Kriegstreiber unerwünscht!
Rede anläßlich der 60. Münchner (Un-)Sichereitskonferenz am 17. Februar 2024
von Jürgen Rose
Sehr geehrte Versammelte, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!
Es ehrt Sie sehr, daß Sie heute hier so zahlreich erschienen sind und damit ein Zeichen setzen für den Frieden auf der Welt, obschon es durchaus Elan und Mut braucht, um in diesen Zeiten allgegenwärtigen und allumfassenden Kriegs- und Sieggetrommels aufzustehen und die Stimme zu erheben gegen das massenhafte Morden auf den „Killing Fields“ dieser Welt, zumal Menschen wie wir vielfach unverblümt als „Lumpenpazifisten“ diffamiert werden seitens zahlreicher politischer und journalistischer Claqueure des Krieges, die umgekehrt wohl am treffendsten als „Schurkenbellizisten“ zu titulieren wären. An diesem Wochenende hat sich hier in München zum sechzigsten Mal eine illustre Auswahl dieser Spezies im Rahmen der sogenannten „Münchner Sicherheitskonferenz“ versammelt – und zwar nicht, um über den Frieden auf der Welt und mögliche Wege dahin wie vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie Entspannung und friedliche Koexistenz zu diskutieren.
Nein, auf diesem Stelldichein der NATO-Warlords geht es unter Federführung der USA – jenem ruchlosen Imperium der Barbarei, von dem nach wie vor die größte Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ausgeht – vornehmlich um gewinnträchtige Aufrüstung zugunsten einer maßlosen Rüstungsindustrie sowie die Planungen für siegreiche Kriege jetzt und in der Zukunft – das aktuelle „Strategische Konzept“ der NATO, verabschiedet letztes Jahr in Madrid, legt beredtes Zeugnis davon ab. Und deshalb handelt es sich bei der sogenannten „Münchner Sicherheitskonferenz“ um eine grobe Irreführung des Publikums, denn in Wahrheit wird hier vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine höchst schändliche „Un-Sicherheitskonferenz“ zelebriert.
Über die „Drahtzieher der Kriege“ hat sich Papst Franziskus in seiner Weihnachtsbotschaft vom 25. Dezember 2023 glasklar geäußert, als er dazu aufforderte, „‘Nein‘ zum Krieg zu sagen - und zwar mit Mut: Nein sagen zum Krieg, zu jedem Krieg, zur Logik des Krieges selbst, der eine Reise ohne Ziel, eine Niederlage ohne Sieger und ein Wahnsinn ist, für den es keine Entschuldigung gibt. … Um aber „Nein“ zum Krieg zu sagen, muss man „Nein“ zu den Waffen sagen. … [W]ie kann man von Frieden sprechen, wenn Produktion, Verkauf und Handel von Waffen zunehmen? … Die Menschen, die keine Waffen, sondern Brot haben wollen, die sich abmühen, um über die Runden zu kommen und um Frieden bitten, wissen nicht, wie viel öffentliches Geld für Rüstung ausgegeben wird. Doch sie sollten es wissen! Darüber soll man sprechen, darüber soll man schreiben, damit die Interessen und Gewinne bekannt werden, die die Drahtzieher der Kriege sind.“
Die vom Papst adressierten „Drahtzieher der Kriege“ sind der Welt wohlbekannt: Es handelt sich um die NATO-Warlords, die soeben nicht weit von hier versammelt sind. Allen voran die USA, über die der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann in seinem „Aufruf an die Europäer“ bereits im Jahr 1953 außerordentlich hellsichtig konstatierte, daß diese „Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis, Glaçis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Rußland … behandeln, als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt.“ Exakt so ist heute die Lage wie der von der NATO unter Rädelsführerschaft der USA angestiftete und provozierte Angriffskrieg der Rußländischen Föderation gegen die Ukraine schlagend beweist. Es war der amtierende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg höchstpersönlich, der diesen Umstand im März 2022 bestätigte, als er zu Protokoll gab: „Man muss bedenken, dass seit der illegalen Annexion der Krim 2014 die Nato-Alliierten Zehntausende von ukrainischen Soldaten geschult haben, die jetzt an der Front stehen. Und wir haben sie ausgerüstet. Die ukrainische Armee ist jetzt wesentlich stärker, viel besser ausgerüstet als 2014.“ Darüber hinaus brüstete sich Stoltenberg offen damit, dass die NATO jegliches Angebot Russlands zu einer Konfliktlösung auf diplomatischem Wege brüsk abgelehnt und dadurch maßgeblich zur Entfesselung des Krieges in der Ukraine beigetragen habe: „Hintergrund war, was Präsident Putin im Herbst 2021 erklärte und tatsächlich einen Vertragsentwurf geschickt hat, den die Nato unterzeichnen sollte, mit dem Versprechen, dass es keine weitere NATO-Erweiterung gebe. … Und das war eine Vorbedingung dafür, nicht in die Ukraine einzumarschieren. Das haben wir natürlich nicht unterschrieben. … Also zog er in den Krieg, um die NATO, mehr NATO, in der Nähe seiner Grenzen zu verhindern.” Es mag erstaunlich wirken, aber mitunter lassen die „Drahtzieher der Kriege“ doch tatsächlich ihre Maske fallen und machen sich – warum auch immer – ehrlich. Angesichts der überwältigenden Faktenlage bleibt hinsichtlich der Frage nach den Drahtziehern des Krieges in der Ukraine nur ein einziger möglicher Befund, nämlich: Ohne NATO kein Krieg in der Ukraine und ohne NATO-Osterweiterung keine russischen Truppen in der Ukraine!
Über jene Kriegstreiber sowie die niederschmetternde Inkompetenz und Pflichtvergessenheit der deutschen Regierungs(un)verantwortlichen äußerte sich der vormalige Generalinspekteur der Bundeswehr sowie Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Vier-Sterne-General a. D. Harald Kujat, in für den ehemals höchstrangigen deutschen Soldaten nachgerade spektakulärer Freimütigkeit: „Das ganze Problem ist, dass wir spätestens seit dem letzten Regierungswechsel hier in Deutschland Leute an der Spitze des Landes haben, die ... sagen wir einfach, dass diese Leute aufgrund ihrer Inkompetenz und Ignoranz Fehler machen, und wir haben die Politik, die sie verfolgen. ... Dies ist eine gefährliche Politik. Sie wird fanatisch betrieben, nach dem gleichen Prinzip, wie ein Pferd mit Scheuklappen vor den Augen. Keiner schaut nach rechts oder links. Gewinne und Verluste für die Deutschen werden nicht in Betracht gezogen.
Aber das Wichtigste ist: Niemand denkt daran, welche Folgen eine solche Politik für die Ukrainer haben wird. Aber sie leiden in erster Linie unter den aktuellen Kämpfen. Hunderttausende von Menschen wurden getötet, das Land wurde zerstört. Unsere Politiker reißen das alles aus dem Zusammenhang und rufen laut: 'Hauptsache, die Ukraine muss gewinnen.' Das klingt wie ein Mantra. ... Aber, hören Sie, das ist keine Politik! So macht man keine Politik. Das ist Fanatismus. Und das ist eine große Enttäuschung. Und natürlich ist es sehr schwer zu beobachten, wie all die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahrzehnten gesammelt haben, vergessen werden. Diese Erfahrung wird von der deutschen Führung einfach mit Füßen getreten, obwohl sie sowohl in der Außenpolitik als auch in der Sicherheitssphäre sehr nützlich war. Es waren diese Erfahrungen, die es uns ermöglicht haben, die Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen. Dank der Politik, die auf dieser Erfahrung aufbaut, leben wir seit Jahrzehnten in Sicherheit und Wohlstand. ... Ich halte dieses Verhalten [der deutschen Politiker] für unverantwortlich.“
Sowohl für die kriegsgebeutelte Ukraine als auch für eine fürderhin unabdingbare europäische Sicherheitsarchitektur verheißt dies nichts Gutes. Die für eine Neugestaltung letzterer essentielle Prämisse brachte der Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network’s, der US-amerikanische Professor Jeffrey David Sachs auf den Punkt, indem er die Vereinigten Staaten von Amerika als für den Krieg in der Ukraine hauptverantwortliche Imperialmacht mit den Worten adressierte: „Der Krieg in der Ukraine kann und wird aufhören, wenn die USA endlich ihre Bemühungen um eine Ausweitung der Nato auf die Ukraine einstellen und statt dessen direkt mit Russland über dringende Fragen der gegenseitigen Sicherheit verhandeln, einschließlich einer erneuerten Diplomatie zur nuklearen Abrüstung.“
Für die Zivilgesellschaften in „NATOstan“ folgt hieraus wie schon zu Zeiten des verbrecherischen Krieges der USA in Vietnam und wie in Zeiten einer maßlosen nuklearen Hochrüstung in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts „aufzustehen für den Frieden“, „Schwerter zu Pflugscharen“ zu schmieden und „Frieden mit weniger – oder besser noch – ganz ohne Waffen“ zu schaffen, denn wie hatte Kurt Tucholsky dereinst so unwiderleglich gemahnt: „Der Krieg ist aber unter allen Umständen tief unsittlich.“
Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a.D. und Vorsitzender des Förderkreises ‚Darmstädter Signal‘, der den gleichnamigen Arbeitskreis kritischer StaatsbürgerInnen in Uniform unterstützt.