristig hart getroffen. Demnach ist für die EU von einem Anstieg des Wirtschaftseinbruchs von 0,29 bis 0.42 Prozent im Jahr 2025 auf 0,91 bis 1,34 Prozent im Jahr 2027 zu rechnen. Für 2028 sagt das IW einen Rückgang um 0,89 respektive 1,33 Prozent voraus.
Die Bundesrepublik steht vor einem noch größeren Minus, das von 0,34/0,48 Prozent im Jahr 2025 auf 1,08/1,53 Prozent im Jahr 2027 steigt; 2028 verharrt die deutsche Wirtschaft demzufolge bei einem Rückgang um 0,99/1,45 Prozent.[5] Weil die Exporte strafzollbedingt deutlich schrumpften, sei von einem erheblichen Einbruch bei den privaten Investitionen auszugehen, urteilt das IW, das von einem Investitionsminus von 4 Prozent gegenüber dem ohne die Strafzölle zu erwartenden Basisszenario ausgeht. Stark getroffen werden könnten, da sie besonders große Warenmengen in die USA exportierten, „der Maschinenbau, die Pharmaindustrie und die ... Autoindustrie“, urteilt IW-Direktor Michael Hüther.[6]
Der Maschinenbau und die Kfz-Branche leiden schon jetzt unter mutmaßlich bleibenden Einbrüchen im China-Geschäft.[7] Entsprechend erklärt Hüther zu den befürchteten Einbrüchen in den USA: „Für das exportstarke Deutschland wäre das eine Katastrophe.“

Interessen der US-Industrie

Die Trump’sche Strafzollpolitik folgt dabei nicht Launen eines exzentrischen Präsidenten, sondern grundlegenden Interessen der US-Industrie. Dies belegt eine Untersuchung, die von Wissenschaftlern der Vrije Universiteit Amsterdam und der Freien Universität Berlin vorgelegt worden ist.[8] Demnach gründete die weltweite Durchsetzung offener Märkte, der sich die Vereinigten Staaten traditionell verschrieben hatten, primär darauf, dass die US-Wirtschaft stark genug war, sich international durchzusetzen und die Weltmärkte zu erobern. Dies prägte die Politik der jüngeren US-Administrationen bis hin zu derjenigen von Barack Obama. Die Politik der Trump-Administration hingegen wurde, wie die Untersuchung zeigt, vor allem von zwei Fraktionen getragen, für die offene Märkte entweder nachrangig oder sogar schädlich waren. Zum einen handelte es sich dabei um Immobilienunternehmen – also um die Branche, der Trump selbst entstammt –, zum anderen um Konzerne, denen es nicht mehr gelang, sich gegen die internationale Konkurrenz durchzusetzen – etwa Stahlkonzerne. Dabei waren die übermächtigen Konkurrenten, denen US-Unternehmen nicht mehr recht gewachsen waren, oft solche aus China. Die Strafzollpolitik richtete sich daher zunächst vor allem gegen die Volksrepublik.

Handelsüberschüsse im Visier

Da es nicht gelungen ist, die chinesische Konkurrenz niederzuringen, hat Trump angekündigt, die Maßnahmen gegen die Volksrepublik zu verschärfen. In der rasant eskalierenden globalen Rivalität nimmt er nun aber auch die Konkurrenz aus Deutschland und der EU aggressiv ins Visier. Tatsächlich hat die Bundesrepublik zuletzt aus dem Handel mit keinem Land so hohen Profit gezogen wie aus dem Handel mit den USA; im vergangenen Jahr standen Importen aus den Vereinigten Staaten in Höhe von 94,4 Milliarden Euro Exporte in das Land im Wert von 157,9 Milliarden Euro gegenüber. Der Handelsüberschuss erreichte damit 63,5 Milliarden Euro – fast ein Drittel des gesamten deutschen Handelsüberschusses, der sich 2023 auf 209,6 Milliarden Euro belief. Die hohen Erträge aus dem deutschen US-Geschäft trugen stark zur engen außenpolitischen Kooperation Berlins mit Washington bei.
Dass die zweite Trump-Administration sie in Frage zu stellen droht, lässt eine neue Absetzbewegung Deutschlands gegenüber den Vereinigten Staaten erahnen.
Die EU hat bereits mitgeteilt, sie werde auf neue US-Strafzölle mit Gegenzöllen reagieren und habe konkrete Vorbereitungen dafür getroffen.
Damit zeichnet sich eine Phase neuer transatlantischer Konflikte ab.

 

[1] Jürgen Matthes, Samina Sultan, Thomas Obst: US Inflation Reduction Act: Überschaubare Auswirkungen auf Deutschland. IW-Kurzbericht Nr. 83. Köln, 05.11.2024.

[2] Collin Eaton, Benoit Morenne: Big Oil Urges Trump Not to Gut Biden’s Climate Law. wsj.com 06.10.2024.

[3] Hubertus Bardt: Trump oder Harris oder ...? Worauf sich Europa einstellen muss. IW-Policy Paper 5/2024. Köln, 23.07.2024. S. auch -Deutsche Firmen unterstützen Trump

[4], [5] Thomas Obst, Samina Sultan, Jürgen Matthes: Was droht den transatlantischen Handelsbeziehungen unter Trump 2.0? Von Zollerhöhungen und Vergeltungsmaßnahmen. IW-Report 42/2024. Köln, 24.10.2024.

[6] Michael Hüther: US-Präsidentschaftswahl: „Für die deutsche Wirtschaft wäre ein Präsident Trump eine teure Katastrophe“. iwkoeln.de 04.11.2024.

[7] S. dazu Das Ende des deutschen Exportmodells

[8] Bastiaan van Apeldoorn, Naná de Graaf, Jaša Veselinović: Trump and the Remaking of American Grand Strategy. The Shift from Open Door Globalism to Economic Nationalism. Cham 2023.

 

IWF und BRICS: keine Rückkehr nach Bretton Woods

ISW München - Do, 07/11/2024 - 11:52

Im Oktober fand in Washington, USA, das halbjährliche Treffen von IWF und Weltbank statt.
Fast gleichzeitig traf sich die BRICS+-Gruppe in Kasan, Russland. [1]
Das Zusammentreffen dieser beiden Treffen fasst zusammen, wie es um die Weltwirtschaft im Jahr 2024 bestellt ist.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden der IWF und die Weltbank zu den führenden Organisationen für internationale Zusammenarbeit und Maßnahmen in der Weltwirtschaft. Sie waren Institutionen, die aus dem Bretton-Woods-Abkommen von 1942 [2]  hervorgingen, das die zukünftige Weltwirtschaftsordnung festlegte, die am Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet werden sollte. Damals sprach der damalige US-Präsident Franklin Roosevelt diese prophetischen Worte:
„Der Punkt in der Geschichte, an dem wir stehen, ist voller Versprechen und Gefahren. Die Welt wird sich entweder in Richtung Einheit und weit verbreiteten Wohlstand bewegen oder sie wird sich in notwendigerweise konkurrierende Wirtschaftsblöcke aufteilen.“

Roosevelt bezog sich auf die Spaltung zwischen den USA und ihren Verbündeten und der Sowjetunion. Dieser „Kalte Krieg“ endete mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1990. Aber jetzt, 35 Jahre später, haben Roosevelts Worte einen neuen Kontext: zwischen den USA und ihren Verbündeten und einem aufstrebenden Block von Nationen des „globalen Südens“.

Die in Bretton Woods vereinbarte Weltwirtschaftsordnung etablierte die USA als hegemoniale Wirtschaftsmacht in der Welt.
1945 war das Land die größte Produktionsnation der Welt, verfügte über den wichtigsten Finanzsektor, die schlagkräftigsten Streitkräfte – und dominierte den Welthandel und die Investitionen durch die internationale Verwendung des Dollars.

John Maynard Keynes war maßgeblich an den Verhandlungen in Bretton Woods beteiligt. [3]
Er kommentierte, dass seine „vorausschauende Idee einer  neuen Institution, die die Interessen von Gläubiger- und Schuldnerländern gerechter ausgleichen sollte, abgelehnt wurde“. Keynes' Biograf Robert Skidelsky fasste das Ergebnis zusammen. „Natürlich setzten sich die Amerikaner aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht durch. Großbritannien gab sein Recht auf, die Währungen seines ehemaligen Empires zu kontrollieren, dessen Volkswirtschaften nun unter die Kontrolle des Dollars und nicht des Pfunds gerieten.“ Im Gegenzug "bekamen die Briten Kredit, um zu überleben – aber mit Zinsen. Keynes erklärte dem britischen Parlament, dass der Deal nicht ‚eine Bestätigung der amerikanischen Macht, sondern ein vernünftiger Kompromiss zwischen zwei großen Nationen mit den gleichen Zielen sei, nämlich die Wiederherstellung einer liberalen Weltwirtschaft‘.
Die anderen Nationen wurden natürlich ignoriert.

Die USA und ihre Verbündeten in Europa dominieren seither den IWF und die Weltbank, sowohl personell als auch in der Politik. Trotz einiger geringfügiger Reformen des Wahl- und Entscheidungsverfahrens in den letzten 80 Jahren wird der IWF weiterhin von den G7-Staaten geführt, sodass andere Länder kaum eine Stimme haben. Insgesamt gibt es 24 Sitze im IWF-Vorstand, wobei das Vereinigte Königreich, die USA, Frankreich, Deutschland, Saudi-Arabien, Japan und China jeweils über einzelne Sitze verfügen – und die USA bei wichtigen Entscheidungen ein Vetorecht haben.

Was die Wirtschaftspolitik betrifft, so ist der IWF vielleicht am bekanntesten für die Auferlegung von „Strukturanpassungsprogrammen“. IWF-Kredite wurden Ländern in wirtschaftlicher Notlage unter der Bedingung „gewährt“, dass sie sich bereit erklärten, ihre Defizite auszugleichen, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen, ihre Märkte zu öffnen und Schlüsselsektoren der Wirtschaft zu privatisieren. [4]
Die am häufigsten empfohlene IWF-Politik besteht nach wie vor darin, die öffentlichen Lohnkosten zu kürzen oder einzufrieren.
Und der IWF weigert sich nach wie vor, progressive Steuern auf das Einkommen und Vermögen der reichsten Einzelpersonen und Unternehmen zu fordern.
Im Jahr 2024 befinden sich nun 54 Länder in einer Schuldenkrise[5] und viele geben mehr für den Schuldendienst aus als für die Finanzierung von Bildung oder Gesundheit. [6]

Die Kriterien der Weltbank für Kredite und Hilfen an die ärmsten Länder entsprechen auch weiterhin der vorherrschenden wirtschaftlichen Auffassung, dass öffentliche Investitionen lediglich dazu dienen, den Privatsektor zu ermutigen, die Aufgabe von Investitionen und Entwicklung zu übernehmen. Die Weltbank-Ökonomen ignorieren die Rolle staatlicher Investitionen und Planung. [7] Stattdessen möchte die Bank „global bestreitbare Märkte schaffen, die Regulierung der Faktor- und Produktmärkte verringern, unproduktive Unternehmen loslassen, den Wettbewerb stärken und die Kapitalmärkte vertiefen“.

Kristalina Georgieva wurde gerade für eine zweite Amtszeit als IWF-Chefin bestätigt. Und sie spricht jetzt von "integrativen" Wirtschaftspolitiken. [8] Sie sagt, sie wolle die „globale Zusammenarbeit verstärken und die wirtschaftliche Ungleichheit verringern“.
Der IWF behauptet, er kümmere sich nun um die negativen Folgen der fiskalischen Sparmaßnahmen und verweist dabei oft darauf, dass die Sozialausgaben durch Bedingungen, die eine Ausgabenuntergrenze vorschreiben, vor Kürzungen geschützt werden sollten.

Eine Oxfam-Analyse von siebzehn aktuellen IWF-Programmen[9] ergab jedoch, dass der IWF diese Länder dazu ermutigte, für jeden Dollar, den sie für den Sozialschutz ausgeben sollten, vier Dollar durch Sparmaßnahmen einzusparen. Die Analyse kam zu dem Schluss, dass die Untergrenzen für Sozialausgaben „völlig unzureichend, inkonsequent, undurchsichtig und letztlich gescheitert“ seien.

Bis vor kurzem ging der IWF davon aus, dass ein schnelleres Wachstum von einer höheren Produktivität, freiem Kapitalfluss, Globalisierung des internationalen Handels und „Liberalisierung“ der Märkte, einschließlich der Arbeitsmärkte (was eine Schwächung der Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaften bedeutet), abhängt.
Ungleichheit spielte dabei keine Rolle. Dies war die neoliberale Formel für Wirtschaftswachstum. Doch die Erfahrungen mit der Großen Rezession 2008/2009 und dem pandemiebedingten Einbruch 2020 scheinen der Wirtschaftshierarchie des IWF eine ernüchternde Lektion erteilt zu haben. Jetzt leidet die Weltwirtschaft unter „anämischem Wachstum“.

  

 

Der IWF ist also besorgt. Georgieva sagte, der Grund für die Verlangsamung und das niedrige reale BIP-Wachstum in den großen Volkswirtschaften sei die zunehmende Ungleichheit von Vermögen und Einkommen:
„Wir haben die Pflicht, das zu korrigieren, was in den letzten 100 Jahren am schlimmsten falsch gelaufen ist – das Fortbestehen der hohen wirtschaftlichen Ungleichheit. Untersuchungen des IWF zeigen, dass eine geringere Einkommensungleichheit mit einem höheren und nachhaltigeren Wachstum verbunden sein kann.“
Klimawandel, zunehmende Ungleichheit und eine verstärkte geopolitische „Fragmentierung“ bedrohen auch die Weltwirtschaftsordnung und die Stabilität des sozialen Gefüges des Kapitalismus.[10]

Während der langen Depression der 2010er Jahre hat sich die Globalisierung entlang geopolitischer Linien fragmentiert – im Jahr 2023 wurden rund 3.000 handelsbeschränkende Maßnahmen verhängt, fast dreimal so viele wie 2019. Georgieva ist besorgt: „Die geoökonomische Fragmentierung verschärft sich, da die Länder Handels- und Kapitalströme verlagern. Die Klimarisiken nehmen zu und wirken sich bereits auf die Wirtschaftsleistung aus, von der landwirtschaftlichen Produktivität über die Zuverlässigkeit des Transports bis hin zur Verfügbarkeit und den Kosten von Versicherungen. Diese Risiken könnten Regionen mit dem größten demografischen Potenzial, wie z. B. Subsahara-Afrika, zurückwerfen.“

Unterdessen belasten höhere Zinssätze und Kosten für den Schuldendienst die Staatshaushalte, sodass den Ländern weniger Spielraum bleibt, um grundlegende Dienstleistungen bereitzustellen und in Menschen und Infrastruktur zu investieren.

Deshalb strebt Georgieva für ihre neue fünfjährige Amtszeit einen neuen IWF- Ansatz an. [11]Das bisherige neoliberale Modell für Wachstum und Wohlstand muss durch ein „integratives Wachstum“ ersetzt werden, das darauf abzielt, Ungleichheiten abzubauen und nicht nur das reale BIP zu steigern. Die wichtigsten Themen sollten jetzt „Inklusion, Nachhaltigkeit und globale Governance sein, wobei der Schwerpunkt auf der Beseitigung von Armut und Hunger liegt.“

Aber können der IWF oder die Weltbank wirklich etwas ändern, selbst wenn Georgieva dies möchte, solange die USA und ihre Verbündeten diese Institutionen kontrollieren?

Die Bedingungen für IWF-Kredite haben sich kaum geändert. Es gibt vielleicht einen gewissen Schuldenerlass (d. h. eine gewisse Umstrukturierung bestehender Kredite), aber keine Streichung von belastenden Schulden. Was die Zinssätze für diese Kredite betrifft, so verhängt der IWF tatsächlich versteckte zusätzliche Strafzinsen für sehr arme Länder, die ihren Rückzahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können! NAchdem es immer mehr Proteste gegen diese Strafen gab, wurden diese Sätze gesenkt (nicht abgeschaftt), wodurch die Kosten für die Schuldner um (nur) 1,2 Mird. US-Dollar pro Jahr gesenkt wurden.

Christine Lagarde, die Leiterin der Europäischen Zentralbank (EZB), war die vorherige IWF-Chefin. Sie hielt im vergangenen Frühjahr eine wichtige Grundsatzrede vor dem US-amerikanischen Council of Foreign Relations in New York. Lagarde sprach nostalgisch über die Zeit nach 1990 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die angeblich eine neue Blütezeit der globalen Dominanz der USA und ihrer „Allianz der Willigen“ einläutete.

"In der Zeit nach dem Kalten Krieg profitierte die Welt von einem bemerkenswert günstigen geopolitischen Umfeld. Unter der hegemonialen Führung der Vereinigten Staaten blühten regelbasierte internationale Institutionen auf und der Welthandel expandierte. Dies führte zu einer Vertiefung der globalen Wertschöpfungsketten und, als China der Weltwirtschaft beitrat, zu einer massiven Zunahme des globalen Arbeitskräfteangebots."

Dies waren die Tage der Globalisierungswelle mit steigenden Handels- und Kapitalströmen; der Vorherrschaft von Bretton-Woods-Institutionen wie dem IWF und der Weltbank, die die Kreditbedingungen diktierten; und vor allem der Erwartung, dass China nach seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 in den imperialistischen Block aufgenommen werden würde.

Doch es kam anders als erwartet. Die Globalisierungswelle fand nach der Großen Rezession ein jähes Ende und China spielte bei der Öffnung seiner Wirtschaft für die multinationalen Unternehmen des Westens nicht mit. [12]
Dies zwang die USA dazu, ihre China-Politik von „Engagement“ auf „Eindämmung“ umzustellen – und das mit zunhemneder Intensität in den letzten Jahren. Und dann kam die erneute Entschlossenheit der USA und ihrer europäischen Satelliten, ihre Kontrolle nach Osten auszuweiten und so sicherzustellen, dass Russland bei dem Versuch scheitert, die Kontrolle über seine Grenzländer auszuüben, und Russland als Gegenkraft zum imperialistischen Block dauerhaft zu schwächen. Dies führte zur russischen Invasion in der Ukraine.

Dies leitet über zum Aufstieg des BRICS-Länderblocks. BRICS ist die Abkürzung für Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die ursprünglichen Mitglieder. Jetzt wird in Kasan das erste Treffen von BRICS-plus mit seinen neuen Mitgliedern stattfinden: Iran, Ägypten, Äthiopien, die Vereinigten Arabischen Emirate (und vielleicht Saudi-Arabien).

Unter Linken wird viel optimistisch darüber gesprochen, dass das Entstehen der BRICS-Gruppe das Gleichgewicht der wirtschaftlichen und politischen Kräfte weltweit verändern wird. Es stimmt, dass das BIP der fünf BRICS-Staaten zusammen genommen 13] inzwischen größer ist als das der G7-Staaten, wenn man die Kaufkraftparität zugrunde legt (ein Maß dafür, was man mit dem BIP im Inland an Waren und Dienstleistungen kaufen kann).
Und wenn man die neuen Mitglieder hinzurechnet, wird der Abstand noch größer.

Aber es gibt auch Einschränkungen. Erstens ist es innerhalb der BRICS China, das den Großteil des BRICS-BIP erwirtschaftet (mit einem Anteil von 17,6 Prozent am globalen BIP), gefolgt von Indien mit großem Abstand (7 Prozent); während Russland (3,1 Prozent), Brasilien (2,4 Prozent) und Südafrika (0,6 Prozent) zusammen nur 6,1 Prozent des Welt-BIP ausmachen.
Die BRICS verfügen nicht über eine gleichmäßig verteilte Wirtschaftskraft. Und wenn wir das BIP pro Person messen, sind die BRICS-Staaten wenig auffällig.
Selbst bei Verwendung von KKP-bereinigten internationalen Dollar beträgt das Pro-Kopf-BIP der Vereinigten Staaten 80.035 US-Dollar, mehr als das Dreifache des BIP Chinas, das 23.382 US-Dollar beträgt.

Die BRICS+-Gruppe wird zunächst eine viel kleinere und schwächere Wirtschaftsmacht bleiben als der imperialistische G7-Block.
Darüber hinaus sind die BRICS-Staaten in Bezug auf Bevölkerung, Pro-Kopf-BIP, geografische Lage und Handelsstruktur sehr unterschiedlich.
Und die herrschenden Eliten in diesen Ländern liegen oft im Streit (Brasilien gegen Russland, Iran gegen Saudi-Arabien, China gegen Indien- wobei das aktuelle BRICS-Treffen Anlass zu einer Lösung des Grenzkonfliktes war).
Im Gegensatz zur G7, die zunehmend homogene wirtschaftliche Ziele unter der festen hegemonialen Kontrolle der USA verfolgt, ist die BRICS-Gruppe in Bezug auf Wohlstand und Einkommen uneinheitlich und hat keine einheitlichen wirtschaftlichen Ziele – außer vielleicht dem Versuch, sich von der wirtschaftlichen Dominanz der USA und insbesondere des US-Dollars zu lösen.

Und selbst dieses Ziel wird schwer zu erreichen sein. Die wirtschaftliche Dominanz der USA ist weltweit zwar relativ zurückgegangen und auch der Dollar hat an Bedeutung verloren, doch ist der Dollar nach wie vor die mit Abstand wichtigste Währung für Handel, Investitionen und nationale Reserven. [14]
Etwa die Hälfte des gesamten Welthandels wird in Dollar abgerechnet, und dieser Anteil hat sich kaum verändert.
Der US-Dollar war an fast 90 % der weltweiten Devisentransaktionen beteiligt und ist damit die am meisten gehandelte Währung auf dem Devisenmarkt.
Etwa die Hälfte aller grenzüberschreitenden Kredite, internationalen Schuldverschreibungen und Handelsrechnungen lauten auf US-Dollar, während etwa 40 Prozent der SWIFT-Nachrichten und 60 Prozent der weltweiten Devisenreserven in Dollar angegeben sind.

 

Der chinesische Yuan gewinnt weiterhin allmählich an Wert und der Anteil des Renminbi am weltweiten Devisenumsatz ist von weniger als 1 % vor 20 Jahren auf jetzt mehr als 7 % gestiegen. Aber die chinesische Währung macht immer noch nur 3 Prozent der globalen Devisenreserven aus, gegenüber 1 Prozent im Jahr 2017. Und China scheint den Dollar-Anteil seiner Reserven in den letzten zehn Jahren nicht verändert zu haben.


"Kurz gesagt, Länder/Unternehmen/Institutionen, die sich für eine Ent-Dollarisierung einsetzen, tragen entweder erhebliche Kosten und Risiken oder laufen Gefahr, diese zu tragen. Im Gegensatz dazu gibt es keine entsprechenden unmittelbaren Vorteile durch die Abkehr vom Dollar. Daher wird die große Mehrheit der Länder/Unternehmen/Institutionen nicht auf den Dollar verzichten, es sei denn, sie werden dazu gezwungen. Der Dollar kann daher nicht als internationale Währungseinheit ersetzt werden, ohne dass sich die globale internationale Situation grundlegend ändert, wofür die objektiven internationalen Bedingungen noch nicht gegeben sind."[15]

Darüber hinaus sind multilaterale Institutionen, die eine Alternative zu den bestehenden (von den imperialistischen Volkswirtschaften kontrollierten) Institutionen IWF und Weltbank darstellen könnten, immer noch winzig und schwach. Zum Beispiel gibt es die 2015 in Shanghai gegründete Neue Entwicklungsbank der BRICS-Staaten. Die NDB wird von der ehemaligen linken Präsidentin Brasiliens, Dilma, geleitet. Es wird viel darüber geredet, dass die NDB den imperialistischen Institutionen IWF und Weltbank einen Gegenpol in Sachen Kredit bieten kann. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ein ehemaliger Beamter der South African Reserve Bank (SARB) kommentierte: „Die Vorstellung, dass BRICS-Initiativen, von denen die NDB bisher die bekannteste ist, die vom Westen dominierten multilateralen Finanzinstitutionen ersetzen werden, ist ein Wunschtraum.“

Und wie Patrick Bond es kürzlich ausdrückte: "Die Rolle der BRICS in der globalen Finanzwelt, die sich verbal links und in der Praxis rechts positioniert, zeigt sich nicht nur in der energischen finanziellen Unterstützung des Internationalen Währungsfonds in den 2010er Jahren, sondern auch in der Entscheidung der BRICS New Development Bank – angeblich eine Alternative zur Weltbank – Anfang März ihr russisches Portfolio einzufrieren, da sie sonst ihr westliches Kreditrating von AA+ nicht beibehalten hätte. Und Russland ist zu 20 % Anteilseigner der NDB.

Die BRICS sind ein Sammelsurium von Nationen mit Regierungen, die keine internationalistische Perspektive haben, schon gar nicht eine, die auf dem Internationalismus der Arbeiterklasse basiert, und die von autokratischen Regimen geführt werden, in denen die arbeitende Bevölkerung wenig oder gar nichts zu sagen hat, oder von Regierungen, die immer noch stark an die Interessen des imperialistischen Blocks gebunden sind.

Kehren wir zu Bretton Woods und Roosevelts Prophezeiung zurück. Viele moderne Keynesianer halten das Bretton-Woods-Abkommen für einen der größten Erfolge der keynesianischen Politik, da es die Art von globaler Zusammenarbeit ermöglicht, die die Weltwirtschaft braucht, um aus der aktuellen Depression herauszukommen. Es ist nämlich erforderlich, dass sich alle großen Volkswirtschaften der Welt zusammensetzen, um ein neues Handels- und Währungsabkommen mit Regeln auszuarbeiten, die sicherstellen, dass alle Länder zum Wohle der Weltgemeinschaft handeln.
Zwei Keynsianer der Demokratischen Partei in den USA waren kürzlich der Meinung, dass „eine andere Art von Weltanschauung noch nie so klar war. Dies zeigt ein Blick auf eines der Probleme unserer Zeit, vom Klima über Ungleichheit bis hin zur sozialen Ausgrenzung ... Die Gestaltung eines neuen globalen Wirtschaftsrahmens erfordert ein globales Gespräch.“

Das ist in der Tat richtig, aber ist das in einer Welt, die von einem imperialistischen Block kontrolliert wird, der von einem zunehmend protektionistischen und militaristischen Regime (mit Trump am Horizont) angeführt wird, wirklich möglich? Kann ein loses Bündnis von Regierungen, die oft ihre eigenen Völker ausbeuten und unterdrücken, Widerstand leisten? In einer solchen Situation sind Hoffnungen auf eine neue koordinierte Weltordnung in den Bereichen globales Geld, Handel und Finanzen ausgeschlossen. Ein neues und faires „Bretton Woods“ wird es im 21. Jahrhundert nicht geben – im Gegenteil.

Zurück zu Lagarde: „Der wichtigste Faktor, der die internationale Währungsnutzung beeinflusst, ist die ‚Stärke der Fundamentaldaten‘.
Mit anderen Worten:
Einerseits der Trend zur Schwächung der Volkswirtschaften im imperialistischen  Block, die im weiteren Verlauf des Jahrzehnts mit sehr langsamem Wachstum und Einbrüchen konfrontiert sind, [16] und andererseits die anhaltende Expansion Chinas und sogar Indiens.
Das bedeutet, dass die starke militärische und finanzielle Dominanz der USA und ihrer Verbündeten auf den Hühnerbeinen einer relativ schlechten Produktivität, Investition und Rentabilität steht. Das ist ein Rezept für globale Fragmentierung und Konflikte.

 

[1] https://brics-russia2024.ru/en/summit

[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Bretton_Woods_Conference

[3] https://thenextrecession.wordpress.com/2016/04/23/keynes-and-bretton-woods-70-years-later

[4] https://actionaid.org/publications/2021/public-versus-austerity-why-public-sector-wage-bill-constraints-must-end

[5] https://debtjustice.org.uk/countries-in-crisis

[6] https://thenextrecession.wordpress.com/2024/08/14/bangladesh-the-global-south-debt-crisis-intensifies

[7] https://www.worldbank.org/en/publication/wdr2024

[8] https://thenextrecession.wordpress.com/2024/04/30/inclusive-economics-and-the-imf

[9] https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/handle/10546/621495/bp-imf-social-spending-floors-130423-en.pdf?sequence=4&isAllowed

[10] https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2024/02/26/how-the-g20-can-build-on-the-world-economys-recent-resilience?s=09

[11] https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2024/02/26/how-the-g20-can-build-on-the-world-economys-recent-resilience?s=09

[12] https://thenextrecession.wordpress.com/2022/04/27/has-globalisation-ended

[13] https://theprint.in/economy/led-by-china-india-the-5-brics-nations-now-contribute-more-to-world-gdp-than-industrialised-g7/1490881

[14] https://thenextrecession.wordpress.com/2023/04/22/a-multipolar-world-and-the-dollar

[15] John Ross ist Senior Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies der Renmin University of China

 https://mronline.org/2024/06/18/what-is-the-realistic-strategy-for-de-dollarisation

[16] https://www.worldbank.org/en/research/publication/long-term-growth-prospects

 

De-Dollarisierung und BRICS-Gipfel (II/III)

ISW München - Do, 07/11/2024 - 10:59

Die Teilnehmer des BRICS-Gipfeltreffens im russischen Kasan vom 22. bis 24. 10. 2024 bekräftigten, am alten Ziel festzuhalten.
Sie wollen die Dominanz des US-Dollars im Weltwirtschafts- und globalen Finanzsystem brechen, verstehen sich dabei aber nicht als ein antiwestliches, sondern als ein nichtwestliches Bündnis.

 

Die Experten spekulierten vor dem Treffen, ob es zu konkreten Maßnahmen führen würde. Wenige erwarteten einen Durchbruch. Ein solcher blieb dann auch aus.
Doch Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und die neuen Mitglieder des Bündnisses – Ägypten, Äthiopien, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate – sowie 13 assoziierte Staaten (unter ihnen Kuba und Bolivien) wollen sich aus der Abhängigkeit von westlichen, insbesondere von US-amerikanischen Institutionen lösen und eine eigenständige Finanzarchitektur errichten.
Sie streben seit langem eine Entdollarisierung (De-Dollarisierung) der Weltwirtschaft an.

Daran halten sie fest. Die Bestrebungen stoßen auf die Sympathie vieler Staaten. Mehr als 30 wollen sich dem Diktat des Dollars entziehen und sind interessiert, mit dem BRICS-Bündnis zusammenzuarbeiten, Mitglieder oder Partner zu werden.

Dollarisierung bedeutet, dass der US-Dollar als die Leitwährung im internationalen Handel auftritt und sich andere Währungen unterordnet. Tatsächlich ist er die wichtigste Rechnungs- und Reservewährung der Welt, dominiert als Tauschmittel und Mittel der Wertaufbewahrung den Welthandel, hat in beiden Funktionen die nationalen Währungen weitgehend verdrängt.
Noch immer wird das Rohöl zum überwiegenden Teil in Dollar gehandelt. Will ein Land Öl importieren, muss es Dollar besitzen oder sich beschaffen. Zwar musste der Dollar einen merklichen Verlust seines Ansehens hinnehmen. Sein Anteil an den Weltwährungsreserven ging seit 1970 um 25 Prozent zurück, er beträgt aber immer noch 58 Prozent, der des Euro 20 Prozent. Der Anteil des chinesischen Renminbis (Yuan) hat erst gut 2 Prozent erreicht, obgleich China, gemessen am nominalen Bruttoinlandprodukt hinter den USA die zweite, gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandprodukt sogar die mächtigste Volkswirtschaft der Welt ist und von allen Ländern die größten Devisen – und Goldreserven besitzt. Der Name Renminbi bedeutet „Volkswährung“ oder „Volksgeld“, Er ist der Name für die chinesische Währung im Allgemeinen, nicht aber für die Geldeinheit. Die chinesische Geldeinheit ist der Yuan. Ein Euro entsprach im Herbst 2024 etwa acht Yuan. Die chinesische Zentralbank legt ihre riesigen Überschüsse überwiegend in auf Dollar lautende US-Staatsanleihen an.[1] Andererseits hat China im ersten Quartal 2024 US-Anleihen im Wert von 53,3 Milliarden US-Dollar verkauft, ein historischer Höchststand, der als ein Element der De-Dollarisierung gedeutet werden könnte.

Doch Vorsicht:
Trotz eines Bedeutungsverlustes wird der US-Dollar nach wie vor global als Welt- und Leitwährung akzeptiert.
Mit ihm wird die Hälfte aller internationalen Zahlungen verrechnet und beglichen. Daneben haben mehrere Länder ihre Währungen fest an den US-Dollar gebunden, wie die Bahamas, Barbados, Eritrea, Jordanien, Katar, Libanon, Grenada, Saudi-Arabien u.a. Die Ölförderländer Oman, Saudi-Arabien und Katar haben ihre Währungen mit dem US-Dollar verknüpft, weil die USA ihr wichtigster Handelspartner für Öl ist. Die Zentralbank von Oman hat z. B. den Wert des omanischen Rial auf 2,6008 US-Dollar festgelegt und ihn damit fest mit der US-Währung verbunden. Der Kurs des Rial schwankt wie der des Dollar. Auch die Währung der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong – der Hongkong-Dollar – ist an den US-Dollar gekoppelt, die Währungen von Singapur und Malaysia waren es gewesen. Es gibt sogar Staaten wie die lateinamerikanischen Länder Panama, Ecuador und El Salvador, die den US-Dollar als inländische Hauptwährung eingeführt haben.
 Der Dollar zirkuliert in den nationalen Wirtschaftskreisläufen, wofür die Staaten über entsprechende Dollarreserven verfügen müssen. Länder, in den der US-Dollar die offizielle staatliche Inlandswährung ist, verzichten zwangsläufig auf eine eigene Währungspolitik. In vielen Ländern mit einer schwachen Währung ist eine gute Zweitwährung begehrt und im Umlauf. Inländer und Touristen bevorzugen sie. Als Zweitwährung fungiert meist der US-Dollar, zum Beispiel in Kambodscha, Simbabwe und Liberia, aber auch in Mexiko, in Chile oder in Brasilien und Argentinien, den immerhin achtgrößten Staat der Erde. In Argentinien ist es erlaubt, Verträge in Dollarwährungen abzuschließen und Rechnungen in US-Dollar auszustellen.

In Kuba konnte früher der für Touristen verfügbare konvertible Peso nur gegen Euro getauscht werden. Der US-Dollar wurde dort offiziell nicht akzeptiert. So war es nicht möglich, in den Geschäften und Restaurants in Kuba direkt mit US-Dollar zu bezahlen. Die kubanische Regierung hat die Restriktionen gelockert. Der US-Dollar kann nun offiziell in Kuba verwendet werden. Viele Geschäfte und Anbieter von Dienstleistungen akzeptieren ihn als Zahlungsmittel.

De-Dollarisierung bedeutet, die Dollar-Hegemonie zu beenden, die über Jahrzehnte anhaltende, unangefochtene Dominanz des US-Dollars in den Weltfinanzbeziehungen zu überwinden.
Die Gründe sind leicht einzusehen. Drastische finanzielle Sanktionen, zum Beispiel gegenüber dem Iran oder Russland, zeigen, dass die Weltmacht USA ihre Währung als Waffe gegen unliebsame Staaten einsetzt. Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) benutzen den US-Dollar als Druckmittel gegenüber Nationen, die den USA und ihren westlichen Verbündeten suspekt sind oder die sich in Not befinden.
Russische Banken wurden von internationalen Zahlungstransaktionen abgekoppelt, die Auslandsreserven der russischen Zentralbank eingefroren. Der Westen verweigert den russischen Gläubigern den Zugriff auf ihre Euro- und Dollarguthaben, der Schuldner bricht sein Versprechen, dem ausländischen Inhaber dessen Geld zurückzuzahlen – „eine kalte Enteignung von gut 300 Milliarden Euro“ gegenüber der russischen Zentralbank, sagt Lucas Zeise.[2]  
US-Dollar und Euro werden „militarisiert“. Von den USA und Westeuropa als Waffen missbraucht, untergraben sie das Vertrauen, das die Geld- und Währungssysteme benötigen, um zu funktionieren. Aaron Sahr spricht von einer „monetären Kriegführung“. Er nennt die Abkopplung russischer Banken vom westlichen Nachrichten- und Zahlungsverkehrssystem SWIFT, sich auf das „Handelsblatt“ beziehend, eine „finanzielle Atombombe“.[3] SWIFT ist die Abkürzung für „Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication“. Die 1973 gegründete und in Belgien ansässige Gesellschaft stellt die technischen Mittel zur Verfügung, damit die Geldinstitute über Landesgrenzen hinweg Banküberweisungen und andere Finanztransaktionen wie Wertpapier- und Edelmetallgeschäfte schnell und sicher abwickeln können.
Mehr als 11 000 Teilnehmer in 210 Ländern nutzen nach Angaben von SWIFT den Dienst. Rund die Hälfte des internationalen Zahlungsverkehrs wird in US-Dollar, gut ein Fünftel in Euro abgewickelt. Der Westen schloss Russland aus dem internationalen Finanzsystem aus und zwingt es, Alternativen zu suchen. Der Vorgang besitzt grundsätzliche Bedeutung, die über die geopolitischen Aspekte finanzieller Sanktionen hinausgehen. Welcher Staat sollte weiter Euro- und Dollarguthaben aufbauen, wenn diese von heute auf morgen für nichtig erklärt werden können? Was einigermaßen funktioniert, solange „die USA mehr oder weniger die unumstrittene Hegemonialmacht waren, wird sich in der multipolaren Welt der Gegenwart wahrscheinlich nicht mehr umsetzen lassen“, schreibt Sahr. „Ansprüche gegen das europäische oder US-amerikanische Bankensystem zu halten, könnte von anderen Ländern zunehmend als geostrategisches Sicherheitsrisiko eingeschätzt werden. Sie werden also womöglich, wie es Russland, Indien oder China bereits versuchen, nach alternativen Arrangements zur Abwicklung internationaler Zahlungen suchen.“[4]

In den BRICS-Staaten lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung, im erweiterten Bündnis sogar 70 Prozent. Sie produzieren 35 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts, die G7- Staaten 30 Prozent.

Die Teilnehmerstaaten bekräftigten auf dem 16. Gipfeltreffen in Kasan ihre Intentionen. In ihrer Abschlusserklärung – „Kazan Declaration“ – verurteilen sie die westlichen Sanktionen und sehen Maßnahmen vor, um die wirtschaftliche Kooperation im Bündnis zu fördern und zu stärken. Sie bekennen sich ein weiteres Mal zu der bekannten Absicht, sich vom westlichen, also vom US-Dollar und Euro-zentrierten Finanzsystem zu lösen.

So wollen sie im gegenseitigen Handel und für Kredite verstärkt nationale Währungen nutzen, dabei die Rolle der BRICS-eigenen NEW Development Bank (NDB) stärken sowie analog dem SWIFT-Modell ein grenzüberschreitendes BRICS-Zahlungssystem und einen Clearing-Mechanismus errichten, eine digitale Abwicklungs- und Zahlungsplattform im BRICS-Rahmen.

 


Die NDB soll Kredite zu günstigen Bedingungen in lokalen Währungen ausreichen, um die Infrastruktur zu modernisieren, den Wohnungsbau zu finanzieren und die nationale Produktion der Bündnisländer voranzubringen und zu stärken. Doch konkrete Fortschritte erreichten die Teilnehmer des Gipfeltreffens nicht. In Kasan verabredeten die Mitgliedsländer lediglich zu prüfen, inwieweit eine unabhängige Zahlungs- und Reserveplattform (BRICS-Clear) installiert werden kann. Über den bisherigen Stand kam man nicht hinaus. Es ist daher kaum damit zu rechnen, dass in Bälde ein unabhängiges BRICS-Zahlungssystem errichtet wird, obwohl sich 159 Länder bereiterklärt haben sollen, es zu übernehmen, Länder, die keine guten Beziehungen zu den USA haben und der Ansicht sind, dass die USA das SWIFT-System gegen sie einsetzen.[5] Die geld- und finanzpolitischen Absichtserklärungen waren erwartet worden. Doch Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrates in Russland, dem Oberhaus des russischen Parlaments, hatte vor dem Gipfel gehofft und angekündigt, dass die Festlegungen einschlagen würden wie eine Bombe. Auch einige westliche Journalisten hatten Arges befürchtet. Sie spekulierten, die Teilnehmerstaaten könnten sich zu einer gemeinsamen Währung entschließen, über die sie schon viele Jahre diskutiert hatten. Aber die Teilnehmer des Kasaner Treffens ließen keine „Bombe“ platzen. Weitreichende, schnelle und konkrete Fortschritte blieben aus.
Das Interesse der mächtigen Mitgliedstaaten China und Indien ist zu groß, ihre globalen Geschäfte innerhalb des Dollarraums auszubauen. Ein radikaler Bruch mit dem westlich dominierten Weltfinanzsystem würde das sehr erschweren. Er steht für beide Länder nicht zur Debatte.

Wie könnte es weitergehen?
Sicher ist, dass die Zukunft ungewiss ist. Möglich erscheint Vieles.

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio hatte 2023 vorgeschlagen, eine BRICS-eigene Währung als Alternative zum US-Dollar zu schaffen. Die Vorstellung über eine eigene Währung – das BRICS-Großprojekt – gibt es schon seit längerem. Sie gedieh, ist kein Hirngespinst, aber keineswegs ausgereift. Die denkbare und erwünschte Einheitswährung wurde zunächst unter dem Arbeitstitel R5 diskutiert. Die Landeswährungen der fünf BRICS-Staaten beginnen mit dem Buchstaben R. Brasilien hat den Real, Russland den Rubel, Indien die Rupie, China den Renminbi-Yuan und Südafrika den Rand. Es war vorgeschlagen worden, die Schwäche und Instabilität der fünf Währungen zu beheben, indem die Einheitswährung an das Gold gekoppelt wird. Gold gilt zwar als politisch neutral und als eine wertvolle, sichere Anlage, jedoch ist es unwahrscheinlich, dass es zu einer goldgedeckten BRICS-Währung kommt, auch wenn die Zentralbanken der BRICS-Länder seit Beginn des Jahres 2023 800 Tonnen Gold erworben haben, China allein 225 Tonnen.[6]
Das Projekt einer gemeinsamen Rechnungseinheit wurde auch unter dem Namen UNIT (United New International Trade) diskutiert. UNIT sollte vergleichbar sein mit dem transferablen Rubel des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Die Überlegungen gingen davon aus, den Wert der gemeinsamen Rechnungseinheit zu 40 Prozent an den Wert des Goldes und zu 60 Prozent an einen Korb nationaler Währungen der BRICS-Länder zu binden. Der Vorteil wäre, dass die Rechnungseinheit, die in jede nationale Währung umgewandelt werden kann, liquider und praktikabler ist als jede von ihnen. Doch das Projekt der gemeinsamen Währung und Rechnungseinheit wurde auf dem Gipfel nicht weiter verfolgt. Offenbar setzen die Teilnehmer zunächst auf die stärkere Nutzung ihrer nationalen Währungen im gegenseitigen Handel und Kapitalverkehr, um den Dollar aus dem Zahlungsverkehr zwischen ihnen zu verbannen, ohne die Hoffnung auf eine gemeinsame Währung gänzlich aufzugeben.[7] „Banken, Zentralbanken und die Entwicklungsbanken sollen demnach enger zusammenrücken und den Zahlungsverkehr untereinander verstärkt in den Landungswährungen regeln. ‚Eine dringende Aufgabe besteht darin, die Verwendung nationaler Währungen zur Finanzierung von Handel und Investitionen zu fördern‘, fasste Putin auf der Gipfelsitzung im erweiterten Rahmen das Anliegen der Teilnehmer zusammen.“[8] Neue praktische Schritte, eine eigene Währung zu etablieren, unterblieben in Kasan. Lucas Zeise hat recht, dass es schwer ist, eine Währung per Dekret oder Beschluss aus dem Boden zu stampfen, die überall akzeptiert wird.[9] Statt sich auf eine gemeinsame Währung zu einigen, ist zu erwarten, dass die BRICS-Staaten vorerst ein Netzwerk bilateraler und minilateraler Institutionen wie etwa Swap-Linien, Clearing-Banken und Zahlungsinfrastrukturen schaffen, die Transaktionen in lokaler Währung erleichtern und die „Ent-Dollarisierung“ auf andere Weise voranbringen.[10]

 


Es ist davon auszugehen, dass die aktuelle Dollar-Dominanz für eine absehbare Zeit erhalten bleibt, sich aber weiter abschwächen könnte.
Der Dollar wird die internationale Leitwährung bleiben, muss aber weiter verstärkt um seine unangefochtene Position bangen.



Der Euro und der chinesische Renminbi werden wie bereits heute ihren Einfluss in der Nachbarschaft der Eurozone behaupten, aber auf globaler Ebene die Rolle des US-Dollar als internationale Währung erst einmal nicht ernsthaft gefährden.
China wickelt beispielsweise mit dem von westlichen Finanzsanktionen betroffenen Iran Ölexporte in seiner Landeswährung Renminbi ab. Auch mit anderen Staaten ist das denkbar. Erleichtert würde die stärkere internationale Verwendung der chinesischen Währung, wäre sie vollständig konvertibel. Weshalb aber sollte Saudi-Arabien z. B. einen nichtkonvertiblen Renminbi akzeptieren, wenn der Bedarf an chinesischen Gütern überschaubar ist, und warum sollte das Indien tun, das sein Öl aus dem Ausland mit Rupien bezahlen darf?
Solange die BRICS-Staaten starke Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit den Ländern des Dollar-Raums unterhalten, erscheint es realistisch, dass der US-Dollar für viele Länder auch weiterhin das geeignete Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung bleiben wird, solange er uneingeschränkt international konvertibel ist und jederzeit gewinnbringend angelegt werden kann, sei es als Direktinvestitionen, Aktien oder Kredite.

Mittel- und langfristig kann nicht ausgeschlossen werden, dass mehrere gegeneinander konkurrierende Währungsblöcke entstehen und sich festigen. Ein Renminbi-Block könnte sich als Gegengewicht zum Dollarblock bilden. Das Szenario stimmt überein mit den Bekundungen der BRICS-Staaten, den Einfluss des US-Dollars in den weltwirtschaftlichen Beziehungen zurückzudrängen.
 Dagegen spricht momentan noch, dass China fest in das globale Dollarsystem eingebunden ist. Sein exportgetriebenes Wachstum baut auf die Nachfrage aus den USA. Ein Ausbrechen aus dem Dollarraum hätte negative Folgen für die chinesische Wirtschaft. Insgesamt führen die unterschiedlichen Interessen der BRICS-Mitgliedsländer, insbesondere die speziellen Chinas, des wirtschaftlich mächtigsten Landes unter ihnen, dazu, dass eine finale De-Dollarisierung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.
Doch langfristig ist es möglich, dass sich ein eigenes BRICS-Währungssystem mit einer elektronischen Währung durchsetzen kann und den US-Dollar als Transaktionseinheit des internationalen Handels weiter zurückdrängt.[11]

Trotz magerer Ergebnisse in Kasan, ist die Brics-Gruppe „eine ernstzunehmende Herausforderung für den Westen“, sagt Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF).
„Der muss erst lernen, wie er damit umgehen will. Eine Totalkonfrontation ist kein taugliches Rezept. Aber will man nicht einfach zusehen, wie der eigene weltweite Einfluss schwindet […], bräuchte es erheblich mehr westliche Einigkeit und Entschlossenheit. Und eine verlässliche Führungsmacht, welche die politisch volatilen USA nicht mehr vollumfänglich sind.“[12]

 

[1] Lucas Zeise, Kampf um den US-Dollar, in: junge Welt, Beilage „Welt im Umbruch“, 23. 10. 2024, S. 5.

[2] ebenda

[3] Aaron Sahr, Waffenfähige Ansprüche. Zur Militarisierung des Geldes im Ukrainekrieg, in: Aaron Sahr (Hrsg.), Geldpolitik im Umbruch, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe, Band 11064, Bonn 2024, S. 197 f., 201.

[4] Ebenda, S. 112.

[5] https://krypto-guru.de/news/brics-zahlungssystem-de-dollarisierung/, 30.10.2024.

[6] https://www.kettner-edelmetalle.de/news/brics-staaten-setzen-auf-gold-us-dollar-reserven-auf-historischem-tiefstand-04-10-2024, 03.11.2024.

[7] „Wir werden uns trotzdem einer Lösung nähern“, hatte Putin noch auf dem vorangegangen Gipfel 2023 per Videoschalte in Johannesburg trotzig-forsch erklärt. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/brics-waehrung-dollar-alternative-1.6171793, 31.10.2024. In Kasan war von einer gemeinsamen BRICS-Währung als Alternative zum US-Dollar keine Rede mehr.

[8] https://finanzmarktwelt.de/brics-gemeinsame-waehrung-bleibt-fata-morgana-327579/, 03.11.2024.

[9] Lucas Zeise, a.a.O.

[10] https://www.faz.net/pro/weltwirtschaft/finanzwelt/globales-finanzsystem-die-brics-schleichen-sich-vom-dollar-davon-110074298.html, 03.11.2024.

[11] Wolfgang Elsner, Gefährlicher Machtverlust, in: junge Welt, Beilage „Welt im Umbruch“, 23.10.2014, S.8.

[12] https://www.srf.ch/news/international/gipfel-in-russland-brics-staaten-einig-ueber-wenig-aber-geeint-gegen-den-westen, 31.10.2024.

Der BRICS-Gipfel sollte das Ende der neokonservativen Wahnvorstellungen markieren

acTVism - Do, 07/11/2024 - 10:51

Der BRICS-Gipfel sollte das Ende der neokonservativen Wahnvorstellungen markieren

Der Beitrag Der BRICS-Gipfel sollte das Ende der neokonservativen Wahnvorstellungen markieren erschien zuerst auf acTVism.

XVI. BRICS-Gipfel vom 22. bis 24. Oktober 2024 in Kasan/Russland. Welcher Stellenwert ist ihm zuzumessen?

ISW München - Do, 07/11/2024 - 10:47

Viele Berichterstattungen der westlichen, selbsternannten „Qualitäts“-Medien lassen  als alleinige Informationsquelle nur ein Ergebnis zu:
Der XVI. BRICS-Gipfel in Kasan war eine reine inszenierte Putin-Show.

 

 

Folgt man einer derartigen Bewertung, so liegt der Eindruck nahe, dass es bei der Einschätzung des Treffens auch darum gehen sollte, BRICS als seit 2009[1] bestehender nicht-westlicher Staatenverbund insgesamt zu diskreditieren. Und schlimmstenfalls bot sich der Gipfel sogar noch an, ein zusätzliches Feindbild für den Westen zu konstruieren.
Dies alles erfolgte entweder aus Arroganz oder Ignoranz gegenüber den sich global - geoökonomisch wie geopolitisch - vollziehenden grundlegenden Wandlungen staatlicher Kooperation in Richtung auf eine eher multipolar verfasste Weltordnung.

Indessen  kommt aber gerade diesem XVI., turnusmäßig in Russland durchgeführten Staaten-Gipfel zumindest in dreierlei Hinsicht eine besondere Bedeutung in der bisherigen,  erst jungen Geschichte des BRICS-Staatenverbundes zu:
Zum einen repräsentiert er dessen eigenes, quantitativ gewachsenes Gewicht,

zum zweiten stellt er wichtige Weichen für Ausmaß und Tempo seines weiteren Wirkens für eine sich an der Multipolarität ausrichtende internationale Ordnung und

zum dritten sucht er sich qualitativ neu heranreifenden Inner-BRICS-Entwicklungserfordernissen zu stellen.

Bevor aber auf diesen Gipfel näher eingegangen wird, sollen erst einmal noch die objektiven Grundlagen für das Entstehen und erklärte Streben des BRICS-Staatenverbundes nach einer multipolaren Weltordnung kurz in Erinnerung gerufen werden.

Eine Antwort auf sich verfestigende transatlantische Unipolaritätsbestrebungen

Dass sich BRICS überhaupt formiert hat, steht zweifellos im Zusammenhang mit dem von den USA – berauscht vom Triumpf über den zusammengebrochenen Ostblock - seit Ende der 1990er Jahre eingeschlagenen Kurs zur rigorosen Durchsetzung ihres alleinigen Hegemonieanspruchs in der Welt.
Gemeint sind dabei in erster Linie folgende Ereignisse: 1998 der NATO-Ost-Erweiterungsbeschluss; 1999 der völkerrechtswidrige Krieg gegen Serbien, dem danach noch eine Reihe weiterer derartiger Kriege gefolgt sind sowie im Jahr 2000 die Verabschiedung der Militärdoktrin „Full Spectrum Dominance“.
Währenddessen begannen sich mit dem etwa zeitgleich erfolgenden wirtschaftlichen Aufschwung von Schwellenländern, insbesondere dem Aufstieg Chinas von einem Entwicklungsland zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht in der Welt, die internationalen Koordinaten in Richtung Multipolarität zu verschieben. Das beschreibt einen Trend, der sich seither sukzessive immer weiter verstärkt hat. Und mittlerweile sieht sich eine wachsende Zahl von Staaten, insbesondere des globalen Südens, ermutigt, ihre nationalen Interessen stärker in den internationalen Beziehungen einzubringen und wirken zu lassen. Das geschieht, Indem sie gegenüber den USA undanderen westlichen Ländern selbstbewusster auftreten und ihre außenwirtschaftlichen wie außenpolitischen Beziehungen deutlich multi-vektoraler zu gestalten suchen.

Wenn man so will, hat der Westen mit seinem Beharren auf die alleinige Hegemonie selbst dazu beigetragen, das allmähliche Ende des Zeitalters globaler euroatlantischer Vorherrschaft über die südliche Hemisphäre einzuläuten.
Umso mehr sollten USA- und andere westliche Politiker doch eigentlich auch daran interessiert sein, „ein echtes multipolares System zu schaffen, das auf der gegenseitigen Anerkennung der Kerninteressen jeder Nation beruht“[2], anstatt sich mit allen verfügbaren Mitteln einer weiteren Multipolarisierung der internationalen Ordnung entgegenzustellen. Der BRICS-Staatenverbund versteht sich weder als ausdrücklich anti-amerikanisch oder anti-westlich. Ebenso strebt er nicht danach, sich als nichtwestliches Pendant in der Art einer elitären Steuerungsgruppe fungierenden westlichen G-7 profilieren zu wollen.

Zudem lassen sich noch gewichtige Fakten und Zahlen benennen, die auch im Vergleich zu der G-7 durchaus zugunsten von BRICS zu Buche schlagen. So entfielen auf die G-7 zum Zeitpunkt ihrer Formierung Mitte der 1970er Jahre noch 70 Prozent des Weltbruttosozialprodukts, während sich dieser Anteil inzwischen nahezu halbiert hat.
BRICS steht inzwischen für 39 Prozent der weltweiten Industrieproduktion, im Vergleich zum Anteil der G-7, der noch   31 Prozent beträgt.  Bei der Weltweizenproduktion zeigt sich ein s Verhältnis von 44 Prozent zu 19 Prozent zugunsten Von BRICS.[3]
Überdies repräsentiert BRICS mittlerweile bereits fast die Hälfte der Weltbevölkerung, die G-7 hingegen lediglich etwa ein Zehntel. In der Rangfolge der weltstärksten Wirtschaftsmächte belegen die BRICS-Mitglieder China den zweiten und Indien den fünften Platz und zudem übertrifft Brasiliens Wirtschaft die von Italien und Kanada zusammengenommen.

Dies alles ignorieren zu wollen und stattdessen jene Staaten, die ihre eigenen Entwicklungsinteressen befolgen, der westlichen Hegemonie unterzuordnen versuchen, widerspricht zunächst Buchstaben und Geist der UN-Charta. Darüber hinaus sieht sich BRICS dadurch in seinem Ansinnen gestärkt, auf ein demokratischeres und gerechteres internationales System hinzuwirken.
Der BRICS-Verbund kann sich zunehmender Unterstützung erfreuen, wovon allein das große Interesse eines immer breiteren Kreises von Ländern zeugt, die an einer Mitwirkung in dessen Reihen Interesse bekunden. Da die USA, so die Feststellung in einem Artikel der US-amerikanischen Foreign Affairs vom 24. September 2024 immer weniger in der Lage seien, die globale Ordnung einseitig zu gestalten, versuchten viele Länder, ihre eigene Autonomie zu stärken, indem sie sich alternativen Machtzentren zuwendeten. Und dabei würden die BRICS - Länder als die bedeutendsten, relevantesten und potenziell einflussreichsten hervorstechen.[4]

 

Die Erweiterung um neue Mitglieder

Mit der auf dem XV. Gipfel 2023 in Johannesburg/Südafrika beschlossenen Aufnahme von Ägypten, Äthiopien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate (VAE) als neue Mitglieder[5] fungiert BRICS nunmehr als BRICS Plus, als ein Verbund von neun Staaten.  
Saudi-Arabien, welchem gleichfalls eine Mitgliedschaft angeboten worden war, beteiligte sich bislang als eingeladenes, aber nicht formell beigetretenes Mitglied an den verschiedensten Aktivitäten und Programmen. Gemäß der Aussage seines Außenministers wolle es „seine Partnerschaft mit der BRICS-Gruppe weiterhin stärken und die Horizonte der Kooperation in allen Feldern ausbauen, in einer Weise, um Entwicklung und Prosperität auf der internationalen Ebene zu erreichen“[6].

Zwischen quantitativem Wachstum und qualitativ neuen Erfordernissen

Was den jüngsten, den XVI. Gipfel, betrifft, so war er unter das Motto gestellt
„Stärkung des Multilateralismus für eine gerechte globale Entwicklung und Sicherheit“.

Am hervorstechendsten war zweifellos, daß es sich bei diesem um den ersten Gipfel in der quantitativ erweiterten BRICS-Struktur handelte und damit in Kasan erstmalig die Vertreter des nunmehr neun Staaten umfassenden Verbundes auf höchster Ebene persönlich versammelt waren und gemeinsam debattierten.

Beim Gipfel waren insgesamt Delegationen aus 35 Staaten anwesend, 22 davon vertreten durch die Staats- bzw. Regierungschefs, zudem Spitzenvertreter von sechs internationalen Organisationen, darunter die UNO mit ihrem Generalsekretär Antonio Guterres.

Den organisatorischen Rahmen bildeten zwei Formate, die von einer Vielzahl bilateraler Gespräche begleitet wurden. Das eine Format betraf die Beratung im Kreis der neun Vollmitglieder, das andere, „BRICS Plus/Outreach“ war ein Treffen zum Thema „BRICS und der Globale Süden – gemeinsam eine bessere Welt errichten“.

Die Veranstaltungen um BRICS

Dem Gipfeltreffen vorausgegangen waren rund 200 vielfältigste Veranstaltungen, die sich auf 13 russische Städte unter dem BRICS-Logo verteilten.  So erfolgte etwa ein Treffen der BRICS-Außenminister am 10. Juni d.J. in Nishni Nowgorod mit dem Ergebnis einer verabschiedeten 54 Punkte umfassenden „Gemeinsamen Erklärung“; unter den Teilnehmern Saudi-Arabien. Im gleichen Monat fanden in Kasan die 27 Sportarten umfassenden „BRICS-Sportspiele“ statt, ebenso der BRICS-Politische Parteien Dialog in Wladiwostok, im Juli der BRICS-Jugend-Gipfel in Uljanowsk sowie das BRICS-Parlamentarische Forum in St. Petersburg.

Beim Treffen der Vollmitglieder standen als Fortsetzung vorausgegangener Gipfel insbesondere zwei Problemkomplexe im Mittelpunkt der Debatte:
Zum einen ging es um eine tiefere finanzielle Kooperation innerhalb des BRICS Plus-Verbundes. Sich zu einer vertieften Partnerschaft im finanziellen Bereich bekennend, sollen zum einen die Kommunikationen zwischen den jeweiligen Banken verstärkt sowie ein Mechanismus für ein gegenüber äußeren Risiken immunes Bezahlsystem auf der Basis nationaler Währungen entwickelt werden.
Zu einem weiteren erfolgte die Beratung zur weiteren quantitativen Erweiterung der Gemeinschaft. Es ging vor alle darum, wie damit umzugehen sei, dass über 30 Länder in der einen oder anderen Form ihr Interesse an einer Mitwirkung in BRICS anmeldeten, gleichzeitig aber sicherzustellen sei, dass die Effektivität des BRICS-Mechanismus beibehalten wird.  würde. Bereits in Johannesburg hatten sich die damaligen fünf Mitglieder darauf geeinigt, Modalitäten für eine neue Kategorie – und zwar die von Partnerstaaten – auszuarbeiten.[7]
 Zum damaligen Zeitpunkt waren noch explizit Einladungen zu unmittelbarer Vollmitgliedschaft ausgesprochen worden, während es nun um einen möglichen Status einer BRICS-Partnerschaft ging.  Manche sprechen deshalb auch von einer Art Kandidatenstatus. Laut einer bislang nicht autorisierten Liste ist zunächst von 13 Staaten[8] auszugehen, die nahezu über den gesamten Globus, einschließlich Europa, verteilt sind. Jedoch ist dabei eine deutliche Präferenz des zentralasiatisch-/südostasiatischen Raumes zu erkennen sowie das bekundete Interesse weiterer Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit.
Und das geschieht ganz offensichtlich in Übereinstimmung mit dem von BRICS postulierten Prinzip des Respekts gegenüber der religiös-kulturellen und traditionellen Vielfalt.
Außer den drei neueren Vollmitgliedern – Ägypten, Iran, VAE – kämen nun noch weitere partnerschaftlich assoziierte Staaten hinzu, wie beispielsweise Algerien, Indonesien, Malaysia, Usbekistan sowie die Türkei. Deren Assoziierung scheint allerdings wegen ihrer NATO-Mitgliedschaft durchaus nicht unumstritten zu sein.

BRICS präsentiert sich aber nunmehr in Gestalt seiner neun Vollmitglieder plus der 13 partnerschaftlich Assoziierten, eingedenk der noch ausstehenden Entscheidung von Saudi-Arabien, wie es endgültig weiter verfahren will – auf dem XVI. Gipfel in Kasan als quantitativ gestärkter transkontinentaler Staatenverbund.

Und damit erhöht sich natürlich auch seine Autorität als eine gewichtige Stimme der globalen Mehrheit in der Welt und insbesondere des globalen Südens.
Gleichwohl lässt sich dies durchaus auch als ein Indikator für eine sich global in Richtung Multipolarität vollziehende Machtverschiebung begreifen.

Hinzu kommt noch ein unbestreitbar zu beobachtendes Faktum, dass sich verschiedene BRICS-Staaten – und dies in bemerkenswertem Gegensatz zu westlichen Zusammenschlüssen wie beispielsweise der G-7 – im Herangehen an bestehende Konflikte und andere Krisen betont bemühen, um Ausgewogenheit und fairen Interessenausgleich durch Dialog und Verhandlungen zu erzielen.
So haben im Ukraine-Konflikt Brasilien und China konkrete Schritte zur Beendigung der Kampfhandlungen und zur Aufnahme von Friedensgesprächen unterbreitet.

Die beiden BRICS-Gründungsmitglieder China und Indien sind erklärtermaßen nun dabei, ihre Grenzstreitigkeiten in der Himalaja-Region am Verhandlungstisch beizulegen; dafür spricht auch, dass sich bei diesem Gipfel nun nach längerer Zeit der chinesische Präsident Xi Jinping und der indische Ministerpräsident Narendra Modi wieder zu einem direkten Gespräch zusammengefunden haben.
Dank chinesischer Vermittlung nähern sich seit Anfang 2023 auch die beiden als Erzfeinde geltenden Golfstaaten Iran und Saudi-Arabien schrittweise weiter an und ein Normalisierungsprozeß scheint sich abzuzeichnen – ungeachtet der weiterhin bestehenden und zu überwindenden Hindernisse;  im Ergebnis ein insgesamt  positiv auf die gesamte Golfregion auszustrahlender Effekt.

Hinsichtlich der Kriege und Konflikte in der Nah- und Mittelostregion treten die BRICS-Staaten entschieden für eine sofortige Beendigung der Kampfhandlungen und die Überwindung der humanitären Notlage sowie die Freilassung aller Geiseln ein.
Während sich die USA und die meisten ihrer westlichen Verbündeten uneingeschränkt an die Seite Israels stellen, treten die Forums-Teilnehmer nachdrücklich für das legitime Recht des palästinensischen Volkes auf nationale Selbstbestimmung ein. Dementsprechend suchen sie nach gangbaren Wegen für eine dauerhafte Friedenslösung, einschließlich der Überwindung der Spaltung innerhalb der palästinensischen Nationalbewegung.  
Wie schon auf dem vorangegangenen Gipfel stand auch in Kasan die ungelöste Palästina-Frage in einem besonderen Fokus, einschließlich einer dezidierten Lagebeschreibung bisheriger Kriegsfolgen in der einstimmig verabschiedeten Abschlusserklärung.

Kazan Declaration

Diese, zugleich mit dem Gipfel-Motto betitelte „Kazan Declaration“[9], ist eine nachdrückliche Bekräftigung des BRICS-Bekenntnisses zu einer, auf dem Völkerrecht und den Prinzipien der UN-Charta basierenden demokratischen, inklusiven, multipolaren Welt.
Manche Analysten bezeichnen die Declaration auch als das „Manifest einer neuen Weltordnung“.[10]
32 Seiten und 134 Einzelpunkte umfassend, ist sie – in der Einleitung speziell das Bekenntnis zur weiteren, auf der Basis gegenseitigen Respekts und Konsenses beruhenden Stärkung des BRICS-Verbundes bekräftigend - in vier inhaltliche Abschnitte gegliedert:
a) Stärkung des Multilateralismus für eine gerechte und demokratische Weltordnung,
b) Stärkung der Kooperation für globale und regionale Stabilität und Sicherheit,
c) Förderung der wirtschaftlichen und finanziellen Kooperation für gerechte globale Entwicklung und
d) Stärkung des Austausches zwischen den Menschen für soziale und ökonomische Entwicklung.

Mit den darin enthaltenen Positionen stellt diese Deklaration ein realistisches, mit einem optimistischen Blick in die Zukunft gewandtes Grundsatzdokument dar.
Oder anders ausgedrückt: Es ist eine Art Kompendium für eine schrittweise Veränderung der gegebenen internationalen Verhältnisse zugunsten einer gleichberechtigteren Teilhabe auch der Länder der nichtwestlichen Welt, insbesondere jenen des globalen Südens an der globalen Governance.
Dies spiegelt sich in einer auffälligen Balance wider zwischen einer Orientierung auf eine Reformierung bestehender, in der Regel westlich dominierter Institutionen, wie z.B. dem IWF auf der einen Seite und auf der anderen einer Etablierung eigener Körperschaften, so in Gestalt der BRICS-eigenen National Development Bank (NDB).
Dies zeigt sich beispielsweise auch darin, dass der WTO die volle Unterstützung zugesagt wird und gleichzeitig die Ankurbelung des Inner-BRICS-Handels wie etwa die Süd-Süd-Kooperation erfolgen soll.

 

 

Als eine Zusammenfassung der unter den vier Abschnitten der Declaration subsummierten und vom Bekenntnis zum Multilateralismus geleiteten Grundsätzen bieten sich insbesondere die folgenden Erkenntnisse an:

  • Anerkennung der zentralen Rolle der UNO im internationalen System auf der Grundlage der in ihrer Charta verankerten Grundprinzipien bei gleichzeitigem Eintreten für eine umfassende Reform der UNO, einschließlich des Sicherheitsrates durch Gewährleistung einer dortigen ständigen Präsenz aus dem Entwicklungsländerbereich; Ablehnung ungesetzlicher unilateraler Maßnahmen, einschließlich Sanktionen, in der Weltwirtschaft, im Handel und bei der Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele; Forderung nach Reform der Bretton-Woods-Institutionen, einschließlich einer stärkeren Präsenz der Entwicklungs- und Schwellenländer in Führungspositionen; Anerkennung des G-20-Formats als wichtigstes globales Forum für multilaterale Wirtschafts- und Finanzkooperation sowie als Plattform für Dialog zwischen entwickelten und Schwellenländern; Forderung nach einer Menschenrechtspolitik jenseits selektiven und politisierten Herangehens sowie ohne Doppelstandards.
  • Eintreten für friedliche Beilegung von Streitigkeiten durch Diplomatie, Mediation, inklusiven Dialog und Konsultationen in koordinierter und kooperativer Weise; Anerkennung des Prinzips der gegenseitigen Sicherheit sowie von Toleranz und friedlicher Koexistenz als bedeutendste Werte und Prinzipien zwischen Nationen und Gesellschaften; Unterstreichung der Notwendigkeit des Engagements für Konfliktpräventionen insbesondere durch Adressierung der Konfliktursachen; Verurteilung von Terrorismus in allen seinen Formen bei gleichzeitiger Forderung nach dessen Bekämpfung ohne doppelte Standards.
  • Unterstreichung der Schlüsselrolle der NDB bei der Beförderung der Infrastruktur und nachhaltigen Entwicklung der BRICS-Mitgliedsländer. Unterstützung der NDB bei der kontinuierlichen Ausdehnung lokaler Währungsfinanzierungen sowie bei der stärkeren Innovation bezüglich Investments und Finanzierungsinstrumenten; Eintreten für ein faires landwirtschaftliches Handelssystem nach dem Muster der von Russland initiierten Plattform für den Getreidehandel und Implementierung einer resilienten und nachhaltigen Landwirtschaft zur Gewährleistung der Nahrungssicherheit vor allem in den schwach entwickelten Ländern des globalen Südens.

Mag man zu BRICS stehen, wie man will. Aber niemand wird bestreiten können, dass sich dieser erst vor 15 Jahren offiziell formierte Staatenverbund inzwischen zu einem ernst zu nehmenden Machtblock für die westlicherseits beanspruchte alleinige Hegemonierolle in der Welt entwickelt hat. Dem Staatenverbund ist in erster Linie daran gelegen, eine globale Governance zu etablieren, die den heutigen kräftemäßigen Gegebenheiten in der Welt Rechnung trägt und sich nicht allein auf frühere Zeiten, schon gar nicht auf die zu Ende des zweiten Weltkrieges festlegt, als viele der heute aufstrebenden Staaten erst noch dabei waren, sich vom jahrhundertealten Kolonialjoch zu befreien.
Die BRICS  „Mission“ ist in  erster Linie darin zu sehen, die Inner-BRICS-Wirtschaftsbeziehungen wie überdies die Süd-Süd-Kooperation zu befördern und zu deren   sozio-ökonomischen Entwicklung beizutragen; als eine Interessenvertretung für die ehemals kolonial abhängigen Länder des globalen Südens zu fungieren bei deren Streben nach gleichberechtigter Stellung im internationalen Geschehen; den Dialog zwischen den Kulturen und Zivilisationen zu befördern sowie vor allem statt der westlicherseits ausgegebenen konfrontativen Orientierung „Demokratien versus Autokratien“ den Geist von Diplomatie und fairen Interessenausgleichen, von gegenseitig nützlicher Kooperation zu befördern helfen.

So gesehen handelt es sich bei BRICS um ein durchaus unikales Herangehen, welches schon deshalb großen Respekt verdient und das möglicherweise auch als Beispiel für die sich im internationalen Geschehen auszugestaltende Multipolarität dienen könnte.
Mit anderen Worten ausgedrückt:  BRICS  ist quasi als eine Art „Weltexperiment“ anzusehen, als  ein Spiegelbild dessen, was auf internationaler Ebene anzustreben ist,  in vielfältiger Weise plural zu sein und daraus resultierende unterschiedliche Interessenlagen im gegenseitigen Einvernehmen auszubalancieren.
 So verkörpert BRICS eine Gruppe souveräner Staaten, die auf verschiedenen Kontinenten beheimatet sind, unterschiedliche Entwicklungsmodelle verfolgen und sich überdies auch in Bezug auf ihre gesellschaftlichen Verfasstheiten, wirtschaftlichen Potentiale und Naturressourcen, den allgemeinen Lebensstandards, Bevölkerungszahlen und nicht zuletzt durch die sozio-kulturellen Traditionen teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Gleich mehrere dieser Staaten unterhalten zeitgleich strategische Partnerschaften sowohl zu ihren BRICS-Partnern als auch zu den USA. Zudem befinden sich einige von ihnen (Russland, Iran) in direkter Konfrontation mit dem Westen, während andere (Ägypten, Indien, VAE) eine enge Zusammenarbeit mit den USA pflegen. Einen derartig heterogenen Mechanismus am Funktionieren zu halten, ist per se schon mit hohen Anforderungen verbunden.
Hinzu kommt, dass dieser strikt auf dem Konsens-Prinzip basiert und keiner der Partner, die Richtung allein zu bestimmen vermag. Im Unterschied beispielsweise zur Gruppe der G-7, in der die USA die uneingeschränkte Führungsrolle beanspruchen und offensichtlich auch in der Lage sind, den übrigen Staaten ihren Kurs vorzugeben.
Schon allein deshalb erweisen sich notwendige Klärungsprozesse innerhalb von BRICS schwieriger und langwieriger, was kaum als Schwäche auszulegen ist; wenngleich sich dadurch auch mancherlei Ansatzpunkte für Störmanöver und abweichende Orientierungen bieten.

Zweifellos sieht sich BRICS seit diesem XVI. Gipfel in der nun neuen Konfiguration von genau genommen 22 Partnern, plus das noch unentschiedene Saudi-Arabien, vor zusätzliche neue Herausforderungen gestellt.
Es geht mit dieser erfolgten zahlenmäßigen Erweiterung zugleich auch um sich verändernde Strukturen und Charakteristika des Staatenverbundes.
So wandelt sich BRICS von einer anfänglichen reinen Schwellenländer-Plattform zu einem Verbund großer, mittlerer und kleiner Länder und mithin auch zu einer immer expliziteren Plattform für den globalen Süden.

Aus alledem erwachsen qualitativ neue Anforderungen an die bisherigen innerstrukturellen-BRICS-Mechanismen. Insbesondere geht es auch um die Frage, inwieweit es jetzt unumgänglich sein wird, eine ständige Niederlassung für den BRICS-Staatenverbund zu etablieren. Ebenso geht es um die Verständigung über einige gravierende inhaltliche Fragen; darunter ist zuallererst der dringende Bedarf nach einem Konzept für ein vom Dollar unbeeinflusstes Inner-BRICS-Handels- und Finanzsystem zu nennen. Es geht um eine De-Dollarisierung https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5321-de-dollarisierung, ohne BRICS in eine Anti-westliche Allianz umzuwandeln. 
Diese Aufgabe stellt sich insofern als besonders zwingend dar, weil davon wesentlich die weiteren Spielräume des BRICS-Staatenverbundes im internationalen Geschehen beeinflusst werden. Und das ergibt sich umso mehr, nachdem nach bisherigen Erfahrungen in Rechnung zu stellen ist, dass die USA und ihre engsten Verbündeten ihre Vormachtstellung nicht aufzugeben bereit sind.  Und hierbei ist auf verschiedenste Versuche in der Vergangenheit hinzuweisen, die darauf ausgerichtet waren, an bestehende Differenzen zwischen einzelnen Staaten anzuknüpfen und Druck auszuüben, um den BRICS-Verbund nicht noch weiter erstarken zu lassen,– wie dies anscheinend auch hinsichtlich Saudi-Arabiens der Fall ist. Das könnte auch Bezug auf Brasilien zutreffend sein, welches turnusmäßig 2025 die Rolle als Gastgeber für den XVII. BRICS-Gipfel übernimmt.

Als ein Zwischen-Fazit bleibt festzuhalten, dass die Erreichung einer multipolaren Weltordnung wohl ein dorniger Weg sein wird und sich über eine ganze historische Ära erstrecken kann. Und dennoch hat zumindest der XVI. BRICS- Gipfel in Kasan die Entschlossenheit des BRICS-Staatenverbundes demonstriert, sich weiter dafür zu engagieren.

 

Kazan Declaration

 

[1] Offiziell mit dem I. Gipfeltreffen im russischen Jekaterinburg formiert – allerdings zu diesem Zeitpunkt noch ohne Südafrika, welches erst ein Jahr später dazu gekommen ist -, nachdem es zuvor schon, insbesondere seit 2006 mehrere informelle Treffen zwischen den vier Gründungsmitgliedern (Russland, China, Brasilien, Indien) gegeben hatte

[2] Dmitri Trenin, US-Weltherrschaft oder multipolare Welt: Europa wird sich entscheiden müssen, Globalbridge vom 10. Juni 2024

[3] Siehe dazu Peter Hänseler, Blog eines Schweizers in Moskau, vom 20.10.2024, abzurufen unter https://www.voicefromrussia.ch/brics-fakten-und-zahlen/

[4] Alexander Gabuev, Oliver Stuenkel, Der Kampf um die BRICS-Staaten. Warum die Zukunft des Blocks die globale Ordnung prägen wird, abzurufen unter https://www.foreignaffairs.com/print/node/1132187

[5] Das ebenfalls zur Mitgliedschaft eingeladene Argentinien hatte infolge eines kurz danach stattgefundenen Machtwechsels darauf verzichtet

[6] Siehe dazu https://www.arabnews.com/node/2576648/saudi-arabia

[7] Vgl. dazu die Ausführungen von Putin in dessen Eröffnungsrede vor den BRICS Plus-Mitgliedern, abzurufen unter https://brics-russia2024.ru/en/news/zasedanie-sammita-briks-v-uzkom-sostave/

[8] Konkret handelt es sich dabei – in alphabetischer Reihenfolge – jedoch rund um den Globus verteilt, um Algerien, Belarus, Bolivien, Indonesien, Kasachstan, Kuba, Malaysia, Nigeria, Thailand, Türkei, Uganda, Usbekistan, Vietnam

[9] Abzurufen unter https://cdn.brics-russia2024.ru/upload/docs/Kazan_Declaration_Final.pdf?1729693488349783

[10] Zhao Huasheng/Andrey Kortunow, The Kazan BRICS Declaration – a New World Order Manifesto, abzurufen unter https://russiancouncil.ru/en/analytics-and-comments/analytics/the-kazan-brics-declaration-a-new-world-order-manifesto/

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