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Jewish Israeli politician Dr. Cassif speaks out on Israel’s path towards Fascism
Jewish Israeli politician Dr. Cassif speaks out on Israel's path towards Fascism
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Mittelstreckenwaffen in Deutschland - Online-Vortrag von Jürgen Wagner (IMI e.V.)
Die transatlantische Rivalität
Trump folgt einer veränderten Interessenlage der US-Industrie.
Mit der bevorstehenden zweiten US-Präsidentschaft von Donald Trump zeichnen sich gravierende ökonomische Machtkämpfe zwischen den Vereinigten Staaten und der EU bzw. Deutschland ab. Laut Berechnungen des unternehmernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln würden die Strafzölle, die der designierte US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf angekündigt hat, allein die deutsche Wirtschaft im Vierjahreszeitraum von 2025 bis 2028 bis zu 180 Milliarden Euro kosten. Die deutsche Industrie würde dabei mittelfristig schwer geschädigt. So seien für die Jahre 2027 und 2028 Einbrüche der deutschen Wirtschaftsleistung um jeweils rund 1,5 Prozent zu erwarten, während die US-Konkurrenz sich deutlich schneller vom Schock einer Strafzollschlacht erholen würde.
Die EU hat bereits Gegenzölle gegen US-Strafzölle in Aussicht gestellt. Die Trump’sche Strafzollpolitik, das zeigt eine ausführliche Studie, folgt Verschiebungen in der US-Industrie: War diese lange in der Lage, offene Weltmärkte zu dominieren, so sind mittlerweile immer mehr US-Unternehmen internationaler Konkurrenz unterlegen. Ihren Interessen entspricht die Trump’sche Abschottungspolitik.
Glimpflich davongekommen
Mit Blick auf das deutsche US-Geschäft hatten Ökonomen gerade erst Entwarnung gegeben. So berichtete das unternehmensnahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln, der Biden’sche Inflation Reduction Act (IRA), der mit dreistelligen Milliardenbeträgen die Industrien der Energiewende fördert, habe bisher nicht zu der befürchteten Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland in die Vereinigten Staaten geführt.
Zumindest kurzfristig habe die deutsche Industrie sogar profitieren können: Der Export von Maschinen sowie von elektrischer Ausrüstung, von klassischen Vorprodukten beim Bau auch klimafreundlicher Fabriken also, aus der Bundesrepublik in die Vereinigten Staaten sei im vergangenen Jahr um zehn Prozent gestiegen. Dank einer eigens eingeführten Ausnahme für geleaste Fahrzeuge sei auch kein Nachteil für deutsche Kfz-Exporte in die USA zu beklagen.[1]
Denkbar sei es freilich, heißt es weiter beim IW, dass Donald Trump diese Ausnahmeregelung aufhebe, was zu Nachteilen für deutsche Autohersteller führen werde. Mit einem Ausstieg aus dem IRA durch die künftige Trump-Administration rechnen US-Beobachter nicht; sogar Konzerne der US-Erdöl- und Erdgasbranche setzen sich für die Beibehaltung des Programms ein, da sie von ihm erheblich profitieren.[2]
Trumps Strafzolldrohung
Führt der designierte US-Präsident Donald Trump allerdings wirklich die im Wahlkampf angedrohten Strafzölle ein, dann ist mit hohen Einbußen insbesondere auch für die deutsche Industrie zu rechnen. Das IW hat in einer unlängst publizierten Studie Schadensprognosen, die es allein für die Bundesrepublik im Sommer noch auf gut „123 bis 146 Milliarden Euro“ bezifferte [3], auf 127 bis 180 Milliarden Euro nach oben korrigiert [4]. Mit Einbußen in Höhe von 127 Milliarden Euro im Vierjahreszeitraum 2025 bis 2028 ist demnach zu rechnen, sollte Trump auf sämtliche US-Einfuhren Strafzölle von 10 Prozent und auf Importe aus der Volksrepublik China Strafzölle in Höhe von 60 Prozent erheben. Eingepreist ist in die Berechnungen, dass die EU Gegenzölle in gleicher Höhe verhängt.
Sollte freilich zusätzlich der transatlantische Handelskonflikt eskalieren und die Strafzölle beider Seiten auf 20 Prozent nach oben treiben, könnten die Schäden 180 Milliarden Euro erreichen, schreibt das IW.
Zwar müssten auch die USA je nach Szenario Einbußen von 686 bzw. 874 Milliarden US-Dollar für 2025 bis 2028 in Kauf nehmen. Allerdings werde sich die US-Wirtschaft spätestens 2028 wieder einigermaßen konsolidieren können.
„Für Deutschland eine Katastrophe“
Die EU und insbesondere Deutschland aber würden laut dem IW vor allem langfristig hart getroffen. Demnach ist für die EU von einem Anstieg des Wirtschaftseinbruchs von 0,29 bis 0.42 Prozent im Jahr 2025 auf 0,91 bis 1,34 Prozent im Jahr 2027 zu rechnen. Für 2028 sagt das IW einen Rückgang um 0,89 respektive 1,33 Prozent voraus.
Die Bundesrepublik steht vor einem noch größeren Minus, das von 0,34/0,48 Prozent im Jahr 2025 auf 1,08/1,53 Prozent im Jahr 2027 steigt; 2028 verharrt die deutsche Wirtschaft demzufolge bei einem Rückgang um 0,99/1,45 Prozent.[5] Weil die Exporte strafzollbedingt deutlich schrumpften, sei von einem erheblichen Einbruch bei den privaten Investitionen auszugehen, urteilt das IW, das von einem Investitionsminus von 4 Prozent gegenüber dem ohne die Strafzölle zu erwartenden Basisszenario ausgeht. Stark getroffen werden könnten, da sie besonders große Warenmengen in die USA exportierten, „der Maschinenbau, die Pharmaindustrie und die ... Autoindustrie“, urteilt IW-Direktor Michael Hüther.[6]
Der Maschinenbau und die Kfz-Branche leiden schon jetzt unter mutmaßlich bleibenden Einbrüchen im China-Geschäft.[7] Entsprechend erklärt Hüther zu den befürchteten Einbrüchen in den USA: „Für das exportstarke Deutschland wäre das eine Katastrophe.“
Interessen der US-Industrie
Die Trump’sche Strafzollpolitik folgt dabei nicht Launen eines exzentrischen Präsidenten, sondern grundlegenden Interessen der US-Industrie. Dies belegt eine Untersuchung, die von Wissenschaftlern der Vrije Universiteit Amsterdam und der Freien Universität Berlin vorgelegt worden ist.[8] Demnach gründete die weltweite Durchsetzung offener Märkte, der sich die Vereinigten Staaten traditionell verschrieben hatten, primär darauf, dass die US-Wirtschaft stark genug war, sich international durchzusetzen und die Weltmärkte zu erobern. Dies prägte die Politik der jüngeren US-Administrationen bis hin zu derjenigen von Barack Obama. Die Politik der Trump-Administration hingegen wurde, wie die Untersuchung zeigt, vor allem von zwei Fraktionen getragen, für die offene Märkte entweder nachrangig oder sogar schädlich waren. Zum einen handelte es sich dabei um Immobilienunternehmen – also um die Branche, der Trump selbst entstammt –, zum anderen um Konzerne, denen es nicht mehr gelang, sich gegen die internationale Konkurrenz durchzusetzen – etwa Stahlkonzerne. Dabei waren die übermächtigen Konkurrenten, denen US-Unternehmen nicht mehr recht gewachsen waren, oft solche aus China. Die Strafzollpolitik richtete sich daher zunächst vor allem gegen die Volksrepublik.
Handelsüberschüsse im Visier
Da es nicht gelungen ist, die chinesische Konkurrenz niederzuringen, hat Trump angekündigt, die Maßnahmen gegen die Volksrepublik zu verschärfen. In der rasant eskalierenden globalen Rivalität nimmt er nun aber auch die Konkurrenz aus Deutschland und der EU aggressiv ins Visier. Tatsächlich hat die Bundesrepublik zuletzt aus dem Handel mit keinem Land so hohen Profit gezogen wie aus dem Handel mit den USA; im vergangenen Jahr standen Importen aus den Vereinigten Staaten in Höhe von 94,4 Milliarden Euro Exporte in das Land im Wert von 157,9 Milliarden Euro gegenüber. Der Handelsüberschuss erreichte damit 63,5 Milliarden Euro – fast ein Drittel des gesamten deutschen Handelsüberschusses, der sich 2023 auf 209,6 Milliarden Euro belief. Die hohen Erträge aus dem deutschen US-Geschäft trugen stark zur engen außenpolitischen Kooperation Berlins mit Washington bei.
Dass die zweite Trump-Administration sie in Frage zu stellen droht, lässt eine neue Absetzbewegung Deutschlands gegenüber den Vereinigten Staaten erahnen.
Die EU hat bereits mitgeteilt, sie werde auf neue US-Strafzölle mit Gegenzöllen reagieren und habe konkrete Vorbereitungen dafür getroffen.
Damit zeichnet sich eine Phase neuer transatlantischer Konflikte ab.
[1] Jürgen Matthes, Samina Sultan, Thomas Obst: US Inflation Reduction Act: Überschaubare Auswirkungen auf Deutschland. IW-Kurzbericht Nr. 83. Köln, 05.11.2024.
[2] Collin Eaton, Benoit Morenne: Big Oil Urges Trump Not to Gut Biden’s Climate Law. wsj.com 06.10.2024.
[3] Hubertus Bardt: Trump oder Harris oder ...? Worauf sich Europa einstellen muss. IW-Policy Paper 5/2024. Köln, 23.07.2024. S. auch -Deutsche Firmen unterstützen Trump
[4], [5] Thomas Obst, Samina Sultan, Jürgen Matthes: Was droht den transatlantischen Handelsbeziehungen unter Trump 2.0? Von Zollerhöhungen und Vergeltungsmaßnahmen. IW-Report 42/2024. Köln, 24.10.2024.
[6] Michael Hüther: US-Präsidentschaftswahl: „Für die deutsche Wirtschaft wäre ein Präsident Trump eine teure Katastrophe“. iwkoeln.de 04.11.2024.
[7] S. dazu Das Ende des deutschen Exportmodells
[8] Bastiaan van Apeldoorn, Naná de Graaf, Jaša Veselinović: Trump and the Remaking of American Grand Strategy. The Shift from Open Door Globalism to Economic Nationalism. Cham 2023.
IWF und BRICS: keine Rückkehr nach Bretton Woods
Fast gleichzeitig traf sich die BRICS+-Gruppe in Kasan, Russland. [1]
Das Zusammentreffen dieser beiden Treffen fasst zusammen, wie es um die Weltwirtschaft im Jahr 2024 bestellt ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden der IWF und die Weltbank zu den führenden Organisationen für internationale Zusammenarbeit und Maßnahmen in der Weltwirtschaft. Sie waren Institutionen, die aus dem Bretton-Woods-Abkommen von 1942 [2] hervorgingen, das die zukünftige Weltwirtschaftsordnung festlegte, die am Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet werden sollte. Damals sprach der damalige US-Präsident Franklin Roosevelt diese prophetischen Worte:
„Der Punkt in der Geschichte, an dem wir stehen, ist voller Versprechen und Gefahren. Die Welt wird sich entweder in Richtung Einheit und weit verbreiteten Wohlstand bewegen oder sie wird sich in notwendigerweise konkurrierende Wirtschaftsblöcke aufteilen.“
Roosevelt bezog sich auf die Spaltung zwischen den USA und ihren Verbündeten und der Sowjetunion. Dieser „Kalte Krieg“ endete mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1990. Aber jetzt, 35 Jahre später, haben Roosevelts Worte einen neuen Kontext: zwischen den USA und ihren Verbündeten und einem aufstrebenden Block von Nationen des „globalen Südens“.
Die in Bretton Woods vereinbarte Weltwirtschaftsordnung etablierte die USA als hegemoniale Wirtschaftsmacht in der Welt.
1945 war das Land die größte Produktionsnation der Welt, verfügte über den wichtigsten Finanzsektor, die schlagkräftigsten Streitkräfte – und dominierte den Welthandel und die Investitionen durch die internationale Verwendung des Dollars.
John Maynard Keynes war maßgeblich an den Verhandlungen in Bretton Woods beteiligt. [3]
Er kommentierte, dass seine „vorausschauende Idee einer neuen Institution, die die Interessen von Gläubiger- und Schuldnerländern gerechter ausgleichen sollte, abgelehnt wurde“. Keynes' Biograf Robert Skidelsky fasste das Ergebnis zusammen. „Natürlich setzten sich die Amerikaner aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht durch. Großbritannien gab sein Recht auf, die Währungen seines ehemaligen Empires zu kontrollieren, dessen Volkswirtschaften nun unter die Kontrolle des Dollars und nicht des Pfunds gerieten.“ Im Gegenzug "bekamen die Briten Kredit, um zu überleben – aber mit Zinsen. Keynes erklärte dem britischen Parlament, dass der Deal nicht ‚eine Bestätigung der amerikanischen Macht, sondern ein vernünftiger Kompromiss zwischen zwei großen Nationen mit den gleichen Zielen sei, nämlich die Wiederherstellung einer liberalen Weltwirtschaft‘. “
Die anderen Nationen wurden natürlich ignoriert.
Die USA und ihre Verbündeten in Europa dominieren seither den IWF und die Weltbank, sowohl personell als auch in der Politik. Trotz einiger geringfügiger Reformen des Wahl- und Entscheidungsverfahrens in den letzten 80 Jahren wird der IWF weiterhin von den G7-Staaten geführt, sodass andere Länder kaum eine Stimme haben. Insgesamt gibt es 24 Sitze im IWF-Vorstand, wobei das Vereinigte Königreich, die USA, Frankreich, Deutschland, Saudi-Arabien, Japan und China jeweils über einzelne Sitze verfügen – und die USA bei wichtigen Entscheidungen ein Vetorecht haben.
Was die Wirtschaftspolitik betrifft, so ist der IWF vielleicht am bekanntesten für die Auferlegung von „Strukturanpassungsprogrammen“. IWF-Kredite wurden Ländern in wirtschaftlicher Notlage unter der Bedingung „gewährt“, dass sie sich bereit erklärten, ihre Defizite auszugleichen, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen, ihre Märkte zu öffnen und Schlüsselsektoren der Wirtschaft zu privatisieren. [4]
Die am häufigsten empfohlene IWF-Politik besteht nach wie vor darin, die öffentlichen Lohnkosten zu kürzen oder einzufrieren.
Und der IWF weigert sich nach wie vor, progressive Steuern auf das Einkommen und Vermögen der reichsten Einzelpersonen und Unternehmen zu fordern.
Im Jahr 2024 befinden sich nun 54 Länder in einer Schuldenkrise[5] und viele geben mehr für den Schuldendienst aus als für die Finanzierung von Bildung oder Gesundheit. [6]
Die Kriterien der Weltbank für Kredite und Hilfen an die ärmsten Länder entsprechen auch weiterhin der vorherrschenden wirtschaftlichen Auffassung, dass öffentliche Investitionen lediglich dazu dienen, den Privatsektor zu ermutigen, die Aufgabe von Investitionen und Entwicklung zu übernehmen. Die Weltbank-Ökonomen ignorieren die Rolle staatlicher Investitionen und Planung. [7] Stattdessen möchte die Bank „global bestreitbare Märkte schaffen, die Regulierung der Faktor- und Produktmärkte verringern, unproduktive Unternehmen loslassen, den Wettbewerb stärken und die Kapitalmärkte vertiefen“.
Kristalina Georgieva wurde gerade für eine zweite Amtszeit als IWF-Chefin bestätigt. Und sie spricht jetzt von "integrativen" Wirtschaftspolitiken. [8] Sie sagt, sie wolle die „globale Zusammenarbeit verstärken und die wirtschaftliche Ungleichheit verringern“.
Der IWF behauptet, er kümmere sich nun um die negativen Folgen der fiskalischen Sparmaßnahmen und verweist dabei oft darauf, dass die Sozialausgaben durch Bedingungen, die eine Ausgabenuntergrenze vorschreiben, vor Kürzungen geschützt werden sollten.
Eine Oxfam-Analyse von siebzehn aktuellen IWF-Programmen[9] ergab jedoch, dass der IWF diese Länder dazu ermutigte, für jeden Dollar, den sie für den Sozialschutz ausgeben sollten, vier Dollar durch Sparmaßnahmen einzusparen. Die Analyse kam zu dem Schluss, dass die Untergrenzen für Sozialausgaben „völlig unzureichend, inkonsequent, undurchsichtig und letztlich gescheitert“ seien.
Bis vor kurzem ging der IWF davon aus, dass ein schnelleres Wachstum von einer höheren Produktivität, freiem Kapitalfluss, Globalisierung des internationalen Handels und „Liberalisierung“ der Märkte, einschließlich der Arbeitsmärkte (was eine Schwächung der Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaften bedeutet), abhängt.
Ungleichheit spielte dabei keine Rolle. Dies war die neoliberale Formel für Wirtschaftswachstum. Doch die Erfahrungen mit der Großen Rezession 2008/2009 und dem pandemiebedingten Einbruch 2020 scheinen der Wirtschaftshierarchie des IWF eine ernüchternde Lektion erteilt zu haben. Jetzt leidet die Weltwirtschaft unter „anämischem Wachstum“.
Der IWF ist also besorgt. Georgieva sagte, der Grund für die Verlangsamung und das niedrige reale BIP-Wachstum in den großen Volkswirtschaften sei die zunehmende Ungleichheit von Vermögen und Einkommen:
„Wir haben die Pflicht, das zu korrigieren, was in den letzten 100 Jahren am schlimmsten falsch gelaufen ist – das Fortbestehen der hohen wirtschaftlichen Ungleichheit. Untersuchungen des IWF zeigen, dass eine geringere Einkommensungleichheit mit einem höheren und nachhaltigeren Wachstum verbunden sein kann.“ Klimawandel, zunehmende Ungleichheit und eine verstärkte geopolitische „Fragmentierung“ bedrohen auch die Weltwirtschaftsordnung und die Stabilität des sozialen Gefüges des Kapitalismus.[10]
Während der langen Depression der 2010er Jahre hat sich die Globalisierung entlang geopolitischer Linien fragmentiert – im Jahr 2023 wurden rund 3.000 handelsbeschränkende Maßnahmen verhängt, fast dreimal so viele wie 2019. Georgieva ist besorgt: „Die geoökonomische Fragmentierung verschärft sich, da die Länder Handels- und Kapitalströme verlagern. Die Klimarisiken nehmen zu und wirken sich bereits auf die Wirtschaftsleistung aus, von der landwirtschaftlichen Produktivität über die Zuverlässigkeit des Transports bis hin zur Verfügbarkeit und den Kosten von Versicherungen. Diese Risiken könnten Regionen mit dem größten demografischen Potenzial, wie z. B. Subsahara-Afrika, zurückwerfen.“
Unterdessen belasten höhere Zinssätze und Kosten für den Schuldendienst die Staatshaushalte, sodass den Ländern weniger Spielraum bleibt, um grundlegende Dienstleistungen bereitzustellen und in Menschen und Infrastruktur zu investieren.
Deshalb strebt Georgieva für ihre neue fünfjährige Amtszeit einen neuen IWF- Ansatz an. [11]Das bisherige neoliberale Modell für Wachstum und Wohlstand muss durch ein „integratives Wachstum“ ersetzt werden, das darauf abzielt, Ungleichheiten abzubauen und nicht nur das reale BIP zu steigern. Die wichtigsten Themen sollten jetzt „Inklusion, Nachhaltigkeit und globale Governance sein, wobei der Schwerpunkt auf der Beseitigung von Armut und Hunger liegt.“
Aber können der IWF oder die Weltbank wirklich etwas ändern, selbst wenn Georgieva dies möchte, solange die USA und ihre Verbündeten diese Institutionen kontrollieren?
Die Bedingungen für IWF-Kredite haben sich kaum geändert. Es gibt vielleicht einen gewissen Schuldenerlass (d. h. eine gewisse Umstrukturierung bestehender Kredite), aber keine Streichung von belastenden Schulden. Was die Zinssätze für diese Kredite betrifft, so verhängt der IWF tatsächlich versteckte zusätzliche Strafzinsen für sehr arme Länder, die ihren Rückzahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können! NAchdem es immer mehr Proteste gegen diese Strafen gab, wurden diese Sätze gesenkt (nicht abgeschaftt), wodurch die Kosten für die Schuldner um (nur) 1,2 Mird. US-Dollar pro Jahr gesenkt wurden.
Christine Lagarde, die Leiterin der Europäischen Zentralbank (EZB), war die vorherige IWF-Chefin. Sie hielt im vergangenen Frühjahr eine wichtige Grundsatzrede vor dem US-amerikanischen Council of Foreign Relations in New York. Lagarde sprach nostalgisch über die Zeit nach 1990 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die angeblich eine neue Blütezeit der globalen Dominanz der USA und ihrer „Allianz der Willigen“ einläutete.
"In der Zeit nach dem Kalten Krieg profitierte die Welt von einem bemerkenswert günstigen geopolitischen Umfeld. Unter der hegemonialen Führung der Vereinigten Staaten blühten regelbasierte internationale Institutionen auf und der Welthandel expandierte. Dies führte zu einer Vertiefung der globalen Wertschöpfungsketten und, als China der Weltwirtschaft beitrat, zu einer massiven Zunahme des globalen Arbeitskräfteangebots."
Dies waren die Tage der Globalisierungswelle mit steigenden Handels- und Kapitalströmen; der Vorherrschaft von Bretton-Woods-Institutionen wie dem IWF und der Weltbank, die die Kreditbedingungen diktierten; und vor allem der Erwartung, dass China nach seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 in den imperialistischen Block aufgenommen werden würde.
Doch es kam anders als erwartet. Die Globalisierungswelle fand nach der Großen Rezession ein jähes Ende und China spielte bei der Öffnung seiner Wirtschaft für die multinationalen Unternehmen des Westens nicht mit. [12]
Dies zwang die USA dazu, ihre China-Politik von „Engagement“ auf „Eindämmung“ umzustellen – und das mit zunhemneder Intensität in den letzten Jahren. Und dann kam die erneute Entschlossenheit der USA und ihrer europäischen Satelliten, ihre Kontrolle nach Osten auszuweiten und so sicherzustellen, dass Russland bei dem Versuch scheitert, die Kontrolle über seine Grenzländer auszuüben, und Russland als Gegenkraft zum imperialistischen Block dauerhaft zu schwächen. Dies führte zur russischen Invasion in der Ukraine.
Dies leitet über zum Aufstieg des BRICS-Länderblocks. BRICS ist die Abkürzung für Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die ursprünglichen Mitglieder. Jetzt wird in Kasan das erste Treffen von BRICS-plus mit seinen neuen Mitgliedern stattfinden: Iran, Ägypten, Äthiopien, die Vereinigten Arabischen Emirate (und vielleicht Saudi-Arabien).
Unter Linken wird viel optimistisch darüber gesprochen, dass das Entstehen der BRICS-Gruppe das Gleichgewicht der wirtschaftlichen und politischen Kräfte weltweit verändern wird. Es stimmt, dass das BIP der fünf BRICS-Staaten zusammen genommen 13] inzwischen größer ist als das der G7-Staaten, wenn man die Kaufkraftparität zugrunde legt (ein Maß dafür, was man mit dem BIP im Inland an Waren und Dienstleistungen kaufen kann).
Und wenn man die neuen Mitglieder hinzurechnet, wird der Abstand noch größer.
Aber es gibt auch Einschränkungen. Erstens ist es innerhalb der BRICS China, das den Großteil des BRICS-BIP erwirtschaftet (mit einem Anteil von 17,6 Prozent am globalen BIP), gefolgt von Indien mit großem Abstand (7 Prozent); während Russland (3,1 Prozent), Brasilien (2,4 Prozent) und Südafrika (0,6 Prozent) zusammen nur 6,1 Prozent des Welt-BIP ausmachen.
Die BRICS verfügen nicht über eine gleichmäßig verteilte Wirtschaftskraft. Und wenn wir das BIP pro Person messen, sind die BRICS-Staaten wenig auffällig.
Selbst bei Verwendung von KKP-bereinigten internationalen Dollar beträgt das Pro-Kopf-BIP der Vereinigten Staaten 80.035 US-Dollar, mehr als das Dreifache des BIP Chinas, das 23.382 US-Dollar beträgt.
Die BRICS+-Gruppe wird zunächst eine viel kleinere und schwächere Wirtschaftsmacht bleiben als der imperialistische G7-Block.
Darüber hinaus sind die BRICS-Staaten in Bezug auf Bevölkerung, Pro-Kopf-BIP, geografische Lage und Handelsstruktur sehr unterschiedlich.
Und die herrschenden Eliten in diesen Ländern liegen oft im Streit (Brasilien gegen Russland, Iran gegen Saudi-Arabien, China gegen Indien- wobei das aktuelle BRICS-Treffen Anlass zu einer Lösung des Grenzkonfliktes war).
Im Gegensatz zur G7, die zunehmend homogene wirtschaftliche Ziele unter der festen hegemonialen Kontrolle der USA verfolgt, ist die BRICS-Gruppe in Bezug auf Wohlstand und Einkommen uneinheitlich und hat keine einheitlichen wirtschaftlichen Ziele – außer vielleicht dem Versuch, sich von der wirtschaftlichen Dominanz der USA und insbesondere des US-Dollars zu lösen.
Und selbst dieses Ziel wird schwer zu erreichen sein. Die wirtschaftliche Dominanz der USA ist weltweit zwar relativ zurückgegangen und auch der Dollar hat an Bedeutung verloren, doch ist der Dollar nach wie vor die mit Abstand wichtigste Währung für Handel, Investitionen und nationale Reserven. [14]
Etwa die Hälfte des gesamten Welthandels wird in Dollar abgerechnet, und dieser Anteil hat sich kaum verändert.
Der US-Dollar war an fast 90 % der weltweiten Devisentransaktionen beteiligt und ist damit die am meisten gehandelte Währung auf dem Devisenmarkt.
Etwa die Hälfte aller grenzüberschreitenden Kredite, internationalen Schuldverschreibungen und Handelsrechnungen lauten auf US-Dollar, während etwa 40 Prozent der SWIFT-Nachrichten und 60 Prozent der weltweiten Devisenreserven in Dollar angegeben sind.
Der chinesische Yuan gewinnt weiterhin allmählich an Wert und der Anteil des Renminbi am weltweiten Devisenumsatz ist von weniger als 1 % vor 20 Jahren auf jetzt mehr als 7 % gestiegen. Aber die chinesische Währung macht immer noch nur 3 Prozent der globalen Devisenreserven aus, gegenüber 1 Prozent im Jahr 2017. Und China scheint den Dollar-Anteil seiner Reserven in den letzten zehn Jahren nicht verändert zu haben.
"Kurz gesagt, Länder/Unternehmen/Institutionen, die sich für eine Ent-Dollarisierung einsetzen, tragen entweder erhebliche Kosten und Risiken oder laufen Gefahr, diese zu tragen. Im Gegensatz dazu gibt es keine entsprechenden unmittelbaren Vorteile durch die Abkehr vom Dollar. Daher wird die große Mehrheit der Länder/Unternehmen/Institutionen nicht auf den Dollar verzichten, es sei denn, sie werden dazu gezwungen. Der Dollar kann daher nicht als internationale Währungseinheit ersetzt werden, ohne dass sich die globale internationale Situation grundlegend ändert, wofür die objektiven internationalen Bedingungen noch nicht gegeben sind."[15]
Darüber hinaus sind multilaterale Institutionen, die eine Alternative zu den bestehenden (von den imperialistischen Volkswirtschaften kontrollierten) Institutionen IWF und Weltbank darstellen könnten, immer noch winzig und schwach. Zum Beispiel gibt es die 2015 in Shanghai gegründete Neue Entwicklungsbank der BRICS-Staaten. Die NDB wird von der ehemaligen linken Präsidentin Brasiliens, Dilma, geleitet. Es wird viel darüber geredet, dass die NDB den imperialistischen Institutionen IWF und Weltbank einen Gegenpol in Sachen Kredit bieten kann. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ein ehemaliger Beamter der South African Reserve Bank (SARB) kommentierte: „Die Vorstellung, dass BRICS-Initiativen, von denen die NDB bisher die bekannteste ist, die vom Westen dominierten multilateralen Finanzinstitutionen ersetzen werden, ist ein Wunschtraum.“
Und wie Patrick Bond es kürzlich ausdrückte: "Die Rolle der BRICS in der globalen Finanzwelt, die sich verbal links und in der Praxis rechts positioniert, zeigt sich nicht nur in der energischen finanziellen Unterstützung des Internationalen Währungsfonds in den 2010er Jahren, sondern auch in der Entscheidung der BRICS New Development Bank – angeblich eine Alternative zur Weltbank – Anfang März ihr russisches Portfolio einzufrieren, da sie sonst ihr westliches Kreditrating von AA+ nicht beibehalten hätte. “ Und Russland ist zu 20 % Anteilseigner der NDB.
Die BRICS sind ein Sammelsurium von Nationen mit Regierungen, die keine internationalistische Perspektive haben, schon gar nicht eine, die auf dem Internationalismus der Arbeiterklasse basiert, und die von autokratischen Regimen geführt werden, in denen die arbeitende Bevölkerung wenig oder gar nichts zu sagen hat, oder von Regierungen, die immer noch stark an die Interessen des imperialistischen Blocks gebunden sind.
Kehren wir zu Bretton Woods und Roosevelts Prophezeiung zurück. Viele moderne Keynesianer halten das Bretton-Woods-Abkommen für einen der größten Erfolge der keynesianischen Politik, da es die Art von globaler Zusammenarbeit ermöglicht, die die Weltwirtschaft braucht, um aus der aktuellen Depression herauszukommen. Es ist nämlich erforderlich, dass sich alle großen Volkswirtschaften der Welt zusammensetzen, um ein neues Handels- und Währungsabkommen mit Regeln auszuarbeiten, die sicherstellen, dass alle Länder zum Wohle der Weltgemeinschaft handeln.
Zwei Keynsianer der Demokratischen Partei in den USA waren kürzlich der Meinung, dass „eine andere Art von Weltanschauung noch nie so klar war. Dies zeigt ein Blick auf eines der Probleme unserer Zeit, vom Klima über Ungleichheit bis hin zur sozialen Ausgrenzung ... Die Gestaltung eines neuen globalen Wirtschaftsrahmens erfordert ein globales Gespräch.“
Das ist in der Tat richtig, aber ist das in einer Welt, die von einem imperialistischen Block kontrolliert wird, der von einem zunehmend protektionistischen und militaristischen Regime (mit Trump am Horizont) angeführt wird, wirklich möglich? Kann ein loses Bündnis von Regierungen, die oft ihre eigenen Völker ausbeuten und unterdrücken, Widerstand leisten? In einer solchen Situation sind Hoffnungen auf eine neue koordinierte Weltordnung in den Bereichen globales Geld, Handel und Finanzen ausgeschlossen. Ein neues und faires „Bretton Woods“ wird es im 21. Jahrhundert nicht geben – im Gegenteil.
Zurück zu Lagarde: „Der wichtigste Faktor, der die internationale Währungsnutzung beeinflusst, ist die ‚Stärke der Fundamentaldaten‘.
Mit anderen Worten:
Einerseits der Trend zur Schwächung der Volkswirtschaften im imperialistischen Block, die im weiteren Verlauf des Jahrzehnts mit sehr langsamem Wachstum und Einbrüchen konfrontiert sind, [16] und andererseits die anhaltende Expansion Chinas und sogar Indiens.
Das bedeutet, dass die starke militärische und finanzielle Dominanz der USA und ihrer Verbündeten auf den Hühnerbeinen einer relativ schlechten Produktivität, Investition und Rentabilität steht. Das ist ein Rezept für globale Fragmentierung und Konflikte.
[1] https://brics-russia2024.ru/en/summit
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Bretton_Woods_Conference
[3] https://thenextrecession.wordpress.com/2016/04/23/keynes-and-bretton-woods-70-years-later
[4] https://actionaid.org/publications/2021/public-versus-austerity-why-public-sector-wage-bill-constraints-must-end
[5] https://debtjustice.org.uk/countries-in-crisis
[6] https://thenextrecession.wordpress.com/2024/08/14/bangladesh-the-global-south-debt-crisis-intensifies
[7] https://www.worldbank.org/en/publication/wdr2024
[8] https://thenextrecession.wordpress.com/2024/04/30/inclusive-economics-and-the-imf
[9] https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/handle/10546/621495/bp-imf-social-spending-floors-130423-en.pdf?sequence=4&isAllowed
[10] https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2024/02/26/how-the-g20-can-build-on-the-world-economys-recent-resilience?s=09
[11] https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2024/02/26/how-the-g20-can-build-on-the-world-economys-recent-resilience?s=09
[12] https://thenextrecession.wordpress.com/2022/04/27/has-globalisation-ended
[13] https://theprint.in/economy/led-by-china-india-the-5-brics-nations-now-contribute-more-to-world-gdp-than-industrialised-g7/1490881
[14] https://thenextrecession.wordpress.com/2023/04/22/a-multipolar-world-and-the-dollar
[15] John Ross ist Senior Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies der Renmin University of China
https://mronline.org/2024/06/18/what-is-the-realistic-strategy-for-de-dollarisation
[16] https://www.worldbank.org/en/research/publication/long-term-growth-prospects
De-Dollarisierung und BRICS-Gipfel (II/III)
Sie wollen die Dominanz des US-Dollars im Weltwirtschafts- und globalen Finanzsystem brechen, verstehen sich dabei aber nicht als ein antiwestliches, sondern als ein nichtwestliches Bündnis.
Die Experten spekulierten vor dem Treffen, ob es zu konkreten Maßnahmen führen würde. Wenige erwarteten einen Durchbruch. Ein solcher blieb dann auch aus.
Doch Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und die neuen Mitglieder des Bündnisses – Ägypten, Äthiopien, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate – sowie 13 assoziierte Staaten (unter ihnen Kuba und Bolivien) wollen sich aus der Abhängigkeit von westlichen, insbesondere von US-amerikanischen Institutionen lösen und eine eigenständige Finanzarchitektur errichten.
Sie streben seit langem eine Entdollarisierung (De-Dollarisierung) der Weltwirtschaft an.
Daran halten sie fest. Die Bestrebungen stoßen auf die Sympathie vieler Staaten. Mehr als 30 wollen sich dem Diktat des Dollars entziehen und sind interessiert, mit dem BRICS-Bündnis zusammenzuarbeiten, Mitglieder oder Partner zu werden.
Dollarisierung bedeutet, dass der US-Dollar als die Leitwährung im internationalen Handel auftritt und sich andere Währungen unterordnet. Tatsächlich ist er die wichtigste Rechnungs- und Reservewährung der Welt, dominiert als Tauschmittel und Mittel der Wertaufbewahrung den Welthandel, hat in beiden Funktionen die nationalen Währungen weitgehend verdrängt.
Noch immer wird das Rohöl zum überwiegenden Teil in Dollar gehandelt. Will ein Land Öl importieren, muss es Dollar besitzen oder sich beschaffen. Zwar musste der Dollar einen merklichen Verlust seines Ansehens hinnehmen. Sein Anteil an den Weltwährungsreserven ging seit 1970 um 25 Prozent zurück, er beträgt aber immer noch 58 Prozent, der des Euro 20 Prozent. Der Anteil des chinesischen Renminbis (Yuan) hat erst gut 2 Prozent erreicht, obgleich China, gemessen am nominalen Bruttoinlandprodukt hinter den USA die zweite, gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandprodukt sogar die mächtigste Volkswirtschaft der Welt ist und von allen Ländern die größten Devisen – und Goldreserven besitzt. Der Name Renminbi bedeutet „Volkswährung“ oder „Volksgeld“, Er ist der Name für die chinesische Währung im Allgemeinen, nicht aber für die Geldeinheit. Die chinesische Geldeinheit ist der Yuan. Ein Euro entsprach im Herbst 2024 etwa acht Yuan. Die chinesische Zentralbank legt ihre riesigen Überschüsse überwiegend in auf Dollar lautende US-Staatsanleihen an.[1] Andererseits hat China im ersten Quartal 2024 US-Anleihen im Wert von 53,3 Milliarden US-Dollar verkauft, ein historischer Höchststand, der als ein Element der De-Dollarisierung gedeutet werden könnte.
Doch Vorsicht:
Trotz eines Bedeutungsverlustes wird der US-Dollar nach wie vor global als Welt- und Leitwährung akzeptiert.
Mit ihm wird die Hälfte aller internationalen Zahlungen verrechnet und beglichen. Daneben haben mehrere Länder ihre Währungen fest an den US-Dollar gebunden, wie die Bahamas, Barbados, Eritrea, Jordanien, Katar, Libanon, Grenada, Saudi-Arabien u.a. Die Ölförderländer Oman, Saudi-Arabien und Katar haben ihre Währungen mit dem US-Dollar verknüpft, weil die USA ihr wichtigster Handelspartner für Öl ist. Die Zentralbank von Oman hat z. B. den Wert des omanischen Rial auf 2,6008 US-Dollar festgelegt und ihn damit fest mit der US-Währung verbunden. Der Kurs des Rial schwankt wie der des Dollar. Auch die Währung der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong – der Hongkong-Dollar – ist an den US-Dollar gekoppelt, die Währungen von Singapur und Malaysia waren es gewesen. Es gibt sogar Staaten wie die lateinamerikanischen Länder Panama, Ecuador und El Salvador, die den US-Dollar als inländische Hauptwährung eingeführt haben.
Der Dollar zirkuliert in den nationalen Wirtschaftskreisläufen, wofür die Staaten über entsprechende Dollarreserven verfügen müssen. Länder, in den der US-Dollar die offizielle staatliche Inlandswährung ist, verzichten zwangsläufig auf eine eigene Währungspolitik. In vielen Ländern mit einer schwachen Währung ist eine gute Zweitwährung begehrt und im Umlauf. Inländer und Touristen bevorzugen sie. Als Zweitwährung fungiert meist der US-Dollar, zum Beispiel in Kambodscha, Simbabwe und Liberia, aber auch in Mexiko, in Chile oder in Brasilien und Argentinien, den immerhin achtgrößten Staat der Erde. In Argentinien ist es erlaubt, Verträge in Dollarwährungen abzuschließen und Rechnungen in US-Dollar auszustellen.
In Kuba konnte früher der für Touristen verfügbare konvertible Peso nur gegen Euro getauscht werden. Der US-Dollar wurde dort offiziell nicht akzeptiert. So war es nicht möglich, in den Geschäften und Restaurants in Kuba direkt mit US-Dollar zu bezahlen. Die kubanische Regierung hat die Restriktionen gelockert. Der US-Dollar kann nun offiziell in Kuba verwendet werden. Viele Geschäfte und Anbieter von Dienstleistungen akzeptieren ihn als Zahlungsmittel.
De-Dollarisierung bedeutet, die Dollar-Hegemonie zu beenden, die über Jahrzehnte anhaltende, unangefochtene Dominanz des US-Dollars in den Weltfinanzbeziehungen zu überwinden.
Die Gründe sind leicht einzusehen. Drastische finanzielle Sanktionen, zum Beispiel gegenüber dem Iran oder Russland, zeigen, dass die Weltmacht USA ihre Währung als Waffe gegen unliebsame Staaten einsetzt. Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) benutzen den US-Dollar als Druckmittel gegenüber Nationen, die den USA und ihren westlichen Verbündeten suspekt sind oder die sich in Not befinden.
Russische Banken wurden von internationalen Zahlungstransaktionen abgekoppelt, die Auslandsreserven der russischen Zentralbank eingefroren. Der Westen verweigert den russischen Gläubigern den Zugriff auf ihre Euro- und Dollarguthaben, der Schuldner bricht sein Versprechen, dem ausländischen Inhaber dessen Geld zurückzuzahlen – „eine kalte Enteignung von gut 300 Milliarden Euro“ gegenüber der russischen Zentralbank, sagt Lucas Zeise.[2]
US-Dollar und Euro werden „militarisiert“. Von den USA und Westeuropa als Waffen missbraucht, untergraben sie das Vertrauen, das die Geld- und Währungssysteme benötigen, um zu funktionieren. Aaron Sahr spricht von einer „monetären Kriegführung“. Er nennt die Abkopplung russischer Banken vom westlichen Nachrichten- und Zahlungsverkehrssystem SWIFT, sich auf das „Handelsblatt“ beziehend, eine „finanzielle Atombombe“.[3] SWIFT ist die Abkürzung für „Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication“. Die 1973 gegründete und in Belgien ansässige Gesellschaft stellt die technischen Mittel zur Verfügung, damit die Geldinstitute über Landesgrenzen hinweg Banküberweisungen und andere Finanztransaktionen wie Wertpapier- und Edelmetallgeschäfte schnell und sicher abwickeln können.
Mehr als 11 000 Teilnehmer in 210 Ländern nutzen nach Angaben von SWIFT den Dienst. Rund die Hälfte des internationalen Zahlungsverkehrs wird in US-Dollar, gut ein Fünftel in Euro abgewickelt. Der Westen schloss Russland aus dem internationalen Finanzsystem aus und zwingt es, Alternativen zu suchen. Der Vorgang besitzt grundsätzliche Bedeutung, die über die geopolitischen Aspekte finanzieller Sanktionen hinausgehen. Welcher Staat sollte weiter Euro- und Dollarguthaben aufbauen, wenn diese von heute auf morgen für nichtig erklärt werden können? Was einigermaßen funktioniert, solange „die USA mehr oder weniger die unumstrittene Hegemonialmacht waren, wird sich in der multipolaren Welt der Gegenwart wahrscheinlich nicht mehr umsetzen lassen“, schreibt Sahr. „Ansprüche gegen das europäische oder US-amerikanische Bankensystem zu halten, könnte von anderen Ländern zunehmend als geostrategisches Sicherheitsrisiko eingeschätzt werden. Sie werden also womöglich, wie es Russland, Indien oder China bereits versuchen, nach alternativen Arrangements zur Abwicklung internationaler Zahlungen suchen.“[4]
In den BRICS-Staaten lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung, im erweiterten Bündnis sogar 70 Prozent. Sie produzieren 35 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts, die G7- Staaten 30 Prozent.
Die Teilnehmerstaaten bekräftigten auf dem 16. Gipfeltreffen in Kasan ihre Intentionen. In ihrer Abschlusserklärung – „Kazan Declaration“ – verurteilen sie die westlichen Sanktionen und sehen Maßnahmen vor, um die wirtschaftliche Kooperation im Bündnis zu fördern und zu stärken. Sie bekennen sich ein weiteres Mal zu der bekannten Absicht, sich vom westlichen, also vom US-Dollar und Euro-zentrierten Finanzsystem zu lösen.
So wollen sie im gegenseitigen Handel und für Kredite verstärkt nationale Währungen nutzen, dabei die Rolle der BRICS-eigenen NEW Development Bank (NDB) stärken sowie analog dem SWIFT-Modell ein grenzüberschreitendes BRICS-Zahlungssystem und einen Clearing-Mechanismus errichten, eine digitale Abwicklungs- und Zahlungsplattform im BRICS-Rahmen.
Die NDB soll Kredite zu günstigen Bedingungen in lokalen Währungen ausreichen, um die Infrastruktur zu modernisieren, den Wohnungsbau zu finanzieren und die nationale Produktion der Bündnisländer voranzubringen und zu stärken. Doch konkrete Fortschritte erreichten die Teilnehmer des Gipfeltreffens nicht. In Kasan verabredeten die Mitgliedsländer lediglich zu prüfen, inwieweit eine unabhängige Zahlungs- und Reserveplattform (BRICS-Clear) installiert werden kann. Über den bisherigen Stand kam man nicht hinaus. Es ist daher kaum damit zu rechnen, dass in Bälde ein unabhängiges BRICS-Zahlungssystem errichtet wird, obwohl sich 159 Länder bereiterklärt haben sollen, es zu übernehmen, Länder, die keine guten Beziehungen zu den USA haben und der Ansicht sind, dass die USA das SWIFT-System gegen sie einsetzen.[5] Die geld- und finanzpolitischen Absichtserklärungen waren erwartet worden. Doch Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrates in Russland, dem Oberhaus des russischen Parlaments, hatte vor dem Gipfel gehofft und angekündigt, dass die Festlegungen einschlagen würden wie eine Bombe. Auch einige westliche Journalisten hatten Arges befürchtet. Sie spekulierten, die Teilnehmerstaaten könnten sich zu einer gemeinsamen Währung entschließen, über die sie schon viele Jahre diskutiert hatten. Aber die Teilnehmer des Kasaner Treffens ließen keine „Bombe“ platzen. Weitreichende, schnelle und konkrete Fortschritte blieben aus.
Das Interesse der mächtigen Mitgliedstaaten China und Indien ist zu groß, ihre globalen Geschäfte innerhalb des Dollarraums auszubauen. Ein radikaler Bruch mit dem westlich dominierten Weltfinanzsystem würde das sehr erschweren. Er steht für beide Länder nicht zur Debatte.
Wie könnte es weitergehen?
Sicher ist, dass die Zukunft ungewiss ist. Möglich erscheint Vieles.
Der brasilianische Präsident Luiz Inácio hatte 2023 vorgeschlagen, eine BRICS-eigene Währung als Alternative zum US-Dollar zu schaffen. Die Vorstellung über eine eigene Währung – das BRICS-Großprojekt – gibt es schon seit längerem. Sie gedieh, ist kein Hirngespinst, aber keineswegs ausgereift. Die denkbare und erwünschte Einheitswährung wurde zunächst unter dem Arbeitstitel R5 diskutiert. Die Landeswährungen der fünf BRICS-Staaten beginnen mit dem Buchstaben R. Brasilien hat den Real, Russland den Rubel, Indien die Rupie, China den Renminbi-Yuan und Südafrika den Rand. Es war vorgeschlagen worden, die Schwäche und Instabilität der fünf Währungen zu beheben, indem die Einheitswährung an das Gold gekoppelt wird. Gold gilt zwar als politisch neutral und als eine wertvolle, sichere Anlage, jedoch ist es unwahrscheinlich, dass es zu einer goldgedeckten BRICS-Währung kommt, auch wenn die Zentralbanken der BRICS-Länder seit Beginn des Jahres 2023 800 Tonnen Gold erworben haben, China allein 225 Tonnen.[6]
Das Projekt einer gemeinsamen Rechnungseinheit wurde auch unter dem Namen UNIT (United New International Trade) diskutiert. UNIT sollte vergleichbar sein mit dem transferablen Rubel des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Die Überlegungen gingen davon aus, den Wert der gemeinsamen Rechnungseinheit zu 40 Prozent an den Wert des Goldes und zu 60 Prozent an einen Korb nationaler Währungen der BRICS-Länder zu binden. Der Vorteil wäre, dass die Rechnungseinheit, die in jede nationale Währung umgewandelt werden kann, liquider und praktikabler ist als jede von ihnen. Doch das Projekt der gemeinsamen Währung und Rechnungseinheit wurde auf dem Gipfel nicht weiter verfolgt. Offenbar setzen die Teilnehmer zunächst auf die stärkere Nutzung ihrer nationalen Währungen im gegenseitigen Handel und Kapitalverkehr, um den Dollar aus dem Zahlungsverkehr zwischen ihnen zu verbannen, ohne die Hoffnung auf eine gemeinsame Währung gänzlich aufzugeben.[7] „Banken, Zentralbanken und die Entwicklungsbanken sollen demnach enger zusammenrücken und den Zahlungsverkehr untereinander verstärkt in den Landungswährungen regeln. ‚Eine dringende Aufgabe besteht darin, die Verwendung nationaler Währungen zur Finanzierung von Handel und Investitionen zu fördern‘, fasste Putin auf der Gipfelsitzung im erweiterten Rahmen das Anliegen der Teilnehmer zusammen.“[8] Neue praktische Schritte, eine eigene Währung zu etablieren, unterblieben in Kasan. Lucas Zeise hat recht, dass es schwer ist, eine Währung per Dekret oder Beschluss aus dem Boden zu stampfen, die überall akzeptiert wird.[9] Statt sich auf eine gemeinsame Währung zu einigen, ist zu erwarten, dass die BRICS-Staaten vorerst ein Netzwerk bilateraler und minilateraler Institutionen wie etwa Swap-Linien, Clearing-Banken und Zahlungsinfrastrukturen schaffen, die Transaktionen in lokaler Währung erleichtern und die „Ent-Dollarisierung“ auf andere Weise voranbringen.[10]
Es ist davon auszugehen, dass die aktuelle Dollar-Dominanz für eine absehbare Zeit erhalten bleibt, sich aber weiter abschwächen könnte.
Der Dollar wird die internationale Leitwährung bleiben, muss aber weiter verstärkt um seine unangefochtene Position bangen.
Der Euro und der chinesische Renminbi werden wie bereits heute ihren Einfluss in der Nachbarschaft der Eurozone behaupten, aber auf globaler Ebene die Rolle des US-Dollar als internationale Währung erst einmal nicht ernsthaft gefährden.
China wickelt beispielsweise mit dem von westlichen Finanzsanktionen betroffenen Iran Ölexporte in seiner Landeswährung Renminbi ab. Auch mit anderen Staaten ist das denkbar. Erleichtert würde die stärkere internationale Verwendung der chinesischen Währung, wäre sie vollständig konvertibel. Weshalb aber sollte Saudi-Arabien z. B. einen nichtkonvertiblen Renminbi akzeptieren, wenn der Bedarf an chinesischen Gütern überschaubar ist, und warum sollte das Indien tun, das sein Öl aus dem Ausland mit Rupien bezahlen darf?
Solange die BRICS-Staaten starke Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit den Ländern des Dollar-Raums unterhalten, erscheint es realistisch, dass der US-Dollar für viele Länder auch weiterhin das geeignete Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung bleiben wird, solange er uneingeschränkt international konvertibel ist und jederzeit gewinnbringend angelegt werden kann, sei es als Direktinvestitionen, Aktien oder Kredite.
Mittel- und langfristig kann nicht ausgeschlossen werden, dass mehrere gegeneinander konkurrierende Währungsblöcke entstehen und sich festigen. Ein Renminbi-Block könnte sich als Gegengewicht zum Dollarblock bilden. Das Szenario stimmt überein mit den Bekundungen der BRICS-Staaten, den Einfluss des US-Dollars in den weltwirtschaftlichen Beziehungen zurückzudrängen.
Dagegen spricht momentan noch, dass China fest in das globale Dollarsystem eingebunden ist. Sein exportgetriebenes Wachstum baut auf die Nachfrage aus den USA. Ein Ausbrechen aus dem Dollarraum hätte negative Folgen für die chinesische Wirtschaft. Insgesamt führen die unterschiedlichen Interessen der BRICS-Mitgliedsländer, insbesondere die speziellen Chinas, des wirtschaftlich mächtigsten Landes unter ihnen, dazu, dass eine finale De-Dollarisierung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist.
Doch langfristig ist es möglich, dass sich ein eigenes BRICS-Währungssystem mit einer elektronischen Währung durchsetzen kann und den US-Dollar als Transaktionseinheit des internationalen Handels weiter zurückdrängt.[11]
Trotz magerer Ergebnisse in Kasan, ist die Brics-Gruppe „eine ernstzunehmende Herausforderung für den Westen“, sagt Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF).
„Der muss erst lernen, wie er damit umgehen will. Eine Totalkonfrontation ist kein taugliches Rezept. Aber will man nicht einfach zusehen, wie der eigene weltweite Einfluss schwindet […], bräuchte es erheblich mehr westliche Einigkeit und Entschlossenheit. Und eine verlässliche Führungsmacht, welche die politisch volatilen USA nicht mehr vollumfänglich sind.“[12]
[1] Lucas Zeise, Kampf um den US-Dollar, in: junge Welt, Beilage „Welt im Umbruch“, 23. 10. 2024, S. 5.
[2] ebenda
[3] Aaron Sahr, Waffenfähige Ansprüche. Zur Militarisierung des Geldes im Ukrainekrieg, in: Aaron Sahr (Hrsg.), Geldpolitik im Umbruch, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe, Band 11064, Bonn 2024, S. 197 f., 201.
[4] Ebenda, S. 112.
[5] https://krypto-guru.de/news/brics-zahlungssystem-de-dollarisierung/, 30.10.2024.
[6] https://www.kettner-edelmetalle.de/news/brics-staaten-setzen-auf-gold-us-dollar-reserven-auf-historischem-tiefstand-04-10-2024, 03.11.2024.
[7] „Wir werden uns trotzdem einer Lösung nähern“, hatte Putin noch auf dem vorangegangen Gipfel 2023 per Videoschalte in Johannesburg trotzig-forsch erklärt. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/brics-waehrung-dollar-alternative-1.6171793, 31.10.2024. In Kasan war von einer gemeinsamen BRICS-Währung als Alternative zum US-Dollar keine Rede mehr.
[8] https://finanzmarktwelt.de/brics-gemeinsame-waehrung-bleibt-fata-morgana-327579/, 03.11.2024.
[9] Lucas Zeise, a.a.O.
[10] https://www.faz.net/pro/weltwirtschaft/finanzwelt/globales-finanzsystem-die-brics-schleichen-sich-vom-dollar-davon-110074298.html, 03.11.2024.
[11] Wolfgang Elsner, Gefährlicher Machtverlust, in: junge Welt, Beilage „Welt im Umbruch“, 23.10.2014, S.8.
[12] https://www.srf.ch/news/international/gipfel-in-russland-brics-staaten-einig-ueber-wenig-aber-geeint-gegen-den-westen, 31.10.2024.
Der BRICS-Gipfel sollte das Ende der neokonservativen Wahnvorstellungen markieren
Der BRICS-Gipfel sollte das Ende der neokonservativen Wahnvorstellungen markieren
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XVI. BRICS-Gipfel vom 22. bis 24. Oktober 2024 in Kasan/Russland. Welcher Stellenwert ist ihm zuzumessen?
Der XVI. BRICS-Gipfel in Kasan war eine reine inszenierte Putin-Show.
Folgt man einer derartigen Bewertung, so liegt der Eindruck nahe, dass es bei der Einschätzung des Treffens auch darum gehen sollte, BRICS als seit 2009[1] bestehender nicht-westlicher Staatenverbund insgesamt zu diskreditieren. Und schlimmstenfalls bot sich der Gipfel sogar noch an, ein zusätzliches Feindbild für den Westen zu konstruieren.
Dies alles erfolgte entweder aus Arroganz oder Ignoranz gegenüber den sich global - geoökonomisch wie geopolitisch - vollziehenden grundlegenden Wandlungen staatlicher Kooperation in Richtung auf eine eher multipolar verfasste Weltordnung.
Indessen kommt aber gerade diesem XVI., turnusmäßig in Russland durchgeführten Staaten-Gipfel zumindest in dreierlei Hinsicht eine besondere Bedeutung in der bisherigen, erst jungen Geschichte des BRICS-Staatenverbundes zu:
Zum einen repräsentiert er dessen eigenes, quantitativ gewachsenes Gewicht,
zum zweiten stellt er wichtige Weichen für Ausmaß und Tempo seines weiteren Wirkens für eine sich an der Multipolarität ausrichtende internationale Ordnung und
zum dritten sucht er sich qualitativ neu heranreifenden Inner-BRICS-Entwicklungserfordernissen zu stellen.
Bevor aber auf diesen Gipfel näher eingegangen wird, sollen erst einmal noch die objektiven Grundlagen für das Entstehen und erklärte Streben des BRICS-Staatenverbundes nach einer multipolaren Weltordnung kurz in Erinnerung gerufen werden.
Eine Antwort auf sich verfestigende transatlantische Unipolaritätsbestrebungen
Dass sich BRICS überhaupt formiert hat, steht zweifellos im Zusammenhang mit dem von den USA – berauscht vom Triumpf über den zusammengebrochenen Ostblock - seit Ende der 1990er Jahre eingeschlagenen Kurs zur rigorosen Durchsetzung ihres alleinigen Hegemonieanspruchs in der Welt.
Gemeint sind dabei in erster Linie folgende Ereignisse: 1998 der NATO-Ost-Erweiterungsbeschluss; 1999 der völkerrechtswidrige Krieg gegen Serbien, dem danach noch eine Reihe weiterer derartiger Kriege gefolgt sind sowie im Jahr 2000 die Verabschiedung der Militärdoktrin „Full Spectrum Dominance“.
Währenddessen begannen sich mit dem etwa zeitgleich erfolgenden wirtschaftlichen Aufschwung von Schwellenländern, insbesondere dem Aufstieg Chinas von einem Entwicklungsland zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht in der Welt, die internationalen Koordinaten in Richtung Multipolarität zu verschieben. Das beschreibt einen Trend, der sich seither sukzessive immer weiter verstärkt hat. Und mittlerweile sieht sich eine wachsende Zahl von Staaten, insbesondere des globalen Südens, ermutigt, ihre nationalen Interessen stärker in den internationalen Beziehungen einzubringen und wirken zu lassen. Das geschieht, Indem sie gegenüber den USA undanderen westlichen Ländern selbstbewusster auftreten und ihre außenwirtschaftlichen wie außenpolitischen Beziehungen deutlich multi-vektoraler zu gestalten suchen.
Wenn man so will, hat der Westen mit seinem Beharren auf die alleinige Hegemonie selbst dazu beigetragen, das allmähliche Ende des Zeitalters globaler euroatlantischer Vorherrschaft über die südliche Hemisphäre einzuläuten.
Umso mehr sollten USA- und andere westliche Politiker doch eigentlich auch daran interessiert sein, „ein echtes multipolares System zu schaffen, das auf der gegenseitigen Anerkennung der Kerninteressen jeder Nation beruht“[2], anstatt sich mit allen verfügbaren Mitteln einer weiteren Multipolarisierung der internationalen Ordnung entgegenzustellen. Der BRICS-Staatenverbund versteht sich weder als ausdrücklich anti-amerikanisch oder anti-westlich. Ebenso strebt er nicht danach, sich als nichtwestliches Pendant in der Art einer elitären Steuerungsgruppe fungierenden westlichen G-7 profilieren zu wollen.
Zudem lassen sich noch gewichtige Fakten und Zahlen benennen, die auch im Vergleich zu der G-7 durchaus zugunsten von BRICS zu Buche schlagen. So entfielen auf die G-7 zum Zeitpunkt ihrer Formierung Mitte der 1970er Jahre noch 70 Prozent des Weltbruttosozialprodukts, während sich dieser Anteil inzwischen nahezu halbiert hat.
BRICS steht inzwischen für 39 Prozent der weltweiten Industrieproduktion, im Vergleich zum Anteil der G-7, der noch 31 Prozent beträgt. Bei der Weltweizenproduktion zeigt sich ein s Verhältnis von 44 Prozent zu 19 Prozent zugunsten Von BRICS.[3]
Überdies repräsentiert BRICS mittlerweile bereits fast die Hälfte der Weltbevölkerung, die G-7 hingegen lediglich etwa ein Zehntel. In der Rangfolge der weltstärksten Wirtschaftsmächte belegen die BRICS-Mitglieder China den zweiten und Indien den fünften Platz und zudem übertrifft Brasiliens Wirtschaft die von Italien und Kanada zusammengenommen.
Dies alles ignorieren zu wollen und stattdessen jene Staaten, die ihre eigenen Entwicklungsinteressen befolgen, der westlichen Hegemonie unterzuordnen versuchen, widerspricht zunächst Buchstaben und Geist der UN-Charta. Darüber hinaus sieht sich BRICS dadurch in seinem Ansinnen gestärkt, auf ein demokratischeres und gerechteres internationales System hinzuwirken.
Der BRICS-Verbund kann sich zunehmender Unterstützung erfreuen, wovon allein das große Interesse eines immer breiteren Kreises von Ländern zeugt, die an einer Mitwirkung in dessen Reihen Interesse bekunden. Da die USA, so die Feststellung in einem Artikel der US-amerikanischen Foreign Affairs vom 24. September 2024 immer weniger in der Lage seien, die globale Ordnung einseitig zu gestalten, versuchten viele Länder, ihre eigene Autonomie zu stärken, indem sie sich alternativen Machtzentren zuwendeten. Und dabei würden die BRICS - Länder als die bedeutendsten, relevantesten und potenziell einflussreichsten hervorstechen.[4]
Die Erweiterung um neue Mitglieder
Mit der auf dem XV. Gipfel 2023 in Johannesburg/Südafrika beschlossenen Aufnahme von Ägypten, Äthiopien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate (VAE) als neue Mitglieder[5] fungiert BRICS nunmehr als BRICS Plus, als ein Verbund von neun Staaten.
Saudi-Arabien, welchem gleichfalls eine Mitgliedschaft angeboten worden war, beteiligte sich bislang als eingeladenes, aber nicht formell beigetretenes Mitglied an den verschiedensten Aktivitäten und Programmen. Gemäß der Aussage seines Außenministers wolle es „seine Partnerschaft mit der BRICS-Gruppe weiterhin stärken und die Horizonte der Kooperation in allen Feldern ausbauen, in einer Weise, um Entwicklung und Prosperität auf der internationalen Ebene zu erreichen“[6].
Zwischen quantitativem Wachstum und qualitativ neuen Erfordernissen
Was den jüngsten, den XVI. Gipfel, betrifft, so war er unter das Motto gestellt
„Stärkung des Multilateralismus für eine gerechte globale Entwicklung und Sicherheit“.
Am hervorstechendsten war zweifellos, daß es sich bei diesem um den ersten Gipfel in der quantitativ erweiterten BRICS-Struktur handelte und damit in Kasan erstmalig die Vertreter des nunmehr neun Staaten umfassenden Verbundes auf höchster Ebene persönlich versammelt waren und gemeinsam debattierten.
Beim Gipfel waren insgesamt Delegationen aus 35 Staaten anwesend, 22 davon vertreten durch die Staats- bzw. Regierungschefs, zudem Spitzenvertreter von sechs internationalen Organisationen, darunter die UNO mit ihrem Generalsekretär Antonio Guterres.
Den organisatorischen Rahmen bildeten zwei Formate, die von einer Vielzahl bilateraler Gespräche begleitet wurden. Das eine Format betraf die Beratung im Kreis der neun Vollmitglieder, das andere, „BRICS Plus/Outreach“ war ein Treffen zum Thema „BRICS und der Globale Süden – gemeinsam eine bessere Welt errichten“.
Die Veranstaltungen um BRICS
Dem Gipfeltreffen vorausgegangen waren rund 200 vielfältigste Veranstaltungen, die sich auf 13 russische Städte unter dem BRICS-Logo verteilten. So erfolgte etwa ein Treffen der BRICS-Außenminister am 10. Juni d.J. in Nishni Nowgorod mit dem Ergebnis einer verabschiedeten 54 Punkte umfassenden „Gemeinsamen Erklärung“; unter den Teilnehmern Saudi-Arabien. Im gleichen Monat fanden in Kasan die 27 Sportarten umfassenden „BRICS-Sportspiele“ statt, ebenso der BRICS-Politische Parteien Dialog in Wladiwostok, im Juli der BRICS-Jugend-Gipfel in Uljanowsk sowie das BRICS-Parlamentarische Forum in St. Petersburg.
Beim Treffen der Vollmitglieder standen als Fortsetzung vorausgegangener Gipfel insbesondere zwei Problemkomplexe im Mittelpunkt der Debatte:
Zum einen ging es um eine tiefere finanzielle Kooperation innerhalb des BRICS Plus-Verbundes. Sich zu einer vertieften Partnerschaft im finanziellen Bereich bekennend, sollen zum einen die Kommunikationen zwischen den jeweiligen Banken verstärkt sowie ein Mechanismus für ein gegenüber äußeren Risiken immunes Bezahlsystem auf der Basis nationaler Währungen entwickelt werden.
Zu einem weiteren erfolgte die Beratung zur weiteren quantitativen Erweiterung der Gemeinschaft. Es ging vor alle darum, wie damit umzugehen sei, dass über 30 Länder in der einen oder anderen Form ihr Interesse an einer Mitwirkung in BRICS anmeldeten, gleichzeitig aber sicherzustellen sei, dass die Effektivität des BRICS-Mechanismus beibehalten wird. würde. Bereits in Johannesburg hatten sich die damaligen fünf Mitglieder darauf geeinigt, Modalitäten für eine neue Kategorie – und zwar die von Partnerstaaten – auszuarbeiten.[7]
Zum damaligen Zeitpunkt waren noch explizit Einladungen zu unmittelbarer Vollmitgliedschaft ausgesprochen worden, während es nun um einen möglichen Status einer BRICS-Partnerschaft ging. Manche sprechen deshalb auch von einer Art Kandidatenstatus. Laut einer bislang nicht autorisierten Liste ist zunächst von 13 Staaten[8] auszugehen, die nahezu über den gesamten Globus, einschließlich Europa, verteilt sind. Jedoch ist dabei eine deutliche Präferenz des zentralasiatisch-/südostasiatischen Raumes zu erkennen sowie das bekundete Interesse weiterer Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit.
Und das geschieht ganz offensichtlich in Übereinstimmung mit dem von BRICS postulierten Prinzip des Respekts gegenüber der religiös-kulturellen und traditionellen Vielfalt.
Außer den drei neueren Vollmitgliedern – Ägypten, Iran, VAE – kämen nun noch weitere partnerschaftlich assoziierte Staaten hinzu, wie beispielsweise Algerien, Indonesien, Malaysia, Usbekistan sowie die Türkei. Deren Assoziierung scheint allerdings wegen ihrer NATO-Mitgliedschaft durchaus nicht unumstritten zu sein.
BRICS präsentiert sich aber nunmehr in Gestalt seiner neun Vollmitglieder plus der 13 partnerschaftlich Assoziierten, eingedenk der noch ausstehenden Entscheidung von Saudi-Arabien, wie es endgültig weiter verfahren will – auf dem XVI. Gipfel in Kasan als quantitativ gestärkter transkontinentaler Staatenverbund.
Und damit erhöht sich natürlich auch seine Autorität als eine gewichtige Stimme der globalen Mehrheit in der Welt und insbesondere des globalen Südens.
Gleichwohl lässt sich dies durchaus auch als ein Indikator für eine sich global in Richtung Multipolarität vollziehende Machtverschiebung begreifen.
Hinzu kommt noch ein unbestreitbar zu beobachtendes Faktum, dass sich verschiedene BRICS-Staaten – und dies in bemerkenswertem Gegensatz zu westlichen Zusammenschlüssen wie beispielsweise der G-7 – im Herangehen an bestehende Konflikte und andere Krisen betont bemühen, um Ausgewogenheit und fairen Interessenausgleich durch Dialog und Verhandlungen zu erzielen.
So haben im Ukraine-Konflikt Brasilien und China konkrete Schritte zur Beendigung der Kampfhandlungen und zur Aufnahme von Friedensgesprächen unterbreitet.
Die beiden BRICS-Gründungsmitglieder China und Indien sind erklärtermaßen nun dabei, ihre Grenzstreitigkeiten in der Himalaja-Region am Verhandlungstisch beizulegen; dafür spricht auch, dass sich bei diesem Gipfel nun nach längerer Zeit der chinesische Präsident Xi Jinping und der indische Ministerpräsident Narendra Modi wieder zu einem direkten Gespräch zusammengefunden haben.
Dank chinesischer Vermittlung nähern sich seit Anfang 2023 auch die beiden als Erzfeinde geltenden Golfstaaten Iran und Saudi-Arabien schrittweise weiter an und ein Normalisierungsprozeß scheint sich abzuzeichnen – ungeachtet der weiterhin bestehenden und zu überwindenden Hindernisse; im Ergebnis ein insgesamt positiv auf die gesamte Golfregion auszustrahlender Effekt.
Hinsichtlich der Kriege und Konflikte in der Nah- und Mittelostregion treten die BRICS-Staaten entschieden für eine sofortige Beendigung der Kampfhandlungen und die Überwindung der humanitären Notlage sowie die Freilassung aller Geiseln ein.
Während sich die USA und die meisten ihrer westlichen Verbündeten uneingeschränkt an die Seite Israels stellen, treten die Forums-Teilnehmer nachdrücklich für das legitime Recht des palästinensischen Volkes auf nationale Selbstbestimmung ein. Dementsprechend suchen sie nach gangbaren Wegen für eine dauerhafte Friedenslösung, einschließlich der Überwindung der Spaltung innerhalb der palästinensischen Nationalbewegung.
Wie schon auf dem vorangegangenen Gipfel stand auch in Kasan die ungelöste Palästina-Frage in einem besonderen Fokus, einschließlich einer dezidierten Lagebeschreibung bisheriger Kriegsfolgen in der einstimmig verabschiedeten Abschlusserklärung.
Kazan Declaration
Diese, zugleich mit dem Gipfel-Motto betitelte „Kazan Declaration“[9], ist eine nachdrückliche Bekräftigung des BRICS-Bekenntnisses zu einer, auf dem Völkerrecht und den Prinzipien der UN-Charta basierenden demokratischen, inklusiven, multipolaren Welt.
Manche Analysten bezeichnen die Declaration auch als das „Manifest einer neuen Weltordnung“.[10]
32 Seiten und 134 Einzelpunkte umfassend, ist sie – in der Einleitung speziell das Bekenntnis zur weiteren, auf der Basis gegenseitigen Respekts und Konsenses beruhenden Stärkung des BRICS-Verbundes bekräftigend - in vier inhaltliche Abschnitte gegliedert:
a) Stärkung des Multilateralismus für eine gerechte und demokratische Weltordnung,
b) Stärkung der Kooperation für globale und regionale Stabilität und Sicherheit,
c) Förderung der wirtschaftlichen und finanziellen Kooperation für gerechte globale Entwicklung und
d) Stärkung des Austausches zwischen den Menschen für soziale und ökonomische Entwicklung.
Mit den darin enthaltenen Positionen stellt diese Deklaration ein realistisches, mit einem optimistischen Blick in die Zukunft gewandtes Grundsatzdokument dar.
Oder anders ausgedrückt: Es ist eine Art Kompendium für eine schrittweise Veränderung der gegebenen internationalen Verhältnisse zugunsten einer gleichberechtigteren Teilhabe auch der Länder der nichtwestlichen Welt, insbesondere jenen des globalen Südens an der globalen Governance.
Dies spiegelt sich in einer auffälligen Balance wider zwischen einer Orientierung auf eine Reformierung bestehender, in der Regel westlich dominierter Institutionen, wie z.B. dem IWF auf der einen Seite und auf der anderen einer Etablierung eigener Körperschaften, so in Gestalt der BRICS-eigenen National Development Bank (NDB).
Dies zeigt sich beispielsweise auch darin, dass der WTO die volle Unterstützung zugesagt wird und gleichzeitig die Ankurbelung des Inner-BRICS-Handels wie etwa die Süd-Süd-Kooperation erfolgen soll.
Als eine Zusammenfassung der unter den vier Abschnitten der Declaration subsummierten und vom Bekenntnis zum Multilateralismus geleiteten Grundsätzen bieten sich insbesondere die folgenden Erkenntnisse an:
- Anerkennung der zentralen Rolle der UNO im internationalen System auf der Grundlage der in ihrer Charta verankerten Grundprinzipien bei gleichzeitigem Eintreten für eine umfassende Reform der UNO, einschließlich des Sicherheitsrates durch Gewährleistung einer dortigen ständigen Präsenz aus dem Entwicklungsländerbereich; Ablehnung ungesetzlicher unilateraler Maßnahmen, einschließlich Sanktionen, in der Weltwirtschaft, im Handel und bei der Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele; Forderung nach Reform der Bretton-Woods-Institutionen, einschließlich einer stärkeren Präsenz der Entwicklungs- und Schwellenländer in Führungspositionen; Anerkennung des G-20-Formats als wichtigstes globales Forum für multilaterale Wirtschafts- und Finanzkooperation sowie als Plattform für Dialog zwischen entwickelten und Schwellenländern; Forderung nach einer Menschenrechtspolitik jenseits selektiven und politisierten Herangehens sowie ohne Doppelstandards.
- Eintreten für friedliche Beilegung von Streitigkeiten durch Diplomatie, Mediation, inklusiven Dialog und Konsultationen in koordinierter und kooperativer Weise; Anerkennung des Prinzips der gegenseitigen Sicherheit sowie von Toleranz und friedlicher Koexistenz als bedeutendste Werte und Prinzipien zwischen Nationen und Gesellschaften; Unterstreichung der Notwendigkeit des Engagements für Konfliktpräventionen insbesondere durch Adressierung der Konfliktursachen; Verurteilung von Terrorismus in allen seinen Formen bei gleichzeitiger Forderung nach dessen Bekämpfung ohne doppelte Standards.
- Unterstreichung der Schlüsselrolle der NDB bei der Beförderung der Infrastruktur und nachhaltigen Entwicklung der BRICS-Mitgliedsländer. Unterstützung der NDB bei der kontinuierlichen Ausdehnung lokaler Währungsfinanzierungen sowie bei der stärkeren Innovation bezüglich Investments und Finanzierungsinstrumenten; Eintreten für ein faires landwirtschaftliches Handelssystem nach dem Muster der von Russland initiierten Plattform für den Getreidehandel und Implementierung einer resilienten und nachhaltigen Landwirtschaft zur Gewährleistung der Nahrungssicherheit vor allem in den schwach entwickelten Ländern des globalen Südens.
Mag man zu BRICS stehen, wie man will. Aber niemand wird bestreiten können, dass sich dieser erst vor 15 Jahren offiziell formierte Staatenverbund inzwischen zu einem ernst zu nehmenden Machtblock für die westlicherseits beanspruchte alleinige Hegemonierolle in der Welt entwickelt hat. Dem Staatenverbund ist in erster Linie daran gelegen, eine globale Governance zu etablieren, die den heutigen kräftemäßigen Gegebenheiten in der Welt Rechnung trägt und sich nicht allein auf frühere Zeiten, schon gar nicht auf die zu Ende des zweiten Weltkrieges festlegt, als viele der heute aufstrebenden Staaten erst noch dabei waren, sich vom jahrhundertealten Kolonialjoch zu befreien.
Die BRICS „Mission“ ist in erster Linie darin zu sehen, die Inner-BRICS-Wirtschaftsbeziehungen wie überdies die Süd-Süd-Kooperation zu befördern und zu deren sozio-ökonomischen Entwicklung beizutragen; als eine Interessenvertretung für die ehemals kolonial abhängigen Länder des globalen Südens zu fungieren bei deren Streben nach gleichberechtigter Stellung im internationalen Geschehen; den Dialog zwischen den Kulturen und Zivilisationen zu befördern sowie vor allem statt der westlicherseits ausgegebenen konfrontativen Orientierung „Demokratien versus Autokratien“ den Geist von Diplomatie und fairen Interessenausgleichen, von gegenseitig nützlicher Kooperation zu befördern helfen.
So gesehen handelt es sich bei BRICS um ein durchaus unikales Herangehen, welches schon deshalb großen Respekt verdient und das möglicherweise auch als Beispiel für die sich im internationalen Geschehen auszugestaltende Multipolarität dienen könnte.
Mit anderen Worten ausgedrückt: BRICS ist quasi als eine Art „Weltexperiment“ anzusehen, als ein Spiegelbild dessen, was auf internationaler Ebene anzustreben ist, in vielfältiger Weise plural zu sein und daraus resultierende unterschiedliche Interessenlagen im gegenseitigen Einvernehmen auszubalancieren.
So verkörpert BRICS eine Gruppe souveräner Staaten, die auf verschiedenen Kontinenten beheimatet sind, unterschiedliche Entwicklungsmodelle verfolgen und sich überdies auch in Bezug auf ihre gesellschaftlichen Verfasstheiten, wirtschaftlichen Potentiale und Naturressourcen, den allgemeinen Lebensstandards, Bevölkerungszahlen und nicht zuletzt durch die sozio-kulturellen Traditionen teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Gleich mehrere dieser Staaten unterhalten zeitgleich strategische Partnerschaften sowohl zu ihren BRICS-Partnern als auch zu den USA. Zudem befinden sich einige von ihnen (Russland, Iran) in direkter Konfrontation mit dem Westen, während andere (Ägypten, Indien, VAE) eine enge Zusammenarbeit mit den USA pflegen. Einen derartig heterogenen Mechanismus am Funktionieren zu halten, ist per se schon mit hohen Anforderungen verbunden.
Hinzu kommt, dass dieser strikt auf dem Konsens-Prinzip basiert und keiner der Partner, die Richtung allein zu bestimmen vermag. Im Unterschied beispielsweise zur Gruppe der G-7, in der die USA die uneingeschränkte Führungsrolle beanspruchen und offensichtlich auch in der Lage sind, den übrigen Staaten ihren Kurs vorzugeben.
Schon allein deshalb erweisen sich notwendige Klärungsprozesse innerhalb von BRICS schwieriger und langwieriger, was kaum als Schwäche auszulegen ist; wenngleich sich dadurch auch mancherlei Ansatzpunkte für Störmanöver und abweichende Orientierungen bieten.
Zweifellos sieht sich BRICS seit diesem XVI. Gipfel in der nun neuen Konfiguration von genau genommen 22 Partnern, plus das noch unentschiedene Saudi-Arabien, vor zusätzliche neue Herausforderungen gestellt.
Es geht mit dieser erfolgten zahlenmäßigen Erweiterung zugleich auch um sich verändernde Strukturen und Charakteristika des Staatenverbundes.
So wandelt sich BRICS von einer anfänglichen reinen Schwellenländer-Plattform zu einem Verbund großer, mittlerer und kleiner Länder und mithin auch zu einer immer expliziteren Plattform für den globalen Süden.
Aus alledem erwachsen qualitativ neue Anforderungen an die bisherigen innerstrukturellen-BRICS-Mechanismen. Insbesondere geht es auch um die Frage, inwieweit es jetzt unumgänglich sein wird, eine ständige Niederlassung für den BRICS-Staatenverbund zu etablieren. Ebenso geht es um die Verständigung über einige gravierende inhaltliche Fragen; darunter ist zuallererst der dringende Bedarf nach einem Konzept für ein vom Dollar unbeeinflusstes Inner-BRICS-Handels- und Finanzsystem zu nennen. Es geht um eine De-Dollarisierung https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5321-de-dollarisierung, ohne BRICS in eine Anti-westliche Allianz umzuwandeln.
Diese Aufgabe stellt sich insofern als besonders zwingend dar, weil davon wesentlich die weiteren Spielräume des BRICS-Staatenverbundes im internationalen Geschehen beeinflusst werden. Und das ergibt sich umso mehr, nachdem nach bisherigen Erfahrungen in Rechnung zu stellen ist, dass die USA und ihre engsten Verbündeten ihre Vormachtstellung nicht aufzugeben bereit sind. Und hierbei ist auf verschiedenste Versuche in der Vergangenheit hinzuweisen, die darauf ausgerichtet waren, an bestehende Differenzen zwischen einzelnen Staaten anzuknüpfen und Druck auszuüben, um den BRICS-Verbund nicht noch weiter erstarken zu lassen,– wie dies anscheinend auch hinsichtlich Saudi-Arabiens der Fall ist. Das könnte auch Bezug auf Brasilien zutreffend sein, welches turnusmäßig 2025 die Rolle als Gastgeber für den XVII. BRICS-Gipfel übernimmt.
Als ein Zwischen-Fazit bleibt festzuhalten, dass die Erreichung einer multipolaren Weltordnung wohl ein dorniger Weg sein wird und sich über eine ganze historische Ära erstrecken kann. Und dennoch hat zumindest der XVI. BRICS- Gipfel in Kasan die Entschlossenheit des BRICS-Staatenverbundes demonstriert, sich weiter dafür zu engagieren.
[1] Offiziell mit dem I. Gipfeltreffen im russischen Jekaterinburg formiert – allerdings zu diesem Zeitpunkt noch ohne Südafrika, welches erst ein Jahr später dazu gekommen ist -, nachdem es zuvor schon, insbesondere seit 2006 mehrere informelle Treffen zwischen den vier Gründungsmitgliedern (Russland, China, Brasilien, Indien) gegeben hatte
[2] Dmitri Trenin, US-Weltherrschaft oder multipolare Welt: Europa wird sich entscheiden müssen, Globalbridge vom 10. Juni 2024
[3] Siehe dazu Peter Hänseler, Blog eines Schweizers in Moskau, vom 20.10.2024, abzurufen unter https://www.voicefromrussia.ch/brics-fakten-und-zahlen/
[4] Alexander Gabuev, Oliver Stuenkel, Der Kampf um die BRICS-Staaten. Warum die Zukunft des Blocks die globale Ordnung prägen wird, abzurufen unter https://www.foreignaffairs.com/print/node/1132187
[5] Das ebenfalls zur Mitgliedschaft eingeladene Argentinien hatte infolge eines kurz danach stattgefundenen Machtwechsels darauf verzichtet
[6] Siehe dazu https://www.arabnews.com/node/2576648/saudi-arabia
[7] Vgl. dazu die Ausführungen von Putin in dessen Eröffnungsrede vor den BRICS Plus-Mitgliedern, abzurufen unter https://brics-russia2024.ru/en/news/zasedanie-sammita-briks-v-uzkom-sostave/
[8] Konkret handelt es sich dabei – in alphabetischer Reihenfolge – jedoch rund um den Globus verteilt, um Algerien, Belarus, Bolivien, Indonesien, Kasachstan, Kuba, Malaysia, Nigeria, Thailand, Türkei, Uganda, Usbekistan, Vietnam
[9] Abzurufen unter https://cdn.brics-russia2024.ru/upload/docs/Kazan_Declaration_Final.pdf?1729693488349783
[10] Zhao Huasheng/Andrey Kortunow, The Kazan BRICS Declaration – a New World Order Manifesto, abzurufen unter https://russiancouncil.ru/en/analytics-and-comments/analytics/the-kazan-brics-declaration-a-new-world-order-manifesto/
ICAN Deutschland warnt: Die Wiederwahl von Donald Trump erhöht das Risiko einer nuklearen Eskalation
US-Wahlen: Trump`s Wirtschaftspolitik
Für die Finanzwelt und die Großunternehmen ist es In gewisser Weise unerheblich, wer letztlich die US-amerikanische Präsidentschaftswahlen gewinnen hat.
Beide Kandidaten sind und waren dem kapitalistischen System verpflichtet und woll(t)en es für die Kapitaleigner verbessern.
Larry Fink von BlackRock, dem weltweit größten Vermögensverwalter, sagte, er sei es „leid zu hören, dass dies die wichtigste Wahl in Ihrem Leben ist“.
Die Realität, so Fink, „ist, dass es mit der Zeit keine Rolle spielt“.
Und es stimmt, dass die zugrunde liegenden endogenen Kräfte der kapitalistischen Produktion, Investitionen und Gewinne viel mächtiger sind als jede einzelne von einer Regierung verabschiedete und umgesetzte Politik.
Dennoch können sich prokapitalistische Politiker darüber uneinig sein, was zu einem bestimmten Zeitpunkt das Beste für den Kapitalismus ist. Und es gibt einige Unterschiede zwischen Trump und Harris darüber, was in den nächsten vier Jahren zu tun ist.
Zu den wichtigsten Punkten von Trumps Wirtschaftspolitik „ Maganomics“ gehören aggressivere Zölle auf Importe aus aller Welt, insbesondere aus China, und ein drakonisches Vorgehen gegen Einwanderung. In seiner Wahlkampfrhetorik drängte er auch auf einen größeren politischen Einfluss auf die Geldpolitik und die Fed bei Zinsentscheidungen und bei der Manipulation des Dollars.
Trump kündigte an, er werde „niedrige Steuern, niedrige Regulierungen, niedrige Energiekosten, niedrige Zinssätze und eine niedrige Inflation durchsetzen, damit sich jeder Lebensmittel, ein Auto und ein schönes Zuhause leisten kann.“
Seine neuen Steuersenkungen reichen von Einkommen aus Überstunden, Trinkgeldern und Rentenleistungen bis hin zu massiven pauschalen Senkungen für Einzelpersonen und Unternehmen.
Dies wird zweifellos die Steuern für die Superreichen (wieder einmal) senken, aber für fast alle anderen erhöhen.
Trump behauptet, dass diese Steuersenkungen für die Superreichen und Großkonzerne Investitionen und Wachstum ankurbeln werden, basierend auf der diskreditierten
„Trickle-down“-Theorie,
d. h., wenn Einkommen und Vermögen der Reichen steigen, werden sie mehr ausgeben und so werden die Vorteile auf den Rest von uns „herunterrieseln“.
Die Beweislage ist jedoch gegenteilig. In den letzten 50 Jahren sind die Steuern für Reiche in den fortgeschrittenen Demokratien drastisch gesunken. Und mehrere Studien zeigen, dass dies nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum hat – und viel mehr Auswirkungen auf die zunehmende Ungleichheit. Zwei Ökonomen des Kings College London haben mithilfe eines neu entwickelten Indikators für Steuern auf Reiche alle Fälle von größeren Steuersenkungen für Reiche in 18 Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zwischen 1965 und 2015 ermittelt und festgestellt, dass Steuersenkungen für Reiche kurz- und mittelfristig zu einer höheren Einkommensungleichheit führen, aber keine signifikanten Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum oder die Arbeitslosigkeit haben.
Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und die Arbeitslosenquote waren nach fünf Jahren in Ländern, die die Steuern für Reiche gesenkt haben, und in Ländern, die dies nicht getan haben, nahezu identisch, so die Studie.
Die Analyse ergab jedoch eine wesentliche Veränderung: Die Einkommen der Reichen stiegen in Ländern, in denen die Steuersätze gesenkt wurden, viel schneller. Überraschung! Dies mag aus unserer eigenen Erfahrung der letzten Jahrzehnte offensichtlich sein, aber die empirische Analyse bestätigt unsere eigenen Wahrnehmungen.
Was Trumps letzte Amtszeit betrifft, in der er drastische Senkungen der Körperschafts- und Einkommensteuer einführte, so stellten Emmanuel Saez und Gabriel Zucman von der University of California in Berkeley fest, dass die 400 reichsten amerikanischen Familien zum ersten Mal seit einem Jahrhundert niedrigere effektive Steuersätze haben als die unteren 50 % der Einkommensbezieher.
Anleger und die Wall Street befürchten, dass die zu erwartenden Steuersenkungen, so willkommen sie auch sein mögen, das enorme Haushaltsdefizit und die Verschuldung des öffentlichen Sektors nur noch weiter erhöhen könnten – etwas, das dem Finanzsektor ein Gräuel ist.
Trump`s Antort darauf lautet, dass er die Steursenkungen durch eine drastische Erhöhung der Einfuhrzölle "bezahlen" wird.[1]
Trump plant, eine Abgabe von 10 Prozent auf alle US-Importe und eine Steuer von 60 Prozent auf Waren aus China zu erheben. Tatsächlich spricht Trump davon, Zölle in einer Höhe zu erheben, die es ihm ermöglichen würden, die Einkommenssteuer ganz abzuschaffen!
Das Penn Wharton Budget Model, eine Forschungsgruppe, schätzt jedoch, dass Trumps Pläne das US-Haushaltsdefizit in den nächsten zehn Jahren um 5,8 Billionen US-Dollar erhöhen würden. Selbst die konservative Denkfabrik Tax Foundation schätzt, dass sein neuer Plan, Überstunden von den Bundesabgaben zu befreien, die USA in den nächsten zehn Jahren weitere 227 Milliarden US-Dollar an Einnahmeverlusten kosten würde.
Auch hier deuten empirische Analysen dieser Politik auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Wirtschaftsleistung der USA hin. Eine aktuelle Studie legt nahe,[2] dass Trumps Politik „stark regressive Änderungen der Steuerpolitik sind, die die Steuerlast von den Wohlhabenden auf die Mitglieder der Gesellschaft mit niedrigerem Einkommen verlagern“.
In dem Papier von Kim Clausing und Mary Lovely werden die Kosten der bestehenden Abgaben zuzüglich der Zollpläne von Trump für seine zweite Amtszeit auf 1,8 Prozent des BIP geschätzt. Es wird davor gewarnt, dass diese Schätzung „keinen weiteren Schaden durch Vergeltungsmaßnahmen der Handelspartner Amerikas und andere Nebenwirkungen wie den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt“. Diese Berechnung „impliziert, dass die Kosten der von Trump vorgeschlagenen neuen Zölle fast fünfmal so hoch sein werden wie die Kosten, die durch die Zollschocks von Trump bis Ende 2019 verursacht wurden, und allein auf diesem Weg zusätzliche Kosten für die Verbraucher in Höhe von etwa 500 Milliarden Dollar pro Jahr verursachen werden“, heißt es in dem Papier. Der durchschnittliche Schaden für einen Haushalt mit mittlerem Einkommen würde 1.700 US-Dollar pro Jahr betragen. Das verfügbare Einkommen der ärmsten 50 Prozent der Haushalte, die in der Regel einen größeren Teil ihres Einkommens ausgeben, würde um durchschnittlich 3,5 Prozent sinken.
Trumps Zollmaßnahmen werden vorassichtlich die Abgaben auf Importe auf ein Niveau anheben, das zuletzt in den 1930er Jahren nach der Verabschiedung des wegweisenden protektionistischen Smoot-Hawley-Tariff Act erreicht wurde. Trump behauptet, dass die Handelsbarrieren nicht nur die Einnahmen erhöhen, sondern auch zur Wiederherstellung der US-Fertigung führen werden.
Wenn Importzölle zum Schutz eines aufstrebenden und jungen Fertigungssektors eingesetzt werden, wie es in den USA im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert der Fall war, mögen sie geholfen haben.
Aber jetzt, im 21. Jahrhundert, ist die US-Fertigung relativ rückläufig, ein Trend, der sich durch protektionistische Maßnahmen nicht umkehren lässt – dieses Pferd ist nach Asien durchgegangen.
Stattdessen geht der Thinktank Peterson Institute for International Economics in Washington davon aus, dass pauschale Zölle in Höhe von 20 Prozent in Kombination mit einem Zoll von 60 Prozent auf China zu einem Anstieg der jährlichen Ausgaben eines Durchschnittshaushalts für Waren um bis zu 2.600 US-Dollar führen würden, da die Inflation entsprechend steigen würde. Die leitenden PIIE-Stipendiaten Obstfeld und Kimberly Clausing sind der Meinung, dass die Regierung durch die Erhebung eines 50-prozentigen Zolls auf alle Waren maximal 780 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Einnahmen erzielen kann.
"Wenn wir die [durch die Einkommensteuer erzielten] Einnahmen vollständig durch einen Zoll ersetzen wollten, bräuchten wir einen Zollsatz von mindestens zwei Dritteln. Und dann muss man bedenken, dass die Menschen anfangen werden, Importe zu ersetzen, und dann wird es Vergeltungsmaßnahmen geben und so weiter“, sagt Tedeschi vom Yale Budget Lab.
“Es ist unmöglich, die Rechnung aufgehen zu lassen. Man kann [die Zölle] wahrscheinlich nicht hoch genug ansetzen.“
Der andere Hauptpunkt von Maganomics ist die drastische Reduzierung der Einwanderung. Trump hat Einwanderern vorgeworfen, “das Blut unseres Landes zu vergiften“. Trotz dieses grotesken Rassismus sind viele Amerikaner davon überzeugt, dass ihr Lebensstandard und ihr Leben durch „zu viele Einwanderer“ beeinträchtigt werden. Laut Gallup ist 2024 das erste Jahr seit fast zwei Jahrzehnten, in dem eine Mehrheit der Bevölkerung weniger Einwanderung in die USA wünscht. Allein im vergangenen Jahr ist der Wunsch, die Zahl der Einwanderer zu reduzieren, bei den Demokraten um 10 Punkte und bei den Republikanern um 15 Punkte gestiegen.
Trump fordert sogar die massenhafte Abschiebung von Millionen von Einwanderern. Einem aktuellen Bericht des American Immigration Council zufolge würden die Kosten für die Abschiebung von etwa 13 Millionen Menschen, die ab 2022 keinen dauerhaften Rechtsstatus mehr haben und abgeschoben werden könnten, mit etwa 305 Milliarden US-Dollar enorm hoch ausfallen.
Dabei sind die langfristigen Kosten einer anhaltenden Massendeportation oder die unkalkulierbaren zusätzlichen Kosten, die für den Erwerb der institutionellen Kapazität zur Abschiebung von über 13 Millionen Menschen in kurzer Zeit anfallen würden, noch nicht berücksichtigt. „Um das Ausmaß der Inhaftierung von über 13 Millionen Einwanderern ohne Papiere in einen Kontext zu setzen: Die gesamte Gefängnis- und Haftinsassenbevölkerung der USA im Jahr 2022, die alle Personen umfasst, die in örtlichen, regionalen, bundesstaatlichen und bundesweiten Gefängnissen und Haftanstalten festgehalten werden, betrug 1,9 Millionen Menschen.“ [3]
Wenn man die Kosten über mehrere Jahre verteilt, würden sie sich auf durchschnittlich 88 Milliarden US-Dollar pro Jahr belaufen, was Gesamtkosten von 968 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt entspricht, wenn man die langfristigen Kosten für die Einrichtung und Instandhaltung von Hafteinrichtungen, provisorischen Lagern und Einwanderungsgerichten berücksichtigt. Außerdem leben etwa 5,1 Millionen Kinder von US-Bürgern mit einem Familienmitglied ohne Papiere zusammen. Die Trennung von Familienmitgliedern würde zu enormem emotionalem Stress führen und könnte auch wirtschaftliche Schwierigkeiten für viele dieser Familien mit gemischtem Status verursachen, die ihre Ernährer verlieren könnten.
Aber auch der wirtschaftliche Gesamtschaden wäre erheblich. Wie an anderer Stelle bereits dargelegt , [4] hat die Nettozuwanderung dazu beigetragen, dass die US-Wirtschaft schneller wächst als andere G7-Volkswirtschaften. Der Verlust dieser Arbeitskräfte durch Massenabschiebung würde das BIP der USA um 4,2 bis 6,8 Prozent senken. Dies würde auch zu einer erheblichen Verringerung der Steuereinnahmen führen. Der Wegfall von Arbeitsmigranten würde alle Sektoren beeinträchtigen, von Privathaushalten über Unternehmen bis hin zur Basisinfrastruktur. Wenn die Industrie leidet, könnten Hunderttausende in den USA geborene Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren.
Trumps Maganomics drückt aus, dass sie darauf abzielt, dem durchschnittlichen in den USA geborenen Amerikaner zu helfen, aber in Wirklichkeit wird seine Politik wohl nur die sehr Reichen wie ihn selbst auf Kosten der übrigen Bevölkerung bereichern und auch das Wirtschaftswachstum gefährden und die Inflation in die Höhe treiben. Er wird stark von einzelnen Multimilliardären wie Elon Musk unterstützt.
Sie besitzen etwa 4 % des US-Privatvermögens, haben aber ein Drittel der Wahlkampfgelder beigesteuert, die Trump, selbst Milliardär, gesammelt hat. Die Ironie dabei ist, dass 74% der befragten Amerikaner eine jährliche Vermögenssteuer [5] von 2 % auf Privatvermögen über 50 Millionen US-Dollar befürworten würden; 65 % befürworten eine Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes und 61 % befürworten eine Erhöhung der Spitzensteuersätze – das genaue Gegenteil von Trumps Politik.
Aber Großunternehmen und Megabanken brauchten sich ohnehin keine Sorgen zu machen, denn die demokratische Kandidatin Kamala Harris hatte nicht die Absicht, eine Vermögenssteuer einzuführen oder die Unternehmenssteuern oder die Steuern für Spitzenverdiener zu erhöhen. Im Gegenteil, Biden hatte die Steuersenkungen beibehalten, die Trump in seiner Amtszeit von 2016 bis 2020 eingeführt hat und die bis 2025 gelten werden, und Harris hätte daran nichts geändert.
Klimapolitik
Was das Klima betrifft, so hat Trump deutlich gemacht, dass er die Vorschriften lockern und die weitere Erkundung und Förderung fossiler Brennstoffe zulassen wird – schließlich sind er und Tesla-Chef Elon Musk sich einig, dass die globale Erwärmung wahrscheinlich nicht vom Menschen verursacht wurde und ohnehin keine ernsthafte Gefahr für Lebensgrundlagen und Leben darstellt – fraglich, ob die Hurrikan-Opfer in Florida dem zustimmen..
Was die öffentlichen Dienstleistungen betrifft, so sagten beide Kandidaten angesichts des steigenden Haushaltsdefizits und der Staatsverschuldung von weit über 100 % des BIP nichts.
Das kann jetzt nach den Wahlen aber nur bedeuten, dass eine massive Sparmaßnahme auf dem Weg ist.
Die Steuereinnahmen werden nicht erhöht – im Gegenteil.
Die Ausgaben für „Verteidigung“ und Rüstung zur Finanzierung der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten haben Rekordhöhen erreicht und werden weiter steigen.
Was gekürzt werden muss, sind die öffentlichen Ausgaben für Bildung, Verkehr und Sozialfürsorge usw. Dies wäre, unabhängig vom Wahlausgang, so oder so zu erwarten gewesen.
In diesem Sinne hat Larry Fink von BlackRock also recht:
Es spielt keine Rolle, wer gewinnt. Der Gewinner aller „Wahlen“ in den USA ist die Wall Street.
[1] https://thenextrecession.wordpress.com/2024/05/20/tariffs-technology-and-industrial-policy/
[2] https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4834397
[3] https://www.americanimmigrationcouncil.org/research/mass-deportation
[4] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5317-der-zustand-der-us-wirtschaft-und-die-parlamentswahlen
[5] https://thehill.com/hilltv/what-americas-thinking/428747-new-poll-americans-overwhelmingly-support-taxing-the-wealth-of
Dem Digitalzwang entkommen!?
In Koop. JIZ mit Digitalcourage e.V. (Ortsgruppe München) findet
am Montag, 18.11.2024 ab 19.30 Uhr
im JIZ
eine Lesung mit Leena Simon (aus ihrem Buch "Digitale Mündigkeit") statt.
Im Anschluss Diskussion mit der Autorin, mit padeluun (Künstler und Netzaktivist) und weiteren Gästen.
Eintritt frei - keine Anmeldung erforderlich.
Technik soll uns bereichern, nicht beherrschen. Wenn Digitalisierung zur Pflicht wird, bedroht sie unsere Selbstbestimmung und Freiheit - und letztlich die Demokratie. Von Digitalzwang spricht man, wenn es keine analoge oder datenschutzfreundliche Alternative zu einem Produkt oder Service gibt, obwohl sie realisierbar wäre.
Jugendinformationszentrum (JIZ) - Sendlinger Str. 7 im Innenhof! - Postadresse: Oberanger 6, 80331 München„Die Sprache der Gewalt“ – Geopolitik und der Schulhof
Der Gaza-Plan des israelischen Generals enthüllt
Der Gaza-Plan des israelischen Generals enthüllt.
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Northvolt: Irritationen um Batteriefabrik-Pläne
Heide könnte ein ähnliches Schicksal drohen wie jüngst Magdeburg.
In Magdeburg hatte der US-Chiphersteller Intel unlängst den geplanten Bau einer Fabrik vorerst auf Eis gelegt. Mitte September hatte der Konzern mitgeteilt, dass sich das Projekt, mit dessen Bau in diesem Jahr hätte begonnen werden sollen, voraussichtlich um zwei Jahre verzögern werde. An dem geplanten Standort sollten zwei Chipfabriken mit rund 3000 Arbeitsplätzen entstehen.
Die Bundesregierung hatte dafür knapp zehn Milliarden Euro in Aussicht gestellt.
Ein ähnliches Szenario ist auch für die Giga-Batteriefabrik Northvolt denkbar.
Wie im September vom Konzernchef Carlsson angekündigt, will Northvolt im Herbst weitreichende Entscheidungen über die Zukunft des Konzerns verkünden. An den Plänen für das schleswig-holsteinische Werk bei Heide halte man zwar grundsätzlich fest, über „mögliche Anpassungen der Zeitpläne“ werde man aber im Herbst entscheiden. (FAZ 9.9.2024). "Wir brauchen diese Fabrik in Heide." Das hat auch der Deutschlandchef von Northvolt, Christofer Haux, Anfang Oktober vor dem Wirtschaftsausschuss des Landtages erneut bekräftigt. Er war per Video aus Schweden zugeschaltet. Er betonte: Auch wenn Northvolt in Schweden Stellen abbauen müsse, sei die Fabrik in Heide weiterhin ein Grundpfeiler ihrer Expansionsstrategie. Er schloss allerdings ebenfalls nicht aus, dass sich der Zeitplan für die Ansiedlung verändern könnte. (KN 2.10.2024).
Probleme bei Northvolt
Die Irritationen und Unsicherheiten über Umfang und Zeitplan der projektierten Giga-Fabrik in Dithmarschen halten also weiterhin an. Anfang Juli wurde erstmals öffentlich über massive Probleme bei Northvolt berichtet.
Ende Juni hatte BMW einen Großauftrag storniert; eine Bestellung von Batteriezellen im Wert von zwei Milliarden Euro wurde zurückgezogen.
Weiterhin gab es Berichte, dass sich der Konzern-Verlust im vergangenen Jahr auf eine Milliarde Dollar verdreifacht habe.
Northvolt kämpfe demnach - offenbar mit mäßigem Erfolg - unter anderem gegen die nach wie vor übermächtige Konkurrenz der Batterien aus China; außerdem seien die Aussichten für Elektroautos nicht mehr so rosig wie bisher. „Dabei zeigen Zahlen, wie weit das Unternehmen – gemessen an den eigenen Ansprüchen - zurückliegt. Northvolt wollte ursprünglich schon im Jahr 2023 eine Produktionskapazität von insgesamt 16 Gigawattstunden erreichen. Ende Juli lag der Output noch unter einer Gigawattstunde.“
Zudem hatten auch ungeklärte Todesfälle am schwedischen Northvolt-Standort für Aufsehen gesorgt und Fragen nach der Betriebssicherheit aufgeworfen.[1]
Anfang September wurde mitgeteilt, dass Personal „abgebaut“ werde (Entlassung von etwa 1.600 Mitarbeitenden in Schweden. Das entspricht knapp einem Viertel der Northvolt-Belegschaft in dem skandinavischen Land) und man sich von Standorten trennen wolle. Im schwedischen Borlänge will das Unternehmen eine Fläche verkaufen, auf der eine weitere Fabrik geplant war. Die Arbeit eines Entwicklungszentrums in den USA wird nach Schweden verlagert. Für einen Standort in Polen werden Investoren gesucht, die die Produktion unterstützen sollen.
Gleichzeitig teilte Northvolt mit: Der Aufbau einer Batterieproduktion in Europa hat weiterhin unverändert Priorität. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte der schwedischen Wirtschaftszeitung "Dagens Industri" am 23.9. am Rande des sogenannten „Autogipfels“ gesagt, man stünde "in dauerndem Kontakt mit Northvolt" und gehe davon aus, dass das Vorhaben in Heide wie geplant realisiert werden würde. Anders Hägerstrand, der als Journalist von der "Dagens Industri" regelmäßig über Northvolt berichtet, sagte dagegen im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein (ndr-online 24.09.2024), dass er einen Produktionsbeginn in Heide in zwei Jahren für fast unmöglich halte.
Northvolt konzentriere sich nun darauf, seine Produktion im Werk im schwedischen Skellefteå zu steigern.
„Europas Batteriepläne kommen unter die Räder“
Die weltweit größten Lithium-Ionen-Batteriehersteller sind die chinesischen Firmen CATL und BYD, die beide mit einem Marktanteil von insgesamt über 50 Prozent die Batteriewelt dominieren.
Unter den weiteren Top 10 sind weitere vier chinesische, drei südkoreanische und ein japanisches Unternehmen zu finden. Fakt ist: Aktuell haben sich mittlerweile weltweit Überkapazitäten entwickelt, weil der Absatz von E-Autos - insbesondere in Europa - nicht wie erhofft nach oben schnellt. Selbst das Werk des Weltmarktführers CATL in Thüringen ist zur Zeit nicht ausgelastet.
Zusätzlich verbreiteten zwei Ankündigungen den europäischen Batterieherstellern Sorgen. Zum Einen wurde Anfang des Jahres in China eine Industrieallianz für die Entwicklung und Produktion von Feststoffbatterien gebildet. Zum Zweiten: Kurze Zeit darauf folgte die Meldung des größten chinesischen Autoherstellers (SAIC), schon in zwei Jahren mit der Massenproduktion von Feststoffbatterien beginnen zu wollen.
Feststoffbatterien haben im Gegensatz zu Lithium-Ionen-Batterien eine viel größere Energiedichte, sodass man länger mit einer Ladung fahren kann – der Wunsch eines jeden E-Auto-Besitzers.
Angesichts dieser Situation „macht sich in Europa immer stärker Ernüchterung breit. Eine Batteriehoffnung nach der anderen stutzt ihre Pläne, ob Start-ups oder Großkonzerne. Die Fabriken hierzulande drohen Rohrkrepierer zu werden“ [2]
Dazu passt auch die jüngste Meldung vom weltweit größten Chemiekonzern, der Ludwigshafener BASF. Der dort mit großen Hoffnungen gestarteter Aufbau einer Produktionslinie um Batteriechemikalien für Elektroantriebe wird zunächst einmal auf Eis gelegt.
„Angesichts der hohen Markt-und Technologierisiken, gerade in Europa, sei der Aufbau einer Wertschöpfungskette für Batteriechemikalien schwierig,“ wird der Konzernchef Markus Kamieth zitiert (FAZ 27.9.2024).
Zu den zarten Pflänzchen der europäischen Batterieindustrie zählt auch Northvolt und muss sich nun in einem zunehmend schwierig werdenden Marktumfeld behaupten. Und die jüngsten Beschlüsse der EU-Kommission über Strafzölle für E-Autos aus chinesischer Produktion sind gewiss für Northvolt u.a. kein Stimmungsaufheller. Deutsche Auto-Konzerne lassen in Joint Venture Kooperationen (deutsche und chinesische Unternehmen), in China für den Export produzieren und müssten durch die „Schutzzoll“-Maßnahmen mit einem Absatzrückgang der chinesischen Import-Fahrzeuge in Deutschland rechnen.
Sollte China seinerseits Einfuhrzölle auf Autos einführen, würde dies die deutschen Autohersteller hart treffen. Im Jahr 2023 ist etwa ein Drittel der in Deutschland produzierten Fahrzeuge nach China exportiert worden.[3]
Carlsson und seine „klare Mission“
Ziel von Northvolt, des 2016 von Peter Carlsson gegründeten Batterieunternehmens ist, die chinesische Dominanz auf dem Batteriemarkt zu brechen. Damit das gelingt, muss man schnell, innovativ und vor allem groß sein – so Carlssons Philosophie. Klingt irgendwie bekannt. Und das kommt nicht von ungefähr; arbeitete der Wirtschaftsingenieur zunächst für den schwedischen IT-Konzern Ericsson und wechselte dann zum us-amerikanischen Start-up namens Tesla, wo er in Nevada eine Batteriefabrik aufbaute. Die Zeit unter Elon Musk habe ihn sehr geprägt, betont er immer wieder: „Ich hätte Northvolt nie gegründet, wenn ich nicht durch seine Schule gegangen wäre“. Doch anders als der bisweilen exzentrisch auftretende Musk verströmt Carlsson eher nordische Gelassenheit – doch auch er steht für eine „Mission“: „Wir haben eine klare Mission: Leute, die zu uns kommen, arbeiten nicht nur in einer neuen Industrie. Sie haben die einmalige Chance, einen Beitrag zu leisten im Kampf gegen die größte Bedrohung unserer Zeit. Den Klimawandel. Zudem bieten wir allen Beschäftigten an, Shareholder zu werden an unserem Unternehmen.“ [4]
War die Ansiedlung des Tesla-Werkes in Grünheide (bei Berlin) von Anfang an und bis heute von Protesten der Bevölkerung begleitet, findet das Großprojekt in Dithmarschen durchweg wohlwollenden Zuspruch. Das hängt auch damit zusammen, dass Carlsson der Region ein „Gesamtkonzept“ anbietet, das nicht nur die Schaffung tausender Arbeitsplätze inmitten eines „grünen“ Wirtschaftsareals beinhaltet, sondern viele weitere Annehmlichkeiten bereit hält wie z.B. die Nutzung der Abwärme für die örtlichen Fernwärmenetze.
Vor allem wirbt Northvolt damit, dass in Heide eine neue Batterietechnologie auf der Basis von Natrium-Ionen zum Einsatz kommt. Diese kommen ohne Kobalt, Nickel und Lithium aus und gelten deshalb als wichtig für Energiewende und Nachhaltigkeit.
Die Natrium-Ionen-Batterie wird mit Mineralien wie Eisen und Natrium hergestellt, die auf den Weltmärkten reichlich vorhanden sind. Die Energiedichte dieser neuen Zelle soll nahe an die von Lithiumbatterien, die üblicherweise in Elektroautos verwendet würden, heranreichen, so die Aussagen von Northvolt. Lithiumbatterien haben eine Energiedichte von etwa 250 bis 300 Wattstunden pro Kilogramm. Wegen ihrer geringeren Energiedichte war die Verwendung der Natrium-Ionen-Batterie als Autobatterie bislang nur bedingt geeignet - sie ist größer und schwerer, was für den Einsatz in Automobilen nachteilig ist. Diesen Nachteil wollte Carlsson mit seinem Batteriewerk bei Heide wettmachen – so seine Ankündigung im Jahre 2022. Doch diese Perspektive steht inzwischen auf wackligen Beinen. Einerseits entwickelt sich auch die Lithium-Batterie-Technologie weiter (und nicht umsonst hat sich Deutschland gerade in Serbien einen umfangreichen Litihiumabbau gesichert); zum anderen drängt aus China eine neue Feststoffzellen-Technologie auf den Markt.
Umweltverbände und die Batteriefabrik
Das Verhältnis der Umweltgruppen zur Ansiedlung der Mega-Fabrik auf der grünen Wiese war von Anfang an im Großen und Ganzen von Wohlwollen geprägt - mit kritischen Einwänden im Detail. Die Kritik richtete sich dabei weniger an das Unternehmen selber sondern vor allem an Politik und Verwaltung.
Northvolt betont, dass der BUND und andere Umweltverbände von Anfang an eingebunden waren, um Planung und Bau der Fabrik kritisch zu begleiten und Vorschläge für eine ökologische Gestaltung des Ansiedlungsgebiets zu machen. So erklärte Northvolt gegenüber dem BUND, dass etwa die Hälfte der Dachfläche aller Gebäude für eine Begrünung zur Verfügung stehen sollen. Auf der anderen Hälfte sollen Solarkollektoren zusätzlichen Strom produzieren.
„Nach Auffassung des BUND ist der Bau einer hocheffizienten und umweltfreundlichen Fabrik für Batterien für E-Autos grundsätzlich ein sehr gutes Projekt. Zurzeit mangelt es aber an einer stringenten, raumübergreifenden Planung, die sicherstellt, dass die Vorteile aus der räumlichen Nähe zu Erzeugern nachhaltiger Energie nicht z.B. durch eine ungünstige Verkehrsanbindung von der Fabrik und ggf. auch Zulieferern und Defiziten bei Umweltschutz und Umweltsicherheit gleich wieder zunichte gemacht wird,“ heißt es in der Erklärung des BUND Schleswig-Holstein vom 11.7.2022.
Und eineinhalb Jahre später heißt es in einer umfangreichen Stellungnahme an den Kreis Dithmarschen:
„Diese zwingend notwendige Gesamtbetrachtung und nachhaltige Beurteilung des Projektes wurde bislang unterlassen. Für die Entscheidungsträger*innen und die Menschen der Region werden die Gesamtauswirkungen des Projektes weder im Einzelnen noch nachhaltig in der Gesamtheit deutlich und erkennbar. Stattdessen werden in Form einer scheibchenweisen Betrachtung einzelner Teilelemente die Gesamtauswirkungen vernebelt und intransparent gemacht. (…) Der BUND SH bedauert es außerordentlich, dass aufgrund der wiederholt kritisierten mangelhaften und wenig nachhaltigen Planungsweise ein grundsätzlich positives Ansiedlungsprojekt, welches bei einer sachgerechten Planung ein ökologisch, sozial und wirtschaftlich vorteilhaftes Leuchtturmprojekt im Lande hätte werden können in ein derartig intransparentes ‚Planungschaos‘ getrieben wird.
Es besteht ein überragendes öffentliches Interesse daran, dass die Gesamtauswirkungen einer Planung auf die Region, die Umwelt und die Menschen nachhaltig betrachtet, bewertet und in transparente Entscheidungen umgesetzt werden können. Stattdessen fällt ein möglicher guter Ansatz hier der Intransparenz und Salamitaktik in auch rechtlich fragwürdiger Form anheim.
Diese Praxis wird weder den Menschen der Region gerecht noch genügt sie den Grundanforderungen nachhaltiger umwelt- und klimagerechter Planung.“ [5]
Auf Grundlage dieser Einschätzung hatte der BUND im April 2024 Klage vor dem Verwaltungsgericht in Schleswigs eingereicht. Dabei ging es um zwei wasserrechtliche Genehmigungen, die der Kreis Dithmarschen erteilt hatte - und die laut BUND ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt seien. Die erteilten Genehmigungen erlauben laut BUND das Zuschütten, Verlegen und Kanalisieren von Gewässern, um das Baugrundstück zu erschließen. In der Folge könne sich die Wasserqualität verschlechtern, so die Kritik. Ende Juni zog der BUND diese Klagen zurück. Viele Fragen hätten ausgeräumt werden können, so ein BUND-Sprecher.
Northvolt betont, dass das Wasserkonzept für die Fabrik besonders nachhaltig sei - die neuen Gewässer würden sogar naturnäher als die ursprünglichen. Auch die Wasserqualität werde, im Gegensatz zu den Befürchtungen des BUND, nicht beeinträchtigt.
Wie sieht es aktuell vor Ort aus? Probleme und Herausforderungen
Im März 2022 wurde im Foyer der Fachhochschule Westküste (FHW) in Heide der Bau einer Batteriezellenfabrik des schwedischen Unternehmens offiziell verkündet. Ende Februar 2024 fand im Berufsbildungszentrum in Heide ein Treffen unter dem Motto "Northvolt trifft Wirtschaft" statt. Northvolt hatte zusammen mit der Industrie-und Handelskammer, der Kreishandwerkerschaft Dithmarschen, dem Unternehmensverband Unterelbe-Westküste und der Entwicklungsgesellschaft Region Heide (EARH) zu dem Treffen eingeladen. Ziel der Veranstaltung: Die Betriebe aus Handwerk, Handel und Industrie aus der Region sollen beim Bau der Batteriefabrik tatkräftig mithelfen. Über 500 Handwerksmeister und Vertreter von kleinen und mittelständischen Unternehmen aus ganz Schleswig-Holstein waren gekommen. Viele von ihnen stehen jetzt in den Startlöchern und hoffen, dass es mit dem Bau zügig voran geht.
Am 25. März 2024 erfolgte dann der medienwirksam inszenierte „Spatenstich“ in Form eines gemeinsamen Boßel-Werfens. Angereist waren Bundeskanzler, Wirtschaftsminister, Ministerpräsident, Botschafterin und Firmenchef. Die Anwesenden hoben hervor, dass es sich hier um eines der größten Industrieprojekte Deutschlands handelt. Die erste Zellmontage ist für das Jahr 2026 geplant. Im Endausbau von 2029 an sollen mit 3000 Beschäftigten jährlich Batteriezellen für eine Million E-Autos hergestellt werden. Das Versprechen „grüner Batterien“ knüpft das Unternehmen vor allem an die Verwendung erneuerbarer Energien. Dass es in Dithmarschen Windstrom im Übermaß gibt, war angeblich entscheidend für die Standortentscheidung, Northvolt-Chef Carlsson rechne dabei mit Strom zu Preisen von 5 bis 6 Cent je Kilowattstunde (c/kw) um wettbewerbsfähig zu sein (zum Vergleich: der durchschnittliche Industriestrompreis in Schleswig-Holstein beträgt 2024 etwa 17 c/kw).
Seit Ende März wird auf dem Gelände der zukünftigen Batteriefabrik gebaut. Das 170 Hektar große Areal gehört zu den drei Gemeinden Norderwöhrden, Wesseln und Neuenkirchen; alle drei Dörfer gehören zum Amt Heider Umland. Die Mitarbeitenden des Amtes beraten die ehrenamtlichen Gemeindevertreter und bereiten die notwendige Bauleitplanung vor. Derzeit laufen die Arbeiten für die Pfahlgründung. Bagger und schwere Lkw bereiten auf dem Gelände die Fläche für die weiteren Bauarbeiten vor. Vor allem werden noch weitere Flächen benötigt, damit Zulieferer sich so schnell wie möglich nahe der Batteriefabrik ansiedeln können. Aus der Sicht des Beratungsunternehmen CIMA aus Lübeck ist auch für Northvolt entscheidend, dass bestimmte Komponenten und Services in einem nahen Umfeld angesiedelt werden können. Eine entscheidende Rolle komme nun der neuen Grundstücksgesellschaft des Kreises zu. „Es fehlten aber noch einige wichtige Punkte, damit die Gesellschaft ins Arbeiten kommt,“ so Dithmarschens Landrat Schütt. „Die Gesellschaft soll ja über einen Fonds des Landes finanziert werden, und dazu brauchen wir noch die rechtlichen Rahmenbedingungen." Diese Punkte müsse man sorgfältig abarbeiten, denn Kreis und Land seien schließlich den Steuerzahlern verpflichte. Er hofft, dass alles bis Ende des Jahres geklärt ist, damit die Grundstücksgesellschaft dann ihre Arbeit aufnehmen und Gespräche mit Landbesitzern in den Gemeinden führen kann.[6]
Neben den Gewerbeflächen für Zuliefererbetriebe stehen die Mammutaufgaben Ausbau des Schienennetzes für die Güterzüge in Richtung Hamburg, Schaffung neuer Wohnungen und zusätzlicher Kita- und Schulplätze auf der Tagesordnung. Federführend hierfür zeichnet die Entwicklungsgesellschaft Region Heide (EARH), deren Fachleute den gesamten Ansiedlungsprozess von Northvolt von Anfang an begleitet haben.
Zum Beispiel Wohnungsbau: 7.100 Wohneinheiten müssen nach deren Berechnungen in der Stadt Heide und den elf umliegenden Gemeinden gebaut werden. Die Bürgermeister gehen davon aus, dass ein bestimmter Prozentsatz des neu zu schaffenden Wohnraums den „Einheimischen“ vorbehalten ist. Es soll nämlich nicht das Gefühl entstehen, alle Maßnahmen würden sich nur um Northvolt drehen.
Verkehrsanbindung: „Die Realität gleicht eher einem Albtraum“
Weder der Zustand der Schienennetze im Güter- noch im Personenverkehr ist für ein Projekt wie das Batterie-Werk ausgelegt. Northvolt wirbt damit, die „grünste Batterie der Welt" zu produzieren. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen die Produkte möglichst per Bahn zu den Kunden gebracht werden. Auch die bis 3.000 Mitarbeitenden sollen möglichst mit der Bahn zur Arbeit kommen können - auch wenn sie eher am Hamburger Rand wohnen werden als in Heide und Umgebung.
„Doch so schön der Traum des schwedischen Start-Ups von einer solchen Infrastruktur in Schleswig-Holstein ist, die Realität gleicht eher einem Albtraum.
Um nach Hamburg zu kommen, müssten die Züge über den Nord-Ostsee-Kanal. Die Hochbrücke Hochdonn auf der Hauptroute, der sogenannten Marschbahnstrecke, ist für solche Lasten gar nicht ausgelegt. Das Land lässt im Moment nach eigenen Angaben prüfen, ob die Brücke so verstärkt werden könnte, dass die Northvolt-Züge sie nutzen können. Eine Alternativroute wäre die Strecke über die Grünentaler Hochbrücke zwischen Heide und Neumünster. Doch die Regionalbahn-Strecke über die Dörfer hat nur ein Gleis und ist nur für maximal 80 Stundenkilometer zugelassen - zu wenig für die 24 Northvolt-Züge. Beide Strecken sind nicht elektrifiziert. So oder so können also - wie bisher auch - nur Loks mit alter Diesel-Technik zum Hightech-Unternehmen fahren.
Nicht nur Güter müssen das Northvolt-Werk erreichen und verlassen können, sondern auch die 3.000 Mitarbeitenden. Nicht alle werden direkt in der Region wohnen. Es wird zum Beispiel auch Pendlerinnen und Pendler geben, die aus Hamburg, dem Kreis Pinneberg und dem Kreis Steinburg zur Fabrik fahren. Wer heutzutage in Hamburg-Altona in die Bahn steigt und nach Heide fährt, braucht eine Stunde und 30 Minuten. Das sei zu lang, sagt Northvolt. Eine Voraussetzung für die Schweden, sich hier anzusiedeln, war damals auch, dass Menschen aus Hamburg in weniger als einer Stunde mit der Bahn in Heide sind. Damit das funktioniert, müsste ein neues Gleis zwischen Horst im Kreis Steinburg und Itzehoe gebaut werden. Ein neuer Abschnitt entlang der Marschbahnstrecke, eine verstärkte oder neue Hochbrücke in Hochdonn oder eine ausgebaute Strecke zwischen Neumünster und Heide - all diese Vorhaben würden in normalen Verfahren Jahrzehnte dauern.“ [7]
Satte Fördermittel für Northvolt von EU, Bund und Land
Der Investitionsbedarf für die Northvolt-Batteriefabrik wird auf etwa 4,5 Milliarden Euro beziffert. Aufgrund eines EU-Programms werden dem Unternehmen knapp eine Milliarde Euro an Fördermitteln von EU, Bund und Land zugesprochen. Das Bundeswirtschaftsministerium stellt Northvolt 564 Euro Millionen zur Verfügung, der schleswig-holsteinische Landtag hat einen Förderungsbetrag von 136 Millionen Euro bewilligt. „Viel Geld für Northvolt trotz Haushaltssperre“ befand selbst die eben nicht besonders wirtschaftskritische FAZ. (4.12.2023). Im Januar 2024 genehmigte die EU-Kommission abschließend die vorgesehenen Fördermittel. Ohne die Subvention hätte sich Northvolt nach Angaben der Kommission für einen Standort in den USA entschieden. „Diese Maßnahme im Umfang von 902 Millionen Euro ist die erste Einzelbeihilfe, die genehmigt wurde, um zu verhindern, dass eine Investition in ein Land außerhalb Europas verlagert wird", sagte die seinerzeit für Wettbewerb zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Die EU will strategisch wichtige Technologien wie Batterien und Halbleiter verstärkt selbst produzieren, um unabhängiger von Drittstaaten wie China und den USA zu werden.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht diese Subventionen kritisch und fürchtet, dass Konzerne letztendlich Regierungen gegeneinander ausspielen.
„Es ist ein Irrweg, sich in diesen Subventionswettlauf hineinziehen zu lassen. Vermutlich wäre Northvolts Investment auch mit weit weniger Subventionen lohnend gewesen, was nur die Anteilseigner freut. Das Geld muss nun vom Steuerzahler aufgebracht werden und fehlt an anderer Stelle, etwa bei Investitionen in Bildung oder Infrastruktur.“[8]
Wenn im Zusammenhang mit Northvolt mitunter immer noch etwas verniedlichend von einem „Start-Up“ gesprochen wird, verkennt das die reale Konzernstruktur. Größter Anteilseigner von Northvolt ist Volkswagen (21,1 Prozent). Weiterhin sind an dem Unternehmen BMW, Scania und Volvo beteiligt. Die US-Bank Goldman Sachs und die Investmentgesellschaft Blackrock gehören ebenfalls zu den Investoren. Staatliche Subventionen in Millionenhöhe für Konzerne, Banken und Investment-Heuschrecken, die Milliarden Gewinne machen und ihren Aktionär:innen satte Dividenden ausschütten?
Vom Elend staatlicher Subventionspolitik für Konzerne
In Politikerporträts über Olaf Scholz wird gern (und etwas hämisch) daran erinnert, dass er als Juso-Aktivist strammer Stamokap-Anhänger war. Was besagt die Stamokap-Theorie? Lenin prägte um 1917 herum den Begriff „staatsmonopolistischer Kapitalismus“, den er als allerletzte Weiterentwicklung des faulenden, parasitären Imperialismus betrachtete. Wenige große Konzerne und Banken verwachsen mit den staatlichen Organen, daraus resultiere eine alles durchdringende politisch-ökonomische Herrschaftsstruktur. Vor allem in den 70er Jahren fand diese Theorie insbesondere in der DKP, ihnen nahestehenden Ökonomen, einzelnen Sozialdemokraten (Klose: „Der Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus“) und Jungsozialisten Zustimmung.
In den 80er Jahren geriet dieser theoretische Ansatz ein wenig aus dem Blickfeld angesichts der Fokussierung auf die neoliberale vom Shareholder- und Finanzkapital dominierte Ökonomie. Doch spätestens mit der Finanzkrise (2007ff) meldete sich „der Staat“ auch wieder sichtbar als ökonomischer Akteur zurück. Der Ökonom Jörg Huffschmid wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Stamokap-Theorie (SMK) also nicht obsolet sei. „Die Interessen der Automobilindustrie müssen sich zwar nicht zwangsläufig und aufgrund der Logik des SMK durchsetzen“, schrieb er: „Nur: Faktisch tun sie es.“[9]
Subventionierung von Großkonzernen, die ihre Profitziele verfehlen und dann dem Staat mit Abwanderung und Vernichtung von Arbeitsplätzen drohen, wenn staatliche Subventionen ausbleiben sollten, sind seither auf der Tagesordnung (besonders ausgeprägt seit der Corona-Zeit).
Der Soziologe Klaus Dörre schreibt dazu zutreffend:
„Der Kapitalismus muss zur Stabilisierung seiner Herrschaft immer aufwendigere Investitionen tätigen. Man muss nur anschauen, was die Gesellschaft leisten muss, um Tesla die Produktion von E-Autos zu ermöglichen (oder Northvolt den Bau der Batteriefabrik, G.St.). Angefangen vom Bahnhof, der da hingebaut wird, über die Lade-Infrastruktur und so weiter. Würde man das alles den Konzernen in Rechnung stellen, würde es schwierig werden mit der Profitproduktion. Die Befürworter des Kapitalismus betonen ja immer, ihr System sei sehr effizient bei der Produktion gesellschaftlichen Reichtums. Aber das kann man mittlerweile wirklich nicht mehr behaupten. Der Kapitalismus ist ein System, das, um fortzubestehen, viele Bereiche regelrecht ausplündern muss.
Wir können uns den Kapitalismus nicht mehr leisten – das wäre meine These.“ [10]
[1]manager-magazin 9.9.2024
[2]Europas Batteriepläne kommen unter die Räder, FAZ 18.7.24
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/238001
[4]„Wir nehmen es mit den Asiaten auf“, FAZ 1.7.2023
[5] Stellungnahme zum wasserrechtlichen Plangenehmigungsverfahren im Zuge der Errichtung einer Batteriefabrik in den Gemeinden Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden, gerichtet an den Kreis Dithmarschen, Fachdienst Wasser, Boden Abfall. BUND SH 18.1.2024
[6] ndr-online 10.8.2024
[7] ndr-online 23.2.24
[8] FAZ 26.3.2024
[9] Huffschmid, Jörg: Die Rückkehr des Staates. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, November 2008
[10] Interview mit dem Soziologen Klaus Dörre, ND 14.6.24
Zustand von Zensur und Pressefreiheit im Westen | Teil 1
Zustand von Zensur und Pressefreiheit im Westen | Teil 1
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Rüstungskontrolle: »Kann nicht warten, bis die Spannungen vorüber sind«
Mit einem Bein in der Hölle
General a. D. Harald Kujat: "Selenskyjs Drohung hätte eine harte Reaktion des Westens erfordert"
Webentwicklung für Neulinge
... weil ich u.a. beim Münchner Friedensbündnis für die Webseite zuständig bin hab ich ein Anliegen ;-).
Wenn jemand Gefallen an antimilitaristischem Einsatz findet, und technisch etwas interessierter ist, wäre die Befassung mit einschlägiger Webentwicklung evtl eine Option?
Während ich das als Amateur mache, ist das von mir verwendete Drupal ein spannendes Universal-CMS, breit eingesetzt und leistungsfähig, also auch professionelle Projekte!
Ich finde den Ansatz von Drupal zukunftssicher vor allem/u.a. mit dem Anspruch der Code wird konsequent weiterentwickelt, die Daten aber bleiben erhalten (also nicht bei jeder Geschmacksänderung fast alles wegschmeißen).
Wichtig: hier läuft die Seite mit Drupal 6, der Prototyp mit Drupal 10/11 ist schon begonnen/unterwegs, und sieht natürlich etwas anders aus!
Meine Kontakte in die Drupalcommunity funktionieren, das sind alles Profis.
Vielleicht gibt es irgendwo da draussen jemand mit Interesse darüber zu reden?
Bitte melden! - Email s.u.
https://www.muenchner-friedensbuendnis.de (Drupal 10.3.6) (dieses Jahr von Drupal 6 migriert, hat gut geklappt, gibt natürlich noch Baustellen.)
https://bifa-muenchen.de (Drupal 6.x, direkte Migration auf D10/D11 läuft)
(und weitere)
Sind Noam Chomskys außenpolitische Ansichten noch anwendbar?
Sind Noam Chomskys außenpolitische Ansichten noch anwendbar?
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Der Zustand der US-Wirtschaft und die Parlamentswahlen
Tatsächlich scheint es überhaupt keine Landung zu geben.
Manche nennen es due Benjamin-Button-Wirtschaft: Die US-Wirtschaft wird immer jüger und besser. [1]
Warum liegt die Kandidatin der amtierenden demokratischen Regierung, Kamala Harris, in den Umfragen nur Kopf an Kopf mit dem republikanischen ehemaligen Präsidenten Donald Trump? Tatsächlich rechnet die Wettwelt damit, dass Trump gewinnen wird.
Wie kann das sein, wenn es der US-Wirtschaft so gut geht?
Es scheint, dass ein ausreichender Teil der Wählerschaft nicht so sehr von einer prosperierenden und besseren Zeit für sie überzeugt ist. In der jüngsten Umfrage des WSJ bewerteten 62 % der Befragten die Wirtschaft als „nicht so gut“ oder „schlecht“, was den Mangel an politischer Dividende für Präsident Biden oder Harris erklärt.
Ich denke, dass es dafür zwei Gründe gibt. Erstens mag das reale BIP der USA zwar wachsen und die Preise für Finanzanlagen boomen, aber für den durchschnittlichen amerikanischen Haushalt, von dem kaum jemand Finanzanlagen besitzt, mit denen er spekulieren könnte, sieht die Sache anders aus.
Während reiche Investoren ihr Vermögen vermehren, haben die Amerikaner unter den Regierungen Trump und Biden eine schreckliche Pandemie erlebt, gefolgt vom größten Einbruch des Lebensstandards seit den 1930er Jahren, der durch einen sehr starken Anstieg der Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen verursacht wurde.
Die durchschnittlichen Lohnerhöhungen konnten bis vor etwa sechs Monaten nicht Schritt halten. Und offiziell sind die Preise immer noch um etwa 20 % höher als vor der Pandemie, aber viele andere Posten, die nicht im offiziellen Inflationsindex erfasst sind (Versicherungen, Hypothekenzinsen usw.), sind in die Höhe geschossen. Nach Steuern und Inflation sind die Durchschnittseinkommen also so gut wie gleich hoch wie zu Beginn der Amtszeit von Biden.
US real disposable personal income
Kein Wunder, dass in einer kürzlich durchgeführten Umfrage 56 % der Amerikaner der Meinung waren, dass sich die USA in einer Rezession befinden, und 72 % dachten, dass die Inflation steigt. Die Welt mag für Börseninvestoren, die „Magnificent Seven“-Hightech-Social-Media-Unternehmen und die Milliardäre großartig sein, aber für viele Amerikaner ist sie es nicht.
Diese Diskrepanz zwischen den optimistischen Ansichten der Babyboomer-Generation der Mainstream-Ökonomen und den „subjektiven“ Gefühlen der meisten Amerikaner wird als „Vibecession“ bezeichnet. Die Stimmung der amerikanischen Verbraucher ist seit Bidens Amtsantritt deutlich schlechter.
Die Amerikaner sind sich der Kosten bewusst, die in den offiziellen Indizes und von den Mainstream-Ökonomen ignoriert werden. Die Hypothekenzinsen haben den höchsten Stand seit 20 Jahren erreicht und die Immobilienpreise sind auf Rekordniveau gestiegen. Die Prämien für Kfz- und Krankenversicherungen sind in die Höhe geschossen.
Tatsächlich wird die Einkommens- und Vermögensungleichheit in den USA, die zu den höchsten der Welt gehört, immer schlimmer. Die obersten 1 % der Amerikaner verfügen über 21 % aller persönlichen Einkommen, mehr als doppelt so viel wie die untersten 50 %! Und die obersten 1 % der Amerikaner besitzen 35 % des gesamten Privatvermögens, während 10 % der Amerikaner 71 % besitzen; die untersten 50 % besitzen jedoch nur 10 %!
Shares of US personal income
Shares of US personal wealth
Wenn man sich die viel gepriesenen realen BIP-Zahlen genauer ansieht, wird deutlich, warum die meisten Amerikaner kaum davon profitieren. Die BIP-Rate wird von den Gesundheitsdiensten bestimmt, die in Wirklichkeit die steigenden Kosten der Krankenversicherung messen, nicht eine bessere Gesundheitsversorgung, und diese Kosten sind in den letzten drei Jahren in die Höhe geschossen. Und dann gibt es steigende Lagerbestände, d. h. unverkaufte Warenbestände, mit anderen Worten: Produktion ohne Absatz. Und dann gibt es erhöhte Staatsausgaben, hauptsächlich für die Rüstungsindustrie, was kaum ein produktiver Beitrag ist.
Wenn wir uns die Wirtschaftstätigkeit im verarbeitenden Gewerbe der USA ansehen, basierend auf der sogenannten Umfrage unter Einkaufsmanagern, zeigt der Index, dass das verarbeitende Gewerbe in den USA in den vier Monaten vor der Wahl im November geschrumpft ist (jeder Wert unter 50 bedeutet Schrumpfung).
US Manufacturing PMI
Die Regierung und die Mainstream-Medien verkünden die niedrige Arbeitslosenquote in den USA. Ein Großteil des Nettoanstiegs der Arbeitsplätze entfällt jedoch auf Teilzeitbeschäftigung oder auf staatliche Stellen auf Bundes- und Landesebene. Die Vollzeitbeschäftigung in wichtigen produktiven Sektoren, die besser bezahlt werden und eine Karriere ermöglichen, hinkt hinterher. Wenn ein Arbeitnehmer einen Zweitjob annehmen muss, um seinen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, ist er möglicherweise nicht mehr so optimistisch, was die Wirtschaft angeht. Tatsächlich haben Zweitjobs erheblich zugenommen.
Und der Arbeitsmarkt beginnt sich zum Schlechten zu wenden. Der monatliche Nettozuwachs an Arbeitsplätzen ist rückläufig, mit zuletzt nur +12.000 im Oktober (teilweise beeinflusst durch Hurrikane und den Boeing-Streik).
Month-over-month change in total nonfarm employment
Sowohl die Zahl der Stellenangebote als auch die der Kündigungen ist auf ein Niveau gesunken, das normalerweise in Rezessionszeiten zu beobachten ist. Unternehmen zögern, Vollzeitkräfte einzustellen, und Arbeitnehmer zögern, zu kündigen, da sie sich Sorgen um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machen und es immer weniger offene Stellen gibt.
US Job Offers
Job Quits
Die etablierten Ökonomen loben die zweifellos bessere Leistung der US-Wirtschaft im Vergleich zu Europa und Japan und im Vergleich zum Rest der kapitalistischen G7-Volkswirtschaften insgesamt. Aber eine durchschnittliche reale BIP-Wachstumsrate von 2,5 % ist im Vergleich zu den 1960er Jahren oder sogar den 1990er Jahren oder vor der Großen Rezession von 2008 oder vor dem pandemiebedingten Einbruch von 2020 kaum ein Erfolg.
Die großen Volkswirtschaften befinden sich nach wie vor in einer Situation, die ich als „lange Depression“ bezeichnet habe, d. h. nach jedem Einbruch oder jeder Kontraktion (2008-9 und 2020) folgt ein niedrigerer Verlauf des realen BIP-Wachstums – d. h. der vorherige Trend wird nicht wiederhergestellt. Die Trendwachstumsrate vor dem globalen Finanzcrash (GFC) und der Großen Rezession ist nicht zurückgekehrt; und der Wachstumspfad ist nach dem pandemiebedingten Einbruch von 2020 noch weiter gesunken. Kanada liegt immer noch 9 % unter dem Trend vor der globalen Finanzkrise, die Eurozone 15 %, das Vereinigte Königreich 17 % und selbst die USA liegen immer noch 9 % darunter.
Darüber hinaus ist ein Großteil der überdurchschnittlichen Wirtschaftsleistung der USA auf einen starken Anstieg der Nettozuwanderung zurückzuführen, der doppelt so schnell ist wie in der Eurozone und dreimal so schnell wie in Japan. Laut dem Congressional Budget Office wird die Zahl der Arbeitskräfte (nicht der Beschäftigten) in den USA bis 2033 um 5,2 Millionen Menschen gestiegen sein, was hauptsächlich auf die Nettozuwanderung zurückzuführen ist. Die Wirtschaft wird in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich um 7 Billionen US-Dollar mehr wachsen als ohne den neuen Zustrom von Einwanderern.
Es ist also eine große Ironie, dass der zweite Grund, warum die Harris-Kampagne nicht weit vor Trump liegt, die Frage der Einwanderung ist. Es scheint, dass viele Amerikaner die Eindämmung der Einwanderung als ein zentrales politisches Thema betrachten – d. h. sie machen zu viele Einwanderer für das geringe Realeinkommenswachstum und schlecht bezahlte Arbeitsplätze verantwortlich, obwohl das Gegenteil der Fall ist. In der Tat werden das Wirtschaftswachstum und der Lebensstandard der USA leiden, wenn das Einwanderungswachstum nachlässt oder wenn eine neue Regierung die Einwanderung stark einschränkt oder sogar verbietet.
Die einzige Möglichkeit, wie die US-Wirtschaft in diesem Jahrzehnt ein reales BIP-Wachstum von 2,5 % pro Jahr aufrechterhalten könnte, wäre eine sehr starke Steigerung der Produktivität der amerikanischen Arbeitskräfte. Doch im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Produktivitätswachstum in den USA verlangsamt. In den 1990er Jahren lag das durchschnittliche Produktivitätswachstum bei 2 % pro Jahr und in den kreditfinanzierten 2000er Jahren der Dotcom-Ära sogar noch schneller bei 2,6 % pro Jahr. In den Jahren der langen Depression in den 2010er Jahren rutschte die durchschnittliche Rate jedoch auf den niedrigsten Stand von 1,4 % pro Jahr ab. Seit der Großen Rezession von 2008 bis 2023 ist die Produktivität nur um 1,7 % pro Jahr gestiegen. Wenn die Zahl der Erwerbstätigen nicht weiter steigen würde, weil die Einwanderung gebremst wurde, würde das reale BIP-Wachstum wieder unter 2 % pro Jahr fallen.
US-productivity of labour growth
Die allgemeine Hoffnung, dass die enormen Subventionen, die die Regierung in die großen High-Tech-Unternehmen pumpt, die Investitionen in produktivitätssteigernde Projekte ankurbeln werden, insbesondere die massiven Ausgaben für KI, werden letztendlich zu einem anhaltenden, sprunghaften Anstieg des Produktivitätswachstums führen. Aber diese Aussicht bleibt ungewiss und zweifelhaft - zumindest angesichts des Tempos, mit dem diese neuen Technologien in die US-Wirtschaft einfließen.
Bisher ist das Produktivitätswachstum hauptsächlich in der klimaschädlichen und umweltschädlichen fossilen Brennstoffindustrie zu verzeichnen, und es gibt kaum Anzeichen für eine Ausweitung auf andere Sektoren.
Energy Sector leads productivity gains
Seit 2010 hat sich die Öl- und Gasproduktion in den USA fast verdoppelt, und dennoch ist die Beschäftigung im vorgelagerten Sektor zurückgegangen. Die Produktivitätssteigerungen in diesem Sektor wurden also durch sinkende Beschäftigung erzielt.
Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass eine riesige Investitionsblase entsteht, die durch erhöhte Verschuldung und staatliche Subventionen finanziert wird und die zusammenbrechen könnte, wenn die Kapitalrenditen für den US-Unternehmenssektor aus KI und Hightech ausbleiben. Die Realität sieht so aus, dass abgesehen vom Gewinnboom der sogenannten Magnificent Seven der Hightech-Giganten aus dem Bereich Social Media die durchschnittliche Rentabilität der produktiven Sektoren des US-Kapitalismus auf einem historischen Tiefstand ist.
US non-financial sector rate of profit
Ja, die Gewinne der Magnificent Seven sind sehr hoch und die Gewinnspannen sind hoch, aber das Gesamtgewinnwachstum des nichtfinanziellen Unternehmenssektors der USA ist fast zum Stillstand gekommen.
US non-financial sector corporate profits
Und denken Sie daran, es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass Gewinne in einer kapitalistischen Wirtschaft Investitionen und dann die Beschäftigung anführen. Wo Gewinne hinführen, folgen Investitionen und Beschäftigung mit Verzögerung.
Us non-financial profits and business investment % yoy
Kein Bild
Wenn das Investitionswachstum sinkt, wird das erwartete Produktivitätswachstum nicht eintreten.
Darüber hinaus sind die Gesamtgewinndaten in zweierlei Hinsicht verzerrt. Erstens konzentrieren sich die Gewinne stark auf die großen Megakonzerne, während die kleinen und mittleren Unternehmen mit der Last hoher Zinssätze für ihre Kredite und gedrückten Kosten für Rohstoffe und Arbeitskräfte zu kämpfen haben.
Exhibits 4 Borrow costs
Kein Bild
Rund 42 % der Small-Cap-Unternehmen in den USA sind unrentabel, der höchste Wert seit der Pandemie im Jahr 2020, als 53 % der Small Caps Geld verloren.
Percent of unprofitable companies
Zweitens ist ein Großteil des Gewinnanstiegs fiktiv (um Marx' Begriff für Gewinne zu verwenden, die durch den Kauf und Verkauf von Finanzanlagen erzielt werden, die angeblich reale Vermögenswerte und Gewinne von Unternehmen darstellen, dies aber nicht tun). Nach der Methode von Jos Watterton und Murray Smith, zwei marxistischen Ökonomen aus Kanada, schätze ich, dass fiktive Gewinne inzwischen etwa die Hälfte der Gesamtgewinne im Finanzsektor ausmachen. Wenn diese bei einem Finanzcrash verschwinden würden, würde dies den amerikanischen Unternehmen ernsthaft schaden.
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Und das bringt uns zum Thema steigende Verschuldung, sowohl im US-Unternehmenssektor als auch im öffentlichen Sektor. Wenn die KI-Blase platzen würde, wären viele Unternehmen mit einer Schuldenkrise konfrontiert. Laut S&P Global Ratings sind im Jahr 2024 bereits mehr US-Unternehmen ihren Schulden nicht nachgekommen als jemals zuvor zu Jahresbeginn seit der globalen Finanzkrise, da der Inflationsdruck und die hohen Zinssätze die risikoreichsten Unternehmenskreditnehmer weiterhin belasten.
Us Chapter Bankruptcy fillings
Kein Bild
Und vergessen Sie nicht die „Zombies“, d. h. Unternehmen, die bereits jetzt nicht in der Lage sind, ihre Schuldendienstkosten aus Gewinnen zu decken, und daher nicht investieren oder expandieren können, sondern einfach so weitermachen wie die lebenden Toten. Sie haben sich vermehrt und überleben bisher, indem sie sich noch mehr Geld leihen – und sind daher anfällig für hohe Kreditzinsen.
The zombie apocalypset
Kein Bild
Wenn die Unternehmensinsolvenzen zunehmen, wird dies die Gläubiger, d. h. die Banken, erneut unter Druck setzen. Im vergangenen März gab es bereits eine Bankenkrise, die zum Zusammenbruch mehrerer kleiner Banken führte, während die übrigen Banken durch Notfinanzierungen der staatlichen Regulierungsbehörden in Höhe von über 100 Milliarden US-Dollar gerettet wurden. Ich habe bereits auf die versteckte Gefahr von Krediten hingewiesen, die von sogenannten „Schattenbanken“ gehalten werden, d. h. von Nichtbanken, die große Summen für spekulative Finanzinvestitionen verliehen haben.
Und nicht nur der Unternehmenssektor gerät unter Druck, seinen Schuldendienst zu leisten. Während des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA in den letzten Monaten haben beide Kandidaten, Kamala Harris und Donald Trump, ein Thema ignoriert. Es geht um die Höhe der Staatsverschuldung. Aber diese Verschuldung ist von Bedeutung.
Die US-Regierung hat in diesem Jahr bisher 659 Milliarden Dollar für die Zahlung der Zinsen auf ihre Schulden ausgegeben, da die Zinserhöhungen der Federal Reserve die Kreditkosten der Bundesregierung dramatisch in die Höhe getrieben haben. Die Verschuldung des öffentlichen Sektors, die derzeit auf 35 Billionen US-Dollar oder rund 100 % des BIP geschätzt wird, kennt nur eine Richtung: nach oben. Die Schuldenlast wird voraussichtlich weiter steigen und könnte laut einer Prognose des Congressional Budget Office (CBO) der USA innerhalb der nächsten 10 Jahre 50 Billionen US-Dollar erreichen.
Das CBO berichtet, dass die von der Öffentlichkeit gehaltenen Bundesanleihen (d. h. die „Nettoverschuldung“) im letzten halben Jahrhundert durchschnittlich 48,3 % des BIP ausmachten. Das CBO prognostiziert jedoch, dass die Nettoverschuldung bis zum nächsten Jahr, 2025, zum ersten Mal seit dem militärischen Aufrüstungsprogramm der USA im Zweiten Weltkrieg größer sein wird als die jährliche Wirtschaftsleistung und bis 2034 auf 122,4 % steigen wird.
Us government debt is expected to rise signifinactly
Aber ist diese steigende Staatsverschuldung von Bedeutung? Der Vorschlag, dass die US-Regierung irgendwann aufhören muss, Haushaltsdefizite zu machen und die steigende Verschuldung einzudämmen, wurde von Vertretern der Modern Monetary Theory (MMT) entschieden abgelehnt. MMT-Befürworter argumentieren, dass Regierungen permanente Haushaltsdefizite machen können und sollten, bis die Vollbeschäftigung erreicht ist. Und es besteht keine Notwendigkeit, diese jährlichen Defizite durch die Ausgabe von mehr Staatsanleihen zu finanzieren, da die Regierung die Rechnungseinheit, den Dollar, kontrolliert, den jeder verwenden muss. Die Federal Reserve kann also einfach Dollar „drucken“, um die Defizite zu finanzieren, wie es das Finanzministerium verlangt. Vollbeschäftigung und Wachstum werden dann folgen.
Ich habe die Schwachstellen des MMT-Arguments in anderen Beiträgen ausführlich erörtert, aber das Hauptanliegen hier ist, dass die Staatsausgaben, wie auch immer finanziert, möglicherweise nicht die notwendigen Investitionen und Beschäftigungszuwächse erzielen. Das liegt daran, dass die Regierung dem kapitalistischen Sektor die Entscheidungsgewalt über Investitionen und Arbeitsplätze nicht aus der Hand nimmt. Der Großteil der Investitionen und der Beschäftigung bleibt unter der Kontrolle kapitalistischer Unternehmen, nicht des Staates. Und wie ich oben argumentiert habe, bedeutet dies, dass Investitionen von der erwarteten Rentabilität des Kapitals abhängen.
Lassen Sie mich die Worte von Michael Pettis, einem überzeugten keynesianischen Ökonomen, wiederholen: "Das Fazit lautet: Wenn die Regierung zusätzliche Mittel so ausgeben kann, dass das BIP schneller wächst als die Verschuldung, müssen sich Politiker keine Sorgen über eine galoppierende Inflation oder eine Anhäufung von Schulden machen. Wenn dieses Geld jedoch nicht produktiv eingesetzt wird, ist das Gegenteil der Fall.„ Das liegt daran, dass “die Schaffung oder Kreditaufnahme von Geld den Wohlstand eines Landes nicht erhöht, es sei denn, dies führt direkt oder indirekt zu einer Erhöhung der produktiven Investitionen ...Wenn US-Unternehmen nicht deshalb zögern zu investieren, weil die Kapitalkosten hoch sind, sondern weil die erwartete Rentabilität niedrig ist, ist es unwahrscheinlich, dass sie ... mit höheren Investitionen reagieren."
Darüber hinaus nimmt die US-Regierung Kredite hauptsächlich zur Finanzierung des laufenden Verbrauchs auf, nicht für Investitionen. Wenn man also die Federal Reserve dazu bringt, das Geld zu „drucken“, das zur Deckung der geplanten Staatsausgaben benötigt wird, wird dies nur zu einer starken Abwertung des Dollars und einem Anstieg der Inflation führen.
Steigende Schulden erhöhen die Nachfrage der Anleihekäufer nach höheren Zinssätzen, um sich gegen Zahlungsausfälle abzusichern. Für die USA bedeutet dies, dass jeder Anstieg der Schuldenquote um einen Prozentpunkt die längerfristigen Realzinsen um ein bis sechs Basispunkte erhöht. Je mehr die Schulden wachsen, desto mehr muss die Regierung an Zinsen für den Schuldendienst aufbringen – und desto weniger Geld hat die US-Regierung für andere Prioritäten wie die Sozialversicherung und andere wichtige Teile des sozialen Sicherheitsnetzes zur Verfügung. Die Zinskosten haben sich in den letzten drei Jahren fast verdoppelt, von 345 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 659 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023. Die Zinsen sind jetzt das viertgrößte Regierungsprogramm, nach der Sozialversicherung, Medicare und der Verteidigung. Im Verhältnis zur Wirtschaft stiegen die Nettozinskosten von 1,6 Prozent des BIP im Jahr 2020 auf 2,5 Prozent im Jahr 2023.
In seiner jüngsten Prognose geht das CBO davon aus, dass die Zinsen in den nächsten zehn Jahren mehr als 10 Billionen US-Dollar kosten und bis 2027 den Verteidigungshaushalt übersteigen werden. Seitdem sind die Zinssätze weitaus stärker gestiegen als vom CBO prognostiziert. Wenn die Zinssätze etwa 1 Prozentpunkt über den vorherigen Prognosen bleiben, würden die Zinsen für die Staatsverschuldung in den nächsten zehn Jahren mehr als 13 Billionen US-Dollar kosten, bereits im nächsten Jahr, 2025, den Verteidigungshaushalt übersteigen und 2026 zum zweitgrößten Regierungsprogramm werden und Medicare übertreffen.
Amerikas wirtschaftliche Stärke gibt dem Land einen beträchtlichen Spielraum. Die Rolle des Dollars als internationale Reservewährung bedeutet, dass die Nachfrage nach US-Schulden allgegenwärtig ist, und KI-gesteuertes Produktivitätswachstum könnte tatsächlich dazu beitragen, die Schuldenprobleme zu verringern. Aber die Höhe der Staatsverschuldung kann nicht ignoriert werden. Die neue Regierung wird bald höhere Steuern und Kürzungen bei den Staatsausgaben einführen. Wenn sie dies nicht tut, werden die „Vigilanten“ der Anleihenmärkte ihre Käufe einschränken und den neuen Präsidenten ohnehin zu einer strengen Haushaltsdisziplin zwingen. Wie der Chefökonom des IWF, Pierre-Olivier Gourinchas, kurz vor dieser Wahl sagte: „Es muss sich etwas ändern.“ Bidenomics wird mit seinem Namensvetter vergehen.
[1] Anstelle des typischen vierstufigen Konjunkturzyklus - Anfang, Mitte, Ende und Rezession -, den wir seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt haben, scheint die Wirtschaft von den Merkmalen des späten Zyklus, der durch eine straffe Geldpolitik und steigenden Kostendruck gekennzeichnet ist, zur Mitte des Zyklus zurückzukehren, wo die Unternehmensgewinne ihren Höhepunkt erreichen, die Kreditnachfrage anzieht und die Geldpolitik im Allgemeinen neutral ist.