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Prof. Jeffrey Sachs – Eine neue Außenpolitik für Europa
Dieser Podcast, der auf einem Artikel des hochrangigen UN-Beraters und weltbekannten Ökonomen Prof. Jeffrey Sachs basiert, beleuchtet die Außenpolitik Europas und argumentiert, dass sie in der Angst vor Russland und China gefangen ist und dadurch von den instabilen USA abhängig bleibt. Russlands Handlungen scheinen größtenteils defensiv zu sein, aber Europa interpretiert sie fälschlicherweise als imperialistisch […]
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Zum 60. Todestag von Albert Schweitzer: "Wort an die Menschen"
Erklärung des Kölner Friedensforums zum Antikriegstag und zur gemeinsamen Demonstration mit „Rheinmetall entwaffnen“
Kriegstüchtig: Der Kölner Kessel und die Berichterstattung
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Rückblick auf den ersten „Veteranentag“ – ein weiterer Schritt der mentalen Militarisierung
KRIEGE STOPPEN! GELD FÜR'S LEBEN, NICHT FÜR'S STERBEN! - VISIONEN FÜR EINE BESSERE WELT VERWIRKLICHEN!
Die Versöhnung mit Russland als Auftrag
Den Wahnsinn verlassen, auf Gewaltfreiheit setzen
Lebenshaus-Rundbrief 126 erschienen
Die neue Weltordnung und der Hauptwiderspruch im globalen Kapitalismus
Wir leben, sagen uns Politik und Medien, in einer Epoche sich überstürzender Zeitenwenden. Russland überfällt die Ukraine und stürzt die „europäische Nachkriegsordnung“ um und mit ihr die Nachwendeordnung nach der Implosion des realen Sozialismus. Die Nato sieht voraus, dass Russland spätestens Ende der Zwanziger Jahre in der Lage ist, Nato-Europa zu überrennen und legt eine Aufrüstung von 5% der jährlichen Wirtschaftsleistungen fest. Dabei ist die Nato heute schon die stärkste Militärmacht der Welt. 32 Nationen, eine Milliarde Menschen, 9.400 Kampfpanzer, 4.500 Kampfflugzeuge, 3,2 Millionen Personen Truppenstärke, 22.000 Artilleriegeschütze.
Dass die Führer der „westlichen Wertegemeinschaft“ entschlossen sind, ihre militärische Macht auch einzusetzen, haben sie gerade im Nahen Osten bewiesen: Israel bombardierte systematisch zivile Ziele im Iran, die USA ließen bunkerbrechende Raketen – über zehn Meter lang, Tiefenweite über hundert Meter – auf Atomanlagen herabregnen. Ein zunehmend geistesgestörter US-Präsident, ins Amt gedrückt von offen skrupellosen Tech-Monopolisten des Silicon Valley, feiert die Untat als Triumph der Zivilisation und sich selbst als größten Friedenspräsidenten aller Zeiten. Der deutsche Kanzler lobt die Israelis, sie würden „die Drecksarbeit für uns“ machen. Die politischen Eliten der „transatlantischen Gemeinschaft“ rücken die Welt näher an einen Großen Krieg, sie geben Israels Netanjahu nicht nur das Plazet zum systematischen Völkermord an den Palästinensern, sie haben in Europa keine andere Antwort auf die Aggression Russlands als die eigene Hochrüstung und „Kriegsertüchtigung“. In den Ländern des Westens bringen sich „Rackets“ an die Macht, Kapitalgruppen vor allem um High Tech, Rüstung, Energie, die, wie Max Horkheimer diese Klassenfraktionen nannte, als „Beutegemeinschaften“ den Staat und seine Bevölkerung ausnehmen, ohne Rücksicht auf aktuelle Lebensinteressen und Zukunft der Masse der Bevölkerung.
Über hundert Millionen Menschen sind bereits auf der Flucht vor Krieg und Elend. In den noch lebenswerten Regionen der Erde, längst geplagt von jahrelanger Rezession und wachsender sozialer Ungleichheit, fürchten sich noch mehr Millionen vor dem möglichen Zuzug der Fremden. Das Fremde wird zum Anathema in der politischen Diskussion, die eigene Nation und Racket-Herrschaft soll „great again“ werden und bleiben. Wohin treibt es diesen Welt-Kapitalismus? Auch und gerade für Marxisten eine Frage, die womöglich neue Antworten verlangt, jedenfalls neue Aspekte aufwirft.
Die marxistische Diskussion zur Überwindung des Kapitalismus kreiste immer um die Fragen: Wo ist der Hauptwiderspruch im kapitalistischen Widerspruchsfeld zu sehen? Und daraus ableitend: Welches ist die gesellschaftliche Hauptgegenkraft gegen die Kapitalherrschaft, wer ist der Hauptträger der revolutionären Bewegung?
I. Der Marxismus – immer auf der Suche nach dem HauptwiderspruchDie internationale kommunistische Arbeiterbewegung war sich zu Beginn darüber im Klaren und einig, wo der Hauptwiderspruch im Kapitalismus zu suchen sei. Das Kommunistische Manifest von Marx und Engels schließt 1847 mit dem Aufruf: Arbeiter aller Länder, vereinigt euch! Die Arbeiterklasse war der Gegenpol zum Kapital, das sich international organisierte, weshalb auch die Arbeiterklasse dieses internationale Niveau – „aller Länder, vereinigt euch““ – erreichen musste, um im realen Klassenkampf zur revolutionären Kraft zu werden. Die Dritte Internationale beschloss unter dem maßgeblichen Einfluss von Lenin und Trotzki die neue Formel: „Arbeiter aller Länder, unterdrückte Völker, vereinigt euch“. In den kolonialistisch ausgebeuteten Nationen hatten sich Befreiungsbewegungen gebildet, die von der Internationale als gleichberechtigte Elemente der internationalen Widerspruchsfront begrüßt wurden. Stalin änderte diese Schwerpunktsetzung der Internationale. Für den Stalinismus war der „Rote Oktober“ das entscheidende antikapitalistische Signal. Hier, im ersten sozialistischen Land, steckte für Stalin auch die entscheidende antikapitalistische Kraft. Ein erfolgreicher Sozialismus in der Sowjetunion würde die proletarischen Massen weltweit für den Sozialismus begeistern, den Ausbeutungsradius des Kapitalismus verkleinern. Die Unterstützung der SU gehörte ins Zentrum der internationalen Arbeiterbewegung. Noch 1961 formulierte die KPdSU das so in ihrem Programm.
Mit der Implosion des „realen Sozialismus“ erübrigte sich die Kontroverse der Kommunistischen Parteien Russlands und Chinas. Kurzfristig hofften die Kapitalisten auf ein „Ende der Geschichte“ (so Francis Fukuyama, der damalige offizielle Geschichtsphilosoph der US-Regierung), den ewigen Triumph des Kapitalismus, doch mit den von Lateinamerika ausgehenden Finanzkrisen der Neunziger Jahre und dann der globalen Finanzkrise Krise 2007 brach die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus mit Kriegen, Einkommensverlusten und Umweltzerstörung wieder heftig auf. In der Corona-Krise 2021 veröffentlichte die International Manifesto Group (IMG) ihr Manifest: „Durch Pluripolarität zum Sozialismus“. Das tödliche Versagen des kapitalistischen Gesundheitssystems hat nach Ansicht der vorwiegend nord- und südamerikanischen WissenschaftlerInnen um die indisch-kanadische Ökonomin Radhika Desai erneut die dringliche Notwendigkeit erwiesen, die Produktion der Essentials des Lebens aus den Händen des Kapitals zu nehmen und in die eines demokratisch organisierten Volks zu überführen. In dieser Frage werden die IMG-Vertreter unter Marxisten auf keinen Widerspruch stoßen. Aber führt der von Hugo Chavez für eine multipolare internationale Ordnung geprägte Begriff der Pluripolarität wirklich zum Sozialismus? Oder überhaupt zum Abbau der Dominanz des Imperialismus? Untersuchen wir die Kräfte, die heute die Hauptelemente der Pluripolarität darstellen. Sind sie Träger eines kämpferischen Widerspruchs zum globalen Kapitalismus? Oder wollen die Eliten vieler dieser Länder nicht eher selbständiger Teil eines globalen Ausbeutungssystems sein und funktionieren dort, wo sie an der Macht sind, auch so?
II. Die neue internationale Ordnung – BRICS hat den Westen überholtSeit den 1980er Jahren galt für die Länder des Globalen Südens der Washington Consensus, die strikte Ausrichtung der Ökonomien dieser Länder an den Interessen der Investoren aus dem Westen. Dem Chefvolkswirt der Investment Bank Goldman Sachs, Jim O`Neil, fiel auf, dass Schwellenländer umso schneller vorankamen, je weniger sie sich an die Vorgaben der kapitalistischen Kommandos aus Weltbank und Internationalem Währungsfonds hielten. Allen voran Brasilien, Russland, Indien und China. Nach Wachstumsraten verlief die Reihenfolge zwar genau umgekehrt, aber O`Neill wollte auf dieses Kürzel hinaus: BRIC. Denn Brick bedeutet im Englischen Baustein und der New Yorker Banker schien zu ahnen, dass auf diesen Backsteinen eine neue Weltordnung entsteht.
2006 gründeten die vier Länder BRIC, seit 2011 nennen sie sich mit dem neuen Mitglied Südafrika BRICS. Mittlerweile haben die BRICS 10 Mitglieder, 11 Partnerländer und über 30 weitere Länder haben ihr Interesse zu Protokoll gegeben. Auch die Türkei hat 2024 einen Aufnahmeantrag gestellt. Allein die 10 offiziellen Mitglieder stellen 48% der Weltbevölkerung und produzieren 40% des Welt-BIP. Die wirtschaftlichen Wachstumsdaten der BRICS liegen erheblich über denen des Westens. In seiner Video-Botschaft an das diesjährige Treffen der BRICS in Rio de Janeiro stellte Russlands Präsident Putin zu Recht fest, das Modell der neoliberalen Globalisierung werde gerade obsolet, der „Schwerpunkt der weltweiten Geschäftstätigkeit“ verlagere sich in die Schwellenländer.
III. Dominante Kraft bei BRICS ist ChinaDas stärkste Element von BRICS ist die Volksrepublik China. Mit 1,4 Milliarden Einwohnern ist sie neben Indien das bevölkerungsreichste Land der Erde, liegt aber mit ihrem kaufkraftbereinigten BIP fast um das Dreifache vor Indien und liegt in der BIP-Weltrangliste nach Kaufkraftparität noch vor der EU und den USA auf Platz 1. China ist längst nicht mehr bloß „die Werkbank der Welt“, sondern nimmt auch in wesentlichen Rohstoffen und moderner Technologie einen Spitzenplatz ein. Bei Seltenen Erden ist ebenso wie bei Lithium, für die Produktion modernster Informationstechnologie unentbehrlich, der Rest der Welt wie bei Kobalt und Mangan auf China angewiesen. An internationalen Patenten für moderne Technologie meldet China neben den USA die meisten an. Im 2. Quartal 2025 erzielte China ein Wirtschaftswachstum von 5,2 % und die Industrieproduktion wuchs um 6,8 %. Die Chinesen konnten den Zollangriff der Trump-USA bisher souverän abwehren.
Höchst bedeutsam ist der akademische Bereich, dem eine eigene Abteilung der in Peking angesiedelten BRICS-Verwaltung zugeordnet ist. Jährlich werden Zehntausende von Studenten und Wissenschaftlern zwischen den Staaten ausgetauscht. Hier entsteht ein Gegengewicht zur „internationalen Klasse“ des Westens. Es entwickeln sich Forscher und Spezialisten ohne den korrumpierenden Einfluss der internationalen Konzerne und sonstigen imperialistischen Agenturen.
Auch hier ist China die Drehscheibe, das mit seiner „Neuen Seidenstraße“ über ein international breit gefächertes Angebot zu internationaler Kooperation in Handel, Verkehr und Wissenschaft verfügt. 65 Länder arbeiten derzeit bei der Neuen Seidenstraße mit, die China auf dem Land- wie auf dem Seeweg handels- und verkehrsmäßig mit Europa verbindet. Die maritime und die landgestützte Seidenstraße betreffen heute mehr als 60% der Weltbevölkerung und 15% der Weltwirtschaft. Der Handel entlang der Seidenstraße umfasst knapp 40% des Welthandels, der Großteil davon entfällt auf den Seeweg. Dies liegt nicht zuletzt am Krieg Russlands gegen die Ukraine, der den Landweg unsicherer und teurer gemacht hat. Am Ende der Kontinentalbrücke China-Europa der Neuen Seidenstraße liegen die Duisburg-Ruhrorter Häfen mit dem Rhein als wichtigster Wasserstraße Europas. Deutschland ist für China und die BRICS eine Region von hoher Bedeutung.
Es ist die Rüstung, in der China dem globalen Widerpart USA erheblich hinterherhinkt. China bringt es auf jährliche Rüstungsausgaben von 374 Milliarden US-Dollar, ein Drittel der Billion die im Jahr von den USA eingesetzt werden. Diese Billion Dollar liegt um ein Drittel höher als die Summe der Rüstungsausgaben, die die BRICS-Länder China, Russland, Indien und Saudi-Arabien zusammen aufbringen. Ohne Russland, das über die stärkste Atommacht der Welt verfügt, wären die BRICS der kriegerischen und nuklearen Erpressung des USA-Westens weithin hilflos ausgesetzt. Der Im Ukraine-Krieg, den Kriegen Israels und Trumps Drohungen gegen Grönland und Panama sowie dem Nato-Aufrüstungsprogramm (5 Prozent des BIP für Rüstung) aufscheinenden Tendenz großer und mittlerer Mächte, die eigenen Interessen wieder kriegerisch durchzusetzen, will China mit verstärkter Aufrüstung der eigenen konventionellen und nuklearen Streitkräfte begegnen.
IV. BRICS ist keine einheitliche Kraft – von den Öl-Dynastien im Nahen Osten über das sozialistische Kuba bis zum Stalin-Verschnitt der Koreanischen VolksrepublikDie BRICS sind alles andere als ein ideologisch geschlossener Verband. Sie reichen von den extrem reichen Öl-Dynastien im Nahen Osten über das sozialistische Kuba bis zur Mullah-Herrschaft im Iran. Was sie eint, ist ihre Gegnerschaft zum globalen Diktat des westlichen Kapitals. Sie zählen auch, die Öl-Reichen arabischen Länder ausgenommen, geschlossen eher zu Fanons „Verdammten dieser Erde“. Nach dem von den UN entwickelten Index menschlicher Entwicklung, der persönliches Einkommen, Gesundheit, Lebenserwartung, Bildung misst, liegt Russland an Nr. 52 der Länderliste, Iran an 76, China an 79, Brasilien an 87, Ägypten an 97, Indonesien an 112 und Indien an 132. Die VAR, ebenfalls BRICS-Mitglied, figuriert an Nr. 26, mitten unter den kapitalistischen Ländern des Westens, wo sie nach dem Treiben des internationalen Finanzkapitals und nach der skrupellosen Ausbeutung des höchsten Ausländeranteils der Erde auch hingehörte. Doch der Staat der Emirate will ein Gegengewicht schaffen gegen das Diktat von Manhattan und London und sieht seine beste Chance in den BRICS.
Gleichzeitig sind sie, die VAR, „Dialogpartner“ bei der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), einem weiteren regionalen Staatenbündnis, das gegen das Diktat des kapitalistischen Westens in Stellung gegangen ist. Der SOZ gehören an China, Indien, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan. Sie kümmert sich um Handel, Energie und Transport, aber auch – im Zeitalter eines bellizistischen Imperialismus wieder eine entscheidende Frage – um die Gewährleistung und Unterstützung von Frieden und Sicherheit in einer Region, die 40% der Weltbevölkerung umfasst.
Neben der VAR sind u.a. „Dialogpartner“ der BRICS Türkei, Ägypten, Saudi-Arabien, Katar, Bahrain, Kuwait, Myanmar. Die wachsende Entschlossenheit der Entwicklungsländer, sich aus dem Griff des Westens zu befreien, zeigt sich auch in ASEAN, der Association of Southeast Asian Nations, die in Südostasien einen gemeinsamen Wirtschaftsraum nach dem Vorbild der EU schaffen wollen. Ihr gehören an Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Philippinen, Malaysia, Myanmar, Singapur, Thailand, Vietnam. Hier zeigen sich zwei Tendenzen. Das internationale Finanzkapital versucht, mit seinem Stützpunkt Singapur einen mächtigen Fuß in die Tür der globalen Neuordnung gerade am Schwerpunkt Pazifik zu bekommen. Und zweitens: Es geht nicht nur um Schutz vor dem West-Kapital, sondern auch, wie im Falle Vietnam, um Selbständigkeit gegenüber China. Je tiefer und vielfältiger die Verbindungen Vietnams zu den Nationen in der Region sind, umso weniger muss sich das Land eventuellen Vorschriften aus China beugen. In der Epoche des De-Coupling können Schwellenländer auch zu Konkurrenten um das Kapital aus dem Westen werden.
Trumps Zollkriegserklärung an 150 HandelspartnerDoch sind nicht nur internationale Handelsbündnisse von Bedeutung für Autonomie und Weltgeltung der Nationen, sondern auch zweiseitige staatliche Handelsabkommen. Die EU verfügt über solche Verträge mit 79 Ländern. Mit Mexico, Chile und den Mercosur-Ländern haben sie neue Verhandlungen begonnen. China, Singapur und Vietnam stehen bevor, mit Japan und Myanmar wird gerade verhandelt. China wickelt 35 % seines Außenhandels über binationale Freihandelsverträge ab, darunter auch mit westlichen Ländern wie Japan, Australien, Schweiz, Neuseeland.
Das wichtigste internationale Handelsland sind nach wie vor die USA. Sie importieren jährlich für 3,1 Billionen Euro die meisten Waren, sie exportieren Güter im Wert von über 2 Billionen Dollar und sind nach China der zweitgrößte Exporteur. Im April 2025 hat US-Präsident Trump die Handelswelt aus den Fugen gehoben, als er ankündigte, die bisher angeblich ungerechten Zölle zu 150 Handelspartnern neu festzulegen, um in Zukunft das die nationale Sicherheit angeblich bedrohende Handelsbilanzdefizit zu vermeiden.
Tatsächlich weisen die USA jährlich seit Jahrzehnten ein gewaltiges Defizit im Warenhandel. auf. Im Dienstleistungsbereich erzielen sie einen Überschuss, der aber mit 72 Milliarden Dollar nur ein Zwanzigstel des Warendefizits ausmacht. Der eigentliche Grund für das permanente Leistungsbilanzdefizit liegt in der Profitkalkulation der Industriekonzerne. Sie verlagern möglichst viele Teile ihrer Produktion ins billigere Ausland, die Schulden ans Ausland können sie mit Hilfe des globalen Dollarregimes wie Inlandsschulden behandeln. Das tut zwar den Konzernprofiten gut, ist aber sehr schlecht für die in der US-Industriegüterproduktion Beschäftigten. Der Anteil der US-Güterproduktion an der Weltgüterproduktion ist von 2001 bis 2023 von 28.4 % auf 17,4 % zurückgegangen. Von 1997 bis 2024 wurden fünf Millionen Arbeitsplätze in der Güterproduktion abgebaut. Für das profitgierige US-Kapital und seine Regierungen war das solange kein Problem, bis die Defizite von Handelsbilanz und Staat – mit 130 % des BIP ist der US-Staat der größte Schuldner der Erde – das internationale Kapital bewogen, sein Geldvermögen nicht mehr bedenkenlos in die USA zu transferieren. Unter den mit Strafzöllen zu belegenden Staaten sind alle G7-Partner der USA. Das Strafzolldiktat mag einzelne Länderbilanzen der USA verbessern, insgesamt schwächt es das West-Kapital.
V. Der Hauptwiderspruch unserer Epoche: Arm gegen ReichDas BIP pro Kopf misst das Bruttoinlandsprodukt eines Landes an seiner Bevölkerungszahl. Es ist mithin keine reale, sondern eine statistische Durchschnittsgröße. Tatsächlich liegen die realen Einkommen der Armen im Globalen Süden wegen der oft miserablen sozialen Kräfteverhältnisse meist noch weit unter diesen statistischen Größen. In der Liste der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen liegen Finanzoasen, wo das Finanzkapital wegen der minimalen Steuersätze seine Umsätze und Profite versteuert, weit vorne: 1. Luxemburg, 2. Macao, 3. Irland, 4. Singapur, 5. Katar, 6. VAE, 7. Schweiz, 8. San Marino. Ab Nr. 9 beginnt der reale, dort produzierte Reichtum, mit den USA. Unter den ersten 50 Ländern sind alle G7-Länder und weitere West-Metropolen wie Niederlande, Österreich, Schweden, Belgien, Australien, Finnland, Südkorea. Von den Ländern des Globalen Südens außerhalb oder am Rande von BRICS sind nur die Erdölländer Saudi-Arabien, Bahrain, Kuwait unter den ersten 50 der BIP-pro-Kopf-Liste vertreten. Sie können ihre auf ihrem Ressourcenreichtum an Öl und Gas basierende privilegierte Stellung nur halten oder ausbauen, wenn sie auf ein Gegengewicht gegen den Imperialismus des Westens setzen können. Das sehen sie in den BRICS.
Nun erhebt sich die Frage, wie kann ein Konstrukt wie BRICS oder ähnliche Allianzen des Globalen Südens mit höchst unterschiedliche Gesellschaftsregeln der einzelnen Länder die entscheidende Gegenkraft zur globalen Dominanz des West-Kapitals sein. Wir haben die Koreanische Volksrepublik mit einer autoritären Einparteienherrschaft, die noch von Che Guevara als Vorbild für den Globalen Süden angesehen wurde. Wir haben Indien mit der regierenden rassistischen Bharatiya-Janata Partei des Präsidenten Modi. Wir haben an erster Stelle die Volksrepublik China, deren KP als Partei des Volkes firmiert, in der auch die Gruppe der privaten UnternehmerInnen ihren Platz hat. Wir haben das von kapitalistischen Beutegruppen übernommene Russland, das gegen die Ukraine einen Krieg startete, um der von der Nato anvisierten Umzingelung zu entgehen, und nach innen das Gegenteil von sozialistischer Demokratie praktiziert. In den meisten Ländern des Südens erleben wir tiefe demokratische Defizite und extreme soziale Ungleichheit. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Länder wie alle anderen auch fortschrittlichen sozialen Wandel am ehesten durchsetzen können, wenn internationales Kapital daran gehindert ist, sich einzumischen, wann und wo immer es geht. Solange die westlichen Länder ihr „Right to Protect“ praktizieren können, werden sie stets eingreifen, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen. Unter dem Vorwand, die Demokratie vor Ort retten zu müssen, haben sie Jugoslawien zerstückelt, Bosnien-Herzegowina weitgehend zerstört, Afghanistan ruiniert, den Irak bombardiert, Libyen eine Epoche zurückgebombt, im Iran macht jetzt Israel „die Drecksarbeit“, wie der deutsche Kanzler anerkennend feststellte. Solange diese Interventionen stattfinden, werden sich demokratische Wechsel, marxistische gar, im Globalen Süden nicht durchführen lassen. Die Änderung der internationalen Ordnung in eine mehrpolige und damit die Chance, die Sonderprofite des West-Kapitals herunterzufahren, ist erste Voraussetzung für eine eigenständige, an den Bedürfnissen des eigenen Volkes orientierte Entwicklung im Globalen Süden.
Übrigens nicht nur dort. Lin Piaos Feststellung aus den 1960er Jahren, der Klassenkampf sei in den Westlichen Industrieländern „vorübergehend“ zum Stillstand gekommen, ist heute gültiger denn je. Waren es damals, im Golden Age des Kapitalismus, vor allem die Zugeständnisse bei Löhnen und Sozialleistungen, die die Arbeiterklasse an der Seite des Kapitals hielten, so treibt sie heute der Unmut über wachsende Armut und Sozialabbau immer weiter nach rechts. Angesichts von über 120 Millionen Flüchtlingen vor Kriegen und Hunger, von denen viele Millionen zu den vermeintlichen Fleischtöpfen des Westens fliehen, verfängt die rechte Propaganda, das Hauptübel in den „Fremden“ zu sehen, von denen nur noch die „Qualifizierten“, die zu den Versorgungs-, Beschäftigungs- und Ausbildungsnöten der West-Länder passen, in diese hereingelassen werden sollen. Die Fremden greifen die geringer werdenden Sozialmittel ab, die Fremden belegen Sozialwohnungen; die Fremden unterbieten mit ihrer Schwarzarbeit bescheidenste Lohnforderungen, die Fremden werden auf den Arbeitsmärkten zu ernsten Konkurrenten – so die rechte Propaganda. In Deutschland ist jeder Fünfte von Armut bedroht, die neu dazu gekommenen Armen sind für sie selbstverständlich ein Problem. Die richtige Lösung wäre: Weg mit den gewaltigen Einkommens- und Vermögensunterschieden in Deutschland; Nein zu Hochrüstung, Ausbau des Sozialstaates inklusive zügiger Ausbau des sozialen Wohnens; konkrete Hilfe gegen globale Armut und Unterentwicklung, sodass es keine Flüchtlinge wegen Hunger und Not mehr geben muss. Das Problem der Armut in Deutschland und anderer West-Länder sind nicht die Fremden, sondern die Reichen im eigenen Land. 0,1 % der Bevölkerung besitzen über 22 % des Gesamtvermögens, während über 27 % überhaupt kein Vermögen bzw. mehr Schulden als Eigenmittel haben. Der von Trump angestachelte Fremdenhass ist Lebenselixier für Multimillionäre wie Trump. Auch das Denken von Friedrich Merz ist hier zuhause. Er war jahrelang Chef der deutschen Abteilung des Wallstreet-Finanzkonzerns Blackrock, dessen bevorzugte Kunden Mitglieder der globalen Plutokratie sind. Die politische Kaste des Westens, die als „Kraft der Mitte“ firmiert, gehört zum eisernen Bestand des modernen Imperialismus, genauso wie die Rechtsparteien, die mit der Ideologie des Fremdenhasses eine neue Rechtfertigung für Privilegien des nationalen Kapitals verbreiten. Das globale Kapital stößt in den West-Staaten auf wenig soziale Gegenkraft. Die rasant wachsende soziale Ungleichheit wird politisch durch die rechte Propaganda aus dem Klassenkampf herausgenommen. Die Linkspartei kann, seitdem sie dies offensiv aufgreift, an Zustimmung gewinnen. Dies wäre der Weg, um auch die Westländer in den Raum des Hauptwiderspruchs im internationalen Klassenkampf zurückzuführen.
Recht siegt gegen Rechtsruck - Bundesregierung muss menschenrechtliche Aufnahmen von gefährdeten Afghan:innen fortsetzen
Ukraine: Die Geschichte, die Sie nicht hören sollen — Scott Horton
In dieser Folge von Die Quelle spricht unser leitender Redakteur Zain Raza mit Scott Horton, Direktor des Libertarian Institute und Autor, über den Hintergrund und Kontext des Ukraine-Krieges. Das Interview befasst sich eingehend mit der Behauptung des Westens, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Wiederherstellung eines Imperiums nach sowjetischem Vorbild anstrebt, und untersucht, ob […]
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Israelischer Beamter darf nach Pädophilie-Falle fliehen?
In diesem Video, das exklusiv auf unserem Kanal in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, untersucht der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist Glenn Greenwald den Fall von Tom Alexandrovich, einem israelischen Staatsbürger, der in Las Vegas wegen des Vorwurfs der Verführung einer Minderjährigen zu sexuellen Handlungen festgenommen wurde. Alexandrovich ist ein hoher Beamter der israelischen Cybersicherheitsbehörde, der […]
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Ukraine-Krieg: US-Munitionsvorräte gefährlich niedrig – Ex-Pentagon-Beamter warnt
In diesem Video, das exklusiv auf unserem Kanal in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, interviewt der Pulitzer-Preisträger Glenn Greenwald Dan Caldwell, einen ehemaligen US-Marine und hochrangigen politischen Berater des Pentagon. Im Mittelpunkt des Gesprächs steht das Ungleichgewicht zwischen der Munitionsproduktion Russlands und der NATO und wie sich diese Kluft auf die Strategien der USA und der […]
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Israels Doppelangriff auf Krankenhaus tötet weitere Journalisten
In diesem Video, das exklusiv auf Deutsch auf unserem Kanal veröffentlicht wurde, untersucht der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist Glenn Greenwald den jüngsten Doppelanschlag und die Tötung mehrerer Journalisten, darunter auch solche, die für große internationale Medienunternehmen arbeiten, bei einem israelischen Luftangriff auf ein Krankenhaus in Gaza. Er kritisiert auch die Reaktion der israelischen Regierung, […]
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Trumps Zollpolitik – Kapitulationserklärung
Geschichte ist nie das Ergebnis des Willens großer Persönlichkeiten – nicht einmal, wenn es sich dabei um ein „very stable genius“ (Donald Trump über Donald Trump) handelt. Es war Marx, der Ende der 1840er und Anfang der 1850er Jahre gegen Pierre-Joseph Proudhon, Victor Hugo und viele andere Anhänger der great men theory die von ihm und Friedrich Engels entwickelte historisch-materialistische Methode auf die Zeitgeschichte anwandte, um zu zeigen, dass historische Strukturprozesse und Klassenkämpfe verantwortlich für Entscheidungen im politischen Überbau und die gesellschaftliche Ideologie sind.
In diesem Sinne ist auch Trumps Zollpolitik weniger ein Trump-, als ein US-amerikanisches Phänomen. Mehr noch: Es war Joe Biden, der die Schutzzölle gegen chinesische E-Autos und Solaranlagen aus Trumps erster Amtsperiode (2017-2021) von 25 auf 100 Prozent vervierfachte. Zudem findet diese Schutzzollpolitik gegen China eine europäische Entsprechung. Die EU beschloss Ähnliches im Herbst vergangenen Jahres.
Die kanadischen Politökonomen Leo Panitch und Sam Gindin haben in ihrem Hauptwerk The Making of Global Capitalism beschrieben, wie der US-Staat den Kapitalismus zunächst im Westen rekonstruierte und in seiner Globalisierung das Mittel erkannte, die rekordverdächtig streikende US-Arbeiterklasse durch eine neue Mobilität des Kapitals erfolgreich zu disziplinieren und zugleich mit Hilfe der Schuldenkrise in den Entwicklungsländern den mehr oder weniger sozialistisch-antiimperialistisch orientierten, nationalen Befreiungsbewegungen das Wasser abzugraben und sie in den westlichen Freihandelskapitalismus zu zwingen. Seitdem sorgte die bloße Androhung von Kapitalverlagerungen in der Regel für Steuersenkungen und Subventionen von Staatsseite und für Zurückhaltung von Seiten der Gewerkschaften. Warum also wird von den USA aufgekündigt, was so lange nach ihren Spielregeln funktionierte und sich in Form von Tributen aus der ganzen Welt – nicht zuletzt in Form von Gewinnen, die sich aus dem Umtausch in US-Dollar ergeben, – für sie bezahlt machte?
Die westliche Kurskorrektur wirft Fragen auf: Ist die Kritik des Freihandels nun rechts? Ist es heute links, ihn zu verteidigen? Die Kritik am Freihandel war und ist eigentlich links. Als am 1. Januar 1994, dem Tag, an dem das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA inkrafttrat, der Aufstand der indigenen Guerilla EZLN (Zapatistische Armee für die Nationale Befreiung) im mexikanischen Chiapas begann, läutete dieses Ereignis nur fünf Jahre nach der Verkündung des „Endes der Geschichte“ durch den Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, das Ende dieses Endes ein. Die Frage des Subcomandante Marcos – „Wer muss um Verzeihung bitten und wer kann sie gewähren?“ – war der Weckruf für eine aus dem Globalen Süden kommende Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung.
Die Globalisierung, die heute per Zollpolitik einseitig beendet zu werden scheint, galt damals als Sachzwang, dem die Nationalstaaten machtlos gegenüberstünden, und dem man sich darum, so das Mantra von neoliberalen Sozialdemokraten wie Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder, von Arbeitgeberverbänden und marktradikalen Stiftungen, nur unterwerfen müsse. Die damalige Kritik wandte sich gegen die Außenwirtschaftspolitik der kapitalistischen Zentren im Westen: Die Globalisierung laufe auf einen informellen Imperialismus hinaus. Tatsächlich hat der Westen die durch die erste (1973) und zweite Ölkrise (1979/80) sowie die radikale Leitzinserhöhung der US-Notenbank (1979) verursachte Schuldenkrise der Entwicklungsländer ausgenutzt: Er knüpfte seine Notkredite an Handelsöffnungen, Deregulierungen und Privatisierungen zugunsten westlicher Konzerne. Eine Politik von Imperien, aber ohne formelle Kolonien.
Das Ergebnis war die vertiefte Abhängigkeit des Globalen Südens und die 100-millionenfache Proletarisierung von Klein- und Subsistenzbauern. Seit 1980 hat sich die globale Arbeiterklasse zahlenmäßig verdoppelt – und zwar weit überproportional zum allgemeinen Bevölkerungswachstum. Das Drama der Weltgeschichte lautet: Kapitalistische Durchdringung führt zu „Überschussbevölkerungen“, weil sie traditionelle Lebensweisen zerstört, ohne ersatzweise einen Platz in der neuen profitgetriebenen Wirtschaft zu bieten. Gegen jene, die auf Suche nach Arbeit und Perspektive den Globalen Süden verlassen, schottet sich der Westen ab: Das Mittelmeer ist ein Massengrab, die US-mexikanische Grenze ein Kriegsgebiet.
Gegen die Freihandelsideologie und für die unabhängige Entwicklung des Globalen Südens entwickelten sozialistische Ökonomen verschiedene Konzepte. Etwa den Panafrikanismus und andere Projekte der regionalen Integration. Oder das von Samir Amin erdachte Konzept des „Delinking“: Länder des Globalen Südens sollen sich bewusst aus der Einbindung in die kapitalistische Weltwirtschaft lösen.
Im Westen konnte man dies lange ignorieren. Dann häuften sich jedoch die periodischen, vertieften Finanzkrisen im globalen Finanzmarktkapitalismus und rückten immer näher ins Zentrum, bis zur Enron- und Dot.com-Krise (2000/2001) in den USA. Damals schlug auch im Westen die Stunde der Globalisierungskritik.
Ist Trump also nun Vorkämpfer dieser Globalisierungs- und Freihandelskritik? Oder ist die Linke heute Verteidigerin einer offenen Globalisierung? In der Arbeiterbewegung lehnte man Schutzzölle traditionell ab: Zum einen, weil sich auch mit Wirtschaft Krieg führen lässt und Handelskriege oftmals Vorboten militärischer Kriege waren. Ein Beispiel ist die Fragmentierung des Welthandels nach 1878, die ins Wettrüsten sowie in die Großmächterivalität um Einflusssphären und koloniale Absatz- und Rohstoffmärkte mündete – begleitet von Nationalismus, Chauvinismus und Kriegsideologie. Zum anderen lehnten marxistische Führungsgestalten wie Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg den Schutzzoll ab, weil er die Lebenshaltungskosten für die Arbeiterklasse in die Höhe trieb. Die Handelsschranken zum Schutz etwa der Landwirtschaft sah man Ende des 19. Jahrhunderts als den Versuch, die Profite des Großgrundbesitzes trotz nun globalisierter Agrarmärkte aufrechtzuerhalten – auf Kosten der Arbeiter, für die sich dadurch die Lebensmittelpreise verteuerten.
Ist man also aus einer Arbeiterbewegungs- und Imperialismuskritischen Perspektive gegen Schutzzölle, wenn sie die eigenen starken Staaten im Westen errichten, aber für Schutzzölle, wenn sie den schwachen Staaten erlauben, sich vom Druck des Imperialismus zu befreien? Das ist richtig und zugleich zu einfach gedacht. Denn es war ein zentraler Kern der linken Globalisierungskritik, dass der Nationalstaat keineswegs machtlos und auf dem Rückzug oder gar am Ende sei. Der Kern der bahnbrechenden Analysen der kritischen internationalen politischen Ökonomie im allgemeinen und der von Panitch und Gindin im besonderen, war, dass der Staat bei der Globalisierung des Kapitalismus Pate stand, ja schon immer ihr zentraler Akteur war und ist. Der einzige Staat, der in den Prozessen geschwächt wurde, war der Sozialstaat.
Vor diesem Hintergrund birgt die Freihandelskritik von rechts einen wahren Kern und ist deshalb für Arbeiter und Arbeiterinnen in wettbewerbsschwachen Industrien anschlussfähig. Die rechte Freihandelskritik formuliert im Kern, dass geografische Räume, in denen sich Kapital sammelt, von dieser Tätigkeit profitieren. Das ist auch eine linke Überzeugung. Das Ziel, wieder demokratische Kontrolle über die Ökonomie zu erlangen, ist für alle Weltregionen fortschrittlich.
Allerdings bezieht sich die linke Freihandelskritik weniger auf Warenströme, als auf Kapitalströme, zielt also auf die freie Bewegung des Kapitals, seine „strukturale Macht“. Dies auch, weil der Staat im Kapitalismus unabhängig davon, wer ihn gerade regiert, ein kapitalistischer Staat ist, insofern seine Funktionen über die internationalen Finanzmärkte schuldenfinanziert sind und auf Gedeih und Verderb davon abhängen, dem Kapital ein investitionsfreundliches Klima zu schaffen – sonst droht Investitionsstreik. Die linke Antwort heißt folglich nicht Schutzzölle, sondern Kapitalverkehrskontrollen. Diese sind zum Beispiel in China verschärft worden während die Volksrepublik günstige Handelswaren in die Welt exportierte.
Außerdem verkennt die rechte Freihandelskritik aus Arbeiterperspektive, dass der Wirtschaftsnationalismus à la Biden und Trump zwar ausländische Direktinvestitionen anlocken kann, von denen man sich Jobs und Wachstum verspricht. Alerdings nur unter der Bedingung von Subventionen und schlechten Arbeitsbedingungen: Denn das Kapital geht dorthin, wo es möglichst keine Gewerkschaften, niedrige Löhne und wenig Auflagen gibt.
Hinzukommt, dass die rechte Freihandelskritik verkennt, in welchem Maß die westliche Arbeiterklasse und ihr Lebensstandard von den immer noch recht günstigen Konsumgüterimporten aus China und dem Globalen Süden abhängig sind. Trump wurde von den Arbeitern gewählt, die wütend über die Inflation sind – aber der Handelskrieg wird die Teuerung drastisch verschärfen, ja tut es längst. Auch hier ist linke Kritik da, wo sie schon bei Zetkin, Luxemburg und Co. stand.
Am Ende des Tages verkennt die rechte Freihandelskritik die Qualität des internationalen Handels. Die Leistungsbilanzdefizite der USA sind tatsächlich die Stärke und nicht die Schwäche des US-Imperialismus gewesen.
In einem vom Dollar dominierten Weltsystem vermochten die USA Tribute aus der ganzen Welt abzuziehen, die sie letztlich nicht oder unter Wert bezahlen mussten. Aber genau dies erscheint dem ökonomischen Nationalismus tatsächlich als Verlustgeschäft – mit fatalen Folgen für Weltwirtschaft und Proletariat.
Warum also gehen die USA, warum geht der Westen heute diesen Weg? Wie gut ist China darauf vorbereitet und welche Folgen haben die Reaktionen der Volksrepublik? Die Schutzzollpolitik ist eine ökonomische Kapitulationserklärung. Nachdem die zunehmende Wettbewerbsfähigkeit Chinas in wesentlichen Zukunftstechnologien und bei der Herstellung von Industriegütern die Überlegenheit des chinesischen Staatsinterventionismus über die Austeritätspolitik der USA und der EU offenbart hatte, versuchte die Biden-Regierung mit dem „Inflation Reduction Act“ und dem „CHIPS and Science Act“, und die EU mit ihrem „Green Deal“, „NextGenerationEU“ und dem „EU Chips Act“ sowie Deutschland mit der Umwidmung des Coronafonds in den „Klima- und Transformationsfonds“, China mit seinen eigenen industriepolitischen Waffen zu schlagen.
Es gibt viele Gründe, warum diese Strategien scheiterten. Letztlich hat sich wieder einmal gezeigt, dass es keine Lösungen gibt, die sich aus historisch gewachsenen Kontext einfach adaptieren lassen, und dass auch die erhebliche Rehabilitierung des Staates als Krisenakteur und die Zentralisierung von Entscheidungsfunktionen in den USA und in der EU die staatlichen Planungsressourcen Chinas und seiner Kommunistischen Partei (KPCh) nicht imitieren können. Hinzukommt: Der Neoliberalismus hat sich so tief in die Institutionen, Rechtssysteme, Verfassungen und die gesellschaftlichen Mentalitäten und Ideologien hineingefressen, dass der Versuch der grünkapitalistischen Transformation und Elektrorevolution im Westen daran scheitern musste.
Die Zollpolitik zielt nun nach US-Finanzminister Scott Bessent darauf ab, sich einerseits, wie schon unter Ronald Reagan und Trump 1.0, verbesserte Marktzugänge und Tributgarantien für geistiges Eigentum nicht zuletzt der Silicon-Valley-Techkonzerne zu sichern, andererseits Kapital aus der ganzen Welt mit dem US-Binnenmarkt und lokalen Steuersenkungen und Subventionen anzulocken. Zudem will man den US-Dollar als Weltgeld billiger machen, um auch auf diesem Weg die USA zu reindustrialisieren und das Leistungsbilanzdefizit zu reduzieren.
Dies gilt allerdings alles nicht im Verhältnis zu China. Was gegen andere Staaten als Mittel der Erpressung eingesetzt werden kann, Bessent spricht von einer „Verhandlungstaktik“, ist gegenüber China, dessen Aufstieg die USA regierungsübergreifend verhindern will, Selbstzweck. Das Vorbild ist wiederum Reagan und seine Politik gegenüber dem Hochtechnologierivalen Japan. Ihm gegenüber sorgte die US-Politik für mehrere Jahrzehnte stagnatives Wachstum, ja Deflation. Im Verhältnis zu China aber verkennen die USA die Kräfteverhältnisse und Chinas Vergeltungsmacht.
China hat auf die US-Zollpolitik mit Vergeltungszöllen von 125 Prozent, Ausfuhrbeschränkungen für seltene Erden, von denen die US-Auto- und Rüstungsbranche abhängig ist, Importbegrenzung für Hollywoodfilme, Importstopp für Boeing-Maschinen und spezielle Sanktionen gegen US-Unternehmen reagiert. Die Volksrepublik demonstriert Stärke. Denn die KPCh hat sich mit ihren immensen staatlichen Planungsressourcen systematisch auf diesen Moment vorbereitet. Sicher, die Zollpolitik trifft auch die Volksrepublik hart in einer Situation vergleichsweise niedrigen Wachstums, gestiegener (Jugend-)Arbeitslosigkeit und einer schwelenden Immobilienkrise. Aber es gibt Anzeichen, dass China das bessere Blatt in den Händen hält.
In der Volkrepublik wusste man, was von einer zweiten Trump-Präsidentschaft zu erwarten ist. Die Anti-China-Rhetorik war bereits im Wahlkampf 2016 dominant. Es war der rechtsextreme Medienmacher Steve Bannon, der Trump zur wirtschaftsnationalistischen Politik riet, die China für den industriellen Niedergang der USA verantwortlich macht. Damit entschied Trump die Wahl im sogenannten rust belt für sich. Einmal an der Macht überzog schon Trump 1.0 China mit einem Handelskrieg, der China vom Zugang zu jenen Mikrochips abkoppeln sollte, die es noch nicht selbst produzieren kann oder konnte.
Der chinesische Staat hat auf die Strategien der USA, ihre Vormachtstellung zu verteidigen und den chinesischen Aufstieg einzudämmen, ziemlich erfolgreich reagiert: Die Entscheidung, systematisch in erneuerbare Energien zu investieren und sich von fossilen aus dem Mittleren Osten unabhängig zu machen, stand im Zusammenhang mit dem US-Krieg im Irak, der die globalen fossilen Energieressourcen gegen jegliche Konkurrenten, inklusive der sich osterweiternden EU, sichern sollte. Mit dem elften Fünfjahresplan (2006-2011) begann dann das exponentielle Wachstum in der Gigawattproduktion aus Wind- und Solarenergie. Schon zu Beginn des zwölften Fünfjahresplans (2012-2017) überholte China die USA, zum Ende hin auch Europa. Die Grundlagen der E-Revolution Chinas waren gelegt und damit auch das Fundament für eine Außenwirtschaftspolitik, die sich zunehmend auf die BRICS-Staaten und den Globalen Süden konzentriert und von der einseitigen Abhängigkeit vom US- und EU-Binnenmarkt löst.
Dem militärischen forward positioning von Obama nahm China mit drei Maßnahmen den Wind aus den Segeln: 2012 wird auf dem 18. Parteitag der KPCh die stärkere Entwicklung des Binnenmarkts beschlossen, zu der die Anti-Armutskampagne, die mit insgesamt 770 Millionen Menschen die weltweit größte Einkommensmittelklasse hervorbringt, wesentlich beiträgt. Auch heute sieht die KPCh in der „neuen Urbanisierung“, die einen höheren Individualkonsum nicht zuletzt von öffentlichen Dienstleistungen mit sich bringen soll, ein zentrales Antidot zum US-Handelskrieg. Mit der 2013 beschlossenen Belt and Road-Initiative verlagert China seine Handelswege nicht nur zunehmend nach Eurasien, sondern etabliert sein ökonomisches Modell in diesem Wirschaftsraum. Ebenfalls 2013 eingeleitet wurde der Pakistan-China-Wirtschaftskorridor, mit dem sich die Volksrepublik einen direkten Zugang zum Indischen Ozean jenseits der Meerenge von Malakka verschafft.
Kurz, in China weiß man seit langem, dass die USA alles tun, den chinesischen Aufstieg zu behindern. Und China ist, verglichen mit Japan, weniger verwundbar, insbesondere im Hinblick auf die Mikrochipproduktion. Die nachholende Entwicklung in diesem Bereich reduziert nicht die Abhängigkeit von Importen. Der Anteil an Halbleitern, die China selbst produziert, liegt bei unter zwanzig Prozent. Die „Made in China“-Strategie war diesbezüglich nur bedingt erfolgreich.
Trotzdem hat der jüngste US-Handelskrieg seine Ziele nicht erreichen können: Das chinesische Unternehmen BYD hat Tesla mittlerweile als größter E-Auto-Produzent abgelöst, Anfang des Jahres schockte Deepseek die US-KI-Industrie als effizientere und viel günstigere Alternative zu ChatGPT, und auch der „Chip War“ der USA stößt an seine Grenzen: Die Erfolge von Chinas Mikrochipproduktion waren unerwartet. Huawei legte im August 2023 sein neues Sieben-Nanometer-Modell vor, hinzukommen die, allerdings noch nicht profitablen, aber immerhin erfolgreichen 3 Nanometer-Tests. Auch zeigt auch die Auseinandersetzung um TikTok die Grenzen des US-Staats und seiner Macht auf.
China ist im Unterschied zu Japan in den Achtzigern der weltgrößte Industrieproduzent und die zweitgrößte Wirtschaft mit der größten Mittelklasse der Welt und entsprechend weniger verwundbar. Das Land hat zudem sein eigenes De-Risking betrieben und sich um integrierte Produktions- mit lokalen und sichereren Lieferketten bemüht. In der Solarproduktion etwa ist man bei annähernd hundert Prozent.
In den letzten Jahren hat China außerdem seine Abhängigkeit vom US-Binnenmarkt als „consumer of last resort“ reduziert: Nicht einmal mehr 15 Prozent der Exporte gehen noch in die USA, ein Großteil geht heute in den globalen Süden. Gegenwärtig laufen weitere Maßnahmen zur Stärkung des Binnenkonsums.
Das chinesische Selbstbewusstsein resultiert letzten Endes aus dem Wissen, dass die USA bluffen. Dem Rest der Welt präsentiert sich China wiederum als verlässlicher kooperativer Handelspartner auf Augenhöhe, der auch kleineren und schwächeren Staaten mit Respekt begegnet, niemals Kolonialreich war, trotz seines Aufstiegs keine Kriege führt.
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Ingar Solty ist Referent beim 31. isw-forum am 29. November 2025
Erstveröffentlichung: konkret 06/2025
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