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Festung Deutschland

ISW München - mer, 28/08/2024 - 11:16

Die Forderung deutscher Politiker nach dauerhaften Grenzkontrollen zur Abwehr von Flüchtlingen stößt in mehreren Nachbarstaaten auf scharfen Protest und verschärft die Konflikte innerhalb der EU.

 

 

Polens Regierung protestiert, die Grenzkontrollen, die Deutschland schon seit dem Herbst 2023 durchführe, riefen beträchtliche „Schwierigkeiten beim Grenzverkehr“ hervor. Tschechiens Innenministerium wiederum warnt, es drohe ein „Dominoeffekt“; mit diesem stünde möglicherweise die Einführung von Kontrollen im gesamten Schengen-Raum bevor.
 
Mit großer Skepsis werden Grenzkontrollen vor allem in der Industrie beobachtet, die bei einer Verlangsamung grenzüberschreitender Lieferketten Milliardenverluste befürchtet.
Bei den Kontrollen, die einige wenige reiche EU-Staaten bereits heute durchführen, lassen sich Verluste noch begrenzen, da Warentransporte in der Regel ausgenommen sind.
Unklar ist jedoch, ob dringend benötigte Pendler aus Osteuropa weiterhin zur Arbeit in die Bundesrepublik fahren werden, sollten Dauerkontrollen ihre Anreise übermäßig erschweren.

Dauerhafte Grenzkontrollen brechen darüber hinaus EU-Recht und erschweren es Berlin, andere Staaten unter Berufung auf EU-Normen zu disziplinieren.

Aktuelle Grenzkontrollen

Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen werden zur Zeit von einer Minderheit reicher EU-Mitgliedstaaten durchgeführt – vor allem von Deutschland. Die Bundesregierung hat sie erstmals im Jahr 2015 in Gang gesetzt, um die Einreise von Flüchtlingen zu bremsen; an der Grenze zu Österreich hält sie seitdem an der Maßnahme fest.
Grenzkontrollen, die im Jahr 2020 während der Covid-19-Pandemie eingeführt wurden, wurden inzwischen wieder beendet. Auch die bundesweiten Grenzkontrollen während der Fußball-EM in Deutschland sind nicht mehr in Kraft, und diejenigen an der Grenze zu Frankreich, die zu Beginn der dortigen Olympischen Spiele eingeführt wurden, sollen nach dem Ende der Paralympischen Spiele aufgehoben werden.
Jedoch gilt eine Verlängerung der Kontrollen an den Grenzen zu Polen, zu Tschechien und zur Schweiz, die im Herbst vergangenen Jahres zur Flüchtlingsabwehr eingeführt wurden und die zumindest bis Dezember 2024 andauern sollen, als ohne weiteres vorstellbar. Grenzschließungen haben neben Deutschland auch Frankreich und Österreich verhängt; Österreich hat, in Reaktion auf die deutschen Grenzkontrollen, schon 2015 eigene Kontrollen an seiner Grenze zu Slowenien eingeführt. Kontrollen nehmen auch Dänemark, Schweden und das Nicht-EU-, aber Schengen-Mitglied Norwegen vor.

„Schurkenregierungen“

Dass Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen dauerhaft durchgeführt werden, ist eindeutig illegal. Grundsätzlich sind sie laut der im Frühjahr verabschiedeten Überarbeitung des Schengen-Kodex lediglich bei einer „ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit“ zulässig; dazu zählen neben Terrorgefahr sowie internationalen Veranstaltungen „großen Umfangs oder mit hoher Öffentlichkeitswirkung“ nicht zuletzt sogenannte Migrationskrisen.[1]
Allerdings dürfen Kontrollen nur als „letztes Mittel“ zum Einsatz kommen; sie sind jeweils auf sechs Monate beschränkt und können auf bis zu zwei, in Sonderfällen auf bis zu drei Jahre [2] verlängert werden. Mehr ist auf legalem Weg nicht möglich.
Mit Blick auf Österreichs Kontrollen an der Grenze zu Slowenien urteilte im April 2022 der Europäische Gerichtshof (EuGH), die Kontrollen seien rechtswidrig; es sei daher legal, sich ihnen beim Grenzübertritt konsequent zu verweigern.[3]
Kritiker äußern sich mittlerweile recht scharf.
Eine kleine Gruppe von „Schurkenregierungen“ weigere sich, EU-Recht zu wahren, erklärte bereits im September 2023 Sergio Carrera vom Brüsseler Centre for European Policy Studies (CEPS); man müsse sie „vor Gericht ziehen“, und die EU-Kommission müsse ihrem Treiben umgehend ein Ende setzen.[4]

Milliardenverluste drohen

Klare Ablehnung gegenüber Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen wird seit je aus Wirtschaftskreisen laut. Ursache ist, dass Kontrollen nicht nur den Export fertiger Waren bremsen, sondern vor allem auch grenzüberschreitende Lieferketten stören; dies kostet die Industrie, die sich die jeweiligen Standortvorteile der unterschiedlichen EU-Staaten zunutze macht, um ihre Profite zu optimieren, viel Geld.
Als mehrere EU-Staaten 2015 zum ersten Mal umfangreiche Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen einführten, wurden eine Reihe von Berechnungen über die dadurch entstehenden Schäden angestellt.
Eine Analyse etwa, die im Mai 2016 im Auftrag des Europaparlaments veröffentlicht wurde, kam zu dem Schluss, Grenzkontrollen in der kompletten Schengen-Zone würden binnen zwei Jahren Kosten in Höhe von bis zu 51 Milliarden Euro verursachen.[5] Zu den Ländern, die davon besonders stark getroffen würden, zähle Deutschland, hieß es. Aktuell bleibt der Protest aus der Wirtschaft über die neuen Vorstöße zur Ausweitung der Grenzkontrollen noch recht verhalten. Ursache ist, dass Warentransporte von den Kontrollen bisher ausgenommen sind; „wesentliche Störungen“ seien derzeitt „nicht feststellbar“, bestätigte erst vor kurzem der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV).[6]
Der Warentransport müsse aber kontrollfrei bleiben.

„Ressource für den deutschen Arbeitsmarkt“

Getroffen werden von Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen allerdings Grenzpendler. Deren Zahl ist seit der Einführung der sogenannten Arbeitnehmer-freizügigkeit für die neuen EU-Mitgliedstaaten in Ost- und Südosteuropa zum 1. Mai 2011 deutlich gestiegen. Lag sie im Jahr 2010 noch bei 66.487 Personen in West- und bei 2.087 Personen in Ostdeutschland, so waren es im Jahr 2023 bereits 144.057 im Westen und 73.193 im Osten der Bundesrepublik – 0,51 Prozent der Beschäftigten in West-, 1,15 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland. Die meisten kamen aus Polen (94.173) und aus Tschechien (38.244). Sie seien „häufig in Engpassberufen“ tätig, stellten also „eine wichtige Ressource für den deutschen Arbeitsmarkt“, hieß es im April in einer Untersuchung aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB); man solle deshalb für Rahmenbedingungen „Sorge“ tragen, die ihre „Erwerbstätigkeit in Deutschland“ auch für die Zukunft sicherten.[7] Mit der Einführung umfassender Grenzkontrollen wäre das womöglich nicht mehr gewährleistet. Auch droht eine Art Kettenreaktion: Führt Deutschland dauerhafte Grenzkontrollen ein, werden Staaten wie etwa Tschechien oder die Slowakei, um nicht zum Auffangbecken für Flüchtlinge zu werden, mutmaßlich nachziehen. Das Schengen-System droht zu kollabieren.

Proteste

Haben nun deutsche Politiker wie etwa Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) und der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jens Spahn in Reaktion auf das Attentat von Solingen die Einführung dauerhafter Grenzkontrollen gefordert [8], so werden in gleich mehreren Nachbarstaaten Proteste dagegen laut. Solche Kontrollen an den deutschen Außengrenzen seien „eine fundamentale Abkehr von ... dem Schengen-Prinzip“, erklärte eine Sprecherin des tschechischen Innenministeriums; sie würden „zweifellos zu einem Dominoeffekt von Kontrollen“ in der gesamten Schengen-Zone führen.[9] In Polen teilte das Innenministerium mit, schon jetzt riefen die Grenzkontrollen „Schwierigkeiten beim Grenzverkehr“ hervor; Berlin solle sie keinesfalls verlängern, sondern sie „frühzeitig abschaffen“. Unmut äußerte nicht zuletzt die belgische Regierung, die einen Sprecher erklären ließ, für ein Land wie Belgien, „das im Herzen Europas liegt und eine sehr offene Wirtschaft hat“, sei „das reibungslose Funktionieren der Schengen-Zone wesentlich“.[10]

Neue Spannungen

Geht die Bundesregierung tatsächlich zu dauerhaften Grenzkontrollen über, kommt zu den zahlreichen Streitpunkten in der EU, wie schon jetzt die Proteste aus Polen, Tschechien und Belgien zeigen, ein weiterer hinzu.
Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wieso Staaten wie Ungarn es sich weiterhin gefallen lassen sollten, wegen Verstößen gegen EU-Normen gemaßregelt zu werden, wenn die deutsche EU-Zentralmacht ihrerseits nach Belieben das Kernregelwerk des Schengen-Systems bricht. Damit verschärft bereits die Forderung, dauerhafte Kontrollen an den deutschen Außengrenzen einzuführen, die Spannungen in der EU.

 

[1] Thomas Gutschker, Mona Jaeger: Wie könnten die EM-Grenzkontrollen verlängert werden? faz.net 15.07.2024.

[2] EU erlaubt längere Grenzkontrollen im Schengen-Raum. rsw.beck.de 08.02.2024.

[3] Sigrid Melchior, Pascal Hansens, Nico Schmidt, Amund Trellevik, Ingeborg Eliassen: EU-Staaten brechen den Schengen-Vertrag. investigate-europe.eu 09.09.2022.

[4] Davide Basso, Nikolaus J. Kurmayer: Schengen: How Europe is ruining its ‘crown jewel’. euractiv.com 28.09.2023.

[5] Cost of non-Schengen: the impact of border controls within Schengen on the Single Market. European Parliamentary Research Service, May 2016.

[6] Dietmar Neuerer: Ampelpolitiker wollen Grenzkontrollen nach der EM beibehalten. handelsblatt.com 04.07.2024.

[7] Holger Seibert: Immer mehr Menschen pendeln aus Osteuropa nach Deutschland. iab-forum.de 15.04.2024.

[8] War der Täter von Solingen wirklich untergetaucht? faz.net 26.08.2024.

[9], [10] Oliver Noyan: German neighbours ring alarm bells over potential border controls. euractiv.com 26.08.2024.

 

 

 

Dimitri Lascaris im Kriegsgebiet – Teil 3

acTVism - mer, 28/08/2024 - 08:47

Dimitri Lascaris im Kriegsgebiet - Teil 3.

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Ein neues europäisches Raketen-Zeitalter?

IMI Tübingen - mar, 27/08/2024 - 11:34
»Zum ersten Mal in der Geschichte wurde die Sprache der ‚Rüstungskontrolle‘ durch ‚Rüstungsreduzierung‘ ersetzt – in diesem Fall durch die vollständige Abschaffung einer ganzen Klasse von amerikanischen und sowjetischen Atomraketen.« Mit diesen Worten begleitete der damalige US Präsident Ronald Reagan (…)

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Israelische Menschenrechtsgruppe: Grausame Folter an palästinensischen Gefangenen

acTVism - mar, 27/08/2024 - 08:25

Israelische Menschenrechtsgruppe: Grausame Folter an palästinensischen Gefangenen

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"Wofür habe ich gekämpft?"

Lebenshaus-Newsletter - mar, 27/08/2024 - 06:27
Vor drei Jahren zerfiel die Armee der afghanischen Republik. Seither sind die Taliban Herr über das zurückgelassene Militärgerät der NATO... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Kriegsgebiet Bericht: Israel und die Hisbollah – Dimitri Lascaris Teil 2

acTVism - lun, 26/08/2024 - 09:16

Kriegsgebiet Bericht: Israel und die Hisbollah - Dimitri Lascaris Teil 2.

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Rudolf Goldscheid (1870-1931): Über Menschenökonomie, Weltkrieg und Weltfrieden

Lebenshaus-Newsletter - lun, 26/08/2024 - 06:12
Der zweite Band im Regal "Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien" enthält ausgewählte "Friedensschriften 1912 - 1926" des Österreichers Rudolf... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Bericht vom Schlachtfeld zwischen Israel und der Hisbollah – Dimitri Lascaris (Teil 1)

acTVism - dim, 25/08/2024 - 10:12

Bericht vom Schlachtfeld zwischen Israel und der Hisbollah - Dimitri Lascaris (Teil 1)

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"Krieg ist Frieden" - oder: 2024 ist 1984

Lebenshaus-Newsletter - dim, 25/08/2024 - 06:19
Es ist soweit. Mit vierzigjähriger Verspätung sind wir endgültig im Orwell'schen 1984 angekommen. Und ausgerechnet das SPD-Präsidium liefert Sätze, die... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

"Bidens Kapitulation vor Netanjahu ist ein Verrat an seinen eigenen Werten"

Lebenshaus-Newsletter - sam, 24/08/2024 - 06:33
Gideon Levy, Mitherausgeber und Redakteur der israelischen Zeitung Haaretz, ist seit vielen Jahren einer der wenigen israelischen Kämpfer für das... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Kursk und die Folgen

ISW München - ven, 23/08/2024 - 15:14

Nach der Ankündigung Berlins, die Finanzmittel für die Ukraine zu begrenzen, fordert Kiew direkten Zugriff auf russisches Auslandsvermögen.
Verhandlungsbemühungen sind durch den Angriff auf Kursk zunichte gemacht worden.

 

Die Bundesregierung hat vor kurzem mitgeteilt, über die bereits für Kiew verplanten Mittel hinaus keine neuen Ausgaben zur Unterstützung der Ukraine tätigen zu wollen; das Land soll nun auf Basis der Zinserträge aus den eingefrorenen Auslandsguthaben der russischen Zentralbank finanziert werden. Kiewer Regierungsangaben zufolge reicht das nicht aus; es sollen deshalb die Guthaben selbst beschlagnahmt werden.
Faktisch wäre das ein Präzedenzfall für den Diebstahl fremden Staatseigentums, der weltweit Folgen hätte – wohl auch für Auslandsvermögen westlicher Staaten.
Die Debatte spitzt sich auch deshalb zu, weil die Ukraine faktisch bankrott ist.

Weckten noch kürzlich Äußerungen von Präsident Wolodymyr Selenskyj und die Entsendung von Außenminister Dmytro Kuleba nach China Hoffnung auf Waffenstillstand und Wiederaufbaumaßnahmen, so sind diese nach dem Angriff der Ukraine auf das russische Gebiet Kursk zerstoben.
Der Angriff habe Verhandlungen unmöglich gemacht, werden Diplomaten zitiert.

Anlass zu Verhandlungen

Zur Aufnahme von Gesprächen mit Moskau hatte Kiew aus verschiedenen Gründen Anlass. Zum einen war sein Versuch, auf dem vorgeblichen Friedensgipfel Mitte Juni in der Schweiz eine Reihe einflussreicher Staaten des Globalen Südens auf seine Seite zu ziehen und damit Russland politisch zu isolieren, gescheitert; die Regierungen etwa Indiens, Brasiliens oder Südafrikas hatten sich Abschlusserklärung des Gipfels mit dem Hinweis verweigert, Friedensgespräche mit nur einer Konfliktpartei ergäben keinen Sinn.[1]

War zumindest das Vortäuschen von Verhandlungsbereitschaft also Voraussetzung für weitere Bemühungen, den Globalen Süden für die Ukraine zu gewinnen, so zeichnete sich zusehends auch materieller Druck ab. Die russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur, die Kiew zum Einlenken nötigen sollten, haben der Washington Post zufolge mittlerweile neun der 18 Gigawatt vernichtet, die die Ukraine im kalten Winter zu Spitzenzeiten benötigt.[2]
Bereits jetzt ist die Bevölkerung der Ukraine mit schweren Stromausfällen konfrontiert; die ohnehin stark geschädigte Wirtschaft wird durch den Energiemangel zusätzlich beeinträchtigt. Die ukrainischen Angriffe auf Russlands Erdölindustrie dagegen fügen Moskau relativ geringere Schäden zu – und weil sie zeitweise den Ölpreis in die Höhe getrieben haben, stoßen sie in den westlichen Hauptstädten intern auf Unmut.

„Von der Tagesordnung genommen“

Laut der Washington Post ließ sich Kiew deshalb kurz nach dem Schweizer Ukraine-Gipfel auf einen Vorstoß Qatars ein, zu Verhandlungen mit Moskau überzugehen.[3]
Demnach sollte zunächst ein beidseitiger Verzicht auf Angriffe auf die Energie- bzw. die Ölinfrastruktur in Kraft treten – dies mit der Perspektive, zu einem umfassenderen Waffenstillstand ausgeweitet zu werden.
Qatar habe darüber fast zwei Monate lang mit beiden Seiten verhandelt, hieß es unter Berufung auf Diplomaten; die Regierung in Doha habe gehofft, in Kürze eine Einigung zu erzielen. Der ukrainische Angriff auf das Gebiet Kursk habe die Bemühungen jetzt aber umgehend zunichte gemacht. Der liberale russische Politiker Grigori Jawlinski etwa ließ sich von der New York Times mit der Aussage zitieren, in Moskau habe man Hoffnung gehegt, „die Kämpfe könnten dieses Jahr enden“.[4] Der Angriff auf das Gebiet Kursk habe nun aber die Chancen dafür nicht nur reduziert, sondern sie sogar „von der Tagesordnung genommen“. Zwei ehemalige russische Regierungsmitarbeiter schlossen sich gegenüber der US-Zeitung dieser Einschätzung an. Ausdrücklich bestätigte Juri Uschakow, außenpolitischer Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin, angesichts der jüngsten Kiewer „Eskapade“ werde man zumindest vorläufig „nicht verhandeln“.[5]

Vermittler düpiert

Hinzu kommt, dass Kiew mit seinem Vorgehen einmal mehr potenzielle Vermittler verprellt. Erst im Juli hatte China den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba zu Gesprächen nicht zuletzt mit seinem Amtskollegen Wang Yi empfangen – in der Absicht, Wege zu einer Verhandlungslösung zu bahnen.[6]
Zudem hatte Indien mit der ukrainischen Regierung über einen Besuch von Ministerpräsident Narendra Modi verhandelt – sozusagen als Ausgleich für Modis Besuch im Juli in Moskau.
Während Kiew mit Beijing und New Delhi über Wege zu einer Konfliktlösung diskutierte, bereitete es hinter deren Rücken längst den Angriff auf Kursk vor. Modi trifft am heutigen Freitag düpiert in der ukrainischen Hauptstadt ein. Auch Qatars Regierung muss konstatieren, dass sie mit ukrainischen Gesprächspartnern über Wege aus dem Krieg verhandelte, während Kiew insgeheim bereits die Eröffnung eines neuen Schlachtfeldes auf russischem Territorium plante. Doha, gleichfalls düpiert, sagte die schon in Kürze geplanten Gespräche inzwischen ab.[7]

„Der Topf ist leer“

Gleichzeitig zeichnen sich neue Spannungen zwischen Kiew und Berlin ab. Wie bereits am vergangenen Wochenende berichtet wurde, will die Bundesregierung ab sofort keinerlei neue Mittel mehr für die Ukraine zur Verfügung stellen. Bereits fest verplant sind die knapp acht Milliarden Euro, die der Bundeshaushalt 2024 für die Unterstützung der Ukraine vorsieht. Im Bundeshaushalt 2025 sind weitere vier Milliarden Euro für Kiew enthalten; diese sind aber, wie es heißt, „offenbar schon überbucht“.[8] Für 2026 ist von drei, für 2027 und 2028 jeweils von einer halben Milliarde Euro die Rede. Weitere Mittel sollen – darauf beharren Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner – lediglich dann gewährt werden, wenn für die entsprechenden Vorhaben „eine Finanzierung gesichert“ sei. Hintergrund sind die Berliner Bestrebungen, die Staatsausgaben einzuschränken, um die Neuverschuldung zu begrenzen. Zwar würden bereits getätigte Zusagen noch realisiert, heißt es; doch wird ein Mitarbeiter der Bundesregierung mit der Feststellung zitiert: „Ende der Veranstaltung. Der Topf ist leer.“[9]

Präzedenzfall

Gedeckt werden soll Kiews Finanzbedarf nach dem Willen Berlins nicht mehr aus deutschen Mitteln, sondern stattdessen aus Zinserträgen, die die im Westen eingefrorenen Mittel der russischen Zentralbank einbringen – insgesamt gut 260 Milliarden Euro. Konkret werden zur Zeit die Zinsen der gut 173 Milliarden Euro ins Visier genommen, die der Finanzkonzern Euroclear mit Sitz in Brüssel verwaltet.
Die G7 haben beschlossen, die Zinsen zugunsten der Ukraine zu beschlagnahmen und Kiew auf ihrer Grundlage einen Kredit zu ermöglichen; jährlich könnten damit mehrere Milliarden Euro beschafft werden, heißt es.[10]
Allerdings sind noch diverse Fragen offen. So wird berichtet, Experten rechneten mit einer Laufzeit des Kredits von möglicherweise 20 Jahren. Das setze faktisch voraus, dass die russischen Gelder auch noch nach einem etwaigen Friedensschluss mit der Ukraine eingefroren blieben, sollte ein solcher zustande kommen.
Hinzu kommt das nach wie vor ungelöste Problem, dass ein westlicher bzw. ukrainischer Zugriff auf russisches Staatseigentum als klarer Präzedenzfall gewertet würde.

Westliche Staaten müßten damit rechnen, dass ihr Eigentum im Ausland im Konfliktfall gleichfalls enteignet werden könnte, nicht nur zur Entschädigung von Kriegs-, sondern auch von Kolonial- und insbesondere von NS-Verbrechen.

Finanzdesaster

Umso schwerer wiegt, dass Kiew jetzt, wie die stellvertretende Finanzministerin Olga Zykova aktuell auf einer Videokonferenz des Kiewer Centre for Economic Strategy erklärte, nicht nur die schnelle Freigabe der Kreditmittel auf Basis der Zinserträge des eingefrorenen russischen Staatsvermögens fordert, sondern den Zugriff auf das Staatsvermögen selbst. Das sei nötig, heißt es, um den ukrainischen Staatshaushalt zu stabilisieren, der zuletzt zu mehr als 50 Prozent aus auswärtigen Zuwendungen gespeist worden sei.[11]
Für das Jahr 2025 benötige man Hilfsgelder in Höhe von mindestens 35 Milliarden US-Dollar; 15 Milliarden US-Dollar fehlten noch.

Als einziger Ausweg aus dem zunehmenden Finanzierungsdesaster gilt ein Ende des Krieges und der Wiederaufbau des Landes; beides aber ist nach dem ukrainischen Angriff auf Kursk weniger in Sicht denn je.

 

[1] S. dazu Ziele klar verfehlt

[2] Isabelle Khurshudyan, Siobhán O’Grady, John Hudson, Catherine Belton: Ukraine’s offensive derails secret efforts for partial cease-fire with Russia, officials say. washingtonpost.com 17.08.2024.

[4], [5] Anton Troianovski, Andrew E. Kramer, Kim Barker, Adam Rasgon: Ukraine Says Its Incursion Will Bring Peace. Putin’s Plans May Differ. nytimes.com 19.08.2024.

[6] S. dazu Diplomatie statt Waffen

[7] Isabelle Khurshudyan, Siobhán O’Grady, John Hudson, Catherine Belton: Ukraine’s offensive derails secret efforts for partial cease-fire with Russia, officials say. washingtonpost.com 17.08.2024.

[8], [9] Peter Carstens, Konrad Schuller: Kein neues Geld mehr für die Ukraine. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 18.08.2024.

[10] Christian Schubert: Ein russischer Hebel gegen Putin. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.08.2024.

[11] Andreas Mihm: Kiew: Brauchen Milliarden schnell. Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.08.2024.

 

Nord Stream Update, Ukraine-Offensive & Bericht aus dem Südlibanon

acTVism - ven, 23/08/2024 - 12:56

Nord Stream Update, Ukraine-Offensive & Bericht aus dem Südlibanon

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Rüstung im Deutschland-Tempo

IMI Tübingen - ven, 23/08/2024 - 12:17
Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, der deutschen Rüstungsindustrie massiv unter die Arme zu greifen. Um dies zu gewährleisten, wird aktuell an einer „Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie“ gearbeitet, deren Entwurf kürzlich bei Politico veröffentlicht wurde. In ihm werden (…)

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Nord Stream Update, Ukraine’s invasion of Russia & Report from South Lebanon

acTVism - jeu, 22/08/2024 - 18:57

Nord Stream Update, Ukraine's invasion of Russia & Report from South Lebanon.

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Der israelische Holocaust-Forscher Dr. Bartov über die Provokationen des Kriegsverbrechers Netanjahu

acTVism - jeu, 22/08/2024 - 08:41

Der israelische Holocaust-Forscher Dr. Bartov über die Provokationen des Kriegsverbrechers Netanjahu

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Marxistische Selbstverständigung. Wege des Antifaschismus: marxistische Studienwoche

ISW München - jeu, 22/08/2024 - 08:08

Marxistische Studienwoche erörterte in Frankfurt Ursachen und Kampf gegen Rechtsentwicklung in EU, BRD und Amerika

 



Hintergrund: Rechtsentwicklung

Der Faschismusforscher Reinhard Opitz schrieb in seinem Aufsatz »Was ist rechts? Was sind Rechtstendenzen?«, der 1980 im zweiten Heft der Marxistischen Blätter erschien, dass »linksgerichtete Bewegungen oder Kräfte« solche wären, die »zu ihrer Zeit auf den historisch objektiv möglichen nächsthöheren Verwirklichungsgrad von Demokratie hindrängen oder ihm punktuell vorarbeiten«.
Rechtsgerichtete Bewegungen oder Kräfte seien dagegen solche, die »hinter den zu ihrer Zeit jeweils schon erreichten relativen historischen Realisationsgrad von Demokratie oder auch nur Artikulationsspielraum der demokratischen (linken) Kräfte zurückdrängen«.

Auch für die hiesige Linke stellen sich akut zwei Fragen:
Was sind Ursachen der Rechtsentwicklung?
Und wie können Marxisten sie nicht nur analysieren, sondern bekämpfen?

Den Versuch, darauf adäquate Antworten zu finden, hat vom 12. bis 15. August in Frankfurt am Main die marxistische Studienwoche mit über 50 Teilnehmern unternommen. Seit 2008 wird die Tagung von der Zeitschrift Marxistische Erneuerung, der Heinz-Jung-Stiftung und dem Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung, isw,  organisiert. Den Auftakt machte am Montag vergangener Woche ein Podium, das die historischen Rechtsentwicklungen diskutierte.

Stefan Bollinger griff dazu mehr als 100 Jahre zurück und referierte über die Konterrevolution von 1848/49 bis Kaiser Wilhelm II. Frank Deppe betrachtete die Weimarer Republik und Silvia Gingold sprach über die Renazifizierung ab 1945 in der BRD sowie die Berufsverbote, von denen sie selbst betroffen war. So forderten Proteste und Solidaritätskomitees für Betroffene demokratische Rechte ein. Aber auch heute bestehe Gingold zufolge die Gefahr von Berufsverboten. Sie verwies dazu auf die anhaltende Repression gegen die Palästina-Solidarität und die Friedensbewegung sowie auf Pläne des Innenministeriums für Berufsverbote für »Extremisten« und »Verfassungsfeinde«. Der einzig wirksame Schutz der Verfassung, sagte Gingold, sei eine breite demokratische Öffentlichkeit.

Philipp Becher erkannte den Rechtsruck in Anlehnung an Faschismusforscher Reinhard Opitz als Ausdruck einer Integrationskrise der bürgerlichen Gesellschaft. Die Liaison von Kapitalismus und parlamentarischer Demokratie sei kein historischer Normalfall, die Klassenherrschaft der Bourgeoisie an keine Staatsform gebunden, erklärte er und erinnerte daran, dass demokratische Elemente der bürgerlichen Gesellschaft von der Arbeiterbewegung erkämpft und von ihr auch verwirklicht werden. Im Bündnis mit Sozialliberalen gelte es, »jeden Keim zu packen« – aber sich als Marxisten seine Unabhängigkeit zu bewahren.

Ein weiteres Podium setzte sich mit internationalen Rechtsentwicklungen auseinander.
So deutete Ingar Solty den Aufstieg des »Bonapartisten« Donald Trump als Folge einer Hegemoniekrise in den USA, die ihre ökonomische Grundlage in der Verarmung breiter Bevölkerungsteile seit dem Volcker-Schock 1978 habe. Trumps mögliche Wiederwahl würde einen verstärkten autoritären Staatsumbau bedeuten. Sabine Kebir wies auf die politische Flexibilität von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni hin, die innerhalb der EU klug laviere, allerdings auch strikt atlantisch gegen Russland und China ausgerichtet sei. Für ihre außenpolitische Treue ließen ihr EU und USA in Italien freien Spielraum gegen den Sozialstaat, Frauenrechte und Geflüchtete.

Andrés Musacchio erklärte den Aufstieg des argentinischen Präsidenten Javier Milei aus der Schwäche einer krisengeplagten, aber auch inkonsequenten peronistischen Linken und einer an Kapitalflucht und Ausverkauf interessierten wirtschaftlichen Elite. Milei zerstöre im Eiltempo soziale, wissenschaftliche und kulturelle Institutionen, während er das Militär und die Polizei ausbaue. Cornelia Hildebrandt gab einen Überblick zur Rechtsentwicklung in der EU.

Für die BRD erläuterte Gerd Wiegel Ursachen und Dimensionen der Rechtsentwicklung hierzulande.
Andreas Fisahn erörterte die Rolle des bürgerlichen Rechts im Kampf gegen Faschismus, konkret anhand der Debatte über ein AfD-Verbot und Rechtsmittel gegen deren Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke. Arbeitsgruppen setzten sich unter anderem mit der politischen Bildung im Kampf gegen rechts, dem Kampf um eine humane Asylpolitik und der Frage nach einer neuen Volksfrontstrategie auseinander.

Ein Abschlussplenum mit Violetta Bock, Andrea Hornung und Wiegel erörterte aktuelle Wege antifaschistischer Politik.

Die marxistische Studienwoche wurde von den TeilnehmerInnen  als erkenntnisreich gelobt. Die Analyse antifeministischer Kräfte wäre eine gute Ergänzung gewesen, wie von den TeilnehmerInnen  angemerkt wurde. Zudem  seien die ökonomischen Ursachen genauer zu untersuchen. Die Vorstellung der nächsten Ausgabe der Zeitschrift Marxistischen Erneuerung am 29. September zum Thema »Zeitenwende: Autoritärer Kapitalismus – BRD-Wirtschaft unter dem Druck geopolitischer Umtriebe« wird daran anknüpfen.

Der Sozialistisch-demokratische Studierendenverband erinnerte  in seinem Vortrag an ein Zitat aus Bert Brechts »Leben des Galilei«:


»Wenn die Wahrheit zu schwach ist, um sich zu verteidigen, muss sie zum Angriff übergehen.«

 

Leonardo Boff: Was ist planetarisches Wohlbefinden: Ist es in der gegenwärtigen Ordnung möglich?

Lebenshaus-Newsletter - mer, 21/08/2024 - 21:02
Es ist unbestreitbar, dass die Menschheit zurzeit ein düsteres Bild abgibt: die militärische Eskalation, die in einen Atomkrieg gipfeln könnte,... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Israelisches Folternetzwerk – Interview mit einem israelischen Holocaust-Forscher

acTVism - mer, 21/08/2024 - 08:38

Israelisches Folternetzwerk - Interview mit einem israelischen Holocaust-Forscher.

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Der Friedensmahner Johann von Bloch (1836-1902)

Lebenshaus-Newsletter - mar, 20/08/2024 - 16:46
Unter Mitträgerschaft des Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. entsteht ab diesem Sommer das fortlaufende Editionsprojekt "Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien"... Michael Schmid http://www.lebenshaus-alb.de

Die Rückkehr der (Atom-) Raketen

ISW München - mar, 20/08/2024 - 10:33

Die Angst vor einem Atomkrieg in Europa wird wieder zunehmen. Millionen Menschen sind in den achtziger Jahren gegen die Stationierung atomarer Mittelstrecken-Raketen in Europa auf die Straße gegangen.
Ihr Protest hatte dazu beigetragen, dass am 8. Dezember 1987 die Sowjetunion und die USA den sog. INF-Vertrag unterzeichneten.


Im INF-Abkommen (Intermediate-Range Nuclear Forces) verpflichteten sich die beiden atomaren Supermächte auf Entwicklung, Besitz und die Stationierung landgestützter Atomraketen (damals Pershing II und cruise missiles „Tomahawk“) mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern zu verzichten. Der INF-Vertrag war bislang das einzige Abkommen, das zu einer realen Atom-Abrüstung geführt hat; insgesamt 2692 Raketen wurden verschrottet.
Die Atomkriegs-Gefahr in Europa schien weitgehend gebannt.

Der fast vierzigjährige „Atom-Friede“ ist nun gefährdet.
Der damalige US-Präsident Donald Trump kündigte am 20. Oktober 2018 einseitig den INF-Vertrag; zum 1. Februar 2019 stiegen die USA aus dem Vertragswerk aus. Russland zog nach. Damit konnten wieder Mittelstrecken in Europa stationiert werden.

Dies soll nun 2026 geschehen. Eher beiläufig gaben Kanzler Scholz und Präsident Biden am Rande der NATO-Jubiläumskonferenz im Juli 2024 in Washington bekannt, dass ab 2026 auf deutschem Boden wieder Mittelstrecken-Raketen aufgestellt werden, und zwar Cruise missiles vom Typ „Tomahawk“ mit einer Reichweite von etwa 2.500 – also bis tief nach Russland hinein. Dazu ist die Installation von SM 6-Flugabwehr-Raketen mit einer Reichweite von 370 KM und 3,5-facher Schallgeschwindigkeit plus neue Hyperschall-Raketen verabschiedet.
 Die Marschflugkörper können konventionelle wie atomare Sprengköpfe tragen. Angeblich werden sie nur konventionell bestückt, was ein Beschwichtigungsmanöver sein dürfte. Denn kein Militär schießt eine konventionelle Rakete 2500 KM weit, nur um ein Loch in einen Bunker zu sprengen. Zudem kann keine deutsche Behörde die Bestückung überprüfen, da die Raketen auf US-Militäreinrichtungs-Geländen in Deutschland stationiert werden, auf denen deutsches Hoheitsrecht endet.

Auf Deutschland fällt die erste Bombe

Wenn es noch eines Beweises für die enge Verzahnung des deutschen MIK mit dem Militär- und Kriegsgeflecht der USA bedurfte, hier ist er: Die neuen Mittelstrecken-Raketen werden in Europa diesmal allein in Deutschland stationiert.  Mit den neuen Raketen wird das Pulverfass Deutschland weiter hochexplosiv aufgeladen. Sie kommen zu den deutschen Atombombern mit US-Atombomben auf den Fliegerhorst Büchel dazu, zur Ramstein Air Base, der größten US-Luftwaffenbasis im Ausland, zur Kommandozentrale für US-Drohnen-Killer- und Kampfeinsätze insbesondere im Nahen Osten und in Afrika, zu diversen US-Hauptquartieren, Truppenübungsplätzen, usw.  usf.
Kein Land der Welt ist so intensiv und massiv mit US-Soldateska und -Militäreinrichtungen bestückt, wie Deutschland.
Wann immer es in Europa zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, wäre Deutschland im Fokus.
Kein Zweifel: Auf Deutschland fällt die erste Bombe!
Unser Land würde zum atomaren Schlachtfeld. Die USA aber würden dagegen von Mittelstrecken-Raketen nicht erreicht.

Die ganz große Raketenkoalition aus Ampel-Regierung und CDU/CSU-Opposition sieht darin kein Problem. Sie giert geradezu nach den neuen Waffen. Das SPD-Präsidium preist sie gar als Friedenstauben speziell für Kinder (s.u.). Der SPD-Vorsitzende Klingbeil ließ noch in der Sommerpause im Eilverfahren eine Zustimmungserklärung durch das SPD-Präsidium peitschen, um die Diskussion in der Partei im Keim zu ersticken. Ihm selbst wird Affinität zum MIK nachgesagt. Jahrelang war er in den Präsidien der Rüstungs-Lobbyorganisationen Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik und Förderkreis Deutsches Heer aktiv.

In dem SPD-Präsidiumsbeschluss heißt es u.a.

„Als SPD übernehmen wir Verantwortung dafür, dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss. Die Vereinbarung der SPD-geführten Bundesregierung mit der
 US-Administration, ab 2026 US-amerikanische Raketen mit größerer Reichweite in Deutschland zu stationieren, ist dafür ein wichtiger Baustein“.

 Erstschlag-Option

Weshalb sind die geplanten Mittelstrecken so gefährlich? Sie würden für Russland eine tödliche Bedrohung darstellen: aufgrund der geringen Vorwarnzeit und der Zielgenauigkeit dieser Systeme. Aufgrund der längeren Flugzeit gilt bei Interkontinentalraketen eine Vorwarnzeit von etwa 30 Minuten. Der Angegriffene ist in der Lage, seine Raketen aus den Silos abzuschießen und so den Gegenschlag zu führen. Dieses „Gleichgewicht des Schreckens“ wurde auf die Formel gebracht: „Wer als erster schießt, stirbt als zweiter“.
Kurze Vorwarnzeiten würden einen Atomkrieg aus Versehen wahrscheinlicher machen, könnten aber auch zum atomaren Überraschungsangriff verleiten.

Bei Mittelstrecken-Raketen verkürzt sich diese Vorwarnzeit auf wenige Minuten. Marschflugkörper haben zwar eine längere Flugzeit, da sie aber in geringer Höhe operieren, unterfliegen sie das gegnerische Abwehr-Radar. Dazu kommt die hohe Präzision bei modernen Raketen; sie können ihre Ziele fast punktgenau treffen.
Das kann zu neuen Szenarien des „fürbaren Atomkrieges“ verleiten, wie sie die USA nach dem Abwurf der Atombomben immer wieder anstrebten. Durch präventive „chirurgische Erstschläge“, so genannte Enthauptungsschläge, sollen militärische Kommandozentralen vernichtet und die gegnerischen Atomraketen noch am Boden bzw. noch in den Silos zerstört werden. Die wenigen übrigen Raketen, die vom Angegriffenen noch auf die Flugbahn gebracht werden können, sollen dann durch die Raketen-Abwehrsysteme abgefangen und unschädlich gemacht werden.
Die Raketenabwehr ist kein defensives System, sondern Teil einer atomaren Offensivstrategie.

„Fähigkeitslücke“ oder Gedächtnis-Lücke

Der Vorwand für den damaligen einseitigen Ausstieg der USA aus dem Vertrag (Russland hat lediglich nachgezogen): Russland habe gegen den Vertrag verstoßen, indem es neue Raketenstellungen installiert habe. Beweise? Keine!
An der Beweislage hat sich bis heute nichts geändert. Häufig werden die in Kaliningrad installierten Iskander-Raketen als „Beweise“ angeführt, auch von den „Militärexperten“ der Stiftung Wissenschaft und Politik (Claudia Major) und den Bundeswehr-Professoren (z.B. Carlo Masala) wird das immer wieder erzählt. Es ist schon peinlich, wenn so genannte und selbst ernannte „Militärexperten“ offensichtlich nicht zwischen Kurzstrecken-Raketen bis 500 KM – z.B. die in Kaliningrad installierte Iskander - und Mittelstrecken-Raketen unterscheiden können.

Zudem: Zu etwaigen Verstößen gab es im INF-Vertrag klare Verifizierungsmechanismen, die von den USA nicht genutzt wurden. So schreibt die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative: „Wenn es Verletzungen des INF-Abkommens gegeben haben sollte, hatte das INF-Vertragswerk dazu klare Regelungen. Die entsprechende Kommission der beiden Unterzeichnerstaaten muss einberufen werden. Dieses ist seit 2017 nicht mehr geschehen. Propagandistische Anklagen helfen nicht weiter und lenken von den wahren Motiven ungehemmter Aufrüstung ab“. (natwiss.de, 22.10.18).

Und die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik wies bereits im März 2018 darauf hin: „Um die gegenseitigen Vorwürfe auszuräumen, wären wechselseitige Informationen und Inspektionen notwendig. Dazu müsste das 2001 beendete INF-Inspektionsregime reaktiviert und modifiziert werden“ (SWP-aktuell, 15. März 2018).

2001 ist auch das Jahr, in dem die USA einseitig den ABM-Vertrag (Anti-Ballistic-Missile: Vertrag über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen) kündigten und in der Folgezeit mit der Errichtung von ABM-Stellungen in Europa begannen.
Die USA verweigerten jede Inspektion vor Ort.

Eine russische Vertragsverletzung wird einfach behauptet und daraus eine „Fähigkeitslücke“ (Scholz) der westlichen Raketenrüstung abgeleitet, die wieder einmal zur „Nachrüstung“ herhalten soll. Als Juso-Fuktionär und Nachrüstungsgegner in den 80er Jahren, wusste Scholz es besser, was von solchen behaupteten Waffen-„Lücken“ zu halten ist.
Schade, dass sich bei ihm da eine Gedächtnislücke auftut.

 

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