SIKO Gegenaktionen München

Rede Bahman Nirumand - Freitag 8.2.2008

Meine Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

heute Abend wird die Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik eröffnet. Die Veranstalter bekennen scheinbar ganz ehrlich und unschuldig: „Wir haben immer mehr Konflikte, aber immer weniger Strategien.“ Sie sprechen von Machtverschiebungen und stellen fest, dass die Ordnung der Welt aus den Fugen geraten ist.

Soweit, so richtig. In der Tat existiert die alte Ordnung, in der die US-amerikanische Supermacht und einige westeuropäische Staaten alles unter Kontrolle hatten, nicht mehr. Das Zentrum der Welt verschiebt sich. Neue Mächte sind im Vormarsch.

Es ist aber kaum zu erwarten, dass die Teilnehmer der Konferenz die Tatsachen zur Kenntnis nehmen und nach den Ursachen der zunehmenden Konflikte und der allgemeinen Unordnung fragen.

Berauscht von dem Glauben an der Macht der Waffen, werden sie, wie seit eh und je, neue Gewaltstrategien entwickeln und neue Militäreinsätze planen, um den lukrativen Waffenmarkt auszuweiten und die Energiequellen, Rohstoffe und billige Arbeitskräfte unter ihre Kontrolle zu bringen.

Sollten sie aber wider Erwarten tatsächlich sich grundsätzlich um neue Strategien bemühen, dann müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass die Zeit des Kolonialismus längst vorbei ist, dass man mit Gewalt nur Chaos stiften kann, dass die Menschen, auch in den zurückgehaltenen Ländern bewusster geworden sind und sich gegen Unterjochung zur Wehr setzen, auch wenn dieser Widerstand oft den Makel der Verzweiflung trägt.

Die Teilnehmer der Konferenz müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Rolle, die die USA nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Berliner Mauer als alleinige Supermacht gespielt und sich dabei in allen Teilen der Welt nach Belieben ausgetobt haben, allmählich ausgespielt ist, und dass andere Mächte wie Russland China oder auch Indien, nicht weniger aggressiv ihren Anteil an dem großen Kuchen fordern.

Die Teilnehmer der Konferenz sollten weiterhin zur Kenntnis nehmen, dass die Supermacht USA und in weitem Maße auch Europa ihr Ansehen und Glaubwürdigkeit in weiten Teilen der Welt eingebüßt haben. Lange Zeit hindurch hat sich der Westen als Bannerträger der Demokratie und der Menschenrechte präsentiert. Diesen Anspruch hat er längst verloren.

Denn die Menschen in anderen Teilen der Welt sind doch nicht taub und blind. Sie sehen, wie unter dem Deckmantel der Demokratie, trotz ständigen Bekenntnissen zu Menschenrechten alles Undenkbare und Unvorstellbare möglich und erlaubt ist.

Es ist erlaubt, dass der Präsident eines demokratisch verfassten Staates unzählige Male sein eigenes Volk und die ganze Welt offen und schamlos belügt und trotzdem im Amt bleibt, auch dann, wenn er diese Lügen zum Vorwand nimmt, um einen Krieg vom Zaum zu brechen, bei dem Hunderttausende Zivilisten getötet und verletzt und Millionen zur Flucht gezwungen wurden. Es ist den selbsternannten Demokraten und Verfechtern der Menschenrechte erlaubt, das Völkerrecht zu brechen, Länder zu besetzen, Menschen zu entführen und brutal zu foltern. Es ist erlaubt, zu Militärdiktaturen wie zu der in Pakistan und zu Despoten wie zu denen in Saudi-Arabien freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten, ihnen für zig Milliarden Waffen zu liefern, um eigene ökonomische und militärstrategische Interessen durchzusetzen.

Es ist erlaubt, vierzig Jahre lang sämtliche UNO-Beschlüsse zu ignorieren, ein Land besetzt zu halten und es durch den Ausbau von immer mehr Siedlungen, Militärstützpunkten, Checkpoints und Mauern so zu okkupieren, dass jede Hoffnung auf einen autonomen Staat begraben werden muss. Es ist erlaubt, Teile dieses Landes zur militärischen Sperrzone zu erklären, anderthalb Millionen Menschen von der Außenwelt auszugrenzen und sie aushungern zu lassen.

Ist es möglich, trotz dieser Beispiele, denen man endlos weitere hinzufügen könnte, immer noch zu glauben, dass der Westen es mit der Demokratie und der Einhaltung der Menschenrechte ernst meint?

Der Irak sollte zum Vorbild eines demokratischen Staates im Nahen Osten werden. Der blutrünstige Despot Saddam Hussein wurde zwar gestürzt, aber seit fünf Jahren ist im Irak niemand seines Lebens sicher. Das Land liegt in Trümmern, Mord und Terror hören nicht auf. Allein in den letzten zwei Wochen wurden mehr als hundert Menschen getötet. Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Eine nationale Einheit der mehr denn je verfeindeten Volksgruppen ist schier unmöglich und eine Teilung des Landes würde zu mehreren Kriegen führen.

Auch Afghanistan sollte zu einem Musterstaat mit blühenden Landschaften werden. Seit sieben Jahren steht das Land unter Besatzung. Der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck ist ehrlich genug und gesteht, dass deutsche Soldaten deutsche Interessen am Hindukusch vertreten. Andere Nato-Staaten tun das auch, obwohl sie es vielleicht nicht offen zugeben. Wer aber vertritt die Interessen Afghanistans? Sicherlich nicht die korrupte Regierung Karsai und auch nicht das Parlament, in dem die Killer von einst und heutige Bosse der Drogenmafia sitzen. Angeblich waren die Besatzer gekommen, um das Land aufzubauen und den Menschen Sicherheit zu gewähren. Es muss erlaubt sein, zu fragen, wo all die Milliarden geblieben sind, die für die Entwicklung des Landes bereitgestellt wurden. Sicher, die Regierung ist korrupt, aber nicht einmal ein Viertel der Gelder ist überhaupt nach Afghanistan gelangt. Und die Sicherheit? Der Terror ist um das Mehrfache gestiegen und die Taliban sind im Vormarsch. Man könnte auch die Frage stellen, woher all die Waffen kommen, mit denen die Terroristen und die Taliban ihren Kampf führen. Verfügt etwa Al Kaida über Waffenfabriken? Und wer organisiert den Drogenexport bis nach Europa und in die USA? Sind das alles afghanische Warlords?

Die Militärregierung in Pakistan, die zu den bevorzugten Schützlingen der USA gehört und mit Waffen im Wert von Milliarden und großzügiger Entwicklungshilfe, auch aus Deutschland, versorgt wird, ist längst nicht mehr Herr der Lag im eigenen Land. Weite Teile des Landes stehen unter der Kontrolle der Islamisten, die zudem durch weitreichende Verbindungen über großen Einfluss in der Armee und im Geheimdienst verfügen. Gäbe es freie Wahlen in Pakistan, wäre nicht ausgeschlossen, dass Islamisten den Sieg davon tragen und auf legalem Weg in den Besitz von Nuklearwaffen gelangen würden.

Iran steht nach wie vor im Visier der USA. Washington möchte zwar unbedingt verhindern, dass Iran in den Besitz von Nuklearwaffen gelangt, aber das eigentliche Ziel ist ein Regimewechsel und die Kontrolle über die Region, in der die größten Gas- und Ölquellen lagern. Sonst hätte man damals unter dem kompromissbereiten Reformpräsidenten Chatami zu einer Lösung gelangen können. Die USA blockierten die Verhandlungen und verhalfen damit den Radikalislamisten zur Macht. Ja noch mehr, Sanktionen und Kriegsdrohungen waren die besten Steilvorlagen für das mörderische Regime von Ahmadinedschad, dem außenpolitische Krisen höchst willkommen sind, um von der Unfähigkeit seiner Regierung abzulenken, das eigene Volk noch mehr zu knechten und in der islamischen Welt die Rolle des Helden zu spielen.

Nein, liebe Freundinnen und Freunde,

die Strategie der Gewalt löst keine Probleme, sie erzeugt immer mehr Gegengewalt. Das sollten sich die um Sicherheit der Welt besorgten Damen und Herren, die hier in München zusammengekommen sind, hinter die Ohren schreiben. Sanktionen und Kriegsdrohungen werden das Regime in Teheran nicht in die Knie zwingen. Die zu Polizisten und Soldaten ausgebildeten Afghanen, die scharenweise zu den Taliban überlaufen, werden nicht in den Schoß der Besatzer zurückkehren, wenn man noch mehr Tornados und Truppen nach Afghanistan schickt. Die Selbstmordattentate der Palästinenser, die durch keinen Vorwand zu rechtfertigen sind, weil Mord einfach Mord ist, werden nicht aufhören, wenn man dem palästinensischen Volk durch immer weiteren Ausbau von Siedlungen die Hoffnung auf einen eigenen Staat raubt und die Menschen weiterhin wie Gefangene behandelt. Nein, Gewalt erzeugt Gegengewalt.

Was wir brauchen, ist eine Strategie des Friedens, eine Strategie gegen Armut, Hunger und Seuchenkrankheiten, eine Strategie die frei ist von der Arroganz der Macht, eine Strategie die tatsächlich die Menschenrechte und Gleichberechtigung der Völker akzeptiert. Diese Strategie werden wir nur dann durchsetzen können, wenn die internationale Friedensbewegung stark genug ist, um die, die hier in München hinter verschlossenen Türen tagen, dazu zu zwingen, statt Lippenbekenntnisse tatsächlich als Demokraten und Verteidiger der Menschenrechte zu handeln und sich dem Willen der Völker nach Frieden und Freiheit zu beugen.