ISW München
Ökonomie der Zeit – Eine linke Kontroverse um Arbeitszeitverkürzung
John Maynard Keynes prognostizierte für das Jahr 2030 die 15-Stunden-Woche, sie ist eine langjährige Forderung der Frauenbewegung.
Die 25-Stunden-Woche steht als Forderung im SPD-Programm und in vielen Ländern wird erfolgreich der 6-Stunden-Tag erprobt.
Es ist höchste Zeit für den nächsten Schritt, für die 28-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, für kurze Vollzeit für alle, für Arbeitszeiten, die zum sich verändernden Leben passen!
Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf.
Die IG Metall setzt schon länger die Vier-Tage-Woche wieder auf die Tagesordnung1 und Wissenschaftler wie Heinz-J. Bontrup von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memo-Gruppe) begründen die Überfälligkeit kollektiver Arbeitszeitverkürzung2.
Im VSA-Verlag ist im Frühjahr 2024 ein Buch zur neuen Aktualität von Arbeitszeitverkürzung3 mit Beiträgen von Margareta Steinrücke, Beate Zimpelmann, Philipp Frey, Sophie C. Jänicke, Steffen Liebig, Lia Becker, Andreas Ypsilanti, Nina Treu und anderen erschienen.
In den Texten wird herausgearbeitet, warum Arbeitszeitverkürzung aktueller ist denn je.
Ohne Arbeitszeitverkürzung werden sich die drängenden Probleme der Menschen heute nicht lösen lassen, sei es die sozial gerechte Bewältigung der Klimakrise, die geschlechtergerechte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben oder die Angst vor Arbeitsplatzverlust und Abstieg, der die Menschen in die Arme der Rechten oder einfach in die Politikverdrossenheit führt.
Sophie Jänicke, Ressortleiterin im Funktionsbereich Traifpolitik beim Vorstand der IG Metall schreibt darin u.a.: „Dass die IG Metall eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit fordert, ist Ausdruck einer arbeitszeitpolitischen Entwicklung, die die Organisation, ebenso wie andere Gewerkschaften, in den letzten Jahren vorangetrieben hat. … Die IG Metall hat in der Tarifbewegung 2023 für die deutsche Stahlindustrie den Vorstoß gemacht, die Vier-Tage-Woche auch in der Industrie umzusetzen. Denn die Vier-Tage-Woche als Chiffre für eine verkürzte Arbeitszeit, die mehr Work-Life-Balance verspricht, ist ein gutes Modell für die Arbeit der Zukunft in einer digitalisierten, klimaneutralen Industrie. … Die gesellschaftliche Resonanz, die die Vier-Tage-Woche und damit einhergehend die aktuelle Forderung nach Arbeitszeitverkürzung in der Stahl-Industrie findet, zeigt, dass Beschäftigungssicherung nicht das einzig gute Argument für kürzere Arbeitszeiten ist.“
In vielen Branchen haben Arbeiterinnen und Arbeiter in diversen Befragungen den Wunsch nach kürzerer Arbeitszeit zum Ausdruck gebracht. Mehr als 80 Prozent der Vollzeitbeschäftigten befürworten die Vier-Tage-Woche. Allerdings haben viele Angst vor Lohneinbußen. Darum ist klar: Arbeitszeitverkürzung nur bei vollem Lohnausgleich!
Wir sind viel zu bescheiden!
Im Programm der Partei Die Linke heißt es u.a.: „Die Linke steht für die Umverteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung, für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit und einen existenzsichernden, gesetzlichen Mindestlohn. Durch die Reform des Arbeitszeitgesetzes soll die höchstzulässige durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden begrenzt werden. Perspektivisch streben wir eine Obergrenze von 35 Stunden, längerfristig von 30 Stunden an. Wir wollen, dass dabei für die Beschäftigten ein voller Lohnausgleich gesichert wird. Die Mitbestimmungsrechte von Personal- und Betriebsräten sind vor allem im Hinblick auf Personal- und Stellenpläne zu erweitern. So ist zu erreichen, dass die Verkürzung der Wochenarbeitszeit zu mehr Beschäftigung führt und der Leistungsdruck abgebaut wird.“4 „Die Verkürzung der Arbeitszeit“, so Bernd Riexinger vor wenigen Jahren als Parteivorsitzender, „auf vier Tage oder 30 Stunden pro Woche trifft den Nerv der Zeit. Aus gutem Grund: Mit Arbeitszeitverkürzung können wir Arbeitsplätze retten, für mehr Lebensqualität sorgen, aber auch Menschen in unfreiwilliger Teilzeit ermöglichen, endlich wieder mehr zu arbeiten. Im Gegensatz zu den bisherigen Flexibilisierungen der Arbeitszeit, die immer zu Lasten der Beschäftigten gingen, ermöglicht die Verkürzung der Arbeitszeit eine Flexibilisierung, die den Beschäftigten nützt und sie sogar ein Stück weit vor Entlassungen schützt.“5 Bereits 2017 haben Lia Becker und Bernd Riexinger, weil das alte Normal erodiert, Vorschläge für ein neues Normalarbeitsverhältnis vorgelegt.6 Diese Vorschläge beruhen auf den fünf Säulen guter Lohn, Planbarkeit, Humanisierung, kurze Vollzeit und Demokratie, sie werden von den beiden Autor*innen als „Schicksalsfrage der Gewerkschaftsbewegung“ bezeichnet. Das scheint sich jetzt in der De-Industrialisierung und im Mitgliederschwund der Industriegewerkschaften zu bestätigen.
Das Konzeptwerk Neue Ökonomie hat jüngst „Bausteine für Klimagerechtigkeit“ publiziert, darin der Baustein „Für die Vier-Tage-Woche und ein gutes Leben für alle“ mit Theorie, u.a. Frigga Haugs 4-in-1-Modell, und vielen praktischen Beispielen.7
Das Institut Solidarische Moderne (ISM) bereitet ein Papier zur Arbeitszeitverkürzung vor mit dem Ziel, unterschiedliche Akteure im Bereich Arbeitszeitverkürzung zu einem möglichst breit geteilten Verständnis von solidarischer und emanzipativer Arbeitszeitverkürzung zu artikulieren. Zum anderen soll das Papier als Aufhänger dienen, um den öffentlichen Diskurs aus progressiver Perspektive mit zu beeinflussen. Darin auch das Netzwerk Care-Revolution mit einer Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit auf die bezahlte und unbezahlte gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Ich will auf Andrè Gorz hinweisen, der im Zusammenhang mit einer Ökonomie der Gemeinschaftlichkeit auf folgendes hinweist: „Das Maß des Reichtums ist hier ebenso wenig der Tauschwert wie die Arbeitszeit.“8 Schließlich will ich den Vortrag von Ingrid Kurz-Scherf benennen, den sie anlässlich der Veranstaltung der attac AG ArbeitFairTeilen und der RLS zum 100. Jahrestag des 8-Stunden-Tages am 27. Oktober 2018 in Erfurt hielt: „Und es hat wenig Sinn, sich darüber hinwegzutäuschen, dass sich der Glanz des Achtstundentags aktuell nicht übersetzt in eine Euphorie in Bezug auf den Sechsstundentag. Ich bin da gar nicht festgelegt, wir können auch über eine 28-Stunden-Woche reden. Ich habe sogar gelesen, die Zeit sei reif für eine 15-Stunden-Woche. Vielleicht sind wir immer noch viel zu bescheiden.“9
Die Kontroverse
Eigentlich verwundert es, dass ausgerechnet Vertreter der sich selbst als gewerkschaftlich orientierte Strömung bezeichnenden Sozialistischen Linken (SL), die „an linkssozialistische, links-sozialdemokratische und reformkommunistische Traditionen“ behauptet anzuknüpfen, schon länger und jetzt wieder gegen kollektive Arbeitszeitverkürzung argumentiert. Einer ihrer Protagonisten schrieb (im Zusammenhang mit einer Argumentation zur Ablehnung des bedingungslosen Grundeinkommens bzw. eines Antrages zur Ablehnung des Mitgliederentscheides zum Grundeinkommen): „Arbeitszeitverkürzung ist dann sinnvoll, wenn Kapazitäten voll ausgelastet sind und Arbeitslosigkeit vorliegt, die durch andere Auslastung der Kapazitäten abgebaut werden kann. Dem ist aber heute nicht so, wir haben Fachkräftemangel in vielen Bereichen, ergo sind die die Kapazitäten gegenüber dem gesellschaftlichen Bedarf unter-ausgelastet und eine Arbeitszeitverkürzung die falsche Lösung. Deswegen ist auch die in unserer Partei leider ebenfalls ohne all zu viel Nachdenken vertretene Forderung nach einer Vier-Tage-Forderung blanker Unfug.“ Die Sozialistische Linke sagt selbst von sich: „Wichtige Grundlagen unserer Positionen bilden marxistische Gesellschaftsanalyse und Strategiediskussion sowie links-keynesianische Positionen alternativer Wirtschaftspolitik.“
Ganz kurz Marx dazu:
„Gemeinschaftliche Produktion vorausgesetzt, bleibt die Zeitbestimmung natürlich wesentlich. Je weniger Zeit die Gesellschaft bedarf, um Weizen, Vieh etc. zu produzieren, desto mehr Zeit gewinnt sie zu andrer Produktion, materieller oder geistiger. Wie bei einem einzelnen Individuum hängt die Allseitigkeit ihrer Entwicklung, ihres Genusses und ihrer Tätigkeit von Zeitersparung ab.
Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf.
Ebenso muß die Gesellschaft ihre Zeit zweckmäßig einteilen, um eine ihren Gesamtbedürfnissen gemäße Produktion zu erzielen; wie der einzelne seine Zeit richtig einteilen muß, um sich Kenntnisse in angemeßnen Proportionen zu erwerben oder um den verschiednen Anforderungen an seine Tätigkeit Genüge zu leisten. Ökonomie der Zeit sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiednen Zweige der Produktion bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion.“10
Dem Protagonisten von der SL ist zugestanden, dass es ein kurzer Einwurf in einer Debatte um die Position zum bGE war. Dennoch können bestimmte Aussagen so nicht stehen bleiben und sind schlicht unhaltbar. „Wir haben Fachkräftemangel in vielen Bereichen“ kann mensch nicht behaupten, wenn gleichzeitig zu wenig ausgebildet wird, wenn gleichzeitig gesellschaftlich unnützes oder gar schädliches produziert wird (ich verzichte hier auf Beispiele), wenn gleichzeitig die industrielle Produktivität signifikant steigt. Partieller Fachkräftemangel ist nicht zu belegen, wenn es drei Millionen Erwerbslose gibt, wenn viele Menschen unfreiwillig in Minijobs schuften und drei Millionen junge Menschen keinen Berufsabschluss haben. Der logische Schluss aus einer falschen Annahme muss natürlich falsch sein: Weil wegen des unterstellten Fachkräftemangels die Kapazitäten unausgelastet seien, sei Arbeitszeitverkürzung „die falsche Lösung … und die in der Linken vertretene Forderung nach einer Vier-Tage-Forderung ohne all zu viel Nachdenken blanker Unfug.“
Es ist also der Blickwinkel, der die aufgeworfene Frage unterschiedlich beantworten lässt: Erwerbsarbeit als ökonomische Größe im Kapitalismus ohne alle anderen Implikationen und Dimensionen einerseits – oder Arbeit im umfassenden, die Gesellschaft und den Menschen formenden Sinne11 unter Berücksichtigung von Arbeitsteilung und Geschlechtergerechtigkeit. Wenn menschliche Arbeit und der Zeitaufwand dafür nur ökonomische Kategorien wären, hätte der Genosse der SL auch nur zum Teil Recht wegen der oben genannten Widersprüche bezüglich „Fachkräftemangel“.
Aber Mensch, Arbeit und Zeit sind eben auch gesellschaftliche, politische, gesundheitliche, soziale Kategorien.
Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung ist Kampf um Emanzipation, um Gesundheit, Recht auf Leben, Teilhabe und Demokratie.
Nach einem linken, marxistisches Verständnis der politischen Ökonomie ergibt sich das Primat der Gesellschaft und der Politik über die Ökonomie. Um diesen Kampf kann kein Bogen gemacht werden.
Wenn die Arbeiter*innenklasse den Kampf um Verkürzung der Arbeitszeit nicht führt, dann gewinnen die ökonomisch und politisch Herrschenden den Kampf um die Verlängerungen der Arbeitszeit. Deshalb hat der Genosse der SL nicht einmal zum Teil Recht mit der Behauptung, Arbeitszeitverkürzung sei „die falsche Lösung“.
Ein aktuelles Beispiel:
Die Kapazitäten in der Industrie, namentlich in der Autoindustrie, sind katastrophal unterausgelastet. Die Aufträge brechen weg, Autos werden auf Halde produziert, Zehntausende von Jobs werden gestrichen, ganze Fabriken werden geschlossen – bei Continental, Bosch, Opel, Ford und jetzt auch bei Volkswagen und Audi.
Bei den Arbeiterinnen und Arbeitern, aber auch bei den Managern auf Werksebene macht sich Panik breit, ist Verzweiflung angesagt, liegen die Nerven blitzeblank. Da kommen zwei Vorschläge aus Regierung und der Industrie:
- Rheinmetall bekommt Rüstungsaufträge in Milliardenhöhe und übernimmt Personal und leerstehende Fabriken.
- Das Aus vom Verbrenner-Aus wird propagiert von CDU/CSU, AfD, BSW und jetzt auch von der FDP. Damit wird die reaktionäre Hoffnung geschürt, es könnte alles so bleiben, wie es war. Dadurch werden Milliarden an Investitionen verbrannt und die umgebauten Fabriken sind samt der dort beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter dem Untergang geweiht.
Zur Sozial-ökologischen Transformation gehören beide Komponenten: einerseits die soziale, materielle Absicherung von Wohnung, Bildung, Gesundheit, Teilhabe (Demokratie), Mobilität und guter Arbeit der Menschen auch durch Arbeitszeitverkürzung und andererseits die Nachhaltigkeit, die Dekarbonisierung von Produktion und Produkten – einschließlich des Verzichts auf unnütze und schädliche Produkte wie überdimensionierte Autos, teure Werbung und Rüstungsproduktion.
Bertolt Brecht
Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt.
Und lässt andere kämpfen für seine Sache
Der muss sich vorsehen: denn
Wer den Kampf nicht geteilt hat
Der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal den Kampf vermeidet
Wer den Kampf vermeiden will: denn
Es wird kämpfen für die Sache des Feinds
Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.
1Richard Detje und Otto König; SOZIALISMUS 9/2020, Seite 47
2Ebd. Seite 51
3https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/weniger-arbeiten-mehr-leben/
4https://www.die-linke.de/partei/programm/
5https://www.die-linke.de/start/detail/die-4-tage-woche-konkret-machen/
6https://www.sozialismus.de/fileadmin/users/sozialismus/pdf/Supplements/Sozialismus_Supplement_2017_09_Riexinger_Becker_NAV.pdf
7https://www.oekom.de/buch/bausteine-fuer-klimagerechtigkeit-9783987260735
8https://rotpunktverlag.ch/buecher/auswege-aus-dem-kapitalismus
9https://stephankrull.info/2019/01/11/vielleicht-sind-wir-immer-noch-viel-zu-bescheiden/
10Karl Marx; Grundrisse, Das Kapitel vom Geld, MEW Bd. 42, S. 105
11Fridrich Engels; Der Anteil der Arbeit bei der Menschwerdung des Affen; MEW Bd. 20, Seite 444
Arbeitsschutz in der Defensive: Job-Crafting statt Zeiterfassung
Unternehmen sind in der Pflicht, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu dokumentieren.
Das ignoriert jedoch ein großer Teil der Unternehmen.
Die Umfrage von SD Worx unter 18.000 Beschäftigten und unter 5.118 Unternehmensvertretern in 18 europäischen Ländern ergibt, dass in Deutschland nur bei 41 Prozent der Beschäftigten Zeiterfassung erfolgt.
Die Hälfte der deutschen Befragten gibt in der Studie an, regelmäßig Überstunden zu machen.
Das ist deutlich mehr als der europäische Durchschnitt mit 40 Prozent. (1) Das Bundesarbeitsgericht sieht die Erfassung der Zeiten als wichtiges Instrument des Arbeitsschutzes.
Fehltage wegen psychischer Belastungen
Deshalb überraschen Meldungen über hohe Krankentage kaum: „Die Zahl der Fehltage wegen psychischer Krankheiten ist im ersten Halbjahr 2024 stark gestiegen“, meldet das Ärzteblatt. Im Vergleich zum Vorjahr gab es 14,3 Prozent mehr Arbeitsausfälle durch Depressionen oder Anpassungsstörungen (2). „Der weitere Anstieg der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen ist besorgniserregend“, sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm. Er forderte Unternehmen dazu auf, sich verstärkt mit der psychischen Gesundheit ihrer Belegschaft zu beschäftigen (3).
Job-Crafting als neues Modell
Um die Motivation zu erhöhen, wird zunehmend auf das Konzept des „Job Crafting“ verwiesen.
Der Begriff stammt aus dem Englischen und bedeutet sinngemäß „Arbeit gestalten“.
Beschäftigte sollen unternehmerisch denken und in die Lage versetzt werden, das Arbeitsumfeld und „die Abläufe im Job aktiv neu und für sie selbst möglichst optimal zu gestalten“, betont die Personalberatung Personio. „Job Crafting soll Mitarbeitenden weniger Frust und mehr Freude vermitteln“ (4).
Die ersten Methoden entwickelten die US-amerikanischen Organisationspsychologinnen Amy Wrzesniewski und Jane Dutton von der Yale University. Am Anfang steht dabei die Analyse der Aufgaben, der sozialen Beziehungen im Unternehmen und der eigenen Einstellung zum Job.
Job Crafting ist ein Konzept der positiven Organisationspsychologie. Bedeutsam ist „Cognitive Crafting“, das sich auf die Veränderung der Wahrnehmung der eigenen Arbeit bezieht.
„Individuellen Stärken und Vorstellungen stehen die Ziele auf Team- und Unternehmensebene gegenüber. Aufgabe des Unternehmens, der Führungskräfte oder der Präventionsberatung ist es, eine Balance zwischen diesen beiden Polen zu finden“, beschreibt iga, die „Initiative Gesundheit und Arbeit“ der gesetzlichen Unfallversicherung. (5).
Auch die Ludwig-Maximilians-Universität München berichtet von Job Crafting und beschreibt, wie Beschäftigten geholfen wird, „ihre Arbeit zu lieben“ (6).
Job Crafting sollte „unbedingt als methodischer Lösungsansatz“ genutzt werden, empfehlen die Berater von Personion. Dies fördere die Gesundheit, nach dem Motto: Mehr Freude an der Arbeit bedeutet bessere Gesundheit. Ein Vorgesetzter gab im Betrieb das Motto aus: „Man muss seine Arbeit aus dem Holz schnitzen, das man zur Verfügung hat“.
Arbeitsschutz wird vernachlässigt
Unberücksichtigt bleibt dabei, dass über Personalausstattung und Arbeitsmenge die Unternehmensleitung entscheidet. Dazu passen Untersuchungen der Gewerkschaften. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben des Dienstleistungssektors wird trotz hoher Belastungen der Beschäftigten sträflich vernachlässigt. Das zeigt etwa die Untersuchung „Arbeitsbelastung hoch, Arbeitsschutz mangelhaft" von Ver.di. Als „eine echte Katastrophe für die Arbeitswelt“ bezeichnet Ver.di-Vorstand Rebecca Liebig die Ergebnisse (7).
Nur knapp über die Hälfte der befragten Beschäftigten sagt, dass sie unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen bis zur Rente durchhalte.
„Wir brauchen gerade im wachsenden Dienstleistungssektor dringend gut qualifizierte, motivierte und vor allem gesunde Fachkräfte, um die anstehenden Transformationsprozesse zu meistern“, so Liebig und ergänzt: „Wir fordern die Arbeitgeber auf, ihren gesetzlichen Arbeitsschutz-Pflichten endlich nachzukommen.“
Zentral für das Erreichen von gesunden und guten Arbeitsplätzen ist die Durchführung einer sogenannten Gefährdungsbeurteilung, betont Ver.di (8).
Dies ist im Arbeitsschutzgesetz festgeschrieben und soll Gefahren aus Sicht der Beschäftigten ermitteln.
Der Betrieb muss dabei aufzeigen, welche Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten bestehen. Und dann ist festzulegen, welche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz erforderlich sind, also was gegen die Gefährdungen unternommen wird. Das kann auch Stress am Arbeitsplatz betreffen. Viele Unternehmen ignorieren diese Vorgabe.
Quellen:
(2) www.aerzteblatt.de/nachrichten/153033/Fehltage-durch-psychische-Krankheiten-stark-gestiegen
(4) www.personio.de/hr-lexikon/job-crafting
(5) www.iga-info.de/veroeffentlichungen/igawegweiser-co/wegweiser-job-crafting
(6) www.psy.lmu.de/evidenzbasiertesmanagement/dokumente/ebm_dossiers/ebm_27_job_crafting.pdf
WAPE 2024 - World Association of Political Economy
Die WAPE ist eine von China geführte akademische Wirtschaftsorganisation, die sich weltweit mit marxistischen Ökonomen vernetzt.
"Auch wenn das wie eine Voreingenommenheit erscheinen mag, bieten die WAPE-Foren und -Zeitschriften ein wichtiges Forum, um alle Entwicklungen in der kapitalistischen Weltwirtschaft aus einer marxistischen Perspektive zu diskutieren.
Marxistische Ökonomen aus der ganzen Welt sind willkommen, dem WAPE beizutreten und an den WAPE-Foren teilzunehmen." (WAPE-Statement).
Anbei einige Anmerkungen zu den Referaten auf der WAPE 2024, auf die hier eingegangen werden soll, ohne dabei den Anspruch einer Vollständigkeit zu erheben. Es ist eher als eine Anregung zur Vertiefung der Auseinandersetzung um die marxistische Theorie gedacht.
Technologie
Mike Nolan vom Rochester Institute of Technology hielt einen Vortrag über Revolutionary Technology: The Political Economy of Left-Wing Digital Infrastructure" vor. Nolan argumentiert, dass die "dezentralisierte Natur" des Internets und der sozialen Online-Medien dazu tendiert, die Klassenpolitik zu brechen und zu schwächen. Nötig sei eine "einheitliche digitale Infrastruktur", damit "linke Organisationen die Kosten für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur teilen und gleichzeitig eine bessere Kontrolle über die Form dieser Infrastruktur ausüben können". Klingt vernünftig, aber die Machbarkeit einer solchen "linken digitalen Infrastruktur" ist nicht klar.
João Romeiro Hermeto von der Freien Universität Berlin stellte sein Buch The Paradox of Intellectual Property in Capitalism vor, in dem er das Wesen des geistigen Eigentums unter der kapitalistischen Produktionsweise diskutiert. Insbesondere versucht er zu erklären, was Wissen ist und wie es produziert wird. Er betont, wie Wissen von Big Pharma und den Tech-Giganten in "geistiges Eigentum" verwandelt wird. Es geht um die Kontrolle über die Aneignung der gesellschaftlichen Mehrarbeit, die im Kapitalismus die spezifische Form des Mehrwerts annimmt. Das ist zweifellos richtig, aber es blieb etwas unkeklärt, wohin uns das Buch dann führt. Es bietet sich vielleicht an, Hermetos Analyse des Wissens in seinem Buch mit Guglielmo Carchedis Analyse des Wissens und der geistigen Arbeit mit dem Buch des Autors, Capitalism in the 21st Century, vergleichen (siehe Kapitel 5, S. 161-187) zu vergleichen.
Quantitative politische Ökonomie
Es gab einen sehr wichtigen Teil des WAPE-Programms, die quantitative politische Ökonomie. Thanos Poulakis und Persefoni Tsaliki von der Universität Mazedonien stellten ihre scharfsinnige Analyse der Kaufkraftparität (KKP) vor, der wichtigsten Methode, mit der der IWF und die Weltbank das BIP in Volkswirtschaften messen. Der Zweck des Kaufkraftparitäts-Wechselkurses besteht darin, die Landeswährung eines jeden Landes in eine gemeinsame Basiswährung - in der Regel den US-Dollar - umzurechnen. Auf diese Weise kann die Wirtschaftsleistung anhand einer einzigen gemeinsamen Währung verglichen werden und nicht anhand von Dutzenden von Landeswährungen, deren Marktwechselkurse sich schnell ändern können.
Poulakis und Tsaliki zeigen, dass die Wechselkurse tatsächlich durch die realen Arbeitskosten bestimmt werden, und wenn diese Stückkosten sorgfältig gemessen würden, könnte man genauere Schätzungen der KKP vornehmen und eine wirksamere Wechselkurspolitik entwickeln. Eine solche empirische Analyse ist nicht neu. Siehe das Papier von Francisco Martinez. Poulakis und Tsaliki haben jedoch ihre früheren Arbeiten auf 163 Länder ausgeweitet.
Eine wichtige Schlussfolgerung daraus ist, dass Handelsüberschüsse und Handelsdefizite die direkte Folge der relativen Wettbewerbsposition der Länder in Bezug auf die realen Arbeitskosten sind. Wechselkursabwertungen haben also nur eine vorübergehende Wirkung auf die nationale Wettbewerbsfähigkeit, wenn die allgemeinen Produktionsbedingungen nicht verbessert werden. Solange die am wenigsten wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften auf internationaler Ebene ihre allgemeinen technischen Produktionsbedingungen nicht verbessern können, werden ihre nationalen Industrien strukturell nicht wettbewerbsfähig sein, und infolgedessen würden diese Länder permanente Handelsdefizite aufweisen.
Terms of Trade[1]
Carlos Alberto Duque Garcia hielt einen Vortrag zum Thema "Terms of trade and the rate of profit: a suggested framework and evidence from Latin America". Carlos Duque von der Autonomous Metropolitan University in Mexiko hat bereits eine hervorragende empirische Arbeit über Profitabilitätswellen in Kolumbien mit dem Titel Economic Cycles, Investment and Profits in Colombia, 1967-2019 vorgelegt. In dieser Arbeit fand Duque Belege für die Marx'sche Hypothese, dass sowohl die Profitrate als auch die Masse der Profite die Investitionen bestimmen, während es im Gegenteil keine Belege dafür gab, dass die Investitionen entweder die Profitrate oder die Masse der Profite bestimmen.
Dies war eine weitere Bestätigung des Marx'schen Gesetzes der Rentabilität.
Messung der Profitrate
Dimitris Paitaridis und Lefteris Tsoulfidis gingen der Frage nach, ob eine genaue Messung des Bruttokapitalstocks für die Messung der Profitrate des Kapitals von Bedeutung ist. Dies mag selbstverständlich erscheinen. Aber es ist Gegenstand einer Debatte. Einige argumentieren, dass der Kapitalstock nicht mit offiziellen Daten gemessen werden kann, weil er auf falschen neoklassischen Konzepten beruht. Und es ist sicherlich richtig, dass die in offiziellen Datenbanken (z. B. AMECO der EU) verwendeten Kapitalstockmessungen fragwürdig sind. Die Autoren haben jedoch eine Reihe hervorragender Arbeiten zur Messung des Kapitalstocks vorgelegt und belegen ausführlich den empirischen Zusammenhang zwischen einer zunehmenden organischen Zusammensetzung des Kapitals (der Kapitalstock wächst stärker als das variable Kapital) und einer sinkenden Gewinnrate auf den Kapitalstock.
Nikolaos Chatzarakis referierte ebenfalls über die Art der langen und kurzen Zyklen in der kapitalistischen Akkumulation. Auch hier handelte es sich um eine weitere Arbeit über Zyklen, die der Autor und andere an der Universität von Mazedonien bereits durchgeführt haben. Ihr Zyklusmodell zeigte eine Periodizität, die durch die langfristige Entwicklung der Rentabilität und das dahinterstehende Wachstum der Mehrwertrate als regulierende Variable für die Zyklen bedingt ist. Der äußerst wertvolle Beitrag der marxistischen Wissenschaftler in Mazedonien und Griechenland insgesamt zur marxistischen Wirtschaftstheorie und zu empirischen Studien kann nicht unterschätzt werden. Siehe meine Rezension des bahnbrechenden Buches von Tsoulfidis und Tsaliki. [2]
Apropos Theorie: Das Marx'sche Wertgesetz wurde in Fred Moseleys neuem Buch "Marx's Theory of Value in Chapter 1 of Capital: A Critique of Heinrich's Value Form Interpretation".[3] Der Autor hat die Argumente in dem Buch im Anschluss an eine Debatte zwischen Moseley und dem deutschen Marxisten Michael Heinrich[4] auf der letztjährigen Konferenz zum Historischen Materialismus überprüft.
Fallende Profitrate
Christos Balomenos von der Nationalen und Kapodistrianischen Universität Athen stellte seine Doktorarbeit vor: "Eine theoretische und archivarische Untersuchung von Marx' Analyse des zinstragenden Kapitals und des Kredits im Manuskript von 1864-65 und dessen Bearbeitung durch Engels". In dieser Arbeit untersuchte Balomenos Heinrichs Argumente für die Existenz einer entscheidenden theoretischen Verschiebung in Marx' Denken während der 1870er Jahre, die sich um seine angeblichen Zweifel an der Gültigkeit des Gesetzes der fallenden Profitrate drehte. In seiner Untersuchung kommt er zu dem Schluss, dass "die Manuskripte und Briefe, auf die sich Heinrich beruft, um seine Argumente zu stützen, weder eine Unsicherheit von Marx hinsichtlich der Gültigkeit des Gesetzes der fallenden Profitrate noch eine Veränderung seiner Meinung in den 1870er Jahren hin zu einer vorrangigen Rolle der kapitalistischen Zirkulation und insbesondere des Kredits bei der Erklärung der Wirtschaftskrise belegen."
Auf der WAPE 24 löste Fred Moseleys Interpretation der Marxschen Werttheorie jedoch einen kontroversen Disput aus. Alan Freeman kritisierte Moseley für seine Behauptung, dass die Marktpreise um die langfristigen Produktionspreise oszillieren, die als Gravitationskraft wirken und die Preise mit den Arbeitswerten verbinden. Freeman argumentiert, dass die Outputpreise nicht mit den Inputpreisen übereinstimmen und sich ständig ändern, auch wenn sich die Produktivität nicht ändert. Die Marktpreise oszillieren also nicht um die langfristigen Produktionspreise, die als Gravitationskraft wirken und die Preise an den Wert der Arbeit binden, wie Moseley argumentiert.
Freeman sieht darin eine Gleichgewichtstheorie des Mainstreams, die von Marx in seinem zeitlichen Ansatz abgelehnt wird.
Anmerkungen
[1] Terms of Trade (TOT) ist ein wirtschaftlicher Indikator, der das Verhältnis zwischen dem Preisniveau der Exporte und Importe eines Landes darstellt.
[2] Michael Roberts: Ricardo and/or Marx? A Review of Classical Political Economics and Modern Capitalism: Theories of Value, Competition and Trade by Lefteris Tsoulfidis and Persefoni Tsalik.
Er würdigt das Buch für seine überzeugende und solide theoretische Analyse des Kapitalismus. Er weist jedoch auf einen merkwürdigen Aspekt des Ansatzes der Autoren hin: Sie kategorisieren die Marxsche Ökonomie als einen Strang der klassischen politischen Ökonomie, anstatt sie als Kritik der klassischen Ökonomie anzuerkennen, wie es Marx selbst tat. Roberts findet die Entwicklung der Marxschen Theorie durch die Autoren besonders überzeugend, wenn man sie mit klassischen und neoklassischen Analysen vergleicht.
[3] Fred Moseley: "Marx's Theory of Value in Chapter 1 of Capital: A Critique of Heinrich's Value-Form Interpretation". Es handelt sich um eine detaillierte Kritik Michael Heinrichs Interpretation der Marx'schen Werttheorie, wie sie in Kapitel 1 des "Kapital" dargestellt wird. Moseley argumentiert gegen Heinrichs Wertforminterpretation, die die relationalen und sozialen Aspekte des Werts betont und suggeriert, dass der Austausch die Produktion bestimmt.
Stattdessen verteidigt Moseley ein produktionszentriertes Verständnis des Wertes und behauptet, dass der Wert durch die Produktion bestimmt wird und dass der Tausch daraus folgt.
[4] Michael Heinrichs Interpretation von Marx' Werk unterscheidet sich in mehreren wesentlichen Punkten von anderen Ansätzen:
- Kritik des Weltanschauungsmarxismus: Heinrich kritisiert den sogenannten "Weltanschauungsmarxismus", der durch einen simplen Materialismus und deterministischen Geschichtsverständnis geprägt ist. Er lehnt die Vorstellung ab, dass der Kapitalismus und die proletarische Revolution als naturgesetzliche Notwendigkeiten betrachtet werden können
- Fokus auf Fetischismus: Heinrich betont Marx' Rolle als Kritiker der durch den Wert vermittelten, fetischisierten Vergesellschaftung. Er sieht den Fetischismus als einen Verblendungszusammenhang, dem sowohl Kapitalisten als auch Arbeiter unterliegen, und lehnt die Vorstellung einer privilegierten Erkenntnisposition der Arbeiterklasse ab.
- Unvollständigkeit von Marx' Werk: Heinrich hebt hervor, dass Marx' Werk kein abgeschlossenes System darstellt, sondern aus vielen Fragmenten besteht. Er betont, dass die MEGA (Marx-Engels-Gesamtausgabe) zeigt, dass Marx' Kritik der politischen Ökonomie nicht vollständig fertiggestellt war, sondern dass es sich um ein gigantisches Forschungsprojekt handelt, von dem nur Fragmente realisiert wurden.
- Materialistische Betrachtung: Heinrich verfolgt einen materialistischen Ansatz, der nicht nur die theoretischen Inhalte von Marx' Texten untersucht, sondern auch die materiellen Bedingungen ihrer Entstehung. Er sieht Marx' Texte als politische Interventionen, die in spezifische Debatten und Konflikte eingreifen.
- Kritik an der monetären Werttheorie: Heinrich wird von Vertretern der Neuen Marx-Lektüre dafür kritisiert, dass er eine Zweiteilung der Ökonomie postuliert, die nicht über Marx hinausgeht, sondern hinter ihn zurückfällt.
Quellen dazu:
Marx, Leben und Werk, Z, Zeitschrift marxistische Erneuerung, 2017;
Michael Heinrich: Wie das Marxsche Kapital lesen? Hinweise zur Lektüre und Kommentar zum Anfang von »Das Kapital«, Stuttgart 2008.
Die Federal Reserve scheitert
Dies geschah, obwohl sie feststellte, dass sich die US-Wirtschaft abkühlte, die Arbeitslosigkeit zu steigen begann und die Wirtschaftstätigkeit sich abschwächte.
Das Problem für die Fed bestand wie immer darin, einerseits die Kreditkosten hochzuhalten, um die Inflation einzudämmen, und andererseits dem Risiko entgegenzuwirken, dass die hohen Kreditkosten dazu führen, dass die Haushalte ihre Ausgaben kürzen und die Unternehmen ihre Investitionen und die Beschäftigung zurückfahren.
Die Fed hat wie andere Zentralbanken in den großen Volkswirtschaften ein willkürliches (und ziemlich sinnloses) Inflationsziel von 2 % pro Jahr; im Gegensatz zu anderen Zentralbanken hat sie jedoch ein "doppeltes Mandat", nämlich zu versuchen, die Beschäftigung und das Wirtschaftswachstum zu erhalten und gleichzeitig die Inflation zu senken.
Kann die Fed dieses doppelte Mandat erfüllen?
Die Fed behauptet gerne, dass sie es schaffen wird; auch unter den führenden Wirtschaftswissenschaftlern herrscht Einigkeit darüber, dass sie dieses "Goldlöckchen-Szenario" von niedriger Inflation und Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig mäßig solidem Wirtschaftswachstum erreichen wird.
Aber wenn das doppelte Mandat erreicht wird, wird das nicht an der Zinspolitik der Fed liegen. Wie ich bereits mehrfach dargelegt habe, steuert die Geldpolitik angeblich die "Gesamtnachfrage" in einer Volkswirtschaft, indem sie die Kreditaufnahme für Ausgaben (sei es für Konsum oder Investitionen) teurer oder billiger macht. Doch die Erfahrung mit dem jüngsten Inflationsschub seit dem Ende der Pandemiekrise im Jahr 2020 ist eindeutig:
Die Inflation stieg aufgrund der geschwächten und blockierten Lieferketten und der langsamen Erholung der verarbeitenden Industrie an, nicht aufgrund einer "übermäßigen Nachfrage", die entweder durch eine staatliche Ausgabenwut oder "übermäßige" Lohnerhöhungen oder beides verursacht wurde.
Und die Inflation begann zu sinken, sobald die Energie- und Nahrungsmittelknappheit und die Preise nachließen, die Blockaden in den globalen Lieferketten abgebaut wurden und die Produktion wieder anlief.
Die Geldpolitik hatte mit diesen Bewegungen wenig zu tun.
Und entgegen den Hoffnungen und Erwartungen des Fed-Vorsitzenden Jay Powell und aller Mainstream-Ökonomen gibt es in der US-Wirtschaft Tendenzen, die darauf hindeuten, dass das doppelte Mandat wahrscheinlich nicht erreicht werden wird.
Erstens bleibt die Inflation "hartnäckig", d. h. sie liegt deutlich über der angestrebten Jahresrate von 2 %. Die Fed misst die US-Inflation gerne anhand des Preisindexes für die persönlichen Konsumausgaben (PCE). Dabei handelt es sich um ein kompliziertes Maß, das die Produktionspreise sowie die Energie- und Lebensmittelpreise ausschließt - kaum ein genaues Maß für den Preisanstieg bei der Mehrheit der Amerikaner!
Dennoch liegt der PCE-Kernpreisindex derzeit bei 2,6 % und damit unter dem Höchstwert von 5,6 % im Jahr 2022, aber immer noch deutlich über 2 % und der Rate für 2019.
Die Gesamtinflationsrate der Verbraucherpreise ist viel höher als die Messung der Fed.
Sie liegt derzeit bei 3,0 % und damit unter dem Höchstwert von 9 % im Jahr 2002, aber immer noch einen vollen Prozentpunkt über dem illusorischen Ziel der Fed und doppelt so hoch wie die Rate im Jahr 2019.
Und wie zu sehen ist, scheint der Verbraucherpreisindex bei 3 % zu verharren, ohne dass es trotz der optimistischen Äußerungen der Mainstream-Ökonomen Anzeichen für einen weiteren Rückgang gibt. Die Gründe dafür liegen für mich auf der Hand. Erstens ist die Inflation, wie ich schon früher und weiter oben dargelegt habe, nicht auf eine "übermäßige Nachfrage" zurückzuführen, sondern auf ein schwaches Angebot, d. h. ein geringes Produktivitätswachstum und hohe Rohstoffpreise. Zweitens sind die Preise vieler Produkte in der US-Wirtschaft in den letzten zwei Jahren stark gestiegen, was sich anscheinend nicht in den offiziellen Preisangaben niederschlägt.
Dazu gehören insbesondere die stark gestiegenen Wohnkosten, Kranken- und Kfz-Versicherungen. In einem kürzlich erschienenen FT-Artikel wird eingeräumt: "Beide sind zum Teil ein Produkt der pandemischen Angebotsschocks - verringerte Bautätigkeit und ein Mangel an Fahrzeugteilen -, die immer noch durch die Lieferkette sickern. In der Tat sind die teureren Kfz-Versicherungen jetzt ein Produkt des früheren Kostendrucks bei Fahrzeugen. Die Nachfrage ist nicht das zentrale Problem; hohe Tarife können nur wenig ausrichten."
Es gibt noch ein weiteres Maß für die Inflation in der US-Wirtschaft, den so genannten "Sticky Price Consumer Price Index" (SCPI), der auf der Grundlage einer Untergruppe von Waren und Dienstleistungen berechnet wird, die im VPI enthalten sind und deren Preise sich relativ selten ändern, so dass sie von Nachfrageänderungen kaum betroffen sind. Dieser Index zeigt erneut eine viel höhere Inflationsrate an, die derzeit bei 4,2 % im Jahresvergleich liegt und damit dreimal so hoch ist wie Anfang 2021.
US-Inflation bei "hartnäckigen" Preisen
Dieses Maß deutet darauf hin, dass die Inflation in der Wirtschaft verankert ist und die Unternehmen jede Gelegenheit nutzen, um die Preise zu erhöhen, aber keine Gelegenheit, sie zu senken. Vergessen Sie nicht, dass die amerikanischen Haushalte in den letzten drei Jahren einen durchschnittlichen Preisanstieg von 20 % bei den von ihnen gekauften Waren und Dienstleistungen hinnehmen mussten - die derzeitige Verlangsamung der Inflation bedeutet also nichts anderes, als dass die Preise zwar immer noch enorm steigen, aber nicht mehr so schnell. Diese Preisinflation hat die Realeinkommen der meisten Amerikaner in den letzten Jahren aufgefressen, so dass sich der Lebensstandard verschlechtert hat, auch wenn alle eine Arbeit haben (meist eine schlecht bezahlte im Dienstleistungsbereich).
Im Gegensatz zu dem, was die Fed sagt, ist der "Krieg gegen die Inflation" also noch nicht gewonnen. Infolgedessen hat die Fed ihren Leitzins noch immer nicht gesenkt. Der hohe Leitzins der Fed sorgt jedoch dafür, dass die Kreditzinsen hoch bleiben, was sich auf die Gewinne vor allem kleiner Unternehmen auswirkt, die häufig Kredite aufnehmen müssen, um zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen, sowie auf die Kreditkarten- und Hypothekenzinsen der Haushalte.
Dies wirft die Frage auf, ob die US-Wirtschaft wirklich vorankommt und somit einen Abschwung vermeiden kann, der durch den Druck auf die Gewinne aufgrund der hohen Zinssätze verursacht wird. Die jüngste Vorausschätzung des realen BIP-Wachstums in den USA für das zweite Quartal dieses Jahres, das von 1,4 % im ersten Quartal auf 2,8 % im Jahresvergleich gestiegen ist, wurde viel beachtet. Doch diese Schlagzeile hat viele Schwachstellen.
Erstens handelt es sich um eine "annualisierte" Rate, was bedeutet, dass der vierteljährliche Anstieg des realen BIP im zweiten Quartal in Wirklichkeit nur 0,7 % betrug. Zweitens enthält die Gesamtrate wichtige Beiträge aus den folgenden Bereichen: Gesundheitsdienstleistungen (0,45 Prozentpunkte), Vorräte (0,82 Prozentpunkte) und Staatsausgaben (0,53 Prozentpunkte). Die Gesundheitsdienstleistungen sind eigentlich ein Maß für die steigenden Kosten der Krankenversicherung und nicht für eine bessere Gesundheitsversorgung, und diese Kosten sind in den letzten drei Jahren in die Höhe geschnellt. Unter Vorräten versteht man Bestände an unverkauften Waren, mit anderen Worten: Produktion ohne Verkauf; und die Staatsausgaben dienten hauptsächlich der Rüstungsproduktion, was kaum einen produktiven Beitrag darstellt.
Wenn man all diese Komponenten ausklammert und die so genannten "realen Endverkäufe an private inländische Käufer" betrachtet, ein besseres Maß für die US-Wirtschaftstätigkeit, dann gab es keine Verbesserung gegenüber dem schwachen ersten Quartal. Tatsächlich lag das Wachstum der realen Endverkäufe in der ersten Hälfte dieses Jahres bei Null, verglichen mit rund 2 % im gesamten Jahr 2023.
Und die Verkäufe an die Verbraucher waren besser als das Wachstum des realen persönlichen Einkommens.
Im Durchschnitt verzeichnen die amerikanischen Haushalte nach zwei Jahren des Rückgangs der Realeinkommen jetzt nur einen sehr geringen Anstieg. Das real verfügbare persönliche Einkommen (das ist das Einkommen, das den Menschen nach Abzug von Inflation und Steuern zur Verfügung steht) stieg auf Jahresbasis nur um 1 % und damit langsamer als im ersten Quartal.
Kein Wunder, dass die Stimmung der US-Verbraucher auf den niedrigsten Stand seit acht Monaten gefallen ist.
Der von der University of Michigan ermittelte Index der Verbraucherstimmung erreichte im Juli einen Wert von 66,4 und damit den niedrigsten Stand seit November. Die etablierten Wirtschaftswissenschaftler, die davon ausgehen, dass die Verbraucherausgaben und -einkommen boomen, sind darüber verwundert und sprechen von einer "Vibecession". Die amerikanischen Haushalte scheinen nicht zu erkennen, dass es ihnen sehr gut geht! Aber "die hohen Preise drücken weiterhin auf die Stimmung, vor allem bei denjenigen, die über ein geringeres Einkommen verfügen", so Joanne Hsu, die Leiterin der Umfrage in Michigan. Das ist die Verbraucherfront.
An der Produktionsfront sieht es nicht viel besser aus. Die Saison der Unternehmensgewinne in den USA hat begonnen, und es gab durchweg schlechte Nachrichten, insbesondere von den Mega-Tech- und Social-Media-Unternehmen, die den US-Aktienmarkt dominieren und den Großteil der Gewinne im Unternehmenssektor einfahren.
Vier der so genannten "Magnificent Seven", die in den letzten neun Monaten die US-Börsenrallye angetrieben haben, https://thenextrecession.wordpress.com/2024/04/07/from-the-magnificent-seven-to-the-desperate-hundred/
beendeten die Woche mit Kursverlusten von mehr als 10 Prozent gegenüber den jüngsten Höchstständen im "Korrekturbereich". Zwei weitere - Microsoft und Amazon - stehen kurz vor den zweistelligen Kursverlusten, die eine Korrektur definieren. Von den glorreichen Sieben zu den gebrochenen Fünf!
Big Tech hat sich voll auf die zu erwartenden riesigen Gewinne aus der KI festgelegt. Sie haben Investitionen in noch nie dagewesenem Umfang getätigt und sind damit zum Haupttreiber der Unternehmensinvestitionen in der US-Wirtschaft geworden. Microsoft hat erklärt, dass "wir in diesem Jahr einen erheblichen Anstieg der Investitionsausgaben erwarten" und dass "die kurzfristige KI-Nachfrage unsere verfügbaren Kapazitäten ein wenig übersteigt". Amazon sagt, die starke Nachfrage nach Cloud-Diensten und KI bedeute, dass das Unternehmen seine Investitionsausgaben "deutlich erhöhen" werde. Meta sagt, dass KI sowohl in diesem Jahr als auch bis 2025 zu höheren Investitionen führen wird. Allerdings werden Zweifel an der schnellen Realisierung höherer Gewinne durch KI laut, und wenn Big Tech beginnt, seine Ausgaben zu kürzen, wird sich dies auch auf die Wirtschaft der Unternehmen auswirken. Es wird vermehrt von einem "Tail Risk" für den Aktienmarkt gesprochen.
Kommt noch mehr dazu?
Auch die Aktienkurse des Zustelldienstes UPS, der oft als Indikator für die Wirtschaft im Allgemeinen gilt, fielen um 12 %, nachdem UPS seine Prognosen für den Rest des Jahres zurückgenommen hatte. Seit dem Ende der Pandemie gab es einen enormen Anstieg der Investitionen in Transportausrüstung, um den Anstieg der weltweiten Produktion zu bewältigen. Diese Entwicklung scheint sich jedoch ihrem Ende zu nähern.
Zur Beschäftigung
Was die Beschäftigung anbelangt, so zeichnet sich auch hier das Gesamtbild eines schwächeren Beschäftigungswachstums und einer steigenden Arbeitslosigkeit ab. Die ADP-Daten zeigen, dass die Zahl der Beschäftigten in kleinen Unternehmen mit 20 bis 49 Mitarbeitern im Jahresvergleich um 88.000 abgenommen hat. Und die Tendenz ist bei allen Unternehmen außer den sehr großen negativ.
Die Dynamik der Wirtschaftstätigkeit schwächt sich ab.
Tatsache ist, dass die US-Wirtschaft unter den führenden G7-Volkswirtschaften zwar am besten abschneidet, aber nicht in Fahrt kommt. https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5260-eine-sanfte-landung-oder-ein-faules-ei-a-soft-landing-or-curates-egg
Dennoch ist die Situation in Europa und Japan noch viel schlimmer - darauf werde ich in einem späteren Beitrag zurückkommen. Im Vereinigten Königreich ist die Lage so schlecht, dass die Bank of England beschlossen hat, ihren Leitzins jetzt zu senken. Die Gesamtinflation im Vereinigten Königreich ist drastisch auf 2 % gesunken, aber nur, weil die britische Wirtschaft stagniert.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten:
Die US-Notenbank wird mit ziemlicher Sicherheit auf ihrer September-Sitzung mit der Senkung ihres Leitzinses beginnen - genau das hat sie angedeutet.
Sie hat auch keine andere Wahl, wenn sie eine Stagnation oder gar Rezession in der Wirtschaft vermeiden will, wie es die Bank of England bereits tut.
Die Fed wird also damit leben müssen, dass sie ihr Inflationsziel von 2 % nicht erreicht.
Und die amerikanischen Haushalte werden mit einer noch höheren Inflation in den Geschäften und bei wichtigen Dienstleistungen konfrontiert werden.
Diplomatie statt Waffen
Selenskyj zieht „Diplomatie statt Waffen“ in Betracht;
Beijing verhandelt mit Kiew;
Finnlands Präsident wünscht Gespräche.
Berlin unternimmt zur Kriegsbeendigung nichts.
Ohne jegliches Zutun der Bundesregierung zeichnen sich vorsichtige Bemühungen um ein Ende des Krieges in der Ukraine und um eine mögliche Friedenslösung ab.
So hat etwa der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Interview mit französischen Medien erklärt, er bestehe nicht mehr darauf, die territoriale Integrität der Ukraine „mit Waffen“ zu erkämpfen; denkbar seien stattdessen auch diplomatische Schritte. Selenskyj wünscht zudem die Teilnahme russischer Delegierter an einem Friedensgipfel; auch eine Vermittlung durch China schließt er nicht aus.
Zugleich lädt Kiew nach mehrtägigen, als produktiv bezeichneten Gesprächen von Außenminister Dmytro Kuleba in der Volksrepublik nun Chinas Außenminister Wang Yi zu einer Fortsetzung der Verhandlungen in die ukrainische Hauptstadt ein.
Beijing hat sich bislang Gesprächen, die es lediglich zum Ziel hatten, Russland zu isolieren, anstatt nach einer Friedenslösung zu suchen – so etwa der Ukraine-Gipfel in der Schweiz –, konsequent verweigert.
Als erster Hardliner aus dem Westen hat sich auch Finnlands Präsident Alexander Stubb für Verhandlungen ausgesprochen. Hintergrund sind die für Kiew miserablen Kriegsperspektiven.
Frontlage: „Viele Probleme auf einmal“
Die Lage an der Front verschlechtert sich laut Berichten für die ukrainischen Streitkräfte zusehends. Demnach hat Russland in der vergangenen Woche in Donezk seine umfassendste Offensive in diesem Jahr gestartet, ist zuletzt vergleichsweise rasch vorgerückt und droht wichtige ukrainische Versorgungslinien abzuschneiden.
Für die ukrainischen Truppen, urteilt Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign Relations (ECFR), „kommen jetzt viele Probleme auf einmal zusammen: abgekämpfte Einheiten, hohe Verluste von qualifiziertem Personal vor allem im Frühjahr, fehlende Munition, fehlendes Material (vor allem gepanzerte Fahrzeuge), Verwundbarkeit gegenüber russischen Gleitbombenangriffen, kaum Möglichkeiten, russische Aufklärungsdrohnen abzufangen“.[1] „Frisch mobilisierte Soldaten“ seien außerdem „in neue Brigaden“ abkommandiert und nicht in bestehende Brigaden integriert worden; für sie fehle es „am geeigneten Führungspersonal“. Ob die vielgepriesenen Kampfjets F-16 überhaupt „in der Nähe der Front“ operieren könnten, um Angriffe mit Gleitbomben zu verhindern, sei unter anderem wegen der geringen Reichweite ihres Radars ungewiss. Zu hierzulande so beliebten Berichten über „Schwächen der russischen Armee“ äußert Gressel, sie täuschten darüber hinweg, dass die Ukraine „ähnliche Probleme“ habe.
Zum Gebietsverzicht bereit
Gressel weist zudem darauf hin, dass der Krieg „auch abseits der Front ... zunehmend die Moral, Ressourcen und Infrastruktur der Ukraine“ strapaziert.[2]
In der Tat sprachen sich im Juli im Rahmen einer Umfrage in der ukrainischen Bevölkerung 44 Prozent dafür aus, in Friedensverhandlungen mit Russland einzutreten.
Im Mai 2023 hatten dies kaum 23 Prozent getan.[3] Eine weitere Umfrage ergab, dass der Anteil derjenigen, die zum Erreichen von Frieden zur Preisgabe von Territorien bereit wären, von rund 9 Prozent im Februar 2023 auf nun 32 Prozent gestiegen war.
Der Anteil derjenigen, die jeglichen Gebietsverzicht dezidiert ablehnten, war von rund 74 Prozent im Dezember 2023 auf nur noch 55 Prozent gefallen.[4]
Hintergrund sind unter anderem die wachsenden Belastungen durch massive Zerstörungen der Infrastruktur. Auf politischer Ebene kommt starke Unklarheit darüber hinzu, wie ein etwaiger US-Präsident Donald Trump sich gegenüber Kiew verhielte.
Wie BRD und DDR
Vor diesem Hintergrund mehren sich die Zeichen, die Ukraine könne sich für Verhandlungen über einen Waffenstillstand und eine etwaige Friedenslösung öffnen.
Nachdem der Versuch gescheitert ist, auf einem vorgeblichen „Friedensgipfel“ in der Schweiz den Globalen Süden gegen Russland in Stellung zu bringen (german-foreign-policy.com berichtete [5]), hat Präsident Wolodymyr Selenskyj vor rund zehn Tagen mitgeteilt, er schließe Gespräche mit Russlands Präsident Wladimir Putin nicht mehr aus [6]. In einem am Mittwoch erschienenen Interview mit französischen Medien äußerte Selenskyj nun explizit, er wünsche eine Präsenz russischer Delegierter auf einem nächsten „Friedensgipfel“.[7]
Selenskyj teilte zudem mit, Kiew bestehe weiterhin auf der territorialen Integrität der Ukraine; diese müsse man aber nicht unbedingt „mit Waffen“ erkämpfen – denkbar seien auch diplomatische Schritte. Damit nähert sich Selenskyj der bereits im vergangenen Jahr diskutierten Option an, die Frontlinie einzufrieren und zu einem praktischen Nebeneinander mit Russland zu finden, ohne die Annexion ukrainischer Territorien in aller Form anzuerkennen.[8]
Man könne die Territorien vielleicht auf ähnliche Weise wiedergewinnen wie einst die BRD das Territorium der DDR, heißt es meistens dazu.
China als Vermittler
Selenskyj schließt zudem eine Vermittlung durch China nicht aus.
Zwar ziehe er es vor, wenn Beijing nicht zwischen Kiew und Moskau vermittle, sondern stattdessen seinen Einfluss auf Russland nutze, um es zur Beendigung des Krieges und zum Abzug seiner Streitkräfte zu zwingen, teilte Selenskyj mit. Eine offene Ablehnung chinesischer Bemühungen, den Krieg durch einen Abgleich zwischen den beiden Seiten zu beenden, unterließ er allerdings.[9]
Das ist deshalb von Bedeutung, weil einschlägige Gespräche kürzlich begonnen haben und jetzt möglicherweise fortgesetzt werden. In der vergangenen Woche hielt sich der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba zum ersten Mal seit Kriegsbeginn zu Gesprächen in Beijing auf, die sich insgesamt über einige Tage zogen und als durchaus produktiv eingestuft wurden. Kuleba bestand lediglich auf der Souveränität und auf der territorialen Integrität der Ukraine; diese freilich waren schon Bestandteil des chinesischen Zwölf-Punkte-Plans vom Februar 2023, den Kiew damals in ersten Reaktionen begrüßt hatte.[10]
Am Dienstag teilte die ukrainische Regierung mit, sie habe Chinas Außenminister Wang Yi zu weiteren Gesprächen nach Kiew eingeladen; Wang habe sich offen dafür gezeigt.
Man schließe selbst ein Treffen zwischen Selenskyj und Chinas Präsident Xi Jinping nicht mehr aus.[11]
„Abzug keine Vorbedingung“
Selbst im Westen gibt es vorsichtige Hinweise auf ein Einlenken. Dies ergibt sich aus Äußerungen von Finnlands Präsident Alexander Stubb, der mit Blick auf den Ukraine-Krieg bisher eher als Hardliner auftrat. Im Mai hatte er noch erklärt, „der einzige Weg zum Frieden“ führe „über das Schlachtfeld“.[12] Am Wochenende urteilte er nun aber in einem Interview mit der französischen Abendzeitung Le Monde, man sei „an einem Punkt angekommen, an dem Verhandlungen beginnen müssen“.[13] Einen Abzug der russischen Streitkräfte, der auch in Berlin unablässig als Voraussetzung für Verhandlungen gefordert wird, könne man nicht „als Vorbedingung betrachten“, äußerte Stubb nun. Klar sei, dass Selenskyj bezüglich der von Russland annektierten Gebiete eine Entscheidung treffen müsse. Darüber hinaus seien Sicherheitsgarantien westlicher Staaten für die Ukraine erforderlich. Diese liegen mittlerweile zahlreich vor, haben jedoch aus Kiewer Sicht durchweg den Nachteil, dass sie für den Fall eines erneuten russischen Angriffs keine feste Verteidigungszusage geben, sondern lediglich versprechen, innerhalb kürzester Frist zu Gesprächen zusammenzukommen und Kiew auf ähnliche Weise zu unterstützen wie im aktuellen Krieg. Das gilt auch für die deutsche Sicherheitsgarantie (german-foreign-policy.com berichtete [14]). Selbstverständlich benötige die Ukraine auch Wiederaufbauhilfen, konstatierte Stubb. Man darf vermuten, dass Kuleba dies bei seinem Besuch in Beijing ebenfalls besprach.
Deutschland? Fehlanzeige.
Beobachter weisen darauf hin, dass die Gespräche über einen etwaigen Waffenstillstand sich allenfalls in einem frühen Stadium befinden und die Erfolgsaussichten völlig ungewiss sind. Zumindest indirekt sind inzwischen allerdings auch europäische Politiker involviert; so tauschte sich – nach dem kürzlichen Besuch von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in Beijing [15] – zu Wochenbeginn Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im Gespräch mit Chinas Präsident Xi Jinping über den Ukraine-Krieg aus.
Sie sei der Auffassung, Beijing könne „ein Schlüsselakteur“ bei dem Versuch werden, „Elemente eines gerechten Friedens“ für die Ukraine zu identifizieren, teilte Meloni nach dem Gespräch mit.[16]
Von etwaigen Bemühungen deutscher Regierungspolitiker, Wege hin zu einem Waffenstillstand zu finden, ist nichts bekannt.
[1], [2] Tobias Mayer: Militärexperte über die Lage im Ukrainekrieg: „Friedensverhandlungen sind pure Spekulation von Biertischdiplomaten“. tagesspiegel.de 30.07.2024.
[3] Nate Ostiller: 44% of Ukrainians believe it’s time to start official peace talks with Russia, survey finds. kyivindependent.com 15.07.2024.
[4] Brendan Cole: Ukrainian Support for Ceding Territory Surges. newsweek.com 23.07.2024.
[5] S. dazu Ziele klar verfehlt
[6] Ella Strübbe: Kreml lobt Selenskyj. tagesspiegel.de 22.07.2024. S. auch Streit um Viktor Orban
[7] Thomas d’Istria: Volodymyr Zelensky : renoncer à des territoires ukrainiens est « une question très, très difficile ». lemonde.fr 31.07.2024.
[8] S. dazu Der Korea-Krieg als Modell und Der Übergang zur Diplomatie
[9] Thomas d’Istria: Volodymyr Zelensky : renoncer à des territoires ukrainiens est « une question très, très difficile ». lemonde.fr 31.07.2024.
[10] S. dazu Auf der SEite der Diplomatie (III)
[11] Dan Peleschuk: Kyiv hails dialogue with Beijing, hints at potential Zelenskiy-Xi meeting. reuters.com 30.07.2024.
[12] „Gerade führt der einzige Weg zum Frieden über das Schlachtfeld“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.05.2024.
[13] Philippe Ricard: Alexander Stubb, president finlandais, à propos de la guerre en Ukraine : « Nous arrivons à un point où les négociations doivent commencer ». lemonde.fr 27.07.2024.
[14] S. dazu Die Dominanz im Mittel- und Osteuropa
[15] S. dazu Streit um Viktor Orban
[16] Riyaz ul Khaliq, Giada Zampano: China can become ‘key player’ to help identify peace in Ukraine, says Italian premier. aa.com.tr 30.07.2024.
Panzer und Subventionen für die Konzerne statt Kindergrundsicherung
Jetzt kam das Aus: Rüstung statt Kinder.
Subventionen für die Aktionäre der Konzerne: 10,7 Milliarden Euro im Jahr 2023 für die DAX-Konzerne. Die Ampel-Regierung zeigt wieder einmal, dass sie fest an der Seite der Konzerne und Reichen steht!
Die Kindergrundsicherung war als größte Sozialreform der Ampelkoalition angekündigt. Der Start der Kindergrundsicherung war für Januar 2025 geplant. Doch weder das Datum, noch das Geld oder die notwendigen Stellen konnte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) durchsetzen. Die Kindergrundsicherung - einst als das größte sozialpolitische Vorhaben der Grünen gestartet - ist auf fünf Euro mehr beim Kindergeld geschrumpft.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte bei der Sommer-Pressekonferenz am Mittwoch vergangener Woche (24.7.), dass die Kindergrundsicherung in dieser Legislatur nicht mehr umgesetzt werde. Gegenwärtig, sagte Scholz, diskutierten Regierung und Koalitionsparteien über erste Schritte zur Einführung: "Und dann auch darüber, wie man den Weg zum zweiten Schritt formuliert, der vermutlich dann nicht in dieser Legislaturperiode sich ereignen wird."
Da es aber voraussichtlich eine weitere Legislaturperiode dieser Koalition nicht mehr geben wird, wird auch die Kindergrundsicherung nicht mehr kommen.
Geplant war, verschiedene staatliche Leistungen wie Kindergeld oder Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien sowie Sozialleistungen für Kinder zu bündeln. Die Grundsicherung sollte dann aus zwei Teilen bestehen: einem fixen Grundbetrag, dem Kindergarantiebetrag - heute das Kindergeld - und einem flexiblen Zusatzbetrag - dem Kinderzusatzbetrag -, der abhängig vom Einkommen der Eltern sein sollte. Dafür sollte der Antrag für die Familien einfacher, übersichtlicher und digitaler werden, damit am Ende mehr Kinder profitieren.
Doch jetzt bleibt es bei einer "ersten Stufe", mit einer geringfügigen Erhöhung beim Kinderzuschlag und Kindergeld um fünf Euro. Mit einem Kindergrundsicherungscheck sollen Familien leichter wissen, ob sie einen Anspruch auf staatliche Leistungen haben. Zusätzlich soll es ein weiteres Portal im Netz geben: Familien mit wenig Einkommen sollen darüber leichter Zuschläge für Musikschulen oder etwa Sportvereine bekommen. (Frage: Warum wird Sport und Musik nicht mehr im normalen Schulunterricht angeboten?) Dieser erste Schritt soll noch vor der nächsten Bundestagswahl kommen, hofft die grüne Familienministerin.
"Ein weiterer Schritt ist gegenwärtig nicht etatreif" blockte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den "zweiten Schritt" ab. Es dürften "nicht immer neue Subventionen, neue Sozialausgaben, neue Standards dazukommen." Sonst sei die zur Sicherung der "Freiheit" des Westens nötige Erhöhung der Verteidigungsausgaben nicht möglich, so Lindner.
Stolz betonte Lindner im ARD-Sommerinterview, dass Deutschland die Rüstungsausgaben erhöht habe. "Deutschland erfüllt das NATO-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die äußere Sicherheit. Wann in den letzten Jahrzehnten hat es das gegeben? Wir tun mehr als Frankreich und Italien beispielsweise."
An die Adresse von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gerichtet, der eine noch stärkere Steigerung der Rüstungsausgaben fordert, sagte er: "Herr Pistorius hat ein 100-Milliarden-Euro-Sonderprogramm für die Ertüchtigung der Streitkräfte, das hatte keiner seiner Vorgänger."
Deutschland hat der NATO für das laufende Jahr geschätzte Verteidigungsausgaben von 90,6 Milliarden Euro gemeldet (davon 51,95 Milliarden Euro aus dem regulären Verteidigungshaushalt) und erreicht damit derzeit klar das Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses.[1]
Für den Krieg um die Ukraine hat Deutschland der Ukraine inzwischen Militärhilfen in Höhe von etwa 28 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt beziehungsweise für die kommenden Jahre bereitgestellt.[2]
Im Haushaltsentwurf für das Jahr 2025 Entwurf 2025 sind 53,25 Mrd. Euro (+2,5 Prozent) im regulären Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14, Bundesministerium der Verteidigung) vorgesehen. Bis 2028 sollen die Ausgaben auf 80 Mrd. Euro steigen.
Bundesregierung: Kanonen statt Butter
"Kanonen und Butter, das ist Schlaraffenland", hatte ifo-Chef Clemens Fuest bei der Talk-Runde von Maybrit Illner am 22. Februar vorhergesagt und war damit auf heftigen Widerspruch von SPD und Grünen gestoßen. "Wir dürfen die Sicherheit nach außen nicht gegen soziale Sicherheit im Land ausspielen", hatte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang entgegnet. (siehe kommunisten.de, 29.2.2024: "Kanonen statt Butter"
Doch jetzt bestätigen sich die Erfahrungen aus der Vergangenheit auf die Ifo-Chef Fuest hingewiesen hatte: "Wenn man mehr für das Militär ausgeben musste, dann blieb eben weniger für andere Dinge."
Dafür klingeln bei der Rüstungsindustrie die Kassen.
2023: 10,7 Milliarden Euro Subventionen für die Aktionäre der DAX-Konzerne
Genügend Geld gibt es aber auch für Subventionen an die großen Konzerne. Wie das Magazin Monitor unter Bezug auf eine Analyse des Flossbach von Storch Research Institute berichtete, sind in den letzten fünf Jahren sind nicht nur die Gewinne der 40 DAX-Konzerne gestiegen, sondern auch die staatliche Unterstützung hat heftig zugelegt. Allein 2023 flossen mindestens 10,7 Milliarden Euro an die deutschen DAX-Unternehmen. Fast doppelt so viel wie im Vorjahr.
Laut der Studie lagen die Subventionen bis 2018 bei jährlich rund zwei Milliarden Euro. Danach seien die staatlichen Unterstützungen jedes Jahr gestiegen. Insgesamt seien von 2016 bis 2023 rund 35 Milliarden Euro staatlicher Gelder an die größten Börsenkonzerne gegangen. Unabhängig davon, wie viel Gewinn sie gemacht haben.
RWE und E.ON hätten deswegen in der Nettobetrachtung in den vergangenen acht Jahren "keinen Beitrag zu den öffentlichen Kassen geleistet".
Besonders davon profitiert hat der Energiekonzern E.ON mit 9,3 Milliarden Euro seit 2016. Die Gesellschaft erhielt aufgrund des Strompreisbremsegesetz und Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz besonders viele Gelder. Darüber hinaus erhielten sie Investitionszuschüsse.
Auf Platz 2 folgt Volkswagen mit 6,4 Milliarden Euro Subventionen seit 2016. Diese gingen auf Steuervergünstigungen und Förderungen für Forschungen in der Antriebs- und Digitaltechnik. BMW erhielt 2,3 Milliarden, unter anderem für den Bau von neuen Standorten.
Im Vergleich zum Vor-Pandemie-Jahr 2019 stieg die Ausschüttungssumme der DAX-Konzerne im Jahr 2023 um 54 Prozent.
Für das Jahr 2024 erwarten die Experten der DekaBank, dass die DAX-Konzerne 54,6 Milliarden Euro an Dividende ausschütten. Das sind 1,6 Milliarden Euro mehr als 2023 und ein neuer Höchstwert. Bezuschußt mit Steuermilliarden.
Der Ampel geht es mehr um den Wohlstand der großen Unternehmen und seiner Aktionäre als um den Wohlstand der Bevölkerung. Sie subventioniert die maßlosen Gehälter der Konzernvorstände – VW-Vorstandschef Oliver Blume erhält ein Jahresgehalt von zehn Millionen, Bjorn Gulden (Adidas) 9,2 Millionen Euro, Christian Sewing (Deutsche Bank) 9,0 Millionen Euro, Christian Klein (SAP) 8,8 Millionen, Roland Busch (Siemens) 8,5 Millionen Euro -, hat aber kein Geld für die Kindergrundsicherung mit veranschlagten Kosten von 5 Milliarden Euro.
Die Ampel zeigt wieder einmal, dass sie fest an der Seite der Konzerne und Reichen steht!
[1] Tagesschau, 18.6.2024: NATO-Verteidigungsausgaben deutlich gestiegen
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nato-verteidigungsausgaben-106.html
[2] Bundesregierung, 29.7.2024: Diese Waffen und militärische Ausrüstung liefert Deutschland an die Ukraine
https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/krieg-in-der-ukraine/lieferungen-ukraine-2054514
Waldliebe als Geschäftsmodell. Gelüftet: Das Geheimnis von Wohllebens Baum-Geheimnis
Peter Wohlleben ist Deutschlands bekanntester Förster und Autor, weit über Deutschland hinaus seit Erscheinen seines Buches „Das Geheime Leben der Bäume“. Seine Bücher verkauften sich bisher millionenfach und in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. Er ist bekannt und beliebt in Talkshows und Medien und hat einen großen Kreis um sich geschart in den Umwelt- und Naturschutzverbänden. Da werden Bäumen menschliche Eigenschaften zugeschrieben, dass Mutterbäume ihren Nachwuchs stillen, dass sie miteinander kuscheln, der Wald wieder zu Urwald oder mindestens zu einem weitgehend dem natürlichen Urwald ähnlicher Naturwald werde und nur nachrangig zur Holzerzeugung dienen soll.
Nun hat sich Wilhelm Bode zu Wort gemeldet, streitbarer Jurist und Forstakademiker, einst Leiter der saarländischen Forstverwaltung und der Obersten
Naturschutzbehörde. Denn „hier werde mit neuer ideologischer Begründung gegen die Wald-Erzeugung von Holz mobilisiert“. Wilhelm Bode ist engagierter Verfechter des auf Stetigkeit von Waldökosystemen in Raum und Zeit aufbauenden Dauerwald-Konzepts von Alfred Möller.
Der hatte das Konzept bereits in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ausgearbeitet und stieß damit auf harten, anhaltenden Widerstand konservativer Forstwirtschaft.
Dennoch wird nach dem Konzept erfolgreich gewirtschaftet, zumeist von Privatwaldbetrieben. Bemerkenswert ist, dass Peter Wohlleben (gemeinsam mit Pierre Ibisch) zwar sein neuestes Buch „Waldwissen“ Möller gewidmet hat, aber das Konzept nur bruchstückhaft aufgreift und kein Wort verliert zu damit erfolgreich arbeitenden Betrieben.
Das sei aber an dieser Stelle nur erwähnt.
Zurück zu Bode´s Kritik. In seinem Essay geht es hart zur Sache. Mit Blick auf die Geschäftstätigkeit Wohllebens merkt er an, dass dieser sich hier für „waldliebende Bürger sowie kommunale Waldbesitzer – und gerne auch für die produzierende Wirtschaft – zu saftigen Preisen eine gänzlich neue Marktnische eröffnet habe“.
Auf den Spuren für den Markterfolg des Bestsellers kommt Bode zu dem Ergebnis, dass es hier „eher unwahrscheinlich ist, dass es sich dabei um einen Zufallserfolg handelte“,
sondern um einen, der „marktstrategisch gezielt konstruiert und angegangen wurde“.
Dafür wird „die romantische Waldliebe der Deutschen angesprochen, indem er den Bäumen Sprache und Gefühle andichtet“.
Diese Zuschreibung menschlicher Eigenschaften gegenüber Bäumen, Tieren oder Naturgewalten, der sogenannte Anthropomorphismus, ist – so auch Bode - weltweit Bestandteil aller großen Religionen und hat breiten Eingang in die Alltagskulturen aller Völker gefunden.
Das dürfte das große Echo auf sein Buch erklären. Mit solchen Zuschreibungen setzt sich eine jüngst veröffentlichte Literaturstudie von 35 führenden europäischen und nordamerikanischen Ökologie- und Waldbauwissenschaftlern auseinander. Deren Ergebnisse teilt Wilhelm Bode und verweist Wohllebens menschliche
Verhaltenszuschreibungen von Bäumen ins Reich von „Fake-News“, Fabeln und Märchen. Die Studie befasst sich mit der Frage, „inwieweit über die Mykorrhizanetzwerke (das
Wurzelnetzwerk der Bäume, der Verf.) ein erheblicher Kohlenstofftransfer („Nahrungstransfer“, der Verf.) von „Mutterbäumen“ auf ihre Nachkommen und nahe
gelegene Sämlinge stattfindet“. Diese Behauptung wurde verneint.
"Jüngste Übersichten zeigen, dass die Beweise für das „Mutterbaumkonzept“ nicht schlüssig oder gar nicht vorhanden sind“. Trotz dieser Ergebnisse werden aber, da ist sich der Rezensent sicher, die Diskussionen zur Lebensgemeinschaft der Waldbäume und möglichen Interaktionen von gleichen Baumarten untereinander und zwischen unterschiedlichen Baumarten weitergehen.
Pflanzen reagieren auf Änderungen ihrer biotischen und abiotischen Umwelt mit mannigfaltigen physiologischen und morphologischen Anpassungen.
Insgesamt geht es letztlich darum, nüchtern und sachlich – frei von Esoterik - zu erforschen, wie sich Pflanzen im Rahmen von Arterhalt und Konkurrenz behaupten und weiterentwickeln können.
Schlussendlich kommt Wilhelm Bode zu einem harten Urteil über Peter Wohlleben: „Er macht die begründete Kritik an der realexistierenden Forstwirtschaft, die natürlich primär der Holzerzeugung dient und auch in Zukunft dienen muss, in Deutschland unglaubwürdig, ja unmoralisch.
Er hilft mit seinem Vorgehen eher den Gegnern einer, im bestehenden Klimawandel dringend gebotenen, Waldreform.….
Der Einsatz gilt für nutzbare Wälder, die dauerhaft dem Klimawandel standhalten und biologisch effizient das Nutzholz der Zukunft zu erzeugen, da es der beste erneuerbare Rohstoff ist, den wir haben, und der sich biologisch nachhaltig in Dauerwäldern erzeugen lässt“.
Literaturhinweis
Wilhelm Bode: Waldliebe als Geschäftsmodell: Gelüftet: Das Geheimnis von Wohllebens Baum-Geheimnis, Juli, 2024
NATO-Jubiläumsgipfel – stramm auf Kriegskurs
Schon im Vorfeld erteilte die NATO der ukrainischen Regierung die Erlaubnis, mit westlichen Waffen Ziele in Russland anzugreifen; offensichtlich inclusive russische Frühwarnsysteme.
Ohne jede öffentliche Diskussion hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz dann beim NATO-Gipfel zugestimmt, US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, die auch Moskau erreichen können.
Der Weg der Ukraine in die NATO sei unumkehrbar, wurde im Schlussstatement festgehalten.
Nicht nur weitere zig Milliarden wurden der Ukraine zugesagt, auch F16 Kampfflugzeuge und weitreichende Waffensysteme.
Zur Koordinierung des Waffeneinsatzes soll ein neues 700-köpfiges NATO-Kommando in Wiesbaden eingerichtet werden.
Damit werden weitere Eskalationsschritte gemacht, die uns einem Atomkrieg näherbringen.
Keine Mittelstreckenraketen! Eskalationsspirale jetzt beenden und abrüsten!
So lautet die Forderung der Naturwissenschaftlerinnen Initiative (NATWIS Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit) in einer Erklärung:
„Bei ihrem 75. Geburtstag in Washington beschwor die NATO den Geist des Kalten Krieges. Um ihre Existenz zu rechtfertigen und die westliche Hegemonie unter Führung der USA gewaltsam aufrecht zu erhalten, riskieren sie einen Aufrüstungskurs, der die Welt an den Rand des Atomkriegs bringt.
Dazu passt die beim Gipfel von Bundeskanzler Olaf Scholz unterstützte Erklärung vom 10. Juli 2024, ab 2026 in Deutschland Mittelstrecken der USA zu stationieren, die Ziele in Russland treffen können“.
INF-Vertrag wurde entsorgt
Der INF-Vertrag von 1987 enthielt das Verbot, Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 km und Abschussvorrichtungen in Europa zu stationieren.
Dieser Vertrag wurde 2019 durch den früheren US-Präsidenten Donald Trump aufgekündigt. Der INF-Vertrag war für die US-Regierung ohnehin ein Hindernis für die Entwicklung und Stationierung eigener Mittelstreckenraketen in verschiedenen Regionen, insbesondere in der Pazifikregion gegen China und in Europa gegen Russland gerichtet.
In einer Analyse der Informationsstelle Militarisierung (IMI) aus Tübingen weist auf das Bedrohungspotential dieser Waffen hin:
„…Drastisch beschrieb Wladimir Putin seine Sichtweise auf diese Waffensysteme in einer Rede zur Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk am 21. Februar 2022 mit den Worten:
„Nachdem die Vereinigten Staaten den Vertrag über Kurz- und Mittelstreckenraketen gebrochen haben, entwickelt das Pentagon bereits offen eine Reihe von bodengestützten Angriffswaffen, darunter ballistische Raketen, die Ziele in einer Entfernung von bis zu 5.500 Kilometern erreichen können. Wenn solche Systeme in der Ukraine eingesetzt werden, können sie Ziele im gesamten europäischen Gebiet Russlands sowie jenseits des Urals treffen. Tomahawk-Marschflugkörper bräuchten weniger als 35 Minuten, um Moskau zu erreichen, 7 bis 8 Minuten für ballistische Raketen aus der Region Charkow und 4 bis 5 Minuten für Hyperschallraketen. Das nennt man, das Messer an der Kehle zu haben. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass sie diese Pläne genauso umsetzen werden, wie sie es in den vergangenen Jahren immer wieder getan haben, indem sie die NATO nach Osten ausdehnen und militärische Infrastruktur und Ausrüstung an die russischen Grenzen verlagern, wobei sie unsere Bedenken, Proteste und Warnungen völlig ignorieren. Nach dem Motto: Entschuldigen Sie, die sind uns wurscht und wir tun, was immer wir wollen, was immer wir für richtig halten…“
Das entschuldigt den russischen Angriff in keiner Weise, aber es zeigt, welcher Stellenwert diesen Waffen in Moskau beigemessen wird. Ob die Systeme nun in der Ukraine oder in Deutschland stationiert werden, dürfte für Russland dabei kaum einen Unterschied machen: Bei Überschallgeschwindigkeit (Wikipedia spricht von bis zu Mach 17, also von rund 21.000km/h) und einer Reichweite von 2.700 bis 3.000 Kilometern wäre die Dark Eagle locker in der Lage, Ziele in Moskau in kurzer Zeit zu erreichen …“
Die Politik der Nato bringt die Welt an den Abgrund eines atomaren Krieges und Deutschland wird, wie schon im Kalten Krieg, zur möglichen Abschussrampe, Zielscheibe und Schlachtfeld eines drohenden Atomkriegs.
Das verantwortungslose Gerede über die Notwendigkeit, Deutschland kriegstüchtig zu machen, ist Teil einer ideologischen Kriegsvorbereitung.
Die Friedensbewegung muss sich lautstark zu Wort melden.
Bei den Aktionen am 6 August, dem Jahrestag des Bombenabwurfes auf Hiroshima und Nagasaki.
Und bei den Aktionen und Demonstrationen rund um den Antikriegstag, dem 1. September.
Die innere Zeitenwende. Wie die Liberalen schon heute das Geschäft der AfD betreiben.
"Ob SPD oder Grüne: Die Gesellschaft wird rhetorisch derart nach rechts geschoben, dass die AfD nur frohlocken kann."
Wer mit der ultra-rechten Nethanyahu-Regierung paktiert und zum Völkermord an den Palästinenser:innen schweigt, ist in seiner Doppelmoral unglaubwürdig in Bezug auf den Krieg um die Ukraine und den Protest gegen die AfD.
"Alternative gegen Deutschland" titelte jüngst der Spiegel, mit Bezug auf mutmaßliche Zahlungen, die der AfD-Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah aus China erhalten haben soll. Ein Mitarbeiter Krahs wurde wegen Spionageverdacht für die Volksrepublik verhaftet. Der Spiegel erhob den Vorwurf des "Landesverrats". Mal abgesehen davon, dass ganz allgemein auch Deutschland – nicht zuletzt über seine zahlreichen parteinahen Stiftungen – ausgiebig Akteure im Ausland finanziert und dass seine Geheimdienste selbstverständlich spionieren: Wer als liberaler Antifaschist glaubt, es sei ein besonders cleverer Schachzug, heute den Begriff des "Landesverrats" gegen eine rechtsautoritäre Partei zu wenden, die behauptet, nationale Interessen zu verfolgen, der wird sich morgen wundern, dass er damit diese illiberale und nationalistische Rhetorik wieder in der politischen Kultur der Bundesrepublik etabliert haben wird.
Linke können ohnehin die Uhr danach stellen, wann sich Strafverfolgung mit Landes- oder gar Hochverratsvorwürfen auch und vor allem wieder gegen sie wenden wird. Schon in den kommenden Jahren dürfte jeden dieser Bannstrahl treffen, der auch nur leise Zweifel anmeldet und eine offene demokratische Diskussion darüber einfordert, ob Hochrüstung, Deutschlands Nuklearbewaffnung, die einst allein von postfaschistischen Haudegen wie Franz Josef Strauss, heute aber mit einem frisch, fromm, fröhlich, freien "Ja zur Atombombe" von Ulrike Herrmann bis Joschka Fischer gefordert wird, tatsächlich gute Ideen sind und ob eine neue Blockkonfrontation gegen China und die Entsendung der Fregatten "Bayern" und "Württemberg" ins Südchinesische Meer, damit sie dort – wie einst die Kreuzerdivision vor Kiautschou – "Flagge zeigen" für "unsere Werte und Interessen", wirklich dazu beitragen, den Frieden in der Welt zu sichern und globale Menschheitsprobleme wie die soziale Ungleichheit und die Klimakatastrophe zu bewältigen.
Die am Februar 2022 ohne vorherige parlamentarische, geschweige denn breite gesellschaftliche Debatte von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verkündete "Zeitenwende" – schon der Form nach ein demokratiepolitischer Skandal – ist in der Tat eine Zeitenwende auch dem Inhalt nach. Sie wendet die Zeit, aber nicht in eine goldene Zukunft; sie dreht die Uhr zurück in die düstere deutsche Vergangenheit.
Zeitenwende – zurück in die Vergangenheit
Bei der inneren Zeitenwende geht es zurück in eine Zeit der Soldatendenkmäler, damit eine"glückssüchtige Gesellschaft" (Joachim Gauck, damals Bundespräsident) wieder lerne, die im Kampf fürs Vaterland am Hindukusch Gefallenen als Helden zu verehren. Es geht zurück in die Zeit der "Pflichtjahre", mit der dieselben Leute, die im Rahmen der "Agenda 2010" und der Hartz-Gesetze einst Sprengsätze am sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft legten, heute wieder "Gemeinsinn stärken" wollen und vergessen, dass es das "Pflichtjahr" in der deutschen Geschichte schon einmal gab und wann und zu welchem Zweck, nämlich demselben: ideologisch zu kitten, was wirtschafts- und sozialpolitisch zerbrochen wurde.
Neue Soldaten braucht das Land
Bei der inneren Zeitenwende geht es weiter um den Wiedereinbruch des Militärischen in die Schulen, wo die Kinder nach Ansicht von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im Sinne eines "unverkrampften Verhältnisses zur Bundeswehr" und für "unsere Widerstandsfähigkeit" zusammen mit Soldaten der Armee den Kriegsfall üben sollen und wo Jugendoffiziere der Bundeswehr als "Karriereberaterinnen und Karriereberater" auf die Schüler losgelassen werden, um mit den aktuellen Rekordzahlen an Minderjährigen im Kriegsdienst die allgemeinen Rekrutierungsprobleme der Truppe zu lösen.
Aber klar, in Zeiten angespannter Arbeitsmärkte reicht die reine Wehrpflicht aus ökonomischen Gründen, die die Amerikaner "economic draft" nennen, und die an die Stelle der "Bürger in Uniform" die "Prekarier in Uniform" und eine "Unterschichtenarmee" (Michael Wolffsohn) setzte, in der Ostdeutschland zwar keine Generäle, aber nach dem Motto "Arbeitslos oder Afghanistan" fast zwei Drittel der Soldaten im Kriegseinsatz stellte, nicht mehr aus, um bis 2031 das erklärte Ziel eines 203.000 Soldaten starken Heeres zu erreichen.
Auch die angeworbenen EU-Ausländer sind bislang ausgeblieben, weil die südeuropäische Jugendarbeitslosigkeit eben nicht mehr 50 Prozent oder mehr beträgt wie noch zu Eurokrisenzeiten. Hinzu kommt die Abbrecherquote bei der Grundausbildung. Sie ist eklatant hoch, weil die Realität beim Kommiss nun einmal herzlich wenig mit dem Bild zu tun hat, das die jährlich 35 Millionen verschlingende Armeewerbung an Straßenbahnen, Bushaltestellen und auf YouTube verspricht: Kameradschaft, Rumschrauben an geilen PS-strotzenden Karren, Krieg als Gaming (bloß ohne Resetknopf), Weltreisen, Weltrettung, Lebenssinn.
Neue Soldaten jedoch braucht das Land angesichts der Rekordzahlen nachträglicher Verweigerungen bei Reservisten, deren Lust, sich fürs Vaterland zusammenschießen zu lassen, offenkundig gering ist – untertroffen nur noch von den Anhängern der Grünen, die Umfrage auf Umfrage zwar stabil Waffen und Kriegsdienst für Ukrainer und andere fordern, aber von denen nach einer Forsa-Umfrage nur 9 Prozent bereit wären, Deutschland auch persönlich mit der Waffe zu verteidigen.
Nach Ansicht von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sollen Schulkinder im Sinne eines "unverkrampften Verhältnisses zur Bundeswehr" und für "unsere Widerstandsfähigkeit" zusammen mit Soldaten der Armee den Kriegsfall üben.
Die innere Zeitenwende bringt indes das Militärische nicht nur in die Schulen zurück, sondern auch an die Universitäten, wo Regierung und konservative Opposition unter dem Jubel linksliberaler Medien gegen das verpflichtende Friedensgebot im Grundgesetz verstoßen und die Zivilklauseln aushebeln wollen, die es als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg bislang verboten haben, Forschung und Wissenschaft in den Dienst der Rüstungskonzerne zu stellen. In Nordrhein-Westfalen ist das mit den Stimmen von CDU und FDP längst geschehen.
Innere Zeitenwende meint auch die Rückkehr der Unterscheidung von "Gut" (wir, na klar!) und "Böse" (die anderen, was sonst?), von (westlicher) "Zivilisation" und (östlicher) "Barbarei", bloß das die Grenze vom "Ostproblem" (Walther Harich) weiter nach Osten verschoben wurde und die Barbarei nicht schon an der Grenze zu Polen beginnt. Es ist die Rückkehr der "Erbfeinde" (einst Frankreich, heute Russland und China) und die Rückkehr der "Bürde des weißen Mannes" (Rudyard Kipling) zur Zivilisierung der Barbaren, die wieder am deutschen Wesen genesen sollen und sich – so jüngst Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, auf PHOENIX – sich "einfach von uns so verwandeln lassen" müssen, "dass am Ende dann etwas rauskommt, was einfach den Vorstellungen entspricht, die man von uns über das Land und darüber" gehabt hat, "wie die Welt insgesamt organisiert sein soll."
Die innere Zeitenwende ist, wenn ein autoritärer Liberalismus, anstatt den Dialog zu suchen, seine Kritiker pauschal unter Verfassungsfeindverdacht stellt.
Die innere Zeitenwende ist auch die Rückkehr des ostentativen Unwillens, in geschichtlichen Kontexten und Kausalzusammenhängen zu denken und dabei auch die Perspektive de "Feinde" einzunehmen (um, wenn schon nicht Völkerverständigung zu befördern, wenigstens der Kriegseskalation vorzubeugen); ja, es ist die Rückkehr der medialen Ächtung bis hin zur Unterstrafestellung des bloßen Versuchs, es zu tun.
Innere Zeitenwende bedeutet die Rückkehr der "vaterlandslosen Gesellen", die schon heute wieder als "fünfte Kolonne" des Feindes bezeichnet und vom Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit mit illiberaler Justiz und Polizeigewalt abgehalten werden, während für die Feinde von außen autoritäre Einreise- und Sprechverbote erteilt werden, so wie dies jüngst der renommierten Philosophin Nancy Fraser und dem früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis widerfuhr.
Innere Zeitenwende ist, wenn eine Wissenschaftsministerin, sich auf einen Schmähartikel aus der Bild-Zeitung beziehend, massivste Polizeigewalt gegen friedlich protestierende Studentinnen und Studenten rechtfertigt. Und wenn ein autoritärer Liberalismus, anstatt den Dialog zu suchen, seine Kritiker und die, die bloß ihre Bürgerrechte wahrnehmen, pauschal unter Verfassungsfeindverdacht stellt.
Innere Zeitenwende ist, wenn der Bundestag, wie vor zwei Jahren im Rahmen der Verschärfung von Paragraf 130 StGB und der "Holodomor"- Resolution geschehen, über Nacht Gesetze erlässt, die in erheblichem Maße die Freiheit und den Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung einschränken und durch Kriminalisierung Gesinnungskonformismus produzieren, wo einst Historiker ergebnisoffen debattierten.
Längst gelten wieder Berufsverbote für die "inneren Feinde", die man durch Gesinnungsprüfungen vom öffentlichen Dienst fernhält, wie beim neuen "Radikalenerlass" in Brandenburg.
Die Empörung über die "Remigrations"-Träume der AfD wurde umso unglaubwürdiger dadurch, dass nur wenige Wochen zuvor die Ampelkoalition das europäische Asylrecht geschliffen hat.
Migranten sollen, sofern sie sich nicht zur "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" und Staatsräson einer bedingungslosen Unterstützung des israelischen Staates bekennen, egal, welche rechtsextremen Kräfte ihn gerade regieren und welche KI-gesteuerten Kriegsverbrechen er gerade begeht, nicht nur keine Staatsbürgerschaft erhalten, wie dies der Bundestag Anfang des Jahres mit den Stimmen der Ampel beschlossen hat, sondern man will sie ihnen sogar bis zu zehn Jahre rückwirkend entziehen. Dies forderten u.a. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und die Sozialdemokraten gegenüber Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft.
Dass dieselben Akteure dann wenig später – nach Bekanntwerden der sogenannten "Wannseekonferenz 2.0" der AfD und des rechtsextremen Identitären-Chefs Martin Sellner – vor den Vertreibungsplänen von Rechtsaußen warnten und skandalisierten, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy auf dem Treffen für die doppelte Staatsbürgerschaft plädierte, um so Menschen mit Migrationshintergrund den deutschen Pass leichter entziehen zu können, bekam dadurch ein Geschmäckle.
Jedenfalls ergaben sich Glaubwürdigkeitsprobleme, wenn dieselben, die diese Pläne als rote Haltelinie bezeichnen, weil der Entzug der Staatsbürgerschaft schließlich das Mittel der Nazis gewesen sei, ihre Gegner zu vertreiben, nun selber damit liebäugeln. Und die Empörung über die "Remigrations"-Träume der AfD, die schon bei Björn Höckes Buch – ohne Frage – "Terror mit Ankündigung" gewesen sind, wurde umso unglaubwürdiger dadurch, dass nur wenige Wochen zuvor die Ampelkoalition das europäische Asylrecht geschliffen und Scholz im Rahmen der vom Spiegel begrüßten "neuen Härte in der Flüchtlingspolitik" "Abschiebungen im großen Stil" gefordert hatte. (siehe kommunisten.de, 21.12.2023: EU einig zum Abbau der Menschenrechte von Geflüchteten)
Rückkehr einer Agitation und Propaganda in staatlichen und privaten Medien, die Feindbilder, Siegesgewissheit und Durchhalteparolen verbreiten
Die innere Zeitenwende beinhaltet weiter, auch weil die Bevölkerung ihren Eliten über weite Strecken der Nachkriegsgeschichte nicht in Aufrüstung und Kriegseinsätze zu folgen bereit war, die Rückkehr einer Agitation und Propaganda in staatlichen und privaten Medien, die – Feindbilder, Siegesgewissheit und Durchhalteparolen verbreitend – wenig mit vierter Gewalt und viel mit Volkserziehung zu tun hat.
Dazu gehört die Schaffung eines inneren Kollektivs mit nationalen Mythen und einer "Leitkultur", die ein in sozialer Ungleichheit auseinanderlaufendes Land zusammenhalten sollen, eine allgemeine Renationalisierung und Militarisierung der Sprache und Beförderung emotionaler Verhärtung.
Innere Zeitenwende ist, wenn etwa die auflagenstärkste Zeitung in Deutschland den größten deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall – Aktienkurssteigerung seit dem Ukrainekrieg: +523 % – die Rückkehr zur Wehrpflicht fordern lässt, weil "die Zeitenwende (…) eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe" sei und "freiheitliche Gesellschaften (…) in der Lage dazu sein" müssten, "für ihre Werte einzustehen".
Bleibt es bei diesem Tempo, dürfte im Rahmen von Initiativen, wie dem von CDU und CSU geforderten "Bundesprogramms für Patriotismus" unweigerlich auch der "Sedan-Tag" fröhliche Urständ feiern, mit dem man im Kaiserreich den Sieg über den damaligen Erbfeind feierte. Schon jetzt dürften in manchen Planstellen Überlegungen angestellt werden, wie ein – an sich nie wahrscheinlicher und heute immer unwahrscheinlicher gewordener – militärischer Sieg über Russland angemessen in der kollektiven Erinnerung verankert werden könnte.
Begriffe, Sprache, Politikstile und Mittel der nationalistischen und autoritären Rechten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts kehren in Worten und Taten des "liberalen" Bürgertums zurück, dafür braucht es gar keine Nazis.
Die vielen Artikel aus bürgerlich-liberalen Schreibstuben, die im Geiste eines "ohnmächtigen" und "hilflosen Antifaschismus" vor der AfD warnen oder gegen die rechtsautoritären Nationalisten den Vorwurf des "Landesverrats" erheben, merken dabei augenscheinlich nicht, dass jeder ihrer mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger geschriebene Artikel den Rechtsextremen mindestens ein paar Hundert neue Wähler zutreibt, weil deren sich ohnmächtig fühlenden Wähler die Angst der Herrschenden spüren und zum Glauben verleitet sind, durch ein Kreuz bei der AfD sich selbst zu ermächtigen und den verhassten Eliten eins auszuwischen.
Aber während sie verkennen, dass sie – mit Brecht gesprochen – doch eigentlich nur wie die Kälber sind, die der Trommel hinterhertrotten, für die sie das Fell selber liefern, verkennen die Liberalen vor allem eines: Es braucht für die Rückkehr der Gespenster der dunklen Vergangenheit keine Weidels und Höckes. Sie selbst, die Liberalen, sind es, die sie beschwören.
Die "innere Zeitwende" rehabilitiert in einer Weise Begriffe, Sprache, Politikstile und Mittel der nationalistischen und autoritären Rechten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, dass es dafür einer AfD gar nicht bedarf.
Zurück ist die "nationale Sicherheit", in deren Namen internationales (Investitions- und Handels-)Recht und das Völkerrecht, auf das man sich sonst gelegentlich beruft, gebrochen wird. Wieder da sind "Staatsräson", "Autarkie", die heute "De- Risking" heißt, Hochrüstung und die Aufforderung zur "Kriegstüchtigkeit", denn sonst steht, na klar, "in fünf bis acht Jahren" der Russe bei dir im Keller. Wieder wird vor "Kriegsmüdigkeit" im Volk gewarnt, finden öffentliche Gelöbnisse und Militärparaden vor Landesparlamenten statt und markiert eine "neue Lust auf Helden" die Rückkehr des "heroischen Denkens", das über den – an Verdun und den Ersten Weltkrieg gemahnenden und nicht zu gewinnenden – Stellungs- und Abnutzungskrieg in der Ukraine sagt: "das Gemetzel ist notwendig".
Entstanden ist ein neuer Gewaltkult, der – vollkommen geschichtsvergessen – nach innen nie zuvor gesehene Ausmaße der Gewalt von Jugendlichen mit Silvesterböllern beklagt, während er nach außen selbst nur noch die Sprache der Gewalt vorlebt und ausschließlich die Logik des Militärischen kennt.
Auf einmal wieder da ist eine politische Kultur des "Wer nicht hören will, muss fühlen", deren Losung "Waffen, Waffen und nochmals Waffen" ist und in der liberale Journalisten und ein grüner Wirtschaftsminister wie einst die Pimpfe vom Deutschen Jungvolk für die technischen Daten der allerneuesten Waffen-Systeme der Rüstungskonzerne schwärmen, um dann anschließend wie Ego Shooter vor der Mattscheibe Kill Counts gegen die als "Orks" entmenschlichten Feindsoldaten zu feiern und sich am Töten von Russen aus Weltrekordentfernung zu weiden. Kurz: das alles kehrt in Worten und Taten des "liberalen" Bürgertums zurück, dafür braucht es gar keine Nazis.
Es bedurfte keiner Faschisten für den beispiellosen Geschichtsrevisionismus
Es braucht sie nicht, um "Veteranentag" und Heldendenkmäler für Gefallene einzuführen oder für die Forderung nach "Wehrkunde im Schulunterricht". Es braucht sie nicht, um Holocaust-Mittäter wie Stepan Bandera zu Freiheitskämpfern umzudeklarieren.
Und es bedurfte auch keiner Faschisten mit Trademark und Copyright für den beispiellosen Geschichtsrevisionismus und die monströse Holocaustrelativierung, die Wladimir Putin mit Hitler gleichsetzt und den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine mit Hitlerdeutschlands Vernichtungskrieg im Osten, dessen Ziel im Rahmen des "Generalplan Ost" bekanntlich die Versklavung der Ostvölker und Vernichtung ihrer gesamten gesellschaftlichen Elite – wenigstens 30 Millionen Menschen – durch systematische Massaker an Unbewaffneten ("Kommissarbefehl") und systematisches Verhungernlassen (wie während der Leningrad-Blockade mit mehr als einer Million Ziviltoten) war und aus dem sich auch der Plan zur systematischen Ermordung des europäischen Judentums ergab.
Während Liberale es lieben, auf X (ehemals Twitter) vom "Putler" zu sprechen, war es mit Berthold Kohler ein FAZ-Herausgeber, der sogar noch vor Bekanntwerden des russischen Kriegsverbrechens von Butscha den Begriff "Vernichtungskrieg" für den Ukrainekrieg nutzte, selbstverständlich in vollem Bewusstsein, dass er damit Russlands Krieg gegen die Ukraine, den nach UN-Angaben in mehr als zwei Jahren mindestens 10.810 Zivilisten mit dem Leben bezahlt haben, gleichsetzt mit dem "Russlandfeldzug" der Nazis, die in unter vier Jahren 27 Millionen Sowjetbürgerinnen und Sowjetbürger aus der Ukraine, Belarus und Russland töteten, etwa die Hälfte davon Zivilistinnen und Zivilisten.
Dabei war es das Europäische Parlament, das vor vier Jahren mit den Stimmen der Liberalen und im Geist der NPD und des Geschichtsrevisionismus von Ernst Nolte der Sowjetunion die (Mit-)Schuld für den Zweiten Weltkrieg gab, während die taz und die "Grüne Jugend" Höckes "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gleich in Eigenregie vollzogen, als die Berliner Tageszeitung unter dem Titel "Putin ist der neue Stalin" ihrer grünalternativen Leserschaft erklärte, "die tatsächliche Geschichte des Zweiten Weltkrieges" sei, "dass Stalin diesen Krieg geplant hatte (…), lange bevor Hitler an die Macht kam", und die "Grüne Jugend" gleich noch das "Unternehmen Barbarossa" zum Höhepunkt der "Siedlungseroberung" eines russischen "Kolonialstaats" erklärte und damit den Nazis und ihrer für sich reklamierten "europäischen Sendung" zur Befreiung der "Ostvölker" die rückwirkende Legitimation erteilte.
Es sind Liberale, die jetzt schon für die Zeit nach dem Ukrainekrieg rüsten und fordern, der "Pazifismus darf nicht wieder auferstehen".
Im Übrigen bedarf es auch für einen antifeministischen Rollback keiner rechtsextremen Incel- und "Männerbewegung". Als Björn Höcke vor sieben Jahren bei Pegida in Dresden eine unverweichlichte "Männlichkeit" als Voraussetzung von "Wehrhaftigkeit" forderte, wurde er als ewiggestrig gescholten.
Im Zuge der "inneren Zeitenwende" kommen dieselben Forderungen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte, wenn zum Beispiel der Literaturwissenschaftler, SZ-Redakteur und Theodor-Wolff-Preisträger Tobias Haberl ("Der gekränkte Mann") im Spiegel aufklärte, der "deutsche Großstadtmann", der "kochen kann", sei mit seinen "gepunkteten Socken" "zu weich für die neue Wirklichkeit", weswegen ein Zurück zur "nötigen Härte" und der "Streitkultur seiner Väter" fällig sei, denen – aber ja nur zu unserem Besten! – regelmäßig die Hand ausrutschte, weil sie eben noch wussten, dass sich "nicht jedes Problem wegdiskutieren lässt".
Es sind Liberale, für die es zur neuen Normalität gehört, ihre Gegner wie Kritiker von (einseitigen) Waffenlieferungen als "Lumpenpazifisten", "gewissenlose" "Unterwerfungspazifisten", "Friedensschwurbler", "Putins willige Helfer" oder gleich als "Totengräberinnen der Ukraine" und "Secondhand-Kriegsverbrecher" zu bezeichnen.
Es sind Liberale, die jetzt schon für die Zeit nach dem Ukrainekrieg rüsten und fordern, der "Pazifismus darf nicht wieder auferstehen".
Es war die liberale Zeit, die am 80. Jahrestag der "Wollt ihr den totalen Krieg?"-Rede von Joseph Goebbels das Interview einer linken Liberalen, Eva Illouz, betitelte mit: "Ich wünsche mir einen totalen Sieg", um diese dann unter dem Jubel des tagaus tagein die Trommel rührenden Perlentauchers, ausführen zu lassen, dass sie sich diesen "totalen und vernichtenden Sieg für die Ukraine" wünsche, "weil die Russen täglich Verbrechen gegen die Menschlichkeit verüben, die nicht ungesühnt bleiben dürfen" und "weil Putin die ideellen Werte Europas bedroht."
Kurz, für all das braucht es keine extreme Rechte. Dieselben Leute, die heute die Konservativen davor warnen, als Lehre aus der Geschichte von 1933 ja nicht die "Brandmauer" einzureißen, während sie, wie Ursula von der Leyen, in Europa die "Post-Faschistin" Meloni küssen, wo sie sie treffen, bemerken gar nicht den Flammenwerfer in der eigenen Hand, mit dem sie das Land längst angezündet haben.
Insbesondere der "linke" Flügel des Bürgertums legt sich in Sachen innere Zeitenwende besonders ins Zeug
Dabei muss auffallen, dass es eben nicht nur ewiggestrige Konservative von der "Stahlhelm-Fraktion" sind, sondern gerade der "linke" Flügel des Bürgertums, der sich in Sachen innere Zeitenwende besonders ins Zeug legt.
Sicher, es war der CDU/CSU-Außenminister im Wartestand, Roderich Kiesewetter, der vor wenigen Wochen forderte, dass der "Krieg nach Russland getragen werden" müsse und man "alles tun" sollte, dort nicht nur "russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere" oder "Ölraffinerien", sondern auch "Ministerien" "zu zerstören". Aber der liberale Extremismus, der sich dadurch auszeichnet, dass er keine Rücksicht auf reale Gegebenheiten, Risiken und realistische Ziele nimmt, sondern in seinem auf selbstgerechtem Moralismus fußenden Fanatismus gegen den "Totalitarismus" selber totalitäre Züge an den Tag legt und keine Mittelbeschränkung zur Erreichung seiner Ziele erkennen lässt, hat seine Ursprünge letztlich in einem bis heute ungebrochenen Avantgardismus der Ex-Maoisten in der Partei Die Grünen.
"Kriegstüchtigkeit" wiederum forderte ein sozialdemokratischer "Verteidigungsminister". Bei den Forderungen nach pauschal weiteren 100, 200, 300 Milliarden Euro für die Bundeswehr bei gleichzeitigen Sozialkürzungen, versteht sich, war Roderich Kiesewetter bloß das Echo der SPD-Politiker Scholz, Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, und Pistorius.
Vor "Kriegsmüdigkeit" wiederum warnte eine grüne Außenministerin, die sich zu Karneval gerne als "Leopard"-Panzer verkleidet hätte und sich im Ergebnis eines tief blicken lassenden Freud’schen Versprechers längst "im Krieg mit Russland" sieht.
Es war der grüne Wirtschaftsminister, der bei Maybrit Illner über die Panzerhaubitze 2000 ins Schwärmen geriet: "Die kann richtig was!".
Es war die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie- Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die auf die Frage der "heute-Show", ob sie denn gedient habe, antwortete, sie sei "gut für den Volkssturm".
Das linksliberale Bürgertum korrigiert heute öffentlichkeitswirksam seine Geisteshaltung
Und die Forderung nach "Waffen, Waffen und nochmals Waffen" wiederum stammte ebenfalls von einem grünen Bundespolitiker, in diesem Fall Anton Hofreiter, der auch systematisches Aushungern wieder zum Prinzip deutscher Machtpolitik machen will. Als Beispiel für die von ihm markig geforderte Außenpolitik, die – im Geist von "Blut und Eisen" und "Macht ist das größte Aphrodisiakum" – endlich wieder "mit dem Colt auf dem Tisch verhandel(t)", schlug er im Dezember 2022 im Interview mit der "Berliner Zeitung" vor, mit der Kornkammer Ukraine am Wickel zukünftig 1,4 Milliarden Chinesen – denn womöglich "wagt" es mal wieder einer von ihnen, uns Deutsche "scheel anzusehen"! – offen den Hungertod anzudrohen: "Wenn uns ein Land Seltene Erden vorenthalten würde, könnten wir entgegnen: 'Was wollt ihr eigentlich essen?‘"
Es sollte also auch nicht verwundern, dass es das linksliberale Bürgertum ist, das heute öffentlichkeitswirksam seine Geisteshaltung korrigiert und durch symbolische Gelübde seine Loyalität zum Vaterland beweist, als wäre es noch einmal August 1914. Die Liste derjenigen, die es für nötig hielten, symbolisch ihre Wehrdienstverweigerung zurückzuziehen und den Fahneneid auf die Nation in Waffen zu schwören, ist lang. Sie reicht von Scholz und dem "grünalternativen" Wirtschaftsminister Robert Habeck über gealterte Intellektuelle, Journalisten und Schriftsteller wie Ralf Bönt ("Das entehrte Geschlecht"), Stern-Redakteur Thomas Krause und den taz-Redakteur Tobias Rapp bis zu anderen Personen des öffentlichen Lebens wie dem evangelischen Bischof Ernst-Wilhelm Gohl, dem Komiker Wigald Boning und dem "ewigen Hofnarr" Campino von der bekannten Schlagerband "Die Toten Hosen".
Vor diesem Hintergrund war es auch nur folgerichtig, dass Rapp als ehemaliger Redakteur und bis heute Mitherausgeber der "linksradikalen" Jungle World jüngst im Spiegel auch den "Veteranentag" begrüßte als einen "großen Schritt weg von alten Lebenslügen": "Eine Gesellschaft" könne nun "sagen: Wir können die Last nicht von euren Schultern nehmen, die es heißt, gekämpft und möglicherweise getötet zu haben. Aber wir können euch einmal im Jahr eine Bühne geben und an diese Last erinnern. Es war nicht sinnlos."
Theodor W. Adorno: weniger Angst vor der extremen Rechten als vor der rechten Radikalisierung der "Mitte"
Es war Theodor W. Adorno, der einmal schrieb, er habe weniger Angst vor der extremen Rechten als vor der rechten Radikalisierung der "Mitte", vor der Rückkehr des Nationalistischen, Autoritären und Faschistischen in der Sprache der Demokratie.
Wer heute glaubt, die Rechte am besten mit ihren eigenen Waffen schlagen zu können, von der Übernahme ihrer Migrationspolitik, ihres Kulturkampfes und ihrer Begriffe und Politikmittel aus dem "Zeitalter der Katastrophen" (Eric Hobsbawm), der betreibt ihr eigentliches Geschäft.
Kurzfristig mögen die Umfragewerte der AfD in Folge der Skandalisierung der Machenschaften ihres Spitzenkandidaten für die Europawahl heruntergehen. Langfristig mag man sich in der AfD zurücklehnen, weil man weiß: "Rechts wirkt". Das Land rast mit atemberaubendem Tempo in eine rechte Vergangenheit; aber im Führerstand stehen nicht Björn Höcke und Maximilian Krah, sondern die Liberalen selbst.
„Unnötig Angst vor dem Atomtod“
Mit ersten Protesten aus der Bevölkerung und denunziatorischen Tiraden gegen Kritiker beginnt der neue Konflikt um die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland.
Experten warnen, die Stationierung könne die atomare Aufrüstung anheizen und verstärke die Gefahr eines Atomkriegs.
Die Bundesregierung hatte am Rande des NATO-Jubiläumsgipfels eine entsprechende Stationierungsvereinbarung mit der US-Administration unterzeichnet; sie sieht vor, bis 2026 US-Marschflugkörper des Typs Tomahawk, SM-6-Lenkraketen und Hyperschallraketen des Typs Dark Eagle in Deutschland aufzustellen. Mit den Waffen können nicht nur Sankt Petersburg und Moskau erreicht werden. Es ist auch möglich, zentrale Elemente der russischen Nuklearstreitkräfte auszuschalten – beispielsweise das Frühwarnsystem, das kürzlich die Ukraine attackierte. Experten warnen, Moskau könne deshalb auf die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland „mit Änderungen seiner Nukleardoktrin“ antworten; im Kriegsfall sei sogar ein „präemptiver“ Atomangriff auf die Raketenstellungen denkbar.
Außenministerin Annalena Baerbock nennt Protest gegen die Raketenstationierung „verantwortungslos“. In einer Zeitschrift der Evangelischen Kirche heißt es, „Desinformationsschleudern“ schürten „unnötig Angst vor dem Atomtod“.
Der Bruch des INF-Vertrags
Die Bundesregierung hat in einem Schreiben an die Bundestagsausschüsse für Äußeres und für Verteidigung ihre Entscheidung, die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen auf deutschem Territorium zuzulassen, mit der Behauptung begründet, Russland habe – zunächst unter Bruch des INF-Vertrags – „bodengestützte Mittelstreckensysteme entwickelt“ und sich trotz mehrfacher Aufforderung der westlichen Staaten geweigert, das zu unterlassen.[1] Die Behauptung verkürzt die reale Entwicklung sinnentstellend. So hat Washington, bevor es am 1. Februar 2019 den INF-Vertrag kündigte, nie Beweise dafür vorgelegt, dass Moskau tatsächlich an der Entwicklung von Mittelstreckenwaffen arbeite.[2] Es hat aber eingeräumt, seinerseits Ende 2017 die Entwicklung solcher Waffen gestartet zu haben. Recherchen der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN), die im Jahr 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, belegen, dass die USA spätestens im Oktober 2018 Aufträge in Milliardenhöhe für Entwicklung und Bau neuer Raketen vergaben.[3] Ziel war es, Mittelstreckenwaffen in der Asien-Pazifik-Region zu stationieren – mit Angriffsziel China. Letzteres hat Washington kürzlich auf den Philippinen begonnen, allerdings vorläufig nur für einige Monate (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Eine dauerhafte dortige Stationierung schieben die USA noch hinaus.
Erhöhte Atomkriegsgefahr
Anders als in der Asien-Pazifik-Region will Washington Mittelstreckenwaffen schon 2026 dauerhaft in Deutschland stationieren.
Es handelt sich um Tomahawk-Marschflugkörper, SM-6-Lenkraketen und Hyperschallraketen des Typs Dark Eagle. Die Tomahawk und die Dark Eagle können nicht nur Sankt Petersburg, sondern auch Moskau erreichen. Besonders im Fall der Dark Eagle erhöht dies wegen der massiv verkürzten Vorwarnzeiten – und weil die Hyperschallrakete, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) festhält, ohnehin „kaum zu stoppen“ ist [5] – die Spannungen erheblich. Dies gilt umso mehr, als Russland, wie es in einem aktuellen Fachbeitrag heißt, in Betracht ziehen muss, dass im Kriegsfall die Dark Eagle zentrale Elemente seiner Nuklearstreitkräfte zerstören könnte, etwa Radaranlagen [6]; einen Testlauf für einen Angriff auf das russische Frühwarnsystem gegen Nuklearwaffen haben erst kürzlich die ukrainischen Streitkräfte unternommen (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Denkbar sei deshalb, heißt es in dem Fachbeitrag weiter, dass Moskau auf die Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland „mit Änderungen seiner Nukleardoktrin“ antworte. Sollte Russland zudem zu der Auffassung gelangen, es könne seine Nuklearstreitkräfte nicht verlässlich gegen die Dark Eagle verteidigen, seien im Kriegsfall sogar „präemptive“ Atomangriffe auf deren Stellungen möglich.[8]
Anders als 1979
Mit Blick auf die dramatischen Gefahren werden inzwischen erste Proteste laut.
So forderte etwa am vergangenen Freitag eine Kundgebung in Potsdam eine umgehende Rücknahme des Vorhabens, US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland zu stationieren.[9] Am Montag äußerte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, als erster – und bislang einziger – Politiker einer der drei Berliner Regierungsparteien, man dürfe „die Risiken dieser Stationierung nicht ausblenden“.[10] Angesichts der äußerst kurzen Vorwarnzeit der Raketen sei „die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ... beträchtlich“, warnte Mützenich; dabei besitze die NATO bereits ohne die Mittelstreckenwaffen „eine umfassende, abgestufte Abschreckungsfähigkeit“. „Mir erschließt sich auch nicht“, fuhr Mützenich fort, „warum allein Deutschland derartige Systeme stationieren soll“. Zu letzterem Aspekt hieß es bereits in dem erwähnten Fachbeitrag, die Tatsache, dass eine Stationierung ausschließlich in Deutschland geplant sei, unterscheide die aktuelle Maßnahme vom NATO-Doppelbeschluss im Jahr 1979: Damals habe Bundeskanzler Helmut Schmidt „noch darauf hingewirkt, eine derartige Singularisierung unbedingt zu vermeiden“.[11] Zudem sei die damalige Maßnahme „mit einem Angebot zur Rüstungskontrolle verbunden“ gewesen. Heute hingegen sei dies nicht der Fall.
„Verantwortungslos, naiv“
Während Beobachter warnen, „keinesfalls“ dürfe „der Eindruck entstehen“, die Bevölkerung werde „ohne Risikoabwägung vor vollendete Tatsachen gestellt“ [12], attackieren Politiker sowie Militärexperten jede Stellungnahme gegen die Stationierung der Mittelstreckenwaffen auf das Schärfste.
„Wir“ müssten „uns und unsere baltischen Partner schützen, auch durch verstärkte Abschreckung und zusätzliche Abstandswaffen“, behauptete Außenministerin Annalena Baerbock und erhob pauschal gravierende Vorwürfe gegen Kritiker:
„Alles andere wäre nicht nur verantwortungslos, sondern auch naiv gegenüber einem eiskalt kalkulierenden Kreml“.[13]
Weshalb es „verantwortungslos“ sein soll, Einwände gegen die Stationierung von Waffen zu erheben, die nach Einschätzung von Experten die Atomkriegsgefahr erhöhen, erläuterte die Ministerin, deren Partei einst der Friedensbewegung nahestand, nicht.
„Desinformationsschleudern“
Zu Baerbocks Partei hat sich vergangene Woche Frank Sauer geäußert, ein Privatdozent an der Münchener Universität der Bundeswehr.
„Bei der grünen Basis“ gebe es „schon seit langem ein Umdenken“, hielt Sauer fest:
„Ein Pazifismus im Stile der Bonner Republik wirkt heute für viele ... aus der Zeit gefallen.“[14]
Unabhängig davon, ob er „bei der Böll-Stiftung in Berlin oder bei einem Lokalpolitiker [der Grünen, d. Red.] in Bayern zu Gast“ sei: „Die meisten nehmen die Bedrohung durch Putin als gefährlicher wahr als eine westliche Aufrüstung.“
Jegliche Kritik an der Stationierung der Mittelstreckenwaffen denunziert Sauer, indem er erklärt, „das Bündnis Sahra Wagenknecht und die AfD“ schürten „falsche Ängste“:
Beide seien nur „Desinformationsschleudern“ und wollten „den Menschen jetzt aus innenpolitischen Motiven unnötig Angst vor dem Atomtod einreden“.[15]
Sauers Aussage ist über ein Interview mit Chrismon an die Öffentlichkeit getragen worden, der Zeitschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Mehr zum Thema: Moskau in Schussweite.
[1] Thomas Wiegold: Dokumentation: die – nun doch anlaufende? – Debatte über US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. augengeradeaus.net 20.07.2024.
[2] Till Ganswindt: Wer ist für den Bruch des INF-Abrüstungsvertrages zu Mittel- und Langstreckenraketen verantwortlich? mdr.de 16.07.2024.
[3] S. dazu Abschied vom INF-Vertrag (III).
[4] S. dazu moskau-in-schussweite
[5] Jonas Schneider, Torben Arnold: Gewichtig und richtig: weitreichende US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. SWP-Aktuell 2024/A 36. 18.07.2024.
[6] Alexander Graef, Tim Thies, Lukas Mengelkamp: Alles nur Routine? ipg-journal.de 16.07.2024.
[7] S. dazu Die Erweiterung des Schlachtfelds.
[8] Alexander Graef, Tim Thies, Lukas Mengelkamp: Alles nur Routine? ipg-journal.de 16.07.2024.
[9] Matthias Krauß: Keine Atomwaffen für Brandenburg. nd-aktuell.de 19.07.2024.
[10] Thomas Wiegold: Dokumentation: die – nun doch anlaufende? – Debatte über US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. augengeradeaus.net 20.07.2024.
[11], [12] Alexander Graef, Tim Thies, Lukas Mengelkamp: Alles nur Routine? ipg-journal.de 16.07.2024.
[13] „Alles andere wäre naiv“. tagesschau.de 21.07.2024.
[14], [15] Constantin Lummitsch: „Sahra Wagenknecht und die AfD schüren falsche Ängste“. chrismon.de 17.07.2024.
Chinas politische Signale und Programmatik: Modernisierung von Wirtschaft und Staat, Reformvorhaben, Wirtschaftsstabilität
Gliederung der Ausführungen
- Die Zielsetzung der 3. Plenartagung
- Hohe Erwartungen
- Die Halbjahres-Bilanz der chinesischen Wirtschaft
- Höhepunkte des Wachstums – und seine Lücken
- Communique der 3. Plenartagung. Die Rahmenvorgaben für Modernisierung, Reformen und weitere Öffnung
- Ein Zwischenfazit
- Die Zielsetzung der 3. Plenartagung
Die 3. Plenartagung der führenden Gremien der politischen Führung Chinas ist eine der wichtigsten Sitzungen des Landes für Entscheidungen und politische Richtungsweisungen. Sie stand in diesem Jahr ganz im Zeichen von Reformen und der Modernisierung von Wirtschaft und Staat.
Reformen? Wie passen Reformen zu einem kommunistischen Staat, der sich unbeeindruckt von den Versuchen der westlichen politisch-militärischen Machtzirkeln dagegen verwahrt, den seit 1949 konzipierten Weg des Aufbaus eines sozialistischen Landes aufzugeben und konsequent eine sozialistische Gesellschafts-Entwicklung chinesischer Prägung anzugehen?
In der Tat, die chinesische Auslegung von Reformen, die auf der 3. Plenartagung 1978 unter Deng Xiaoping begannen, belegen einen entscheidenden Wendepunkt in der wirtschaftlichen Entwicklung des sozialistischen Landes. Diese Reformen führten China auf einen Kurs der wirtschaftlichen Öffnung und Reform, der eine rasante Entwicklung ermöglichte. Die wichtigsten Aspekte dieser Reformen umfassten:
- Die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in die sozialistische Planwirtschaft, was als sozialistische Marktwirtschaft mit chinesischen Merkmalen definiert ist,
- Die Öffnung des chinesischen Marktumfeldes zur Beschleunigung der bedarfsgerechten Versorgung und Bereitstellung von Produkten und der damit auch zugestandenen Stärkung des Eigeninteresses kapitalistischer Wirtschaftsteilnehmer, ein pragmatisches Zugeständnis für ausländische Investitionen und Technologien,
- Die staatliche Dezentralisierung und Liberalisierung auf den vertikalen und regionalen Ebenen. (1)
In der politischen Auseinandersetzung der letzten 100 Jahre sind (vermutlich) zentnerweise Begründungen, system-kritische Analysen und Empfehlungen entstanden, die sich mit der Frage von Reformen auch in einem sozialistisch strukturierten Gesellschaftssystem befassten. Aber das soll an dieser Stelle nur als eine Anregung verstanden werden, um sich gegebenenfalls intensiver mit der Kultur, Politik und Gesellschaftsentwicklung der Volksrepublik China zu befassen und die eine oder andere vorgeprägte Meinung über das Land China zu überdenken.
Im folgenden Beitrag geht es aber um die aktuellen Reformen und Richtungsweisungen, die im Mittelpunkt der 3. Plenartagung des Zentralkomitees und seinen ständigen Ausschüssen standen. (2)
- Hohe Erwartungen
Die Bedeutung dieses Treffens im Juli 2024 lag darin, eine Bewertung der aktuellen sozial-ökonomischen Situation in seiner Komplexität vorzunehmen. So standen Fragen an zur dynamischen Fortschreibung und Modernisierung der wirtschaftlichen, sozialen und staatlichen Bestandteile der chinesischen Gesellschaft sowie die Erörterung der politischen Leitlinien für Reformvorhaben und Modernisierungs-Ansätze in den erkannten Problemfeldern.
Eine zentrale Rolle spielte auch die Thematik einer weiteren Öffnung mit all seinen Konsequenzen; einen besonderen Stellenwert nahmen dabei Themen der Zulassung und Förderung unternehmerischer Aktivitäten ausländischer Firmen ein.
Reformen sind in diesem, chinesischen, Kontext als Modernisierungspfad der chinesischen Gesellschaft zu begreifen. Reformvorhaben kennzeichnen also eine planmäßige Umgestaltung oder Verbesserung bestehender Strukturen. Eine Abkehr von den Grundprinzipien des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft und deren grundlegenden geistigen und kulturellen Fundamenten war und ist nach der vorherrschenden kommunistischen Gesellschafts-Ideologie Chinas nicht beabsichtigt.
Existierende Schwachstellen wie etwa die anhaltend ungleiche Einkommensentwicklung, die regionalen Unterschiede der Lebens- und Arbeitsbedingungen, die fehlenden Ausbildungs- und Jobangebote gerade in den Bereichen der Fortschritts-Industrie und der zu erwähnenden Problemzone Immobilienmarkt lassen sich als die reformbedürftigsten Problembereiche angeben. (3) Siehe als ergänzende Beschreibung hierzu die vor der Plenartagung erstellte Analyse von Wolfgang Müller: Justiert China die Wirtschaftspolitik neu? Debatten vor dem Dritten Plenum des ZK der KP, Sozialismus.de, Heft 7/8-2024
Die Bedeutung von Öffnung für das Marktumfeld
Im Vorfeld der Plenumstagung entstanden eine Reihe von Analysen, die sich mit der Bedeutung der Öffnung, einer pragmatischen Öffnung für westliches Kapital zur Förderung der eigenen Wirtschaft und auch der internationalen Kooperation im Rahmen der Mitwirkung in globalen Organisationen befaßten; beispielhaft für Letzteres ist dafür vor allem die Mitgestaltung in der UN und in der Welthandelsorganisation (WHO) zu nennen. (5)
Neben der grundlegenden Beibehaltung der Staatsführung und der bewährten Wirtschaftspolitik sind die Bereitschaft zur Veränderung von Strukturen und die pragmatische Bereitschaft zur Öffnung nach meinem Verständnis die zentralen Faktoren, die China zur 2. größten Wirtschaftsmacht gemacht haben. Die Türen offen zu halten und Platz für pragmatische Experimente einräumen, sind nach wie vor integrale Bestandteile des wirtschaftlichen Erfolgs Chinas, vor allem, wenn es den dringend notwendigen Wandel zu einem wissensbasierten, fortschrittlichen Produktionszentrum angeht.
Nach Meinung von Experten sollte China seine Unternehmer dazu befähigen, die Wettbewerbsfähigkeit sowohl privater als auch staatlicher Unternehmen experimentell und zukunftsorientiert zu steigern. Der Wirtschaftswissenschaftler Keyu Jin hat auf das Nachfragedefizit und den Vertrauensverlust in den Privatsektor als Hindernisse für Chinas Erholung nach der Pandemie hingewiesen. (6) Chinesische Wirtschaftsexperten plädierten im Vorfeld der Plenartagung auch für eine kontinuierliche Öffnung für Ausländer, egal ob es sich um Touristen, Studenten oder qualifizierte Arbeitskräfte handle. Zheng Yongnian, Politikwissenschaftler und Professor an der chinesischen Universität von Hongkong in Shenzhen, rief China dazu auf, wenn erforderlich auch eine einseitige Öffnung gegenüber dem Rest der Welt zu wagen.
Die Anzeichen mehren sich, dass die politische Führung den Anforderungen und Interessen ausländischen Unternehmen durch weitere Zugeständnisse zu ihren Aktivitäten in China entgegenkommen will. Dazu gehören etwa die Lockerung der Visa-Beschränkungen für Nicht-Chinesen und die Aufnahme Australiens und Neuseelands in die Liste der Länder, die schon von der Visumspflicht befreit sind. (7)
Der Abbau von administrativen Hindernissen bei der rechtlichen Registrierung, Geschäftsstreitigkeiten und der unzureichenden Transparenz der einzuhaltenden Vorschriften gehört nach Experten-Meinung zu den Arbeitsfeldern der Öffnung, die einer Bereitschaft der unternehmerischen Tätigkeit in China entgegenkommen würde.
Und ein weiteres zu erwähnendes Thema der Öffnung ist die konsequente Beibehaltung des konstruktiven Dialogs mit wohlmeinenden Gesprächspartnern, die das Ansehen von China, auch in westlichen Gesellschaften, fördern können.
Das unterstreicht auch das Ansinnen Chinas, im immer härter werdenden internationalen Wettbewerb den eigenen Einfluß beizubehalten und auszubauen.
Wie die rasche sozio-ökonomische Entwicklung des Landes in den letzten mehr als 40 Jahren zeigt, sind Öffnung und Reformen zu wirksamen Instrumenten geworden, mit denen die Partei und das Volk große Fortschritte machen können, um mit der Zeit Schritt zu halten.
John Ross: How China will continue achieving its high-quality development, Senior Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies an der Renmin University of China. (8)
Die 3. Plenartagung war nach Meinung der Veranstaltet problem- und ergebnisorientiert angelegt und hat die Voraussetzungen geschaffen für eine intensive, offene und konstruktive Diskussion über praktikable Lösungen, die dem Land helfen sollen, einige große Hindernisse auf seinem Weg zu nachhaltigem Wachstum zu überwinden und gleichzeitig seine langfristige strategische Autonomie zu bewahren.
Während mehrheitlich die Presse-Stimmen im Westen im Vorfeld des Plenums wenig Objektivität bei der Beurteilung der Reformbemühungen walten ließen und das Halbjahres-Ergebnis der Wirtschaft ideologisch begründet eher unsachlich kommentierten, war die Plenartagung ein Ausdruck von Zielstrebigkeit und politischer Programmatik eines anders organisierten Staates, der einfach in einem schlechten Licht erscheinen muß. (9)
- Die Halbjahres-Bilanz der chinesischen Wirtschaft
Während sich Chinas Spitzenpolitiker auf das dritte Plenum des 20. Zentralkomitees vorbereiteten, hat das Nationale Büro für Statistik, NBS die aktuellen Zahlen der gegenwärtigen Wirtschaftsentwicklung Chinas bekanntgegeben, die Halbjahres-Bilanz 2024.
Nach den Vorläufigen Schätzungen des Nationalen Statistischen Amtes, NBS stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der ersten Jahreshälfte 2024 um 5,0 Prozent
(gegenüber Vorjahr).
Aufgeschlüsselt nach Quartalen stieg das BIP im ersten Quartal um 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr und im zweiten Quartal um 4,7 Prozent, was quartalsweise einem leichten Rückgang im ersten Quartal entspricht.
Chinesische Behörden und Analysten wiesen darauf hin, dass es sich bei dieser Verlangsamung um eine kurzfristige Schwankung handle, die die Wirtschaft nicht von ihrem anhaltenden Erholungsschwung abbringen werde. Die Fundamentaldaten der Wirtschaft seien nach wie vor positiv und würden sich in der zweiten Jahreshälfte verbessern. Dafür sind eine Reihe herausragender wirtschaftlicher Triebkräfte anzugeben, darunter die laufende Modernisierung der Industrie, robuste Exporte sowie umfangreiche Investitionen in die High-End-Produktion. (10)
Aufgeschlüsselt nach Wirtschaftszweigen stieg die Wertschöpfung in der Primärindustrie um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während die Sekundärindustrie einen Anstieg von 5,8 Prozent verzeichnet und der Sektor der Dienstleistungen einen Anstieg von 4,6 Prozent aufweist.
Jahresziel im Fokus
Das BIP-Wachstum von 5 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2024 entspricht dem Ziel, das sich die Regierung zu Beginn des Jahres gesetzt hat.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Daten zitierten einige westliche Medien jedoch die Verlangsamung im zweiten Quartal als eher negative Entwicklung der chinesischen Wirtschaft. Einige übertrieben den Abwärtsdruck, dem das Land ausgesetzt sei und deuteten unvermittelt an, dass China von seinem jährlichen BIP-Ziel abrücken werde. Blickt man aber auf die nach dem Covid-Einbruch verlaufende Wachstumskurve, bewegt sich das Wachstum (im Gegensatz z.B. der deutschen Wirtschaft) auf einem bemerkenswert konstanten hohen Niveau.
Die amtliche Statistik räumte zwar eine gewisse Belastung der aktuellen Wirtschaftstätigkeit ein, erklärte jedoch, dass die Verlangsamung im Zeitraum April bis Juni auch durch kurzfristige Faktoren wie extreme Wetterbedingungen und häufige Regen- und Flutkatastrophen beeinflusst wurde. Das stabile Wachstum von 5 Prozent in der ersten Jahreshälfte bringe China auch auf einen guten Weg, sein Ziel eines Wirtschaftswachstums von rund 5 Prozent für das gesamte Jahr zu erreichen, so die Ökonomen.
"Die chinesische Wirtschaft ist trotz eines komplexen globalen und nationalen Umfelds stabil geblieben und hat [in den ersten sechs Monaten] nicht nur ein quantitatives Wachstum, sondern auch eine qualitative Verbesserung erzielt. Dies ist ein lobenswertes und solides wirtschaftliches Zeugnis."
NBS-Sprecher,15. Juli 2024
- Höhepunkte des Wachstums – und seine Lücken
Analysten zufolge ist das Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr "stabil und moderat" und spiegelt prinzipiell ein umfassendes Bild des Aufschwungs der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach dem Covid-Einbruch wider. Sie befindet sie sich in einer Phase des Wandels, in dem die Entwicklung neuer Triebkräfte durch ergänzende Impulse zur Förderung der Produktivkraftentwicklung Wirkung zeigen. Die Industrietätigkeit ist nach wie vor der wichtigste Motor für die Wirtschaft, was zum Teil auf die robuste Nachfrage aus dem Ausland zurückzuführen ist. Die Wertschöpfung von Industrieunternehmen ab einer bestimmten Größe stieg in den ersten sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahr um 6 %, wobei die Entwicklung neuer, qualitativ hochwertiger Produktivkräfte spürbar an Fahrt gewann. (11)
Hierzu sind eine Reihe aktueller Zahlen zur Halbjahres-Bilanz der Wirtschaftstätigkeit in der folgenden Tabelle zusammengestellt:
Zu einigen der in der Tabelle dargestellten Werte anbei einige ergänzende Anmerkungen:
Anmerkung 1:
Eine Analyse nach Eigentumsverhältnissen ergab, dass die Wertschöpfung von Unternehmen in staatlicher Hand um 4,6 Prozent, die von Unternehmen in Aktienbesitz um 6,5 Prozent, die von Unternehmen, die von ausländischen Investoren oder Investoren aus Hongkong, Macao und Taiwan finanziert werden, um 4,3 Prozent und die von privaten Unternehmen um 5,7 Prozent zunahm.
Anmerkung 2:
Im ersten Halbjahr belief sich der Gesamtwert der Warenein- und -ausfuhren auf 2.912 Mrd. $, was einem Anstieg von 6,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Der Gesamtwert der Ausfuhren belief sich auf 1.698,2 Mrd.$, ein Anstieg um 6,9 Prozent.
Der Gesamtwert der Einfuhren belief sich auf 1.265,46 Mrd. $, ein Anstieg um 5,2 Prozent.
Anmerkung 3:
Im ersten Halbjahr erreichten die Anlageinvestitionen (ohne ländliche Haushalte) 3,44 Billionen $, was einem Anstieg von 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Unter Abzug der Investitionen in die Immobilienentwicklung stiegen die Anlageinvestitionen um 8,5 Prozent.
Im Einzelnen wuchsen die Investitionen in die Infrastruktur um 5,4 Prozent,
die in das verarbeitende Gewerbe um 9,5 Prozent und in die Immobilienentwicklung um
10,1 Prozent.
Anmerkung 4:
In der ersten Jahreshälfte stieg der Verbraucherpreisindex (VPI) um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während der Index im ersten Quartal auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr blieb. Aufgegliedert nach Warenkategorien sanken die Preise für Nahrungsmittel, Tabak und Alkohol um 1,4 Prozent, für Bekleidung um 1,6 Prozent, für Wohnungen um 0,2 Prozent, für Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs um 0,9 Prozent, für Verkehr und Nachrichtenübermittlung um 0,7 Prozent, für Bildung, Kultur und Freizeit um 2,0 Prozent, für medizinische Dienstleistungen und Gesundheitsversorgung um 1,4 Prozent und für sonstige Waren und Dienstleistungen um 3,3 Prozent.
Bei den Preisen für Nahrungsmittel, Tabak und Alkohol sank der Preis für frisches Obst um 7,8 Prozent, für frisches Gemüse ging die Preisgestaltung um 2,7 Prozent zurück, Schweinefleisch blieb unverändert und Getreide stieg um 0,5 Prozent.
Der Kernverbraucherpreisindex ohne die Preise für Nahrungsmittel und Energie stieg im Jahresvergleich um 0,7 Prozent. (12)
Generell blieb die Wirtschaftsleistung des Landes im ersten Halbjahr stabil, und es wurden stetige Fortschritte bei der Transformation und Modernisierung erzielt.
Die Bewertungen ernstzunehmender Analysten der wirtschaftlichen Situation stimmen mit den kritischen Einschätzungen der Führungskreise und Arbeitsgremien auf der 3. Plenartagung weitgehend überein, dass ein nicht zu übersehendes Potential zur Wirtschaftsbelebung besteht. Die nach wie vor auffälligen Lücken, oder anders ausgedrückt, Krisenerscheinungen, wie z. B. die Immobilienkrise mit einem riesigen Bestand an unfertigen Wohnungen, oder des offensichtlich zu langsam anwachsenden Arbeitsmarktes für junge Menschen, die ihre Berufsqualifikation in modernen IT- und Dienstleistungsbereichen sehen, stellen die staatlichen Gremien und Unternehmen vor ernstzunehmende, aber lösbare Herausforderungen.
So bewegt sich etwa die Arbeitslosigkeit im Kern auf einem konstanten überschaubaren Niveau, aber entsprechend den Anforderungen der Entwicklung der zukunftsorientierten Industriebereiche stehen offenbar zu wenige Arbeitsplätze zur Verfügung. (13)
Der Anteil von Chinas gesamter Wirtschaftsleistung an der Weltwirtschaft ist von etwa 12,3 Prozent vor über einem Jahrzehnt auf jetzt etwa 18 Prozent gestiegen. Chinas Beitrag zum globalen Wirtschaftswachstum lag in den letzten Jahren bei etwa 30 Prozent.
Neuere Zahlen einer Langfristprognose vermuten jedoch einen Rückgang des chinesischen Beitrags zur globalen Wirtschaftsleistung. Hier sieht sich die politische Führung auch deshalb in der Verantwortung, mit entsprechenden Maßnahmen den bestehenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss im Weltgeschehen aufrechtzuerhalten.
Die bemerkenswerte Entwicklung Chinas von einem der ärmsten Länder der Welt im Jahr 1949 zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt in nur etwas mehr als 70 Jahren ist nach Experten-Meinung vor allem auf die beständige Rolle und richtungsweisende Führung der KPCh zurückzuführen. Nach Auffassung von John Ross, Senior Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies an der Renmin University of China könne nachweislich keine andere politische Partei in der Welt eine vergleichbare Leistung vorweisen. (14)
IWF hebt BIP-Wachstumsprognose für China an
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in seinem jüngsten Weltwirtschaftsausblick (WEO) die Prognose für das chinesische BIP-Wachstum in 2024 auf 5 Prozent bestätigt.
Die Stellungnahme des IWF zu den China-Daten erfolgte unmittelbar nach offizieller Bekanntgabe durch das NBS. Als ausschlaggebende Faktoren werden dabei eine stetige Erholung des Binnenkonsums und ein Anstieg der Exporte angegeben. In seiner WEO-Aktualisierung vom Juli geht der IWF davon aus, dass die prognostizierten 5% Wachstums für das Jahr 2024 eine Aufwärtskorrektur um 0,4 Prozentpunkte gegenüber dem WEO-Bericht des IWF vom April bedeuten. (15)
"In China sorgte der wiedererstarkte Binnenkonsum im ersten Quartal für eine positive Entwicklung, die durch einen scheinbar vorübergehenden Anstieg der Exporte unterstützt wurde, die erst spät wieder an den Anstieg der weltweiten Nachfrage im letzten Jahr anknüpfen konnten."
WEO, World Economic Outlook
Entgegen den zumeist abwertenden Nachrichten (16) westlicher Medien zur chinesischen Halbjahres-Bilanz 2024 deutet auch die Aufwärtskorrektur der IWF-Prognose darauf hin, wonach sich die Erwartungen für eine stabile und solide Erholung der chinesischen Wirtschaft trotz des sich eintrübenden außenwirtschaftlichen Umfeldes und eines zunehmenden Handels-protektionismus erfüllen werden. Dies ist als ein Beleg für Chinas wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einzuschätzen.
Eine vom IWF veröffentlichte Tabelle zeigt, welche Entwicklung der chinesischen Wirtschaft im Weltmaßstab gegenüber anderen Ländern in den nächsten Jahren zu erwarten ist.
Man beachte dabei zum Vergleich besonders die Prognose zur Wirtschaftsentwicklung Deutschlands. (17)
- Communique der 3. Plenartagung
Die Rahmenvorgaben für Modernisierung, Reformen und weitere Öffnung
Zum Abschluss der im Juli d. J. erfolgten 3. Plenartagung verabschiedete das oberste politische Führungsgremium ein Communique, eine amtliche Verlautbarung, die das Ergebnis der Tagung zusammenfasst und als Rahmenvorgabe für die Entwicklung der nächsten 5 Jahre bezeichnet wird. Per Pressemitteilung war die chinesische Öffentlichkeit unmittelbar nach Veröffentlichung dazu aufgefordert, das Plenums-Communique zu studieren und sich an den vorgesehenen Maßnahmen in den jeweiligen Tätigkeitsbereichen zu beteiligen.
Das Communique ist so gesehen eine Resolution zur weiteren Vertiefung des beschlossenen Reformkurses für eine Modernisierung der chinesischen Gesellschaft. Die Förderung einer qualitativ hochwertigen Entwicklung, entlang des eingeschlagenen Weges, China zu einem modernen sozialistischen Land aufzubauen, wird als die Generallinie der sozio-ökonomischen Entwicklung bestimmt.
Wie der Name schon sagt, handelt es sich um ein Communique und nicht um einen dezidierten Plan der Umsetzung mit fest vereinbarten Lösungsansätzen.
Auszugsweise sind im Folgetext Passagen des Communiques zusammenfassend dargestellt. Den Schwerpunkt der Darstellung bilden jene vereinbarten Maßnahmen und Programmpunkte, die schon im Vorfeld der Plenartagung eine hohe internationale Aufmerksamkeit erweckten, wie der künftige wirtschaftspolitische Weg Chinas in Zukunft aussehen mag. (18)
Das zitierte Dokument ist in seiner vollen Länge unter dem angegebenen link zu finden (19)
Zum Communique
Betonung der Bedeutung und Vertiefung von Reformen, um die chinesische Modernisierung voranzutreiben.
Die Schwerpunkte: Aufbau einer sozialistischen Marktwirtschaft, Förderung einer qualitativ hochwertigen wirtschaftlichen Entwicklung, Unterstützung umfassender Innovationen, Verbesserung der makroökonomischen Steuerung, Förderung einer integrierten Stadt-Land- Entwicklung, Verfolgung einer Öffnung auf hohem Niveau und der Förderung einer umfassenden Volksdemokratie , Förderung der sozialistischen Rechtsstaatlichkeit mit chinesischen Merkmalen, Vertiefung der Reformen im Kulturbereich, Gewährleistung und Verbesserung des Wohlergehens des Volkes, Vertiefung der Reformen im Bereich des Umweltschutzes, Modernisierung des nationalen Sicherheitssystems und der Kapazitäten Chinas, Vertiefung der nationalen Verteidigung und der Militärreform sowie die Verbesserung der Führungsrolle der Partei bei der weiteren Vertiefung der Reformen.
Ausweitung der Binnennachfrage, im Einklang mit einer wirksamen Umsetzung der makroökonomischen Politik.
Zur Vorbeugung und Entschärfung von Risiken in den Bereichen Immobilien, kommunale Schulden, kleine und mittlere Finanzinstitute und anderen Schlüsselbereichen werden verschiedene Maßnahmen umgesetzt zur Gewährleistung der weiteren Entwicklung und Sicherheit des erreichten Wohlstandsniveaus.
Förderung neuer Arbeitskräfte.
Solide Schritte in Richtung einer umweltfreundlichen und kohlenstoffarmen Entwicklung.
Die Erfolge bei der Armutsbekämpfung konsolidieren und ausbauen.
Das Wohlergehen der Menschen sicherstellen und verbessern.
Integrierte städtische und ländliche Entwicklung für die chinesische Modernisierung.
Bei der neuen Industrialisierung sind die neue Urbanisierung und die umfassende Wiederbelebung des ländlichen Raums zu koordinieren, eine stärkere Integration von Stadt und Land bei Planung, Entwicklung und Regierungsführung anstreben.
Förderung eines gleichberechtigten Austausches und wechselseitige Ströme von Produktionsfaktoren zwischen Stadt und Land, um die Ungleichheiten zwischen beiden zu verringern und ihren gemeinsamen Wohlstand und ihre Entwicklung zu fördern. Verbesserung des grundlegenden ländlichen Betriebssystems, die Unterstützungssysteme zur Stärkung der Landwirtschaft, zum Nutzen der Landwirte und zur Bereicherung der ländlichen Gebiete verbessern und die Reform des Bodensystems vertiefen.
Weitere Reformen der Öffnung durch die Fortsetzung der staatlichen Politik der Öffnung nach außen, das Schaffen neuer Institutionen für die Entwicklung einer offenen Wirtschaft mit höheren Standards.
Ausbau der Zusammenarbeit mit anderen Ländern.
Vertiefung der Strukturreform des Außenhandels, die Verwaltungssysteme für Investitionen im In- und Ausland weiter reformieren. Die Planung für die regionale Öffnung verbessern und die Mechanismen für eine qualitativ hochwertige Zusammenarbeit im Rahmen der Belt and Road Initiative verfeinern.
Verbesserung der Systeme zur Erhaltung der Umwelt, konzertierte Anstrengungen einleiten, um die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, die Umweltverschmutzung zu verringern, eine grüne Entwicklung zu verfolgen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, aktiv auf den Klimawandel zu reagieren.
Stärkung des kulturellen Selbstvertrauens. Die chinesische Modernisierung ist die Modernisierung des materiellen und kulturell-ethischen Fortschritts., Entwicklung einer fortschrittlichen sozialistische Kultur zu entwickeln, eine revolutionäre Kultur fördern und die traditionelle chinesische Kultur weiterführen.
Modernisierung der friedlichen Entwicklung. Die chinesische Modernisierung unterstreicht Chinas Politik der friedlichen Außenbeziehungen ist als eine unabhängige Außenpolitik des Friedens fortzusetzen. Die Außenpolitik ist weiterhin darauf ausgelegt, sich für eine menschliche Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft einzusetzen.
Die Modernisierung der nationalen Verteidigung und der Streitkräfte ein integraler Bestandteil der chinesischen Modernisierung ist. Die absolute Führung der Partei über die Volksstreitkräfte ist aufrechtzuerhalten und die Strategie der Stärkung des Militärs durch Reformen vollständig umzusetzen.
Die führende Rolle der Partei gilt als die grundlegende Garantie für die weitere Vertiefung der Reformen und um die Modernisierung Chinas umfassend voranzutreiben.
Ein Zwischenfazit
Ein abschließendes Fazit bietet sich redlicherweise nicht an, weil die detaillierten Beschlüsse und Maßnahmen über die etablierten staatlichen Kanäle und den chinesischen Wirtschaftspartnern erst im Anschluß zur Kenntnis genommen werden.
Manche ausländische Unternehmerverbände und aus dem off agierende Analysten bilden bei der Kenntnisnahme des Communiques eine unrühmliche Ausnahme, die weitreichende, liberale Öffnungen bis hin zu Systemveränderungen des politischen Systems in China erwartet hatten. Öffnung und Reformen sind für diese Kreise nur zu verstehen als Freifahrtschein für ausländische Unternehmen, um ohne Einschränkung eigenständig und ohne Kontrolle in China agieren zu können.
Das erörterte Programm der 3. Plenartagung mit seinen weitreichenden Reformvorgaben und der weiteren Öffnung des heutige Chinas widerspiegelt die anstrengenden Aufgaben für die Zukunftsgestaltung des Landes. Das vorliegende Communique enthält keine überraschenden Elemente, die nicht schon zuvor kontinuierlich Gegenstand der Ausschüsse der Gremien der kommunistischen Partei Chinas gewesen wären. Unterschiedlich nuanciert haben Analysten und auch die internationale Presse immer wieder darüber berichtet.
Die 3. Plenartagung hat als politisches Ergebnis ein weitreichendes Statement mit globaler Wirkung hervorgebracht. Die wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Ausrichtung chinesischer Politik soll nach den Ergebnissen der Beratungen ein Gleichgewicht zwischen Stabilität und Wachstum herstellen. Das Kommuniqué drückt die Notwendigkeit einer modernen Gestaltung von Wirtschaft und Staat und das Initiieren von fairen Bedingungen für Zukunftsinvestitionen im chinesischen Marktumfeld aus. Die beschlossene weitreichende Öffnung für ausländische Investoren soll auf einem hohen Niveau erfolgen und die benötigten Qualitätsproduktionskräfte dafür bereitstellen. Man kann davon ausgehen, dass detaillierte Vereinbarungen und Vorgaben für die beteiligten Wirtschaftspartner als nächste Schritte erfolgen werden. Auch wir werden das mit großer Aufmerksamkeit weiterhin begleitend kommentieren.
Quellenangaben
(1) http://de.china-embassy.gov.cn/det/zt/zg16d/200812/t20081219_3131095.htm
(2) https://www.chinadailyhk.com/hk/article/588057#Third-plenum-of-20th-CPC-Central-Committee-to-outline-reform-steps-2024-07-15
(3) Wolfgang Müller: Justiert China die Wirtschaftspolitik neu? Debatten vor dem Dritten Plenum des ZK der KP, Sozialismus.de, Heft 7/8-2024
(5) https://www.globaltimes.cn/page/202407/1316028.shtml
(6) https://www.globaltimes.cn/page/202407/1316028.shtml
(7) https://www.globaltimes.cn/page/202407/1316173.shtml
(9) http://www.chinatoday.com.cn/ctenglish/2018/zdtj/202407
(10) https://www.news.cgtn.com;
http://german.china.org.cn/txt/2024-07/16/content_117313989.htm
(11) https://www.stats.gov.cn/english/PressRelease/;
http://de.china-embassy.gov.cn/det/zgtphsz_/202407/t20240715_11454021;
htmhttps://www.finanzen100.de/devisen/waehrungsrechner/?kurs=chinesischer-renminbi-yuan-us-dollar-cny-usd-9368554
(12) NBS, National Bureau of Statistics, China;
https://www.china-briefing.com/news/chinas-gdp-expands-5-in-h1-2024; https://www.stats.gov.cn/english/PressRelease/
(13) Wolfgang Müller, a.a.O.
(14) https://english.news.cn/20240717/62621c8d72cc4e3c94f45971db1cc2df/c.html
(15) https://www.globaltimes.cn/page/202407/1316177.shtml
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/china-bip-wachstum-100.html;
https://edition.cnn.com/2024/07/14/economy/china-communist-party-third-plenum-economy-intl-hnk/index.html
(17) https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2024/07/16/world-economic-outlook-update-july-2024
(18) https://apnews.com/article/china-plenum-economy-trump-b02543fda4ff61aeaa30b96419e0a06b;
https://foreignpolicy.com/2024/07/16/china-third-plenum-ccp-economic-policy-xi-deng-reform/
(19) https://www.chinadailyhk.com/hk