Einschätzung aus dem Aktionsbündnis
Eine Einschätzung der Aktivitäten gegen den 60. NATO-Geburtstag in Strasbourg/Baden-Baden
aus dem Münchner „Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz“
Wir haben bei unserer Einschätzung ganz bewusst eine Zweiteilung gewählt: Zum einen eine Bewertung der Gesamtaktionen, also Camp, Kongress, Demo, Blockaden und alle kleineren Aktionen der Tage, zum anderen eine Bewertung der Mittel. Damit haben wir versucht zu vermeiden, dass die Debatte um Militanz die ganze Diskussion bestimmt.
Bewertung der Gegenaktivitäten
Insgesamt waren wir uns einig,
dass die Aktionen von daher als ein Erfolg zu bewerten sind weil es auch in Strasbourg nur durch die Verhängung des Ausnahmezustandes möglich war, dieses Treffen der Kriegsstrategen durchzuführen. Die harten Ansagen von Sarkozy und den verschiedenen französischen Behörden, dass keinerlei Proteste in der Innenstadt geduldet werden, der staatliche Wunsch nach Stillschweigen über die Gegenaktivitäten von Seiten der Medien, sprich insgesamt keine wahrnehmbaren Widersprüche zuzulassen, wurden komplett ausgehebelt. Das ist gelungen und das finden wir gut so.
Allerdings hat die geringe TeilnehmerInnenzahl unsere Erwartungen bei weitem nicht erfüllt. Es ist uns, Spektren- und länderübergreifend, nicht gelungen über unseren begrenzten Kreis hinaus zu mobilisieren. Der ehrgeizige politische Rahmen der gesteckt worden war hat sowohl die nationalen Vorbereitungskreise als auch das ICC überfordert. Das betrifft „Block Nato“ genauso wie die Demonstration und den Kongress. Auf deutscher Seite konnte keine nennenswerte Anzahl von AktivistInnen über die „üblichen Verdächtigen“ von KriegsgegnerInnen und AntimilitaristInnen hinaus mobilisiert werden. Wir sind in unserer eigenen Suppe geschwommen, nicht einmal innerhalb der Linken konnten alle Spektren angesprochen werden. An was das genau lag und wie wir das verändern können bleibt zu analysieren. - Nicht förderlich für die Mobilisierung war sicherlich, dass eine Woche vor dem Gipfel bundesweit gegen die Krise demonstriert wurde, obwohl auch aus der Linken gegen diese Termindichte interveniert wurde.
Insgesamt positiv eingeschätzt wurde, dass im Vorfeld zum Gipfel durch lokale Aktivitäten das Thema Antimilitarismus auf die Tagesordnung gesetzt worden war. Offen blieb die Frage warum die französische Mobilisierung so schwach war, wir würden uns darüber gerne noch mit den französischen AktivistInnen austauschen.
Aus dem Münchner Kreis waren wir an den unterschiedlichen Orten präsent: Auf dem Camp und bei den von dort ausgehenden Aktionen, auf dem Gegenkongress, bei den Blockaden in der Innenstadt von Strasbourg, in Kehl und beim Demoversuch in Strasbourg. Daher gab es zu allem auch Einschätzungen. Als roter Faden zog sich durch, dass alle, von den Autonomen bis weit ins Friedensspektrum hinein, einen eklatanten Mangel an Organisierung und Struktur festgestellt haben. Aus Kreisen der Friedensbewegung wurde bemängelt, dass es keinen entschlossenen, organisierten Versuch gab von Kehl nach Strasbourg zu gelangen. Bei Denjenigen, die sich für die Blockaden entschieden hatten, war der Eindruck entstanden, dass die Blockaden vom Camp aus wenig organisiert wirkten und es keinen wirklichen Plan gab wie man gemeinsam die Blockadepunkte in der Stadt hätte erreichen können.
Auf dem Camp selber mangelte es an strukturierter Diskussion und Entscheidungsstrukturen, was sowohl in den Scharmützelsituationen von Donnerstag und Freitag als auch bei der Abreise am Sonntag zu individualisiertem und unsolidarischem Verhalten geführt hat. Als eine totale Katastrophe wurde sowohl die Wahl des Demoauftaktplatzes als auch der empfundene Mangel einer kompetenten Demoleitung bewertet.
Da bis auf einige sehr wenige niemand aus München in der Vorbereitung der Gegenaktivitäten involviert war, wurde aber auch schnell klar, dass es nicht angehen kann, Erfolg und Misserfolg der Proteste alleinig in die Verantwortlichkeit der Vorbereitungskreise zu legen. Uns ist in der Diskussion deutlich geworden, dass die meisten derjenigen, die nach Strasbourg gefahren waren, sich nicht ausreichend vorbereitet hatten, sondern davon ausgegangen waren, dass es funktionierende Vorbereitungskreise gibt, die schon alles richten werden. Das ICC wurde als internationales Gremium empfunden in dem alle Stränge zusammenlaufen, wo alles organisiert wird. Selbstkritisch wurde festgestellt, dass diese Annahme sehr blauäugig war und, dass es notwendig gewesen wäre in München selber besser vorbereitet nach Strasbourg zu fahren. Spätestens nach dem faktischen Demoverbot wäre mehr notwendig gewesen als sich ohne weitere Überlegungen auf diese Insel-Kiesgrube zu begeben und auf den Fährmann zu warten, der einen dann Richtung Innenstadt führt. Es gab in München mehrere Vorbereitungsveranstaltungen, auf denen das mangelnde Demokonzept immer wieder thematisiert worden war. Wir sind zum Schluss gekommen, dass eigene Überlegungen notwendig gewesen wären, um nicht in diese „Insel-Falle“ zu laufen. - Die Verantwortung dafür, dass die Demo in einem Desaster endete liegt in den Händen aller, die an diesem Tag auf der Straße waren.
Wir haben aber trotzdem massive Kritik an den Vorbereitungsgremien, im speziellen was die Demonstration angeht, die diesen - gelinde gesagt - fragwürdigen Ort ausgewählt und akzeptiert haben. Diese Kritik richtet sich gleichermaßen an das ICC als auch an diejenigen, die den Internationalistischen Block organisiert haben. Noch auf der Aktionskonferenz im Februar war beschlossen worden sich auf einen solchen Ort auf gar keinen Fall einzulassen und dann plötzlich war es dann doch so. Eine Entscheidung, die innerhalb und außerhalb des ICC umstritten war, die aber nicht mehr rückgängig gemacht wurde. Unsere Frage ist: „Wie konnte es dazu kommen?“
Versuche eine gemeinsame Demoleitung unter Beteiligung aller Spektren zu bilden stieß auf wenig Interesse, die Demoleitung wurde dann im letzten Moment installiert. Alles in allem keine gute Ausgangssituation für eine Demo, von der bereits im Vorfeld klar war, dass sie mit einem hohen Konfliktpotential belastet sein würde. Auf der einen Seite die DemonstrantInnen, die ihren berechtigten Protest logischerweise in die Innenstadt tragen wollten und auf der anderen Seite ein massives Polizeiaufgebot, dass dieses Ansinnen mit allen Mitteln unterbinden wollte.
Es wurde auch angesprochen, dass auf dem Camp nur ein einziges großes Plenum bezüglich der Demo stattfand. Dort wurde das Konzept für den Internationalistischen Block von deutschen Gruppierungen vorgestellt, allerdings ohne jegliche Möglichkeit noch wirklich Einfluss auf die Planungen nehmen zu können. Dies führte verständlicherweise zu erheblichem Ärger, hauptsächlich bei nichtdeutschen AktivistInnen.
Wir wollen an dieser Stelle nochmal deutlich machen, dass wir nicht mit dem Finger auf andere zeigen wollen, um uns aus der Verantwortung zu stehlen. Fakt war jedoch, die Demonstration lief völlig aus dem Ruder und das lag nicht nur an dem brennenden Hotel und dem bewusst eskalierenden Polizeieinsatz. Es lag vielmehr daran, dass das ICC die Auswirkungen des Demonstrationsverbotes für die Strasbourger Innenstadt völlig falsch eingeschätzt hat. Weder die Friedensbewegung noch die radikale Linke, noch die Parteien waren dann vor Ort in der Lage organisiert mit der eskalierten Situation umzugehen. - Wir sollten deshalb versuchen in einer solidarischen, kritisch/selbstkritischen Diskussion hier zukunftsweisende Antworten zu finden.
Kehl geht baden
Die mediale Aufmerksamkeit am ersten Februarwochenende richtete sich fast ausschließlich auf die Vorkommnisse auf französischer Seite und auch unsere Diskussionen im nach hinein drehen sich hauptsächlich darum. Wir haben uns darauf verständigt, dass auf der östlichen Seite des Rheins die
Demonstrationsfreiheit bereits durch die unglaublich große Präsenz der deutschen Polizeikräfte faktisch aufgehoben war. Beispielsweise war am Freitag in Baden-Baden das zahlenmäßige Verhältnis Polizei zu DemonstrantInnen 40:1!
Hinzu kamen unzählige Anreiseverbote, völlig überzogene Vorkontrollen und ähnliche Dinge, die letztlich auf ein nicht ausgesprochenes Demonstrationsverbot hinaus liefen. Dass die Demo über die Europabrücke nicht zugelassen wurde, war da nur noch das Tüpfelchen auf dem i.
Wir waren in München der Meinung, dass wir darüber nochmal genauer reden müssen, was das für uns bedeutet. Weil was wirklich neues ist das für München nicht, auf der jährlichen Siko-Demo läuft der Internationalistische Block seit Jahren in mehrreihigem Spalier und bundesweit geht der Trend auch in diese repressive Richtung. Der politische Ausdruck von Demonstrationen wird damit seiner Wahrnehmbarkeit entledigt. Wir haben auch immer wieder versucht einen politischen (z.B. andere Aktionsformen) und juristischen Umgang damit zu finden, aber nach dem „Nichts“ in Kehl brauchen wir auch eine Auseinandersetzung in anderen Städten und allen Spektren, um wieder handlungs- und wahrnehmungsfähiger zu werden.
Die so genannte „Gewaltdebatte“
Aufgrund der sehr heterogenen Zusammensetzung des Münchner Bündnisses, es reicht von der Friedensbewegung bis zu den Autonomen, gibt es natürlich hier die unterschiedlichsten Positionen. Allerdings diskutierten wir auch nicht zum ersten Mal über dieses Thema, es hatte in der Vor- und Nachbereitung der Demos gegen die „Sicherheitskonferenz“ immer wieder Debatten um Militanz gegeben.
In der Mehrheit hat sich das Plenum dafür ausgesprochen, dass politisch zielgerichtete Militanz, beispielsweise als Gegenwehr gegen Angriffe der Polizei oder gegen staatliche Willkür etwa bei massiver Einschränkung demokratischer Grundrechte, eine durchaus zu akzeptierende Aktionsform ist. Nur wenige fordern totale Gewaltfreiheit. In der Diskussion kam auch aufs Neue zur Sprache, dass die Forderung nach Letzterem Makulatur ist, das eine totale Gewaltfreiheit von einem großen Teil der Bewegung nicht akzeptiert wird.
Im weiteren Verlauf drehte sich die Diskussion um die Vorfälle in Strasbourg. Dabei haben wir darauf verzichtet eine Skala der Gewalt zu malen (Grenzhaus gut, Apotheke schlecht) sondern uns mehr darauf konzentriert über die Auswirkungen von ungezielten, testosteron-gesteuerten Gewaltausbrüchen zu sprechen. Die Position, dass derartige „riots“ nicht dazu beitragen, dass die Protestbewegung breiter und stärker wird, sondern dem Staat und seinem Repressionsapparat direkt in die Hände spielen, wurde auch vertreten. Es wurde auch betont, dass Militanz mit Verantwortung zu tun hat und dass es eine Lösung braucht, wie damit umgegangen wird wenn die Aktionen aus dem Ruder laufen und Menschen gefährdet werden oder blinder Vandalismus herrscht (Aktionstraining, Bezugsgruppen, ...). Über die Methodik gab es große Differenzen: Einige fanden man müsse sich öffentlich distanzieren, was von anderen abgelehnt wurde.
Insgesamt waren wir uns einig, dass wir entschlossene, verantwortungsbewusste, organisierte und vielfältigste Formen des Widerstandes brauchen, um unsere politische Perspektive gegen Krieg, NATO, BW ... weiter zu entwickeln und vor allem mehr zu werden. Wir haben im Laufe der Jahre in München festgestellt, dass gegenseitiger Respekt und eine konstruktive Form der Auseinandersetzung, die Basis für unsere gemeinsame Arbeit bilden. Es hilft uns nach Strasbourg nicht weiter, wenn sich Teile der Friedensbewegung nun auf ihre ureigenen Ideale der Gewaltfreiheit zurückziehen wollen und andere (wenige) die „Macht der Steine“ als Maß aller Dinge betrachten. - Nur gemeinsam sind wir stark!
München, 21.05.2009